Freihandel Wackeln in Runde neun
Wie immer fanden die Verhandlungen unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, obwohl das, was vergangene Woche in New York besprochen wurde, Hunderte Millionen Bürger betrifft, Konsumenten, Unternehmen - am Ende gar die Souveränität der Parlamente.
Es ging um das umstrittene Freihandelsabkommen TTIP im Allgemeinen, das an sich schon eine komplizierte Materie ist, und im Besonderen um die "regulatorische Zusammenarbeit". Hinter diesem ebenso harmlos wie technokratisch klingenden Begriff verbirgt sich politischer Zündstoff. TTIP-Befürworter und die Industrie reden gern verharmlosend von "Bürokratieabbau". TTIP-Gegner wittern "das Ende der Demokratie".
Das in New York in der neunten Gesprächsrunde von den Europäern vorgelegte, bisher nicht veröffentlichte Verhandlungsangebot konnte der SPIEGEL einsehen. Auf den ersten Blick hat die EU-Kommission am 14. April einige Ergänzungen zur künftigen Zusammenarbeit der Gesetzgeber hineingeschrieben, die die Kritik der TTIP-Gegner aufgreifen. Und manche Allmachtsansprüche der Bürokraten wurden auf Druck der EU-Mitgliedstaaten und des EU-Parlaments zurechtgestutzt. Aber die TTIP-Gegner, die allein in Deutschland eine Million Unterschriften gegen das Handelsabkommen eingesammelt haben, werden sich in ihrer Kritik bestätigt fühlen.
Durch das Freihandelsabkommen sollen Gesetze und Zulassungsverfahren angeglichen oder gegenseitig anerkannt werden, die für den transatlantischen Handel wichtig sind. Unternehmen sollen künftig nicht mehr mit teilweise ganz unterschiedlichen Regelungen dies- und jenseits des Atlantiks kämpfen müssen. Die US-Seite legte in New York weitreichende Vorschläge vor, die darauf hinauslaufen, dass die Europäer bis auf eng definierte Ausnahmen die US-Standards akzeptieren müssten und umgekehrt - was wie ein Fortschritt klingt, aber nicht immer einer ist. Denn es gibt bereits zahlreiche zum Beispiel von Kommissionen der Uno entwickelte internationale Standards - die oft von den USA nicht akzeptiert werden. "Die Amerikaner tun so, als gäbe es solche Standards gar nicht", kritisiert Bernd Lange, der Vorsitzende des Handelsausschusses im EU-Parlament.
Einig sind sich beide Seiten darin, einen bilateralen Regulationsrat zu schaffen, in dem auch Industrievertreter und Verbraucherschützer sitzen. Dieser soll alle relevanten Gesetze in Europa und den USA überwachen und auch selbst Deregulierungsinitiativen ergreifen. Die EU-Kommission ist offenbar zu der Verhandlungsposition zurückgekehrt, dass dieser Rat auch für die Überwachung nationaler Gesetze und Verordnungen beispielsweise des Bundestags zuständig wäre.
Die Einrichtung eines solche Rates würde TTIP-Gegner in ihrem Argwohn bestätigen. Es geht um die Frage, wer am Ende bestimmt, was noch in Gesetzen stehen darf und was nicht. "Können wir dann unsere unterschiedlichen Gesetze zur Gentechnik oder zur Lebensmittelsicherheit noch aufrechterhalten?", fragt Ska Keller, die handelspolitische Sprecherin der Grünen im EU-Parlament.
Die Kritik der Gegner ist auch der EU-Kommission bekannt - und an manchen Stellen des Verhandlungspapiers scheint sie auf die Bedenken zu reagieren. So wird schon in der Präambel auf das Recht der Regierungen verwiesen, mit Regulierung öffentliche Ziele zu verfolgen. In Artikel 1 heißt es in einem neu aufgenommenen Paragrafen: "Nichts in diesem Kapitel soll die Fähigkeit von Regierungen beeinträchtigen oder beschränken, Dienstleistungen von allgemeinem ökonomischen Interesse anzubieten oder zu unterstützen."
Auf zentraler Ebene soll es dabei weitgehende Kooperationspflichten zwischen der EU und dem amerikanischen Staat geben. Weil die EU mit ihren zahlreichen Richtlinien jedoch die Verordnungen auf vielen Politikfeldern in Europa vorgibt, geht schon diese Bestimmung sehr weit - und wird TTIP-Gegner nicht gnädig stimmen. Die jüngste Initiative der EU, die den Mitgliedsländern das Recht zurückgegeben hat, den Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen zu regulieren, hätte wohl mit den Amerikanern abgestimmt werden müssen.
Auch die nationalen Regierungen hätten Pflichten. So heißt es in einem von der EU-Kommission neu formulierten Artikel, dass die EU oder die amerikanische Regierung bei der jeweils anderen Seite Auskunft über Gesetzesvorhaben "auf nichtzentraler Ebene" und "einen Austausch zwischen den Regulatoren" verlangen kann. Die EU müsste also beispielsweise den deutschen Gesetzgeber herbeizitieren, wenn den Amerikanern ein deutsches Gesetzesvorhaben nicht passt. Selbst wenn damit kein unmittelbares Weisungsrecht an den nationalen Gesetzgeber verbunden ist, wird diese Bestimmung für Ärger sorgen, schon nächste Woche, wenn die Handelsminister der 28 EU-Länder in Brüssel erwartet werden.
EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström will dann auch ihre Position zu den umstrittenen Schiedsgerichten vorstellen. Weil der öffentliche Widerstand gegen private Schiedsgerichte mittlerweile so stark ist, wird die Schwedin auch dort manche umstrittene Position räumen. So sollen die Schiedsrichter, bisher Anwälte mit durchaus kommerziellen Interessen, in Zukunft tatsächlich schon als unabhängige Richter gearbeitet haben. Sie will eine Revision gegen die Urteile zulassen und die Zuständigkeiten der Schiedsgerichte klarer regeln.
EU-Parlamentarier Lange hofft darauf, dass die Europäer fortan so etwas wie einen internationalen Handelsgerichtshof fordern werden, der Streitigkeiten zwischen Unternehmen und Staaten klären soll. "Sonst wird es mit der Zustimmung des EU-Parlaments zu TTIP wahrscheinlich nichts", sagt der SPD-Abgeordnete.