Volkswagen Das Ende der Leitbullen
Als alles vorbei war, am Samstag um 17.30 Uhr, setzte sich Ferdinand Piëch auf den Beifahrersitz eines roten Audi und ließ sich davonfahren. Es lenkte seine Frau Ursula. Sie fuhren vom Parkplatz des Flughafens Braunschweig-Wolfsburg, auf dem die Firmenflugzeuge von Volkswagen starten und landen. Aber Piëch fliegt nicht gern. Nur im Auto fühlt er sich sicher.
Zwei wilde Wochen lagen hinter dem Ehepaar, hinter Volkswagen, hinter der Wirtschaftsrepublik Deutschland, und es wird wohl noch für eine Weile wild weitergehen. Das alles begann mit sechs Worten, die sich zu einem gemeinen Satz fügten. Es ist ein Satz, der sich wie eine Schlinge um den Hals von Martin Winterkorn legen und ihm die Luft abpressen sollte, die Luft, die er braucht, um einen Konzern führen zu können.
Piëch ist ein Meister solcher Schlingensätze. Er wirft sie in die Öffentlichkeit, und dann finden sie den Hals, den er meint. Wieder schien es zu funktionieren. Winterkorn wurde die Luft knapp. Aber dann geschah ein kleines Wunder. Die Wortschlinge löste sich von Winterkorn und flog dorthin zurück, wo sie hergekommen war, an den Hals von Ferdinand Piëch. Sie zog sich zu.
Piëch gab auf, ist nicht mehr Mitglied im Aufsichtsrat von Volkswagen. Nun ist es vorbei, aber nicht so ganz. Er hält immer noch eine Menge Anteile, er wird weiter mitmischen bei diesem Drama, das vor allem ein Familiendrama ist. Die Piëchs und Porsches balgen seit Jahrzehnten um die Macht in Deutschlands Automobilindustrie, erst bei Porsche, dann auch bei Volkswagen. Es ist ein Familiendrama mit den üblichen Elementen: Machtkampf, Frauen, Erbstreit und all die Verletzungen von früher, die nicht heilen wollen. Die Besonderheit hier: Es geht auch um Waldorfschulen gegen Abhärtungsinternate. Und es geht um die Zukunft von Deutschlands größtem Unternehmen.
Zusammen mit Martin Winterkorn und oft gegen die Bedenken von Wolfgang Porsche hat Piëch aus VW einen Weltkonzern mit 600 000 Mitarbeitern und zwölf Marken geschmiedet, darunter Audi, Porsche, Seat, Škoda, Lamborghini. Die beiden waren eisenhart und penibel, und sie hielten zusammen, zwei Leitbullen auf einem Weg.
Dann brach etwas in Piëch, und der Kampf begann. Aus den Erzählungen der Beteiligten und ihrer Mitarbeiter lässt er sich genau rekonstruieren, ein Kampf der Alphatiere, ruchlos geführt.
Der Schauplatz ist das Präsidium des Aufsichtsrats von Volkswagen. Der Aufsichtsrat kontrolliert das Unternehmen, 20 Leute, Vertreter der Kapitalgeber und der Arbeitnehmer.
Im Präsidium des Aufsichtsrats sitzen sechs Leute. Sie sind hier die Kombattanten.
Ferdinand Piëch, 78, Enkel des Urvaters von Volkswagen, Ferdinand Porsche. Kalter Herrschertyp, lässt seit vielen Jahren Leute leiden. Sammelt Samurai-Schwerter. Ein Satz über ihn, von einem Verwandten: "Er schaut die meisten Menschen so stark an, dass sie wegschauen." Der gefürchtete Piëch-Blick.
Wolfgang Porsche, 71, ebenfalls ein Enkel. Weicher, umgänglicher, leidet seit vielen Jahren unter seinem Cousin Piëch. Nebenerwerbslandwirt. Ein Satz von ihm: "Ich habe 200 Rindviecher, und wenn ich dabei bin, sind es 201."
Bernd Osterloh, 58, Vorsitzender des Betriebsrats von Volkswagen. Machtbewusst, arbeitet eng mit Winterkorn zusammen.
Stephan Wolf, 48, Osterlohs Stellvertreter im Betriebsrat. Schärfster Kritiker Piëchs im Aufsichtsrat.
Berthold Huber, 65, ehemals Vorsitzender der IG Metall. Hat lange und gut mit Piëch zusammengearbeitet.
Stephan Weil, 56, Ministerpräsident von Niedersachsen. Sitzt im Aufsichtsrat, weil seinem Land 20 Prozent von Volkswagen gehören. Als Politiker ist ihm wichtig, dass alle friedlich sind, damit Ruhe herrscht.
Piëch ist, zu Beginn des Machtkampfs, Vorsitzender des Präsidiums, Huber sein Stellvertreter.
Der siebte Kombattant ist Martin Winterkorn, 67, der Vorstandsvorsitzende des Volkswagen-Konzerns. Über seinen Führungsstil stand im SPIEGEL: Nordkorea minus Arbeitslager. Winterkorn findet die Formulierung unerhört.
Die Lage: Der Konzern Volkswagen verdient prächtig, aber die Gewinne der Marke Volkswagen schwächeln. Piëch ist in einem Alter, das die Suche nach einem Nachfolger nahelegt. Winterkorn macht sich Hoffnungen, dass er vom Vorstandsvorsitz in den Aufsichtsratsvorsitz wechseln kann. Und am 5. Mai ist die Hauptversammlung des Konzerns. Das macht alle nervös.
Es beginnt am 10. April, einem Freitag, als Piëch beim SPIEGEL anruft. Er hat gehört, dass eine Geschichte über Volkswagen erscheinen wird und möchte dazu etwas sagen. In gewisser Weise ruft er zu spät an, der SPIEGEL ist schon im Druck. Es geht in dem Artikel um die Kritik Piëchs an Winterkorn und um seinen Plan, die eigene Frau zu seiner Nachfolgerin an der Spitze des Aufsichtsrats zu machen.
Piëch ruft an, um seine Frau zu schützen. Er fürchtet, jemand aus der Familie wolle sie mit solchen Informationen beschädigen und damit verhindern. Er sagt: An die Spitze des Aufsichtsrats und des Vorstands sollen "die Richtigen kommen, und das sind keine Familienmitglieder, das ist auch nicht meine Frau". Damit hofft er, die Diskussion um Ursula Piëch zu beenden.
Er redet auch über den Vorstandsvorsitzenden, und dabei fällt der Satz: "Ich bin auf Distanz zu Winterkorn." Wenig später wird er über SPIEGEL ONLINE und die Digitalausgabe des Heftes verbreitet.
Manche Sätze verändern die Welt. Dieser verändert die Welt von Volkswagen. Kurz nach 14 Uhr ruft ein Mitarbeiter der Pressestelle von Volkswagen im Büro von Winterkorn an. Die Assistentin solle auf ihrem Computer SPIEGEL ONLINE aufrufen, den Artikel ausdrucken und Winterkorn sofort auf den Tisch legen.
Winterkorn ist getroffen wie lange nicht mehr. Er sagt immer wieder: "Was soll das? Das kann ich gar nicht glauben." Piëch direkt anzurufen kommt für ihn nicht infrage. Zwei Stunden lang grübelt er.
Nahezu alle Medien zitieren Piëchs Satz. Auch die Mitarbeiter und Aktionäre von Volkswagen sehen und hören ihn. Sie wissen jetzt, dass sich die beiden mächtigsten Männer des Konzerns im Krieg miteinander befinden. Sie wissen, dass Volkswagen in eine Krise trudelt.
Was tun? Einige Aufsichtsräte versuchen, den Satz einzufangen, ihn unschädlich zu machen, indem sie ihm eine neue Deutung geben. Dafür brauchen sie Piëch. Am Samstag und Sonntag klingelt es häufig bei ihm. Man macht ihm Formulierungsvorschläge. Er könne doch sagen, dass er als Aufsichtsratschef Distanz zum Vorstand wahren müsse, um diesen kontrollieren zu können. Damit würde der Satz zur Selbstverständlichkeit. Distanz als Geschäftsordnungsprinzip. Piëch macht nicht mit. Er will dem Satz die Wirkung lassen, die er hat: Piëch entzieht Winterkorn das Vertrauen. Der Vorstandsvorsitzende sei damit erledigt, heißt es in den Medien.
Am Montag handeln die drei Arbeitnehmervertreter im Präsidium des Aufsichtsrats, Berthold Huber, Bernd Osterloh und Stephan Wolf. Sie fordern eine Sondersitzung des Präsidiums. Piëch ist einverstanden und schickt die Einladungen raus.
Am 16. April, einem Donnerstag, landen kurz nach Mittag zwei Firmenflugzeuge von VW, Typ Dassault Falcon 50, auf dem Flughafen von Salzburg. Weil, Huber, Osterloh, Wolf und Porsche besprechen kurz im Pilotenraum des Flughafens, welche Ziele sie bei dem Treffen erreichen wollen. Erstens: Winterkorns Beschädigung wiedergutzumachen. Zweitens: Piëch zur Rede zu stellen, aber mit ihm als Aufsichtsratschef weiterzuarbeiten. Dann fahren sie zum Büro von Piëch, das nicht sonderlich groß ist, helles Holz, ein Vitrinenschrank mit Automodellen und Auszeichnungen für den Hausherrn.
Es beginnt gut. Piëch sagt: "Ich habe das nicht beabsichtigt, was durch die Presseberichterstattung daraus gemacht wurde." Die sechs Männer sitzen in einem Besprechungsraum. Draußen hockt der siebte, Martin Winterkorn. Er muss warten wie ein Schulbub auf das Resultat der Lehrerkonferenz.
Drinnen trägt Huber die Kritik vor. Belegschaft und Management seien verunsichert. Wenn die Betriebsräte es nicht verhindert hätten, wäre es zu Demonstrationen für Winterkorn gekommen. Piëchs Satz habe zu Spekulationen über die Handlungsfähigkeit des VW-Vorsitzenden eingeladen. Seine Autorität sei beschädigt. Auch der Aufsichtsrat werde desavouiert. Probleme müsse man in diesem Kreis besprechen, sonst laute die Botschaft: Der Vorsitzende kümmere sich "einen Dreck um das Gremium". Piëchs Blicke.
Huber kennt Piëch seit vielen Jahren. Er saß gemeinsam mit ihm im Aufsichtsrat von Audi. Er hat ihm mehrfach den Rücken gestärkt, wenn Piëch attackiert wurde. Jetzt sagt er: Der Aufsichtsratsvorsitzende habe dem Unternehmen großen Schaden zugefügt.
Was wird Piëch sagen? Die anderen sind äußerst gespannt. Der Patriarch ist es nicht gewohnt, so massiv attackiert zu werden. Seine Kälte, seine Härte sind gefürchtet.
Er sagt: "Sie haben in jedem Punkt recht."
Entspannung. Nur noch ein Schritt, und im Konzern herrscht wieder Harmonie. Die fünf haben etwas vorbereitet, einen Entwurf für eine gemeinsame Erklärung. Winterkorn, heißt es dort, sei "der bestmögliche" Vorstandschef, und sein Vertrag solle im Februar 2016 noch einmal verlängert werden.
In Ordnung, sagt Piëch. Allerdings. Allerdings wünsche er sich einen kleinen Zusatz: Das Präsidium empfehle, Ferdinand Piëch bei dessen Vertragsende im April 2017 erneut zum Vorsitzenden des Aufsichtsrats zu wählen.
Überraschung bei den anderen, Schock. Piëch sagt, er lasse sie jetzt mal einem Moment allein, damit sie das in Ruhe diskutieren könnten. Und geht hinaus.
So ist Piëch. Schwer in die Defensive gedrängt, reitet er eine Attacke. Und holt noch etwas für sich heraus. So war es bislang.
Aber es hat sich etwas geändert. Er ist älter geworden. Er hat dieses Spiel schon oft gespielt, die anderen haben genug davon. Und Winterkorn ist ebenfalls eine Macht im Konzern, die bislang stärkste neben Piëch. Die fünf beraten, dann lassen sie den Vorsitzenden zurückholen.
Nun spricht Ministerpräsident Weil: Der gewünschte Zusatz komme auf gar keinen Fall in die Erklärung. Piëch soll daraufhin gesagt haben: "Wollen S' meinen Rücktritt? Wenn Sie es sagen, dann trete ich noch heute zurück. Ich muss aber dazu sagen, dann verkaufe ich auch meine Anteile."
Er ist sauer auf seinen Cousin. Er glaubt, dass Wolfgang Porsche gegen seine Frau Ursula intrigiert. Dass er sie am liebsten ganz aus dem Aufsichtsrat drängen will. Winterkorn unterstellt er ähnliche Ambitionen. Aber wer sich gegen seine Ursula stellt, der bekommt es mit ihm zu tun.
Seinem Cousin wirft Piëch auch vor, er habe seinen Rücktritt gefordert. Porsche sagt: "Des stimmt net, Ferdl. Du hast mich gefragt, ob ich das will. Und ich hab nur gesagt: Irgendwann wird man sich mit der Frage beschäftigen müssen."
Die fünf versichern, dass sie bis zum Ablauf seiner Amtszeit mit Piëch zusammenarbeiten wollen und bitten ihn, noch einmal nachzudenken. Dann geht die Runde auseinander, ohne Ergebnis.
Nun redet Piëch mit Winterkorn. Er hält ihm nicht die schwache Rendite bei Volkswagen vor oder das Missmanagement auf dem amerikanischen Markt. Es geht vor allem um Atmosphärisches. Piëch fühlt sich nicht mehr ausreichend eingebunden in Entscheidungen. Und er hegt offenbar den Verdacht, jemand sammle Informationen über ihn. Winterkorn habe Kenntnis von seinem Terminkalender. Spionage gegen den Aufsichtsratsvorsitzenden?
Winterkorn ist irritiert. Er habe wenig anfangen können mit den Vorhaltungen, sagt er Osterloh nach dem Gespräch und fliegt mit ihm zurück nach Wolfsburg.
Am Tag darauf, dem 17. April, einem Freitag, gibt Piëch Bescheid, dass man den Text ohne Zusatz verbreiten könne. Es ist sein Geburtstag. Ein bitterer Tag.
Noch am Freitag wird Journalisten unter vorgehaltener Hand erzählt, Piëch sei nicht mehr ganz Herr seiner Sinne.
Piëch wäre nicht Piëch, würde er das alles auf sich sitzen lassen. Die Familie versammelt sich in Stuttgart, es ist Mittwoch, der 22. April, und Piëch stänkert weiter gegen Winterkorn. Aber er schafft es nicht, die anderen auf seine Seite zu ziehen, so wie früher häufig.
Dann kommt der nächste Schock für die anderen Präsiden. Sie hören, Piëch habe den Chef von Porsche, Matthias Müller, gebeten, sich für einen Wechsel an die Spitze des VW-Vorstands bereitzuhalten.
Telefonate, Telefonate, zwischen Wolfsburg (Osterloh), Hannover (Weil), Frankfurt (Huber) und Salzburg (Wolfgang Porsche). Sie haben genug, sie wollen Piëch absetzen. Das Präsidium soll erneut zusammenkommen. Piëch ist bereit, die Mitglieder einzuladen, bis auf einen: seinen Cousin. Mit dem setze er sich nie mehr an einen Tisch. Dann lade eben er ein, sagt Huber, der stellvertretende Vorsitzende.
Ein neuer Termin, Samstag, der 25. April. Interessant ist der Ort: Braunschweig. Er steht für neue Machtverhältnisse. Jetzt muss Piëch reisen.
Osterloh, Weil, Huber und Porsche haben die Sitzung gut vorbereitet. Sie haben sich vergewissert, dass von den 20 Aufsichtsräten mindestens 14 für eine Abwahl des Vorsitzenden Piëch stimmen werden: die zehn Vertreter der Arbeitnehmer, zwei Vertreter Niedersachsens, Ferdinand Oliver Porsche und Wolfgang Porsche. Damit steht die Zweidrittelmehrheit, die nach dem Gesetz notwendig ist.
Am Flughafen in Braunschweig sind mehrere Konferenzräume reserviert, für die Arbeitnehmer, für die Porsches, die Piëchs. Zwischen den Zimmern gibt es einen regelmäßigen Pendelverkehr. Die Botschaft an Piëch ist eine Drohung: Er wird abgewählt, wenn er nicht abdankt. Noch einmal kämpfen? Nein. Nach mehr als zwei Stunden erklärt Piëch nicht nur den eigenen Rücktritt, sondern auch den seiner Frau.
Der Familienverbund, der Porsche und Volkswagen geführt hat, ist gesprengt. Eine lange, märchenhafte Geschichte hat ihren Tiefpunkt erreicht. Sie begann 1934 mit einem genialen Konstrukteur, der für die Nazis ein Volks-Auto entwickelte, den KdF-Wagen. Er hatte eine bucklige Form. Daraus entstand in Wolfsburg die Firma Volkswagen, die von den Nachfolgern des buckligen Autos 21 Millionen Stück verkaufte, unter dem Namen Käfer. Der Konstrukteur hieß Ferdinand Porsche.
Sein Sohn Ferry entwickelte später auch ein buckliges Auto, flacher jedoch, stärker, und das wurde dann der Porsche 356, ein Sportwagen, aus dem der 911 hervorging, auch ein Welterfolg. Zwei Buckel haben diese Familie groß gemacht. Und zwei deutsche Autofirmen gehen auf die Porsches zurück, Volkswagen und Porsche. Zunächst waren sie getrennt.
Ferdinand Porsche hatte zwei Kinder, Louise und Ferry. Einmal sollen sie sich auf einer Party so schlimm geprügelt haben, dass andere Gäste lieber nach Hause gingen. Louise heiratete einen Anton Piëch, und damit war dieser Name in der Familie. Sie bekam vier Kinder, eines war der Ferdinand, der später den Winterkorn absägen wollte. Ihr Bruder bekam ebenfalls vier Kinder, eines war der Wolfgang, der später verhindern würde, dass sein Cousin den Winterkorn absägen konnte.
Sie wuchsen gemeinsam auf dem Schüttgut auf, dem Familienhof bei Zell am See in Österreich. Über diese Zeit erzählte Ferdinand Piëch dem "Stern" 2008: "Ich war natürlich eifersüchtig auf meinen kleineren Bruder und Wolfgang, die fünf und sechs Jahre jünger waren. Als die in die Schule kamen, wurden sie mit dem Auto gefahren, und wir mussten drei Kilometer zu Fuß laufen. Da haben wir keine Freude gehabt."
Ferdinand Porsche hatte sein Erbe zu gleichen Teilen zwischen seinen beiden Kindern aufgeteilt. Ferry konzentrierte sich auf den Sportwagenhersteller Porsche in Stuttgart, Louise auf die Porsche-Holding in Salzburg, eine Firma, die vor allem Autos importiert, darunter Volkswagen. Es blieb aber bei einem gemeinsamen Firmendach.
1970 waren die zehn Anteilseigner, Louise und Ferry sowie ihre acht Kinder, so zerstritten, dass sie sich auf dem Schüttgut mit einem Experten für gruppendynamische Prozesse trafen. Es nützte nichts. "Wir gerieten uns voll in die Wolle", erinnert sich Ferdinand Piëch in seinem Buch "Auto.Biographie".
Im Sommer 1972 besuchte Piëch, verheiratet, fünf Kinder, auf der Durchreise nach Turin Marlene Porsche, die Frau seines Cousins Gerd Porsche. Es hat "etwas geknistert", und bald wurden die beiden ein Paar. Durch die Scheidung von Marlene und Gerd verlor der Porsche-Zweig fünf Prozent der Aktien an dem Unternehmen. Piëch heiratete Marlene nicht, hat aber zwei Kinder mit ihr, dazu aus jener Zeit zwei weitere aus einer "anderen Connection", und dann war da noch das Kindermädchen Ursula Plasser, die schließlich Marlene Porsche ersetzte und geheiratet wurde. Drei Kinder. Macht zwölf.
Wolfgang Porsche hat vier Kinder von zwei Frauen. Ein berühmtes Zitat von Piëch lautet so: "Ich bin nicht gern Zweiter."
Ferdinand Piëch entwickelte sich zum Anführer der Piëchs, Wolfgang Porsche zum Anführer der Porsches. Der eine ist Techniker, der andere Kaufmann. Piëch arbeitete als Ingenieur bei Porsche, wurde Chef von Audi und dann Vorstandsvorsitzender des Volkswagen-Konzerns. Wolfgang Porsche wurde Vorsitzender des Aufsichtsrats von Porsche. Er sitzt bis heute im Büro seines Vaters, in denselben Möbeln.
Die Porsches und Piëchs halten alle Stammaktien der Porsche Automobil Holding SE. Diese besitzt 50,7 Prozent der Stammaktien des Volkswagen-Konzerns. Das ist das Ergebnis der Übernahmeschlacht zwischen Porsche und VW.
Gemeinhin heißt es, der Riese Volkswagen habe am Ende doch noch den angreifenden Zwerg Porsche geschluckt. Tatsächlich hat Volkswagen nur die Sportwagenfirma Porsche übernommen. Doch die Familien Porsche und Piëch wurden zu den mächtigsten Aktionären von Volkswagen. Sie haben diese Schlacht gewonnen.
Wolfgang Porsche strahlt nicht die Marmorkälte seines Cousins aus. Aber er hat seine eigene Art, der Welt zu zeigen, wie es um sein Verhältnis zu Ferdinand Piëch steht. Er nennt dessen Namen so gut wie nie. Er sagt "mein Cousin", in jüngerer Zeit gern "der F.". Auch das Wort "der Nichtnamensträger" hat er schon verwendet. Soll heißen: Ein Porsche ist dann doch ein echterer Porsche als ein Piëch.
Wenn beide auf derselben Veranstaltung sind, beispielsweise beim Konzernabend von Volkswagen auf dem Genfer Autosalon, gehen sie sich aus dem Weg. Piëch steht auf der Tribüne, umringt und bedrängt von Journalisten. Porsche steht etwas abseits, weniger umringt und bedrängt. Als er einmal zu den Piëchs schlenderte, begrüßte er im Vorbeigehen den ehemaligen Formel-1-Fahrer Hans-Joachim Stuck, dessen Kopf wegen einer Operation kahl geschoren war: "Mensch, du hast ja eine Frisur wie mein Cousin."
Wolfgang Porsche war wie seine Geschwister auf einer Waldorfschule. Piëch besuchte ein "Abhärtungsinternat", wie er sagt. Auf der Waldorfschule, lästerte Piëch, hätten seine Verwandten "basteln, häkeln, singen" gelernt.
Einmal, im September 2008, wollte er die Bastler, Häkler und Sänger sowie die anderen Piëchs im Aufsichtsrat ausbooten. Porsche sollte der Zugriff auf Technologie von Audi erschwert werden. Die Arbeitnehmer waren dafür, die anderen dagegen. Piëch enthielt sich der Stimme. Dadurch hatten die Arbeitnehmer die Mehrheit.
Wolfgang Porsche und die anderen Familienmitglieder waren so empört, dass sie Piëch aus dem Aufsichtsrat werfen wollten. Ein Familientreffen wurde anberaumt, aber Piëch kam nicht. Er meldete sich auch nicht am Telefon. Die Zeit verging, der Zorn verrauchte. Piëch kam davon. Vielleicht hat er deshalb 2015 gedacht, die Porsches würden auch diesmal einknicken.
Kommunikation ist ein Problem in dieser Familie. "Der F. sagt ja nichts", ist ein Satz, den man von Wolfgang Porsche manchmal hören kann. Er vermisst Information, Abstimmung.
Piëch hat nur eine Vertraute, das ist seine Frau Ursula, genannt Uschi. Auf den Autosalons tritt er immer gemeinsam mit ihr auf. Und er kümmert sich. In Paris setzte sich Ursula Piëch, blaues Kostüm, Goldschmuck, in einen XL1, ein flaches Auto, bei dem das Aussteigen schwierig ist, zumal mit Rock. Kameras überall. Piëch gab einem Mitarbeiter einen Wink, und der setzte die Drehscheibe mit dem Auto in Bewegung. Auf der anderen Seite konnte Ursula Piëch unbeobachtet aussteigen.
Er ist ihr Beschützer und Förderer. Aber dafür muss sie ihm ganz gehören, auch nach seinem Tod.
Genf, Automobil-Salon 2012. Piëch steht an einem Tisch und gibt Auskunft über sein Erbe. Ein Großteil seines Vermögens hat er in zwei Stiftungen eingebracht. Alle zwölf Kinder werden bedacht, die entscheidende Stimme sollen seine Frau und eines der Kinder haben. "Ich weiß nur noch nicht, welches."
Für Ursula Piëch gilt eine Bedingung: Sie verliert ihre Stellung, wenn sie ihren Mann verlässt oder nach dessen Tod neu heiratet. Warum?
"Ein neuer Mann hat einen großen Einfluss in der Ehe, das würde ich dem Unternehmen gern ersparen", sagt Ferdinand Piëch. "Deshalb habe ich dafür gesorgt, dass sie die starke Stellung nur so lange hat, wie sie ungebunden ist." Was heißt: total an ihn gebunden.
Er ruft nach seiner Uschi, die an einem anderen Tisch steht. "Ich erklär gerade deine Stellung. Willst du nicht dazukommen?" Sie kommt.
Frage: Ist Ihre Frau mit Johanna Quandt zu vergleichen? Sie führte lange Zeit den Familienclan der Quandts bei BMW an.
Ferdinand Piëch: "Ich würde sie eher mit Friede Springer vergleichen." Auch ein ehemaliges Kindermädchen. Sie hat es schon zur stellvertretenden Aufsichtsratsvorsitzenden eines Konzerns gebracht.
Ursula Piëch: "Nein, ich bin nicht mit Friede Springer zu vergleichen."
Ferdinand Piëch: "Ich habe gesagt: eher."
Ursula Piëch: "Ich möchte nicht mit jemand anderem verglichen werden."
Frage: Herr Piëch, muss man sich Gedanken um Ihre Gesundheit machen, wenn Sie Ihr Erbe regeln?
Ferdinand Piëch: "Das müsste höchstens ich, und ich tu's nicht."
Ursula Piëch: "Das war das Wort zum Sonntag."
Seit Langem wird darauf gehört. Aber nun drängt die nächste Generation, die vierte, an die Macht. Es wimmelt da nur so von Porsches und Piëchs, insgesamt 33. Manche sitzen schon in Aufsichtsräten des Konzerns, Ferdinand Oliver Porsche bei VW und Porsche, Christian Porsche bei Scania. Andere folgen jetzt.
Es hat sich etwas getan, etwas Wichtiges, Grundsätzliches. Daniell Porsche sagte in einem Interview, es gebe "auch einige Piëchs, die ihre Kinder auf eine Waldorfschule schicken, und Porsches, die auf normale Schulen gehen". Das hilft. Einige aus der neuen Generation machen etwas, das den alten Leitbullen nicht gelingt: Sie reden miteinander, vor allem darüber, wie sie künftig mit ihrem Erbe umgehen wollen. Die Stimmung ist nicht schlecht. "Es sind nur noch die alten Konflikte, die von den Eltern herstammen", sagt Daniell Porsche.
Es ist eine Zeit des Übergangs, und diese Zeiten sind oft turbulent. Volkswagen muss sich erneuern, nicht nur im Aufsichtsrat. Mit dem Abgang Piëchs ist auch das System Piëch beendet. Der Volkswagen-Konzern mit seinen vielen Marken kann nicht mehr von zwei eisenharten Männern an der Spitze von Vorstand und Aufsichtsrat geführt werden. Ein Winterkorn ohne Piëch ist nur ein halber Winterkorn. Das wird nicht reichen, um die nach Selbstständigkeit strebenden Marken im Griff zu halten, vor allem nicht die erfolgreichen wie Škoda, Audi und Porsche.
Die Aufsichtsräte haben Winterkorn den Auftrag gegeben, eine neue Konzernstruktur zu entwickeln. Er soll mehrere Marken zu einer Gruppe zusammenfassen; Audi, Bentley, Lamborghini und Porsche beispielsweise für die Oberklasse und Volkswagen, Škoda und Seat für das Basisgeschäft. Winterkorn wird den Chefs der Gruppen mehr Freiheiten einräumen müssen. Er kann nicht mehr persönlich jedes neue Modell, bevor es auf den Markt kommt, in der Hitze Afrikas und der Kälte des Polarkreises testen und Änderungen anordnen. Er muss sich um die große Linie kümmern, um die Strategie.
Ein neues Denken muss her.
Das alte sieht so aus: Anfang März, Automobil-Salon in Genf, Konzernabend von VW. Es präsentierten sich alle Marken in einer ehemaligen Lagerhalle. Wummernde Musik, Laserlicht, die Chefs der Marken fahren ihre neuen Modelle auf die Bühne. Matthias Müller, Porsche, kommt im Cayman GT4, 385 PS, beschleunigt in 4,4 Sekunden auf 100 Stundenkilometer; Rupert Stadler, Audi, im R8, bis zu 610 PS, 3,2 Sekunden; Stephan Winkelmann, Lamborghini, im Aventador Superveloce, 750 PS, 2,8 Sekunden. Große Jungs spielen Autoquartett. Wer hat den Stärksten, Schnellsten, Läng...?
Das ist Winterkorns Welt, das ist Piëchs Welt. Aber es ist nicht mehr die Welt jüngerer Menschen. Die Einstellung zum Automobil hat sich geändert. Es geht vielen nicht mehr um PS und Beschleunigung, sondern, beispielsweise, ums Fahren ohne Abgase. Die spannendsten Elektroautos bieten BMW (i3) und Tesla (Model S) an. Und wer gar kein Auto mehr besitzen will, kann sich in 29 Städten der Welt eines bei Car2go von Daimler ausleihen. Der Volkswagen-Konzern kommt in der Welt der neuen Mobilität kaum vor.
Piëch macht Winterkorn genau dies zum Vorwurf, aber es ist auch sein eigenes Versäumnis. Gerade ein Techniker wie er hätte neue Technologien wie Leichtbau, Elektro- oder Brennstoffzellenautos fordern müssen. Stattdessen entwickelt Bugatti ein neues Modell, das Markenchef Wolfgang Dürheimer in Genf so ankündigte: "Der nächste Bugatti wird ein absoluter Vollblut-Supersportwagen, noch stärker, noch schneller." Das aktuelle Modell hat leider nur 1200 PS und schleppt sich auf lumpige 400 Stundenkilometer. Kennt der Wahnsinn denn keine Grenzen?
Winterkorn wird den Wandel einleiten müssen. Wenn er es geschickt anstellt, kann er sich in einem Jahr verabschieden als einer, der den Angriff des scheinbar unbesiegbaren Ferdinand Piëch überstanden und den Konzern auf einen neuen Weg gebracht hat. Für eine große Zukunft wird es wohl nicht mehr reichen.
Er hat überlebt, aber nicht gewonnen. Die alte Kinderfrage, "Wenn King Kong mit Godzilla kämpft, wer gewinnt?", ist nun beantwortet: keiner. Die Super-Egos haben ausgedient, passen nicht mehr in die Zeit.
Allenfalls die Arbeitnehmervertreter Huber und Osterloh sowie Niedersachsens Ministerpräsident Weil machten in diesem Kampf eine gute Figur. Sie haben sich als Krisenmanager bewährt und das Vorurteil widerlegt, dass der Einfluss von Gewerkschaften und Politik auf Unternehmen Teufelszeug sei. Der Einfluss von Familien, wenn sie so zerstritten sind wie die Piëchs und die Porsches, ist eine größere Gefahr.
Dass Piëch zurückgetreten ist, heißt nicht, dass er keinen Einfluss mehr hat. Seine Drohung, seine Anteile zu verkaufen, sorgt für Unruhe. Aber die Aktien sind weniger wert, als viele spekulieren. Der Patriarch besitzt gut 13 Prozent der Stammaktien bei der Porsche Automobil Holding. Dafür könnte er nicht 21 Milliarden Euro ("Bild") erlösen, sondern nur rund 1,8 Milliarden.
Der relativ niedrige Preis dürfte Piëch nicht von einem Verkauf abhalten. Eher könnte ihn stören, dass er seine Anteile zuerst den übrigen Familienmitgliedern anbieten und diesen sogar noch einen Abschlag auf den Marktwert von angeblich 25 Prozent gewähren muss. Er müsste gönnen können. Kann er nicht gut.
Ferdinand Piëch wird wohl ein großer Aktionär bei der Familien-Holding bleiben, und er wird Wege finden, seinen Einfluss geltend zu machen. Jetzt geht es erst einmal darum, wer in den VW-Aufsichtsrat einzieht.
Wolfgang Porsche hat zwei Frauen aus der vierten Generation vorgeschlagen: Julia Kuhn-Piëch, eine Maklerin, und Louise Kiesling, die in der Modebranche aktiv ist. Sie sind schon berufen und von einem Gericht bestätigt worden. Wolfgang Porsche hat gewonnen.
Wirklich?
Donnerstag, 9.40 Uhr. Ferdinand Piëch schickt eine E-Mail an den niedersächsischen Ministerpräsidenten Weil, seinen Bruder Hans Michel Piëch und Wolfgang Porsche. Er macht einen Gegenvorschlag: Brigitte Ederer, einst Personalvorstand bei Siemens, und Wolfgang Reitzle, einst Chef von Linde, davor im Vorstand von BMW.
Piëch gibt nicht auf. Das Familiendrama geht weiter. ■