Fußball Besondere Praktiken
Etwas angestrengt saß Diego Armando Maradona auf einer Sesselkante und nestelte mit der rechten Hand am linken Ringfinger, der gedeckte Anzug spannte ein wenig um die molligen Hüften.
Eine "regelrechte Hetzkampagne" sei gegen ihn im Gange, klagte der Star des SSC Neapel bekümmert, er könne "überhaupt keine Ruhe mehr finden". Und dann kündigte der argentinische Fußballer am Dienstag letzter Woche über den italienischen Fernsehsender "Rai Uno" seinen Rückzug ins Privatleben und die Rückkehr in die Heimat an.
Der dralle Dribbelkünstler, einst in Italien mindestens ebenso verehrt wie der Heilige Vater, ist in arge Bedrängnis geraten. Seit die Mailänder Illustrierte Epoca anhand von geheimen Telefonmitschnitten Maradonas vermeintliche Verstrickungen ins Rauschgift-, Camorra- und Prostituiertenmilieu publik machte, fördern die Medien des Landes im Wettstreit Delikates aus dem Privatleben des 30jährigen zutage. Der "Erfinder des schönen Fußballs", wie ihn der Startrainer Cesar Luis Menotti einst apostrophierte, sieht sich "in die schlimmste Situation" gedrängt, die er "im Leben je erfahren" hat.
Nicht nur von den täglich erscheinenden Fachblättern Gazzetta dello Sport, Corriere dello Sport und Tuttosport bezieht "der kleine argentinische Möchtegern-König" (Gazzetta) neuerdings verbale Prügel. Auch der behutsame Corriere della Sera rügt den kapriziösen Diego, der geglaubt habe, "sich zwischen Himmel und Erde alles leisten zu können". Nun bekomme er eben "die Rechnung für sein allzu lockeres Leben präsentiert".
Sogar die katholische Kirche, die nicht protestiert hatte, als Maradona bei der Weltmeisterschaft 1986 den Ball mit der Faust ins Tor boxte und den illegalen Treffer mit einem Eingreifen der "Hand Gottes" rechtfertigte, griff jetzt ins Spiel ein. Über sein Hausblatt L'Osservatore Romano monierte der Vatikan des Fußballers "schamlose Prunksucht".
Daß italienische Reporter ihn noch gnadenloser verfolgen als im letzten Jahr der zähe Manndecker Guido Buchwald im Weltmeisterschafts-Endspiel von Rom, muß Maradona verwundern. Hatte er nicht selber das Land einmal schlechthin als "Paradies" für seine Zunft gepriesen? Glaubt nicht der Mailänder Kollege Lothar Matthäus, im Nudelland werde "nur gelobt und gejubelt"? Und findet nicht der teutonische Blondschopf Jürgen Klinsmann, anders als in Deutschland gehe es in seiner neuen Heimat "alles ein bißchen mehr piano, piano" zu, hier gäbe es eben "keine Neider"?
Tatsächlich machen sich nirgendwo auf der Welt die Sportreporter mit den Helden derart gemein wie in Italien. Medien, Kicker und Tifosi finden sich täglich in einer einzigen, dampfenden Gefühlsgemeinschaft, die in kühner Metaphorik die Feinheiten von Flachpaß und Spannstoß analysiert. So hilft der wunderbare "calcio" schon mal über politische Depressionen hinweg.
Das kindliche Vergnügen, auch bei der achten Zeitlupen-Wiederholung eines jeden Torschusses noch Interessantes zu erblicken, lassen sie sich durch nichts kaputtmachen, schon gar nicht durch private Turbulenzen der Stars. Deshalb wurde schon mancher hochbezahlte Profi von delikaten Schlagzeilen verschont. Der Stoff, aus dem die Paparazzi ihre Geschichten stricken, taugt im Fußball nur zu Kurzmeldungen.
Ob es den stets quirligen Mittelstürmer Rudi Völler von seiner Gattin Angela geradewegs ins Appartement der "rassigen Römerin" (Bild) Sabrina drängte, ob die Ehe des Holländers Ruud Gullit über die Weiterungen eines Interviews mit einer feurigen Repubblica-Reporterin zerbrach oder ob das Züricher Boulevardblatt Blick den deutschen WM-Kapitän Lothar Matthäus mit einer Ex-Miss namens Lolita beim Rendezvous im Schnee von Crans Montana erspäht hatte - während die Gazetten in den Heimatländern der Gastarbeiter jede Affäre begierig ausmalten, schwiegen Italiens Blätter.
Derlei mediale Fürsorge ist allerdings begrenzt. Sie hält nur so lange, wie der Star jener Rolle gerecht wird, die ihm vom Klubpräsidenten zugedacht wurde. Da jeder der reichen Fußballbosse, von Fiat-Chef Giovanni Agnelli bis Medienmogul Silvio Berlusconi, seine Errungenschaften angemessen präsentiert sehen will, haben sie mit Geld oder politischen Winkelzügen längst auch Einfluß auf die Redaktionen genommen: Geschrieben wird, was dem Klubpatriarchen gefällt. Die danken dann schon mal mit lukrativen Jobs in ihren Konzernen.
Diese Arbeitsteilung bewirkt einen seltsamen Automatismus: Sobald ein Präsident den Spaß an einem seiner teuren Angestellten verloren hat, greifen die Gesetze der Mafia - der Pate zürnt, die Sportreporter schreiten als dienstbare Geister zur öffentlichen Exekution.
Keiner hat das bislang so nachhaltig erfahren wie Diego Maradona. Über Jahre hinweg durfte sich der Argentinier Amouren mit leichbeschürzten Mulattinnen ebenso leisten wie eine fast chronische Arbeitsverweigerung. Die Latin Lover in den Redaktionsstuben bewunderten den Lockenkopf, der nach ihrer Statistik mit "über 600 Frauen" ein Verhältnis gehabt haben soll, sogar noch wegen seines "anarchischen Charakters".
Doch als Neapels Manager Luciano Moggi ("Wir haben Maradonas Eskapaden satt") beim nationalen Fußballverband beantragte, den mit 2,4 Millionen Mark Jahresgehalt zu Buche stehenden Star "wegen vereinsschädigenden Verhaltens" zu suspendieren, legten sich Italiens Sportjournalisten mächtig ins Zeug.
Dabei scheuten sie keine Peinlichkeiten. Die Behauptung einer alleinstehenden Dame, Maradona sei der Erzeuger ihres Sohnes, wurde durch die Expertise eines Gynäkologen untermauert: "Das Zipfelchen des Sohnes weist das gleiche leicht verformte Köpfchen auf wie das Glied des Vaters."
Die seriöse Repubblica spürte schließlich jene Damen auf, mit denen Maradona unter anderem von der Camorra bezogenes Kokain geschnupft haben soll. Eine gab zu Protokoll, zweimal mit dem Fußballer ("Er war sehr lieb") verkehrt zu haben. Doch die detailversessenen Reporter ("Hat er irgendwelche besonderen Praktiken verlangt?") erfuhren nur eher Allgemeines: "Im Prinzip habe ich mehr von ihm erwartet."
Die brasilianische Prostituierte Susy, als "groß und kurvenreich" beschrieben, lieferte die erwünschten Einzelheiten. Der sonst so ballverliebte Maradona habe immer an ihrer "linken großen Zehe gelutscht". Und obwohl von Natur aus "nicht besonders mächtig", habe sich der geschmeidige Kicker im Bett "prächtig" geschlagen.
Mit seiner Ankündigung, den bis 1993 laufenden Vertrag nicht erfüllen zu wollen, befreite Maradona den SSC Neapel von der Zahlung des Millionengehalts - und sich von den Schlagzeilen.
Die gehören jetzt dem Kollegen Klinsmann, mit dem kürzlich die Klubführung von Inter Mailand ins Gericht ging. Zunächst konnten die Freunde von der Presse dem Präsidenten Ernesto Pellegrini nicht helfen. Klinsmann war lediglich auf dem Rasen aus dem Tritt geraten, privat hatte sich der schüchterne Schwabe unbeschadet gehalten - er läßt sich nicht mal mit seiner langjährigen Freundin fotografieren.
Dennoch bekam Klinsmann Ärger, er soll sich gegen den Heiligen Vater versündigt haben. Bei einer Audienz, zu der Inter Mailand das komplette Team vor dem Spiel beim AS Rom in den Vatikan geschickt hatte, habe der enthaltsame Protestant dem Stellvertreter Gottes den Handschlag verweigert. Inter verlor einen Punkt und die Tabellenführung. o