Selbstmord Wer macht sauber?
Als Strandlektüre schien der schmale Band im Großdruck nicht gerade geeignet; dennoch wurde er zum Renner auf dem amerikanischen Buchmarkt. Vor allem ältere Herrschaften, so berichten Händler in den USA, tragen sich in Wartelisten ein, um sich den immer wieder rasch vergriffenen Ratgeber zu beschaffen.
Bis auf Platz eins der amerikanischen Sachbuch-Bestsellerliste rückte das Traktat Anfang dieses Monats vor. Sein Thema ist der Freitod - als "Letzter Ausweg" (Buchtitel) für unheilbar Kranke. Auf 192 Seiten liefert die Selbstmord-Fibel Anleitungen für einen schmerzlosen Übergang ins Jenseits, mit einer nicht selten makaber anmutenden Lust am Detail, mit Checklisten, Dosierungstabellen sowie Vorschlägen zur Abfassung von Abschiedsbriefen*.
"Überlassen Sie nichts dem Zufall", mahnt Autor Derek Humphry, der selber Erfahrung als Sterbehelfer hat. Der inzwischen 61jährige hat in früheren Jahren drei Menschen bei der "Selbsterlösung" assistiert, seiner Frau Jean, die an Knochenkrebs litt, seinem herzkranken Schwiegervater und seinem Bruder, der nach einem Verkehrsunfall als Hirngeschädigter dahinsiechte.
Angetrieben von der Idee, schwer Leidenden den selbstbestimmten Tod zu ermöglichen, gründete Humphry 1980 _(* Derek Humphry: "Final Exit". Carol ) _(Publishing, Secaucus, New Jersey; 192 ) _(Seiten; 16,95 Dollar. ) in Los Angeles die Hemlock Society, eine mittlerweile 38 000 Mitglieder starke Vereinigung, die - ähnlich der in Augsburg ansässigen "Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben" - das Recht auf ein würdiges Ende (Motto: "Gut leben, gut sterben") verficht.
Die Menschen seien "der ethischen Debatten unter Theologen und Philosophen überdrüssig", meint Sterbehilfe-Experte Humphry. Es gebe, im Zeitalter der Apparate- und Intensivmedizin, "ein gewaltiges Verlangen nach persönlicher Kontrolle über den eigenen Tod".
Technisches Know-how für ein angenehmes und sicheres Ende hatte der in den USA ansässige Brite schon 1981 in einem selbstverlegten Buch unter dem Titel "Laß mich sterben, bevor ich erwache" verbreitet, von dem er 140 000 Exemplare verkaufte. Mit der neuen Veröffentlichung sei nun der perfektionierte Suizid-Ratgeber "für die neunziger Jahre" erschienen, heißt es im Vorwort zum "Letzten Ausweg".
Rücksichtsvoll und reinlichkeitsbewußt verwirft Sterbehelfer Humphry die meisten der üblichen Selbsttötungsverfahren: Sich zu erschießen, wie es 60 Prozent der jährlich 30 000 amerikanischen Selbstmörder bevorzugen, sei "unappetitlich", denn: "Wer macht hinterher sauber?"
Effektiv, aber "selbstsüchtig" und deshalb unakzeptabel sei es auch, sich aufzuhängen oder zu ertränken: Weder das Abschneiden der Leiche noch die möglicherweise langwierige und kostspielige Suche nach dem Ertrunkenen sei den Hinterbliebenen zuzumuten, meint der Autor.
Skepsis sei auch im Umgang mit Zyankali angebracht. Die hochgiftige Substanz, mit der sich einst Hermann Göring vor dem Galgen bewahrte, wird von Hans Henning Atrott, dem Vorsitzenden der deutschen Freitod-Gesellschaft, als probates Mittel zum Suizid empfohlen. Humphry hingegen, der die genaue Gebrauchsanweisung der deutschen Gesellschaft abdruckt ("Nehmen Sie ein kleines Glas kaltes Leitungswasser . . ."), warnt vor den Qualen, die eine falsche Anwendung von Zyankali mit sich bringen kann.
Als Methode, die "Sicherheit und Anstand" am besten gewährleistet, empfiehlt die Hemlock Society die Einnahme von Barbituraten. Die erforderlichen fünf Schritte für den "finalen Akt" beschreibt Humphry im "Kernkapitel" 22 - von der "sehr leichten" letzten Mahlzeit ("Vielleicht Tee und ein Stück Toast") über das Schlucken einer Pille gegen Reisekrankheit, die dem Erbrechen vorbeugen soll, bis hin zum Griff zu den vorher gehorteten Schlaftabletten.
Ein Teil der Pillen wird mit Alkohol heruntergespült ("Wodka ist sehr effektiv"), ein anderer pulverisiert in vorbereitetem Pudding gegessen. Noch einmal reichlich Alkohol beschleunigt danach das Ende, das den schon binnen weniger Minuten eingeschlafenen Kandidaten in tiefer Bewußtlosigkeit heimsucht.
Lange Checklisten zeugen von der Umsicht des Selbstmord-Beraters, der dabei nicht selten unfreiwillig ins Grotesk-Banale abrutscht. So wird die Hutschachtel im Kleiderschrank als gutes Versteck für die Schlafpillen gelobt. Ein Trinkgeld fürs Personal sei angebracht, falls der Suizid in einem Motel erfolgen müsse.
Hundertprozentige Sicherheit garantiere, so heißt es schließlich, nur die zusätzlich über den Kopf gestülpte Plastiktüte, ein in früheren Veröffentlichungen von Humphry noch als "unästhetisch" abgelehntes Hilfsmittel, dessen sich, bei seinem Freitod im vergangenen Jahr, auch der amerikanische Kinderpsychiater Bruno Bettelheim bediente.
"Sollten Sie lieber eine durchsichtige oder eine undurchsichtige Tüte benutzen?" fragt der Autor in rhetorischer Zwiesprache mit seinem Leser.
Das, gibt er selbst zur Antwort, sei eine Sache des Geschmacks: "Ich für mein Teil, lebenslustig wie ich bin, würde eine durchsichtige wählen."