Ernährung Pappsatt
Es ist Mittagszeit in einem sehr vollen Berliner Restaurant, als der Minister seine neue Waffe im Kampf gegen Verschwendung von Lebensmitteln erklärt. "Wissen Sie, was positives Nudging ist?", fragt er die Besitzerin des Lokals, eine schwangere Frau, die ihn ratlos ansieht. "Es ist etwas Neues, was eigentlich was Altes ist. Es ist der Versuch, Menschen zu einer Verhaltensweise zu animieren, ohne sie dazu zu zwingen." Er sieht sehr stolz aus.
Er hält eine Pappbox in der Hand, er dreht sie nach Aufforderung in die Kamera, als wäre darin etwas ganz Besonderes, ein Schatz, aber es sind ein nur paar Salatblätter, gebratenes Hühnchen und Brot. Das Ministerium hat 15 000 solche Boxen an Restaurants in ganz Deutschland verschenkt, sie heißen "Beste-Reste-Box". Sie sollen die Menschen animieren, mit nach Hause zu nehmen, was sie nicht aufgegessen haben.
Der Minister fragt, was heute schnell geht, er hat nur ganz wenig Zeit. Er nimmt dann Steak haché, also ein Hacksteak, und er sagt, dass dieser Karton Teil einer Strategie sei, um die Wertschätzung für Lebensmittel zu erhöhen.
Schmidt wurde 1957 geboren, er ist in einer Zeit aufgewachsen, in der nichts weggeworfen wurde. Heute kann man sich auf Kabel eins den Versuch ansehen, das größte Schnitzel der Welt zu braten, es gibt Riesen-Burger und All-you-can-eat-Buffets, und am Ende stellt sich die Frage, wer das alles eigentlich aufessen soll. Lange Zeit galt es als spießig, sich die Reste einpacken zu lassen. Das will der Minister nun ändern. Mit der Restebox kann man das Gefühl mit nach Hause nehmen, die Welt ein bisschen besser zu machen.
Das Essen kommt, "oh, French Fries", freut sich Schmidt.
Er hat ein Talent, das man in der Politik braucht, er kann essen und reden zugleich, und zwar so, dass es niemals unangenehm wirkt oder gar, als würde er mit vollem Mund sprechen. Er kann sehr liebevoll von Essen schwärmen, man bekommt sofort Hunger. Er sagt: "Ich liebe die Königsberger Klopse, die von meiner Mutter, aber mit breiten Nudeln, okay?"
Schmidt redet gern von der Restebox, es ist ein Thema, das jeder versteht. Er muss sich sonst mit der Düngemittelverordnung und der Opt-out-Regelung bei Genmais herumärgern, das ist sperriger. Es ist nicht so leicht für ihn, mit schönen Themen aufzutauchen. Im Januar besuchte er die Grüne Woche in Berlin, es gibt dort den traditionellen Rundgang des Landwirtschaftsministers, und am nächsten Tag waren die Zeitungen voll mit Bildern, auf denen er Kühe streichelt oder in eine Bratwurst beißt.
Doch danach war da wieder die Frage: Was tun mit dem Rest des Jahres? Vor Kurzem hat er gesagt, man könne die regionale Herkunftsbezeichnung von Lebensmitteln nicht um jeden Preis schützen, es gab viel Presse, leider auch Ärger mit Horst Seehofer. Der fand es keine gute Idee, dass nun unter einem CSU-Minister die Nürnberger Rostbratwurst abgeschafft werden könnte.
Er wolle ja keine Vorschriften machen, sagt Schmidt. Er weiß, wie empfindlich die Menschen da sind. Zuletzt haben die Grünen gelernt, dass die Deutschen es nicht mögen, wenn man ihnen ins Essen hineinregiert. Sie wollten einen Veggie Day, sie machten sich unbeliebt mit dem Veggie Day, sie verabschiedeten sich vom Veggie Day. Jetzt wollen sie die Partei der Freiheit sein.
Nudging, findet Schmidt, ist ein guter Mittelweg. Es werde ja niemand gezwungen, sich die Pizza einpacken zu lassen, es sei nur ein kleiner Schubs. Immerhin würden in Deutschland fast 82 Kilo Lebensmittel pro Bundesbürger und Jahr weggeworfen. Man könnte einwenden, dass die Verschwendung kaum auf Tellern in Restaurants stattfindet. Man könnte auch einwenden, dass man schon heute in beinah jedem Restaurant sein Essen in einem sogenannten Doggy-Bag mitnehmen kann.
Doch Schmidt findet, dass das nicht groß genug gedacht ist, und er will, dass die Box mehr ist. Ein Symbol, das man stolz aus dem Restaurant trägt und nicht verschämt in die Tasche steckt.
Am Ende ist der Teller der Pressereferentin, die mit am Tisch sitzt, zwar halb voll, mitnehmen möchte sie aber nichts, das Fleisch war ihr zu rosa. Und der Minister kann nichts mitnehmen. Er muss nach Kopenhagen zu einer Internationalen Konferenz zur Verbesserung des Tierschutzes bei der Schweinehaltung, da kann er - Beste-Reste-Box hin, Beste-Reste-Box her - nicht mit einem Doggy-Bag auftauchen. Außerdem hat er eh alles aufgegessen.