Extremismus Rechte Vereinsmeier
Man kann nicht behaupten, dass die "Oldschool Society" sich sonderlich klandestin verhalten hätte. Jedenfalls nicht für eine Terrortruppe.
Im September postete der Chef der Neonazibande, Andreas H., im Internet: "Ich wehre mich jetzt, mit meinen Freunden der OSS. Wer das ist, ihr werdet es sehen." Auf Facebook richtete die "Oldschool Society", kurz OSS, eine eigene Seite ein, um sich zu präsentieren. Dort waren bald Gruppenfotos vom ersten Treffen der selbst ernannten Widerstandsbewegung zu sehen, aufgenommen nahe der sächsischen Provinzstadt Borna. In einem Pamphlet hieß es: "Müde Parolen gehören der Vergangenheit an."
Die Neonazis machten auch keinen Hehl daraus, gegen wen sich ihr Hass richtet: Flüchtlinge, Muslime, Schwarze, die Demokratie. Zu einem Foto des Eingangstors eines Konzentrationslagers ("Arbeit macht frei") schrieb der Chef der Gruppe: Diese Stätten könne man als Asylbewerberunterkunft nutzen, "eine Art bewohntes Museum". In einem YouTube-Video sind Bilder von Totenköpfen, Sturmgewehren und Blut aneinandergereiht, dazu ertönt Gitarrenrock und grölt eine Stimme: "Wir brauchen jede Frau, wir brauchen jeden Mann, wir kämpfen zusammen fürs Vaterland."
Es sollte wohl nicht bei martialischen Worten bleiben. Ein Anschlag der Neonazis auf eine Flüchtlingsunterkunft könnte unmittelbar bevorgestanden haben, heißt es in Ermittlerkreisen. Mit der Verhaftung von vier mutmaßlichen Rechtsterroristen der OSS am vergangenen Mittwoch sei Schlimmeres verhindert worden.
Seit Monaten hatten die Sicherheitsbehörden Andreas H. und seine über die Republik verstreuten Mitstreiter im Blick. Die öffentlichen Online-Umtriebe der völkischen Truppe waren auch den deutschen Verfassungsschutzämtern nicht verborgen geblieben - zumal sich manche der OSS-Schwadroneure nicht auf Propaganda beschränkten. So mischte mindestens einer der Aktivisten im Herbst bei jener Demonstration der "Hooligans gegen Salafisten" in Köln mit, die in Chaos und Gewalt endete (SPIEGEL 45/2014).
Mitte Februar schaltete sich die Karlsruher Bundesanwaltschaft ein und eröffnete ein Ermittlungsverfahren wegen Terrorverdachts. Das Bundeskriminalamt schuf eine eigene Ermittlungsgruppe ("EG Borna"), die sich diskret in die interne Kommunikation der Verdächtigen einklinkte. Die Neonazis glaubten, unter sich zu sein, und sprachen über mögliche Anschläge. Einer schlug ein konkretes Ziel vor: ein "Asylantenheim" im Süden Bornas.
Vollends hellhörig wurden die Ermittler Ende April: OSS-Mitglieder hatten sich offenbar im Ausland größere Mengen Pyrotechnik besorgt und diskutierten darüber, wie man die Knallkörper - beispielsweise mithilfe von Nägeln - zu tödlichen Sprengsätzen umfunktionieren könne. Die Sprengkraft der Böller, so schwärmten sie, sei so groß, dass man damit mühelos ein Auto zerstören könne. Schließlich wollte sich der harte Kern der OSS am 8. Mai in einer Kleingartenanlage bei Borna treffen und auch endlich mal ein "paar Aktionen" machen, etwa was mit "Asylantenheimen". Dazu sollten die Kameraden "schwarze, neutrale Kleidung" mitbringen, wie die Ermittler mitschnitten.
Die Hinweise auf einen Anschlag sollen sich derart verdichtet haben, dass die Bundesanwaltschaft nicht länger warten wollte: Am Mittwoch, ab 4 Uhr früh, stürmten Elitepolizisten der GSG9 und mehrerer Spezialeinsatzkommandos die Wohnungen von insgesamt zehn Beschuldigten, darunter zwei Frauen. Bei der Razzia beschlagnahmten sie unter anderem drei Kartons mit hochexplosiven Knallkörpern der Marken "Cobra" und "Viper", dazu Baseballschläger, Teleskopschlagstöcke und Gasdruckwaffen.
Der harte Kern der Neonazibande kam in Untersuchungshaft. Vor dem Ermittlungsrichter am Bundesgerichtshof schwieg das Quartett zu den Vorwürfen, so auch der Anführer Andreas H.
Der 56-Jährige wohnt im beschaulichen Augsburger Vorort Bergheim, wo er 2008 mit seiner Frau in den ersten Stock eines kleinen weißen Mietshauses einzog. H. betreibt eine Firma für Innenausbau, Nachbarn schildern ihn als sympathisch, unauffällig. In sozialen Netzwerken aber fiel er durch braune Parolen auf und schwärmte vom Ballern mit der 9mm-Pistole.
Verfassungsschützer in Bayern hatten Kontakte von Andreas H. zur Neonaziszene im Freistaat sowie zur rechtsextremen NPD registriert. Zunächst galt er jedoch als eher kleine Nummer. Im November 2014 allerdings bemerkte das Bundesamt für Verfassungsschutz, wie sich die OSS um den Augsburger organisierte - und zunehmend radikalisierte.
Fünf Landes-Verfassungsschutzämter starteten eine gemeinsame Operation, mit allem, was den Geheimdiensten an Überwachungsmethoden zur Verfügung steht. Bald schon deutete vieles auf den Verdacht des Terrors von rechts hin: Die Neonazis sprachen darüber, sich Waffen zu beschaffen, und spielten Anschlagsszenarien durch. Neben Asylbewerberheimen sollen sie Moscheen und Größen der Salafistenszene ins Visier genommen haben.
Manche der Neonazis, die bei der OSS mitgemischt haben sollen, waren schon seit Jahren in der militanten Szene aktiv. Allen voran Markus W., 39, den die Bundesanwaltschaft als zweiten Rädelsführer einstuft. Laut einem vertraulichen Papier des Bundeskriminalamts gehörte der aus dem nordrhein-westfälischen Düren stammende Mann der berüchtigten "Kameradschaft Aachener Land" an, die im August 2012 verboten wurde. Später mischte er in einer Gruppierung mit dem Namen "Kameradschaft und Loyalität" mit. Zuletzt wohnte W. im sächsischen Borna, knapp 30 Kilometer vor Leipzig. Dort durchsuchten am Mittwochmorgen schwer bewaffnete Einsatzkräfte sein Apartment im sechsten Stock eines Plattenbaus.
Nach den deutschlandweiten Festnahmen sprach Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) von einem "bedeutenden Ermittlungserfolg": Möglicherweise sei die Bildung einer Terrorgruppe nach dem Vorbild des "Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU) verhindert worden.
Anders als der NSU agierte die OSS freilich nicht aus dem Untergrund, sondern zeigte sich offen im Internet, teils mit vollen Namen und mit Dutzenden Fotos. In bester deutscher Vereinsmeiertradition präsentierte sich Andreas H. als Vorsitzender: "Ich bin der Presi von dieser Gruppe, und wir meinen das verdammt ernst."
Einer seiner völkischen Mitstreiter unterschrieb seine Online-Ergüsse mit "Amt für Presse und Öffentlichkeit der OSS". Intern soll der Mann freilich eine Bezeichnung getragen haben, die weit weniger harmlos klingt: "Sergeant at Arms". Es handelt sich um Olaf O., 47, aus Bochum, auch er wurde festgenommen.
Wenige Stunden nach der Großrazzia ist die Eingangstür zu seiner Wohnung in einem grauen Mehrfamilienhaus in Wattenscheid aufgebrochen, auf dem Boden liegen Glassplitter. Gegenüber Nachbarn hat O. aus seinen radikalen Ansichten kein Geheimnis gemacht: "Der hat gesagt, die Salafisten muss man alle in die Luft sprengen oder vergasen."
Dem Staatsschutz der nordrhein-westfälischen Polizei fiel er im vorigen Jahr als Unterstützer der gewaltbereiten "Hooligans gegen Salafisten" (Hogesa) auf. Mit der "Brigade Bochum", einer Hooligan-Gruppe, soll er zu mehreren Hogesa-Treffen an Rhein und Ruhr gereist sein. Doch sogar für diese Szene, sagt ein Hogesa-Mitglied, sei Olaf O. zu radikal aufgetreten: "Der hat immer wieder erzählt, dass er Knarren hätte und wir damit losziehen sollen." Das sei selbst den Hooligans "zu krass gewesen".
Im Januar beschwerte sich Olaf O. auf der Facebook-Seite der OSS: In Deutschland müsse man "Gefährder" einsperren, bevor diese "den Auslöser der Bombe drücken" könnten - er meinte damit Islamisten. Nun ist er selber unter Terrorverdacht und hinter Gittern.