SPIEGEL-Gespräch „Ich war getrieben“
SPIEGEL: Herr Kerner, Sie haben in Ihrer Karriere deutliche Höhen und Tiefen erlebt. Wo waren Sie einsamer: ganz oben oder ganz unten?
Kerner: Sowohl als auch. Ich glaube, in den wesentlichen Momenten des Lebens ist man eher allein.
SPIEGEL: Haben Sie ein Beispiel dafür, wo Sie ganz oben und einsam waren?
Kerner: Ja, das ist aber lange her, es war am 6. März 1993. An dem Tag ging ein Kindheitstraum in Erfüllung. Ich wollte immer so etwas wie die "Sportschau" machen, und nun durfte ich zum ersten Mal die "ran"-Samstagsausgabe mit der Bundesliga moderieren. Nach der Sendung bin ich noch in die Pizzeria gegenüber und saß dann da allein. Ich war nicht so der Partymacher, dass ich noch mit Kollegen durch die Klubs gezogen wäre. Es war ein besonderer Abend für mich, aber er war auch traurig.
SPIEGEL: Und die Einsamkeit ganz unten?
Kerner: Die Kenntnis darüber dürfte verbreiteter sein. Es ist das Gefühl, wenn man sich fragt: Warum meldet sich keiner? Ich habe das 2009 erlebt, nachdem ich den Fehler gemacht hatte, vom ZDF zurück zu Sat.1 zu wechseln. Da hat nicht pausenlos das Telefon geklingelt, weil sich Kollegen erkundigt hätten, wie es mir geht. Aber in dem Moment habe ich nicht vorrangig auf den Anruf eines Kollegen gewartet, sondern auf ein Jobangebot. Es ging um die Frage: Ist meine Fernsehkarriere vorbei?
SPIEGEL: Lassen Sie uns übers Scheitern reden. Ihre Rückkehr zu Sat.1 war ein Fiasko. Sie moderierten eine wöchentliche Sendung, die von Beginn an kaum Zuschauer fand, nach zwei Jahren abgesetzt wurde. Wann war Ihnen klar, dass das nichts mehr wird?
Kerner: In der zweiten Woche, als ich am Dienstagmorgen die Einschaltquoten vom Vorabend sah. Da wusste ich, das fährt gegen die Wand. Es war ein unangenehmes Gefühl. Als die Sendung abgesetzt war, dachte ich: Wie schön, dass ich das nicht mehr machen muss.
SPIEGEL: Sie hatten gedacht, die ZDF-Zuschauer würden Ihnen zu Sat.1 folgen. War das Hybris?
Kerner: Ich hatte meine Wirkung überschätzt. Das war mein Fehler, nicht der des Publikums.
SPIEGEL: Haben Sie die Ignoranz der Zuschauer als Kränkung empfunden?
Kerner: Nein. Ich war vor allem enttäuscht von mir selbst.
SPIEGEL: Aber einen Job wie Ihren macht man doch auch, weil man geliebt werden will.
Kerner: Nein. Was das angeht, scheine ich eine ganz gesunde Einstellung zu haben.
SPIEGEL: Es bedeutet Ihnen nichts, auf der Straße erkannt zu werden?
Kerner: Das ist doch etwas völlig Verschiedenes, geliebt werden und erkannt werden. Natürlich habe ich es gern, wenn mir jemand zuruft, dass ihm meine letzte Sendung gefallen hat. Aber Liebe suche ich im Job sicherlich nicht.
SPIEGEL: Verliebt man sich als Moderator früher oder später ins eigene Fernsehbild?
Kerner: Wenn das so sein sollte, dann steht es mir noch bevor. Ich sehe immer nur die Fehler. Zum Beispiel, wenn der Mikrofonsender überm Sakko hängt.
SPIEGEL: Ach, Herr Kerner!
Kerner: Ich sage das an Eides statt! Dass ich aus dem Studio rausgerannt wäre und gerufen hätte: Ich bin der Geilste - das gab es nie.
SPIEGEL: Wenn es nicht die Eitelkeit war, was hat Sie dann ins Fernsehen getrieben?
Kerner: Anfangs war es die Möglichkeit, Sportler interviewen zu dürfen, mit Fußball zu tun zu haben, ohne Fußballer zu sein.
SPIEGEL: Und später? Das Geld?
Kerner: Geld hat später natürlich eine Rolle gespielt, aber mich nie in dem Maße beeindruckt, wie Sie vielleicht glauben.
SPIEGEL: Dafür waren Sie eine Zeit lang aber recht viel als Werbefigur im Einsatz, etwa für Air Berlin oder für Geflügelwurst.
Kerner: Ich habe damit nie so viel verdient wie mit meiner eigentlichen Arbeit.
SPIEGEL: 2006 gab es diesen Satz des damaligen ZDF-Chefredakteurs Nikolaus Brender, über den Sie sich sehr aufgeregt haben: "Ein Journalist wirbt nicht, und ..."
Kerner: "... wer wirbt, ist kein Journalist."
SPIEGEL: Das ging Ihnen gegen die Ehre.
Kerner: Es ging mir um die Form. Ich hätte es charmant gefunden, wenn Herr Brender, der ja mein Chef war, es mir direkt gesagt hätte und nicht der Öffentlichkeit. Aber im Rückblick kann ich die Diskussion verstehen. Vielleicht war es sogar ein Fehler, überhaupt Werbung zu machen. Heute mache ich jedenfalls keine mehr.
SPIEGEL: Mangels Angeboten?
Kerner: Die gab es. Nein, ich will einfach nicht mehr. In der Außenwahrnehmung ist die Werbebranche eine schillernde Welt, und ein Fototermin ist relativ schnell gemacht. Auf der anderen Seite läuft man aber eine ganze Weile lang mit der Werbung herum und merkt irgendwann vielleicht, dass sie nicht zu einem passt.
SPIEGEL: Lustigerweise sind Sie jetzt wieder so etwas wie der Hoffnungsträger des ZDF.
Kerner: Lustigerweise?
SPIEGEL: Noch vor ein paar Jahren waren Sie beim Sender eine Unperson. Und jetzt arbeiten Sie wieder dort.
Kerner: War ich das?
SPIEGEL: Vor Ihrem Abgang zu Sat.1 waren Sie im ZDF-Programm allgegenwärtig und konnten sich im Sender ziemlich viel herausnehmen. Als Sie weg waren, hieß es an der Senderspitze, man werde nie wieder jemandem so viel Raum geben.
Kerner: Wenn Sie das sagen.
SPIEGEL: Ihre Rückkehr schien undenkbar. Dann aber erlitt Markus Lanz Schiffbruch mit "Wetten, dass ..?", Jörg Pilawa ging zur ARD, und in seiner Not nahm das ZDF Sie wieder auf. Ist es Ihnen eine Genugtuung zu sehen: Ohne mich geht es nicht?
Kerner: Es ging ohne mich. Das ZDF hat während meiner Abwesenheit keine Minute Schwarzbild senden müssen. Ich sitze jetzt nicht die ganze Zeit da und pelle mir ein Ei darauf, dass es so gut läuft. Aber ich bin sehr zufrieden.
SPIEGEL: Früher waren Sie die ZDF-Allzweckwaffe. Talk, "Aktuelles Sportstudio", Olympische Spiele, Fußballweltmeisterschaften, Jahresrückblick. Seit Ihrer Rückkehr machen Sie ausschließlich Spielshows. Füllt Sie das aus?
Kerner: Es macht mir Spaß, Zerstreuung zu bieten, die nicht niveaulos ist.
SPIEGEL: Zuletzt haben Sie "Das große Schlüpfen" moderiert, wo Sie mit drei Prominenten darauf warteten, dass Küken oder Reptilien aus Eiern kriechen. Tatsächlich fand in den ganzen 90 Minuten nur ein kleiner Strauß den Weg aus seinem Ei heraus.
Kerner: Zugegeben, "Kleines Schlüpfen" hätte als Sendungstitel auch gereicht. Aber es war ein faszinierendes Experiment.
SPIEGEL: Sieht so das Fernsehen aus, das Sie machen möchten?
Kerner: Alles, was ich mache, ist eine bewusste Entscheidung. Ob es "Der QuizChampion" ist oder "Das Spiel beginnt", das ich mit Emma Schweiger moderiert habe und das sehr viele junge Zuschauer hatte. An diesem Samstag probieren wir wieder etwas aus, die Show "1000", in der tausend Kandidaten gegeneinander antreten. Es ist ein neuer Versuch, Fernsehunterhaltung zu machen.
SPIEGEL: Man muss ihn wohl schon vor der Ausstrahlung für gescheitert erklären. Die Aufzeichnung vor zwei Wochen dauerte von 18 Uhr bis 3.30 Uhr nachts, die Kandidaten beklagten sich hinterher öffentlich.
Kerner: Ich hätte morgens um halb vier auch gern etwas anderes gemacht, als im Studio zu stehen. Aber für die Kandidaten war das natürlich noch viel härter. Die komplette Technik hatte versagt, die Drückgeräte, die leuchtenden Armbänder, das Zusammenspiel von Licht und Ton. Anstatt der geplanten Spiele mit hohem technischem Aufwand haben die Verantwortlichen dann zum Glück das Notprogramm ausgepackt und die Kandidaten zum Beispiel Puzzleteile in eine Kiste einräumen lassen.
SPIEGEL: Darf man davon ausgehen, dass "1000" nicht fortgesetzt wird?
Kerner: Das wird das ZDF prüfen.
SPIEGEL: Würden Sie sagen, dass Ihre große Zeit hinter Ihnen liegt?
Kerner: Nein. Vielleicht kommt das Beste ja noch. Ich empfinde gerade ein großes berufliches Glück. Früher hatte ich 130 Sendungen im Jahr, jetzt sind es mindestens 12 große Abendshows. Das gibt mir die Möglichkeit, mich mehr als früher auf jede einzelne Sendung einzulassen. Ich bin jetzt mehr drin in der Sache.
SPIEGEL: Es gibt ja dieses böse Wort von der Moderationsmaschine.
Kerner: Nicht nur für mich.
SPIEGEL: Waren Sie früher ein Rädchen einer Show-Maschinerie?
Kerner: Das sagt keiner gern über sich.
SPIEGEL: Waren es Sendungen vom Fließband?
Kerner: Auch das sagt keiner gern über sich.
SPIEGEL: Im Rückblick vielleicht?
Kerner: Ich habe manchmal drei Sendungen am Tag gemacht, da waren natürlich nicht alle gleich gut, und vielleicht wäre etwas weniger mehr gewesen.
SPIEGEL: Wie sahen Ihre Arbeitstage aus?
Kerner: Ich will das nicht dramatisieren, aber ich hatte keine freie Minute. Immer wenn ich in ein Auto oder ein Flugzeug gestiegen oder sonst irgendwo länger verweilt bin, habe ich Exposés rausgeholt und mich auf die nächste Sendung vorbereitet.
SPIEGEL: Fanden Sie das normal?
Kerner: Man nimmt es einfach hin. Vielleicht habe ich damals zu wenig reflektiert, das kann sein. Aber es war natürlich nicht nur trostlos, es lief ja gut. Schon wieder Rekordquote! Und noch ein neuer Bestwert! Und die Gäste kamen gern zu mir.
SPIEGEL: Kevin Costner war da, Königin Silvia, Bill Clinton, Helmut Kohl ...
Kerner: ... Kohl war sogar fünfmal da.
SPIEGEL: Gerieten Sie dadurch in einen Rausch?
Kerner: Einen Kohl-Rausch?
SPIEGEL: Nein - führte all das dazu, dass Fernsehmachen für Sie zur Sucht wurde?
Kerner: Es war mein Leben. In dem Moment habe ich den Ausgang nicht gefunden, ich habe ihn noch nicht einmal gesucht.
SPIEGEL: War der Wechsel zu Sat.1 eine Flucht?
Kerner: Damit würde ich es mir zu einfach machen. Aber wenn man zwölf Jahre lang Talkshow macht, gibt es Abnutzungserscheinungen. Gäste kommen zum wiederholten Mal; man fragt sich, ob man ihnen noch dieselbe ehrliche Aufmerksamkeit entgegenbringen kann wie beim ersten Mal. Irgendwann kam der Moment, an dem ich merkte, jetzt wird es auch körperlich belastend.
SPIEGEL: Der Höhepunkt Ihrer Karriere dürfte die Fußballweltmeisterschaft 2006 in Deutschland gewesen sein, die Sie fürs ZDF präsentierten.
Kerner: Man spricht immer vom Sommermärchen. Dazu kann ich nicht viel sagen, ich stand ja den ganzen Tag in Berlin im Studio. Arbeitsbeginn 10 Uhr, an harten Tagen ging der Dienst bis 23.30 Uhr. Das ist ein Wort. Allein so lange geschminkt herumzulaufen ist ja verrückt. Dann Nachbesprechung, um 0.30 Uhr bin ich rüber ins Hotel, habe ein alkoholfreies Weizenbier aufgemacht und mich auf den nächsten Tag vorbereitet, manchmal bis es hell wurde. Ich bin auch am Tisch eingeschlafen. Oder habe Lesematerial mit ins Bett genommen, das dann morgens noch verstreut herumlag. Ich war getrieben.
SPIEGEL: Getrieben vom Ehrgeiz?
Kerner: Zumindest vom Ehrgeiz, keine Fehler zu machen. Wenn mir jemand bei einer Sportmoderation nachweisen könnte, dass ich falsche Fakten geliefert habe, würde mich das wurmen.
SPIEGEL: Ist so viel Ehrgeiz anerzogen?
Kerner: Mein Vater war Beamter im Bildungsministerium. Ich kann mich gut daran erinnern, dass er freitags immer Akten mitgebracht hat, die er samstags abarbeitete. Aber ich glaube nicht, dass das nur auf ihn zurückzuführen ist. Als junger Reporter beim Sender Freies Berlin habe ich einen Ehrgeiz entwickelt, den manche auch als etwas unangenehm empfinden konnten.
SPIEGEL: Sie waren ein junger Karrierist?
Kerner: In einer Sitzung war mal ein Job zu vergeben, ein völlig unbedeutender Sportreporterjob. Da habe ich gesagt, ich möchte das machen. Der Chef fragte: "Haben Sie das schon mal gemacht?" Und ich habe gesagt: "Nein, aber vielleicht wird's Zeit." Ich kann mir vorstellen, dass das nicht so gut ankam. Einmal hat jemand gesagt: "Ganz schön burschikos, der junge Kollege." Da hat mir das Wort Kollege total gut gefallen.
SPIEGEL: Hatten Sie sich irgendwann an Ihren Job verloren?
Kerner: Er hat mein Leben bestimmt. Mehr, als ich es aus heutiger Sicht gut finde. Und mehr, als ich mir damals zugestanden habe. Und das war dann plötzlich weg.
SPIEGEL: Nach Ihrer Pleite bei Sat.1 waren Sie erst einmal weg vom Schirm. War das schwer auszuhalten?
Kerner: Ich hatte immer einen gut strukturierten Tag. Zudem habe ich zwei Leidenschaften, die ich mehr ausleben konnte. Ich interessiere mich sehr für Politik und liebe es, Parlamentsdebatten anzusehen. Aktuelle, aber auch alte. Ich kann stundenlang vor YouTube sitzen und mir Reden anschauen. Helmut Schmidt, der 1982 nach dem Misstrauensvotum zu Hans-Dietrich Genscher sagt: "Über viele Jahre, Herr Kollege Genscher, werden die Bürger dieses Verhalten nicht vergessen!" Boah. Außerdem habe ich auch eine spirituelle Ader.
SPIEGEL: Wir dachten, Sie seien aus der katholischen Kirche ausgetreten?
Kerner: Das stimmt, aber ich bin später wieder eingetreten. Als ich raus bin, war ich 18. Es gab einige Punkte, die mir gestunken haben. Die Sexualmoral, no Ladys on Stage, all so Sachen. Doch je länger ich draußen war, desto mehr habe ich in der Bibel gelesen, mich mit der Kurie beschäftigt oder mit der Besonderheit des kanonischen Rechts, etwa dass in bestimmten Paragrafen das Urteil mit der Tat eintritt. Ich habe dann viele Gespräche mit dem Pfarrer meiner Hamburger Gemeinde geführt. 2005 bin ich wieder eingetreten.
SPIEGEL: Von Ihrem politischen Interesse und Ihrer Religiosität war bisher wenig bekannt. Stört es Sie, wenn hinter dem Moderator der Mensch Kerner sichtbar wird?
Kerner: Ich muss nicht alles nach außen tragen. Die Menschen versuchen, das in Einklang zu bringen mit dem Bild, das sie sonst von einem haben. Darauf lege ich keinen Wert. Ich verstecke mich ja nicht. Aber ich habe schon das Bedürfnis nach einem Rückzugsort.
SPIEGEL: Manche mögen Sie für einen Leichtfuß oder Dampfplauderer halten. Wäre es nicht zu Ihrem Vorteil ...
Kerner: ... denen das Gegenteil zu beweisen, indem ich mehr Persönliches nach außen trage? Diesen strategischen Gedanken finde ich eklig.
SPIEGEL: Sie sind jetzt 50.
Kerner: Mit Verlaub, das ist ein ... Scheißthema!
SPIEGEL: Haben Sie eine Vorstellung, wie die nächsten Jahre beruflich verlaufen sollen?
Kerner: Ich habe einen Vertrag, das ersetzt manchmal Pläne, Wünsche oder Ideen.
SPIEGEL: Das klingt ein bisschen traurig.
Kerner: Nein, verstehen Sie mich nicht falsch: Es ist eine schöne Vereinbarung. Darin sind viele meiner Ideen enthalten, und natürlich freue ich mich, wenn mir immer mal wieder mit einer Sendung ein großer Wurf gelingt.
SPIEGEL: Muss man sich Johannes B. Kerner als einsamen Menschen vorstellen?
Kerner: Im Job manchmal schon. Als Ehemann und Vater von vier Kindern sicherlich nicht. Machen Sie sich keine Sorgen, mir geht's gut.
SPIEGEL: Herr Kerner, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.