Filmkritik Letzte Winkel des Wahns
Das Haus ist der Horror. Dunkel ist es und drohend, und es wird seine Bewohner verschlucken, eine Mutter und ihren Sohn, die verzweifelt eng aneinandergeklammert leben, seit der Ehemann und Vater starb, auf dem Weg zum Krankenhaus, am Tag der Geburt seines Sohnes.
Wie leben mit diesem Schrecken? Das Ungewisse, das Unheimliche, ist manchmal die einzige Antwort auf grundlegende Fragen des Lebens. Und das Unheimliche nimmt seine dunkle Energie aus der Urbeziehung aller Menschen, der Beziehung zwischen Mutter und Kind.
Das ist die Geschichte des Horrorfilms "Der Babadook", eines psychoanalytischen, fast philosophischen Thrillers, in dem sich Mutter und Kind ein Versprechen gegeben haben: Wir passen aufeinander auf, du auf mich, ich auf dich. Die Mutter ist die Stärkere, sie sorgt mit Liebe für Sicherheit. Doch das Kind erst macht durch seine Existenz diese Liebe möglich.
Aber was, wenn dieser Pakt bricht? Was, wenn der Schrecken nicht eine Figur aus einem Bilderbuch ist, die sich unter dem Bett versteckt, sondern die Mutter im Nebenzimmer? Was, wenn die Vergangenheit sich in die Gegenwart frisst und das Gefüge des Alltags auflöst?
"Der Babadook" erzählt von der Angst eines Jungen, von der Unfähigkeit der Mutter, mit dieser Angst umzugehen, von der Paranoia, die sich daraus entwickelt, und von dem Strudel der Panik, der sie schließlich beide zu verschlingen droht. Es ist auch die filmisch ziemlich genaue und gruselige Version der Geschichte von der überforderten alleinerziehenden Mutter, von häuslicher Gewalt und Missbrauch, nur ohne psychotherapeutisches Vorabendpathos. Jeder Schrecken hat seine Zeit, und "Der Babadook" erzählt auch davon, dass das Private, das Zuhause, die Familie, heute ein Ort der Angst sein kann.
Die Begeisterung war groß, als dieser Erstlingsfilm einer unbekannten Regisseurin aus Australien dann 2014 beim Sundance Festival lief, die New Yorker Filmkritiker wählten ihn später sogar zum besten Debüt des Jahres. Das liegt nur zum Teil daran, dass die Geschichte so dicht und vor allem unheimlich erzählt ist, dass William Friedkin, der Regisseur des Horrorklassikers "Der Exorzist", sagte, "Der Babadook" sei der gruseligste Film, den er je gesehen habe. Es liegt auch nur zum Teil daran, dass Essie Davis als Mutter und gepeinigte Krankenschwester Amelia den Übergang von Sorge zu Wahn und schließlich Gewalt so eindrucksvoll spielt und Noah Wiseman als ihr einsamer und in seine Fantasie flüchtender Sohn Samuel zwischen dem Bösen und dem Banalen einen Grad an Naivität findet, der atemberaubend ist.
Es liegt vor allem daran, dass die Regisseurin Jennifer Kent diese untergehende Amelia mit einer großen Aufmerksamkeit bis in den letzten Winkel ihres Wahns verfolgt, weil Kent vom trügerischen Tauschhandel von Vertrauen und Verrat innerhalb von Familien weiß und weil sie in der Lage ist, quer durch die Kinogeschichte Horrorvorbilder herbeizurufen, und doch ihren eigenen Stil findet.
Hat das damit zu tun, wie manche meinen, dass Jennifer Kent ohne Zweifel eine Frau ist? Roman Polanski hat 1968 schon einen psychoanalytischen Horrorfilm mit einer weiblichen Hauptfigur gemacht, "Rosemaries Baby", auch David Lynch steigt in die dunklen Seelen der Frauen hinab, etwa in "Mulholland Drive", und auch Lars von Trier, den Kent bewundert und bei dem sie vor vielen Jahren bei den Dreharbeiten zu "Dogville" hospitiert hat, findet das Grauen am liebsten bei den Frauen, was ihm merkwürdigerweise den Ruf eines Frauenfeinds eingebracht hat.
Anthony Lane jedenfalls, der Filmkritiker des "New Yorker", fordert in seiner Hymne auf "Der Babadook" schon mal "ein Gesetz, das vorschreibt, dass alle Horrorfilme von weiblichen Regisseuren gemacht werden müssen".
Jennifer Kent selbst ist da entspannter. "Ich wollte wirkliche Menschen zeigen", sagt sie und fügt dann, wir sind in der Ära des Postfeminismus, hinzu: "Auch Männer sind dazu in der Lage."
Aber was man sagen kann: Natürlich ist dieser Film beeinflusst von der Weltsicht einer Frau, die sich mit ihrem ersten Film im Übrigen sehr viel Zeit gelassen hat und die auch nach dem Erfolg das Angebot ausgeschlagen hat, in Amerika zu arbeiten.
Jennifer Kent ist eine genaue Beobachterin und eine analytisch denkende Frau, die genau wusste, warum sie die Form des Horrorfilms wählte - um der Falle des Realismus zu entgehen: Der Abgrund, in den ihre Figuren stürzen, ist ein sehr ästhetisierter. Das Haus, so sagt sie es selbst, "hat seine Farben ausgeblutet".
Ihr nächstes Projekt wird eine Geschichte aus der frühen Siedlerzeit in Australien sein. Sie spielt in Tasmanien und wird von Rache handeln und als Referenz Dantes "Inferno" haben.