„Alle haben riesige Angst“
Thomas Foley, als Sprecher des Repräsentantenhauses oberster Demokrat im amerikanischen Kongreß, stand das Unbehagen ins Gesicht geschrieben. Doch "die Schwere der Anschuldigungen" zwinge den Kongreß zu einer Untersuchung, befand der Demokrat vorige Woche.
Die Anschuldigungen, von denen Foley sprach, beschäftigen knapp fünf Monate vor Beginn des Wahljahres die Phantasie Washingtoner Politiker: Erhärtet sich der Verdacht oder läßt sich gar beweisen, daß Ronald Reagans Republikaner durch Geheimverhandlungen mit dem Iran die Freilassung der 52 damals in Teheran festgehaltenen US-Botschaftsangehörigen vor den amerikanischen Präsidentschaftswahlen im November 1980 verhinderten? Wenn ja, könnte das den Wahlausgang 1992 entscheiden - zum Schaden von George Bush.
Weil ihnen die Menge der Indizien "gewichtig" schien, wollten Foley und George Mitchell, der demokratische Mehrheitsführer im Senat, jetzt eine förmliche Untersuchung des Kongresses einleiten. Die politische Brisanz eines Skandals um die Teheraner Geiseln liegt auf der Hand: Hätten Republikaner 1980 insgeheim mit den radikalen Mullahs um Ajatollah Chomeini verhandelt, wäre die politische Legitimität der Reagan-Präsidentschaft angekratzt. Jimmy Carter dagegen stünde als Opfer eines atemraubenden Komplotts da, als ein Präsident, dem die Wiederwahl gestohlen wurde.
Bis zuletzt hatte der glücklose Carter gehofft, die seit November 1979 gefangenen Botschaftsangehörigen würden vor dem Ende seiner Amtszeit am 20. Januar 1981 in die Freiheit entlassen. Doch erst nachdem Ronald Reagan als 40. Präsident der Vereinigten Staaten vereidigt worden war, durfte die algerische Boeing 727 mit den Geiseln an Bord vom Teheraner Flughafen starten.
"Der Zeitpunkt der Freilassung war so exquisit, daß er als Triumph für Reagan und seine Anhänger aufgefaßt wurde und gleichzeitig Präsident Carters totale Niederlage noch einmal bestätigte", schrieb später der Reagan-Mitarbeiter Martin Anderson. Seit jenem Tag im Januar 1981 aber fragen sich Historiker und Journalisten, amerikanische Politiker und Bürger, ob damals alles mit rechten Dingen zugegangen war.
Hartnäckig blieb das Gerücht im Umlauf: Der Demokrat Jimmy Carter habe die Geiseln nicht befreien können, weil seine republikanischen Gegner insgeheim auf eigene Rechnung mit Teheran Verhandlungen aufgenommen und so die diplomatischen Bemühungen des Präsidenten hintertrieben hätten.
Über ein Jahrzehnt später fehlt noch immer der unanfechtbare Beweis für diesen dunklen Verdacht. Doch die Indizien häufen sich. Zeugen, zumeist Waffenhändler und Figuren aus der Geheimdienstszene, berichten von heimlichen Treffen zwischen Emissären der Reagan-Wahlkampfmannschaft, Israelis, iranischen Gottesmännern und Waffenbeschaffern in Europa.
Vergangenen April kam Jimmy Carters Mitarbeiter Gary Sick - 1980 diente er als Iran-Experte im Nationalen Sicherheitsrat - in einem aufsehenerregenden Artikel in der New York Times zu dem Schluß, diese "Wahlstory des Jahrzehnts" sei wahr.
Die Vorstellung, republikanische Unterhändler im Solde Ronald Reagans hätten mit solch einem schäbigen Manöver gleichsam Hochverrat begangen, hat die politische Landschaft in den USA erschüttert. "Alle haben sie riesige Angst vor dieser Sache, denn sogar Watergate würde sich daneben wie ein Teestündchen ausnehmen", beschrieb die demokratische Kongreßabgeordnete Pat Schroeder die Stimmungslage in der US-Hauptstadt.
Furios sind die Dementis jener, die eine solche Abmachung ausgehandelt haben könnten. "Krankhaft und obszön" seien Gary Sicks "Anschuldigungen", entrüstete sich Richard Allen, Reagans erster Sicherheitsberater. Als "schändlichen persönlichen Angriff" bezeichnete Präsident George Bush das Gerücht, er habe als Ronald Reagans Vizepräsidentschaftskandidat mit Iranern in der französischen Hauptstadt verhandelt: "War ich 1980 in Paris? Absolut, absolut nein."
Hat Ronald Reagan damals Kontakt zu Teheran aufgenommen? "Nicht ich", lautete die Antwort des Alt-Präsidenten. Doch was seine Mitarbeiter betraf, wolle er nicht "ins Detail gehen", weil "einige dieser Sachen immer noch geheim sind". Wohl nicht mehr lange: Reagan hat die Unterlagen seiner Wahlkampforganisation zugänglich gemacht.
Sein Entgegenkommen bestärkt einige Beobachter in der Vermutung, Ziel der republikanischen Wahlkampfmannschaft könne es gewesen sein, die Geiseln mit Hilfe befreundeter Regierungen in Westeuropa und Nahost "herauszuholen". Ohne es zu ahnen, wäre Präsident Carter von seinen innenpolitischen Gegnern unterlaufen worden. Als "Anbieter" hätten die Mullahs dann den höchstmöglichen Preis für die Geiseln herausgeschlagen und obendrein dem verhaßten Jimmy Carter die Wiederwahl verbaut.
Wichtiger Zeuge im Geiselkomplott ist der iranische Waffenhändler Dschamschid Haschemi. Er behauptet, mit seinem 1986 unter mysteriösen Umständen in London verstorbenen Bruder Kyros von der ersten Stunde an dabeigewesen zu sein.
1979 hatte Dschamschid Haschemi im Auftrag der CIA Gelder an den iranischen Präsidentschaftskandidaten Admiral Ahmed Madani geschleust. Zwar unterlag Washingtons Kandidat im Januar 1980 gegen Abol Hassan Banisadr. Er verfügte aber fortan über gute Drähte zum US-Geheimdienst.
Auch sein Bruder Kyros konnte sich einschlägiger Verbindungen rühmen. Er war mit dem New Yorker Ölhändler John Shaheen befreundet, einem der engsten Vertrauten des späteren CIA-Chefs William Casey. Shaheen und Casey verband nicht nur ihr glühender _(* Nach einer Fernsehdebatte im Jahr ) _(1980. ) Glaube an die Republikanische Partei. Beide waren überzeugte Antikommunisten, beide hielten nichts von Jimmy Carter. Ihre Beziehung reichte zurück in die Zeit des Zweiten Weltkriegs, als sie für den US-Geheimdienst OSS in Europa gegen die Nazis gearbeitet hatten.
Bereits im Frühjahr 1980 - Casey war gerade zum Wahlkampfmanager Ronald Reagans ernannt worden - warnte Shaheen, die Lösung der Geiselfrage könne den Ausgang der Präsidentschaftswahlen im November entscheiden. Der Ölkaufmann stand mit seiner Furcht nicht allein: Je näher der Wahltermin rückte, desto mehr plagte viele Reagan-Anhänger und vor allem Casey der Alptraum, Jimmy Carter werde als "Oktober-Überraschung" die Geiseln kurz vor den Wahlen befreien und hernach auf einer Welle des Patriotismus die Wahl für sich entscheiden können.
Um Einblick in die Pläne des Präsidenten zu gewinnen, begann das Reagan-Team einen in der amerikanischen Geschichte beispiellosen Spionageangriff gegen die eigene Regierung. So gelangten vertrauliche Wahlkampfunterlagen Carters auf dubiose Weise in die Hand der Republikaner.
Die Haschemi-Brüder waren dabei behilflich: Über den republikanischen New Yorker Anwalt Stan Pottinger, einen früheren Unterstaatssekretär in Richard Nixons Justizministerium, bot Kyros Haschemi dem Carter-Außenministerium seine Hilfe an. Nach regelmäßigen Telefonaten mit Gewährsleuten in Teheran übermittelte er Informationen, die Gary Sick zufolge "sehr hilfreich" für die Carter-Unterhändler waren.
Doch weder Sick noch der im Außenministerium zuständige Unterstaatssekretär Hal Saunders wußten, daß der Iraner gleichzeitig Kontakt zu John Shaheen unterhielt. Dschamschid Haschemi ist heute davon überzeugt, daß der New Yorker Ölhändler seinen Bruder Kyros in ein Doppelspiel hineingezogen hat. Am 4. Juli 1980 trafen sich Pottinger und Kyros Haschemi im Madrider Hotel Ritz, und dabei, so sein Bruder heute, sei es "auch um Waffen gegangen". Die Carter-Regierung, von Pottinger informiert, habe Teherans Waffenwünsche nicht erfüllen wollen. Am gleichen Tag befand sich William Casey in Begleitung von Richard Allen, dem außenpolitischen Berater Ronald Reagans, in Paris, wo er mit dem französischen Geheimdienstchef Graf Alexandre de Marenches sprach. De Marenches hielt nichts von Jimmy Carter, den er als einen "Pfadfinder mit Puppengesicht" abtat. Der Franzose sollte Casey später noch von Nutzen sein.
Auch für Ronald Reagans rührigen Wahlkampfleiter hatten die Haschemi-Brüder inzwischen eine Verbindung nach Teheran hergestellt. Am 27. und 28. Juli 1980 kam es in Madrid zu einem folgenschweren Treffen - behauptet Dschamschid Haschemi. Aus dem Iran seien der Hodschatolislam Mahdi Karrubi und dessen Bruder Hassan angereist, um mit Casey und zwei weiteren Amerikanern über die Geiseln zu verhandeln.
Casey, berichtet Dschamschid Haschemi, verlangte, die Freilassung auf einen Zeitpunkt nach der Wahl zu verschieben. Im Gegenzug versprach er Waffenlieferungen. Doch Mahdi Karrubi wollte das Geschäft zunächst Ajatollah Chomeini vortragen. Vier Tage später verzeichnete John Shaheen in seinem Terminkalender: "Lunch mit Dr. Haschemi in New York".
Nach einer Aufforderung durch die Iraner soll Casey dann am 11. August wieder in Madrid eingetroffen sein. Wie beim ersten Treffen waren die Karrubi-Brüder und Dschamschid Haschemi im Hotel Plaza abgestiegen, während Bruder Kyros eine Suite im Ritz bewohnte. Casey und die amerikanische Delegation übernachteten an einem unbekannten Ort. Teheran, so soll der Ajatollah Mahdi Karrubi erklärt haben, sei mit Caseys Vorschlag einverstanden.
"Ich glaube, wir stehen am Beginn einer neuen Ära und haben es hier mit jemandem zu tun, der weiß, wie man Geschäfte macht", faßte Mahdi Karrubi - Haschemi zufolge - die Gespräche zusammen. Kyros Haschemi besorgte einen Frachter und lieferte, mit Hilfe eines von Casey empfohlenen Israelis, vier Schiffsladungen Waffen vom israelischen Eilat nach Bandar Abbas. Gesamtwert der Rüstungsgüter laut Dschamschid Haschemi: 150 Millionen Dollar.
Als das amerikanische TV-Magazin "ABC Nightline" die Aussagen des iranischen Waffenhändlers nachprüfte, fand es Belege für die Anwesenheit der Haschemi-Brüder zu den angegebenen Zeiten in Madrid.
Der Versuch, ebenfalls einen Beweis für die Anwesenheit Caseys zu beschaffen, blieb bislang erfolglos. Doch im Terminkalender des Wahlkampfmanagers klafft eine Lücke vom Abend des 26. Juli bis zum späten Nachmittag des 28. Juli, als Casey auf einer Historiker-Konferenz in London gesichtet wurde. Zeit genug hätte er gehabt, um zuvor in Madrid zu verhandeln.
Besonders merkwürdig fiel die Reaktion der iranischen Regierung auf den ABC-Bericht aus: Lapidar wurde in Teheran mitgeteilt, der Iran wolle sich nicht in die "innenpolitischen Auseinandersetzungen" der USA einmischen. Gary Sick will nicht ausschließen, daß Dschamschid Haschemis Aussagen mit Staatspräsident Rafsandschani abgesprochen wurden. Denn anders als über die Zusammenkünfte in Madrid läßt sich der redselige Waffenhändler über angebliche Folgetreffen in Paris nur höchst ungern aus.
Dort nämlich soll nach Angaben eines französischen Geheimdienstmannes, der direkt mit de Marenches zusammenarbeitete, ein iranischer Unterhändler aufgetaucht sein, mit dem Präsident Rafsandschani es sich auch heute noch nicht verderben kann: Ahmed Chomeini, Sohn des 1989 verstorbenen Ajatollahs. Gleich zweimal, so behaupten mehrere Informanten, seien die Verschwörer im September zusammengetroffen: zwischen dem 20. und 25. September in Paris und, nur Tage später, in Zürich.
Waffen, Munition und Ersatzteile für die mit amerikanischem Gerät ausgerüsteten iranischen Streitkräfte aufzutreiben war zu diesem Zeitpunkt für Teheran eine Überlebensfrage geworden. Am 22. September hatte Saddam Hussein den völlig unvorbereiteten Iran überfallen.
Da Lieferungen aus den USA wegen des von Jimmy Carter verhängten Embargos nicht möglich waren, schwärmten iranische Einkäufer in Europa aus, um zu überhöhten Preisen die wichtigsten Kriegsgüter einzukaufen. Einer der Händler war der junge Hamid Nagaschan, ein Logistik-Zauberer, der die iranischen Revolutionswächter mit Waffen und Munition versorgen sollte.
Nagaschan, so einer der Informanten, sei Ende September in Zürich "mit Amerikanern und Israelis" zusammengetroffen. Stolz habe der Waffenbeschaffer nach der Rückkehr vom Flughafen Kloten erzählt, man habe über Waffen und Geiseln parliert.
Um Waffen und Geiseln soll es auch bei weiteren Zusammenkünften im Oktober in Paris gegangen sein. Am 15. Oktober, so der französische Geheimdienstmitarbeiter, hätten sich Israelis, Amerikaner und Iraner zu "vorbereitenden Gesprächen" getroffen, vier Tage später seien die Verhandlungen erfolgreich abgeschlossen worden. Mit dabei gewesen seien Ahmed Chomeini, Hamid Nagaschan, mehrere Amerikaner sowie der stellvertretende Mossad-Direktor Nahum Admoni.
Dschamschid Haschemi bestätigt, daß es in Paris im Oktober zwei Treffen gegeben habe. Ahmed Chomeini und Casey, so sagt er, hätten den Verhandlungsdelegationen angehört. Doch wie die anderen Informanten hat auch Haschemi bisher keine Beweise für diese Behauptungen vorgelegt. So läßt sich die Spur der Haschemis mit Sicherheit erst wieder vom 21. Oktober an verfolgen. An diesem Tag, nur 48 Stunden nach dem Ende der angeblichen Treffen in Paris, beginnt Kyros Haschemi in seinem New Yorker Büro mit der Planung illegaler Waffenlieferungen an den Iran. Am 22. Oktober speiste Haschemi - wieder mal - mit Caseys Freund John Shaheen. Jetzt soll der US-Kongreß klären, was im Herbst 1980 wirklich geschah. Ein Senatsunterausschuß unter Leitung des Demokraten Terry Sanford sowie eine vom demokratischen Abgeordneten Lee Hamilton geführte Arbeitsgruppe des Repräsentantenhauses will Licht in die Affäre bringen.
Daß sich die demokratische Führungsspitze nur ungern dem Untersuchungsgegenstand nähert, hat gute Gründe. Schon bei der Aufarbeitung des Iran-Contra-Skandals 1987, bei dem illegal Waffen an Reagans Favoriten-Truppe in Nicaragua verkauft worden waren, hatten die Demokraten keine gute Figur gemacht. "Die haben Angst, daß sie am Ende mit leeren Händen dastehen", meint ein Kongreßmitarbeiter.