Interview „Wir wollen teilhaben an der Welt“
Pintschuk, 54, gehört zu den Industriemagnaten der Ukraine. Seine jüdischen Eltern waren vom Sowjetstaat diskriminiert worden. Sein Imperium baute Pintschuk vor allem während der Präsidentschaft seines Schwiegervaters Leonid Kutschma auf. Pintschuk selbst war von 1998 bis 2006 Abgeordneter des ukrainischen Parlaments. Er gründete die Röhrenfabrik Interpipe, aber auch den Mischkonzern Eastone, zu dem Metall verarbeitende Unternehmen, Fernsehsender, Verlagshäuser sowie ausländische Investment- und Immobilienfirmen gehören. Zudem richtete er eine Stiftung für soziale und kulturelle Projekte ein und eröffnete ein Privatmuseum. Pintschuk sammelt und fördert vor allem zeitgenössische Kunst.
Pintschuk: Weil ich glaube, dass es das Ansehen der Ukraine verändert, wenn in Venedig junge, kritische, freie Künstler aus unserem Land gezeigt werden. Und ich glaube auch, dass die Teilnahme der Ukraine dabei hilft, die ausländische Unterstützung zu bekommen, die sie für ihr Überleben benötigt. Dieses Werben für die Ukraine ist Teil einer langfristigen Strategie, die ich seit mehr als zehn Jahren verfolge, um dieses Land zu verändern. Wir wollen teilhaben an dieser Welt. Und ich glaube, dass das heute wichtiger ist denn je. Wenn ich der Ukraine finanziell helfe und wenn das Kulturministerium mein Team um Expertise bittet, dann ist das eine gute Kombination. Die Ukraine ist das Land, in dem ich lebe und arbeite, und deswegen war es für mich logisch, ukrainischen Künstlern einen Auftritt in Venedig zu ermöglichen. Das war auch schon 2005, 2007 und 2009 so.
SPIEGEL: Darf man fragen, wie viel Geld Sie dafür ausgeben?
Pintschuk: Sie dürfen, aber ich hoffe, Sie verstehen auch, dass wir über solche Details keine Auskunft geben. Die Kosten für Pavillon und Ausstellung werden in diesem Jahr vermutlich fünf Prozent des jährlichen Stiftungsbudgets ausmachen.
SPIEGEL: Wäre es nicht angemessener, auf Venedig zu verzichten? Die Absage hätte deutlich gemacht, wie schwierig die Situation im Land ist.
Pintschuk: Das wäre angemessen in einer Welt, in der Menschen so etwas tatsächlich mitbekommen würden. Unglücklicherweise leben wir aber in einer Welt, in der niemand eine solche Absage bemerkt hätte. Ich mache das alles nicht aus Spaß an der Freude. Dieses Jahr sind meine Anstrengungen und Opfer besonders groß. Meine Unternehmen stehen vor sehr signifikanten Herausforderungen, und ich musste meine sozialen Investitionen radikal verringern. Ich unterstütze unseren Auftritt in Venedig, weil ich weiß, wie entscheidend er für mein Land ist. Es ist auch der Wunsch unserer Gesellschaft. Als das Ministerium über eine Absage nachdachte, gab es viele Leute aus der Kultur, Künstler, Experten, Kritiker, Journalisten, die sagten, wir müssten nach Venedig.
SPIEGEL: Es gibt viele Menschen in der Ukraine, die Ihr Geld gebrauchen könnten.
Pintschuk: Ich finanziere weiterhin Stipendien für Studenten, ich spende Geld für die Ausbildung von Medizinern bei der Armee, ich finanziere eine Internetplattform, auf der Geld gesammelt wird für soziale Projekte. Und ich spende auch Geld, damit wir im Ausland für die Ukraine werben. Aufzuräumen mit den vielen Stereotypen, die es gibt über die Ukraine, hilft vor allem denen, die heute in meinem Land leiden. Die Ukraine ist kein Zufall, sie ist auch nichts Unangenehmes oder Seltsames, sondern einfach ein junges Land, das friedlich, frei und nach demokratischen Prinzipien seinen Platz finden will in dieser Welt. Ich habe Hunderte Millionen von Dollars investiert, um dieses Land zu verändern, in die Gesundheitsversorgung, ins Bildungssystem und eben auch in zeitgenössische Kunst. Sie ist für mich ein Weg, Dinge zu verändern und unser Denken, erst recht in autoritären Zeiten, zu öffnen.
SPIEGEL: Die Biennale dient der Selbstdarstellung von Nationen. Mögen Sie diese Idee in Zeiten, in denen so viele Nationen ihre Konflikte mit Gewalt lösen wollen?
Pintschuk: Ich glaube, dass sich Künstler heute nicht so einfach national oder gar nationalistisch instrumentalisieren lassen, weil sie fast schon genetisch immun sind gegen Ideologien. Die Ukraine wird sich in Venedig selbstkritisch und ohne jedes Tabu präsentieren, und genau das ist es, was man denen entgegensetzen muss, die nationalistisch denken oder "andere" ausschließen wollen.
SPIEGEL: Sie haben für diese Biennale einen Pavillon bauen lassen. Warum?
Pintschuk: Der Glaspavillon symbolisiert ein Land, das transparent sein will, offen für alle. So jedenfalls verstehe ich das, und dies ist auch die Idee unseres Kurators Björn Geldhof, und ich hoffe, dass dies ein sehr starkes Symbol ist. Und Glas symbolisiert für mich auch Fragilität, das könnte unsere Elite und unsere politischen Akteure an ihre Verantwortung erinnern.
SPIEGEL: Sie werden am Eröffnungsabend der Biennale eine Rede halten. Was werden Sie den Leuten sagen?
Pintschuk: Genau dasselbe, was ich Ihnen jetzt hier sage. Oder was würden Sie vorschlagen, um Menschen wie Sie zu erreichen?
SPIEGEL: Ihre Schau hat den Titel "Hoffnung". Kann es nicht sein, dass es in der Ukraine viel mehr Leute gibt, die eher Angst vor der Zukunft haben?
Pintschuk: Den Namen haben sich die Kuratoren ausgedacht, nicht ich. Ich glaube, er soll das ausdrücken, was viele in der Ukraine fühlen. Und die Künstler sollen darauf reagieren, affirmativ oder kritisch, wie auch immer. Aber wenn Sie mich persönlich fragen: Wir alle haben sicherlich ein Gefühl der Bedrohung, der Angst. Aber wir wissen auch, dass wir das alles überstehen werden. Eine Ausstellung 2014 im Pintschuk Art Centre in Kiew hieß noch "Angst und Hoffnung". "Hoffnung!" als Titel für den ukrainischen Pavillon gefällt mir persönlich gut. Wissen Sie, Hoffnung zu haben ist nichts Dummes, nichts Oberflächliches, Hoffnung zu haben heißt nicht, dass man die Augen vor der Realität verschließt. Hoffnung ist für Menschen in schwierigen, verzweifelten Momenten etwas sehr Wesentliches. Wenn jemand eine tiefe persönliche Krise durchleidet, dann weiß er, wie unentbehrlich das Gefühl von Hoffnung ist. Die Hoffnung hielt die Menschen auf dem Maidan zusammen, die Hoffnung hilft ihnen und diesem Land heute, auch wenn die Widrigkeiten nahezu unüberwindbar erscheinen. Lassen Sie mich noch eines sagen: Einige der neuen Repräsentanten dieses neuen Landes haben im vergangenen Jahr große Dinge geschafft. Sie haben ihr Leben genauso riskiert wie all die Ukrainer damals auf dem Maidan. Es gibt Grund zur Hoffnung.
Interview: Ulrike Knöfel