Gesellschaft Körperlich wirksam
Was Vergewaltigung nicht ist, können deutsche Juristen in ihrer Rechtsbibel, der Neuen Juristischen Wochenschrift, nachlesen. Da lernen angehende Rechtsanwälte zum Beispiel aus diesem Fall:
Ein kleiner Lieferwagen im Wald. Der Mann parkt sein Auto so, daß die Frau die Beifahrertür nicht öffnen kann. Er bedrängt sie: "Schlaf mit mir." Aus dem Wagen komme sie nicht heraus, und er sei ohnehin stärker als sie. Die Frau erduldet den Geschlechtsverkehr, zeigt den Mann später an.
Das sei nicht zweifelsfrei eine Vergewaltigung gewesen, urteilte der Bundesgerichtshof im Jahr 1981. Schließlich sei es, so die Richter, nicht eindeutig zu einer "körperlich wirksamen psychischen Zwangseinwirkung" gekommen. Was unglaublich klingt, machte Rechtsgeschichte.
Zehn Jahre später wurde vor dem Darmstädter Landgericht der Fall einer 20jährigen Anhalterin verhandelt, die ebenfalls zum Geschlechtsverkehr gezwungen worden war. Die Frau hatte sich nicht gewehrt, um den Mann nicht noch zusätzlich zu reizen.
Zugegeben eine "Mordsschweinerei", befand der Darmstädter Richter Peter Quarck - aber eben keine Vergewaltigung. Das Gericht erkannte auf "tätliche Beleidigung". Ein Jahr Haft mit Bewährung, lautete das Urteil - für Vergewaltigung hätte es mindestens zwei Jahre Gefängnis gegeben.
Wie zu Kaiser Wilhelms Zeiten halten sich deutsche Richter an einen eng begrenzten Gewaltbegriff, der psychische Zwangssituationen nicht berücksichtigt.
Kann eine Frau, die ihren Vergewaltiger anzeigt, nicht mindestens blutige Kratzspuren, verrenkte Glieder oder blaue Flecken vorweisen, ist sie nach herrschender Rechtsprechung nicht vergewaltigt worden.
Nach dem Strafgesetzbuch ( 177) muß Vergewaltigung "mit Gewalt oder durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben" verbunden sein.
Nach mehreren vergeblichen Versuchen, das Recht zu reformieren, nehmen nun Bonner Parlamentarierinnen einen neuen Anlauf. Der Gewaltbegriff soll erheblich weiter gefaßt, auch Vergewaltigung in der Ehe zum Straftatbestand werden.
Der Bundesrat diskutiert seit längerem, ob er einen entsprechenden Gesetzentwurf von Hamburg übernehmen und im Bundestag einbringen soll. Die SPD-Wortführerin Margot von Renesse und ihre Fraktion wollen das Parlament im Dezember mit einem Entwurf über die "Strafbarkeit der Vergewaltigung, der sexuellen Nötigung und des sexuellen Mißbrauchs in der Ehe" befassen. Vorbereitete Gesetze liegen sowohl im Justiz- als auch im Frauenministerium parat.
Ziel aller Entwürfe ist es, daß die Täter nicht länger ungestraft davonkommen.
Die Gesetzesvorschläge definieren genauer, was Vergewaltigung ist: Die liege vor, wenn die Frau gegen ihren Willen zum Geschlechtsverkehr gezwungen wird.
Dabei sollen alle Formen der Penetration anerkannt werden. Bislang gilt nur vaginale Vergewaltigung (zynische Richter-Maxime: "War er drin oder nur dran?") als Tatbestand, nicht aber orale oder anale. Außerdem wäre Vergewaltigung auch in der Ehe strafbar.
Laut Schätzung des Bundeskriminalamtes werden 100 000 bis 200 000 Frauen jährlich in Deutschland vergewaltigt. Hinzu kommt eine Dunkelziffer von etwa 160 000 Fällen sexueller Gewalt in der Ehe.
Nur zehn Prozent aller vergewaltigten Frauen gehen vor Gericht. Die Aussicht auf angemessene Strafverfolgung ist schlecht, die Angst vor gesellschaftlicher Diskriminierung groß.
Immer noch hält sich das Vorurteil, daß eine vergewaltigte Frau provoziert haben müsse, was ihr angetan worden sei. Daran orientiert sich auch der Gesetzgeber.
Für ihn gilt bis heute die Denkfigur "vis haud ingrata" - das Prinzip der nicht unwillkommenen Gewalt.
Dahinter steht das ganze Elend eines gesellschaftlichen Mißverständnisses: Wenn eine Frau nein sagt, meint sie eigentlich ja.
Den größten Widerstand erwarten die Protagonistinnen eines neuen Gesetzes bei dem Vorhaben, künftig Vergewaltigung mit Trauschein als Offizialdelikt einzustufen, das von Polizei und Justiz von Amts wegen verfolgt werden muß. Denn Sex in der Ehe wird nach wie vor als Pflicht angesehen.
Bisher kann ein brutaler Ehemann allenfalls wegen Körperverletzung angezeigt werden. Mit der üblichen Rechtfertigung - "Ich hab' sie ja nur mal richtig durchgebumst" - können sich Ehemänner nach den Erfahrungen der Familienrichterin und SPD-Abgeordneten Margot von Renesse regelmäßig herausreden.
Alle Bonner Reformentwürfe sehen Gefängnisstrafen für Ehemänner vor, die sich mit Gewalt über ihre Frauen hermachen. Um eine Versöhnung der Ehegatten zu ermöglichen, soll die Frau allerdings das Verfahren stoppen können, wenn auch das Gericht eine positive Prognose über das künftige Verhalten des Ehemannes abgibt oder einer Therapie zustimmt.
Ohne rechtliche Handhabe, so argumentieren die Befürworter eines neuen Vergewaltigungsparagraphen, bleibe die Ehefrau weiterhin im "Besitz" ihres Mannes.
Die dumm-dreiste Frage "Wozu habe ich denn geheiratet" sei so lange immer wieder zu hören, wie Frauen rechtliches Freiwild seien und wie in diversen Eheratgebern solche Empfehlungen zu lesen stehen: "Ein bißchen Gewalt dürfen Sie schon anwenden. Zwingen Sie ihr Ihren Willen auf, und lassen Sie sie es genießen, eine Frau zu sein, im guten alten Sinne."
Mit derlei "dummem, tumbem Zeug" (von Renesse) wartet die Bonner Männerriege schon wieder auf.
Unpraktikabel und systemwidrig sei ein Gesetz gegen Vergewaltigung in der Ehe, meint der CSU-Abgeordnete und Rechtsanwalt Norbert Geis. Für Konservative wie ihn kann es deshalb sexuelle Selbstbestimmung der Frau in der Ehe nicht geben.
Das Argument des CSU-Rechtsanwalts überzeugt wenig. Die Frage der Beweisbarkeit stellt sich bei jeder Vergewaltigung. Renesse: "Warum soll eine Ehefrau weniger Rechte haben als eine Unverheiratete?"
Auch der Liberale Burkhard Hirsch hat Bedenken gegen das Gesetz. Der Bundestagsabgeordnete befürchtet, daß der gewünschte Effekt zwangsläufig ausbleiben müsse. Der geplante Vergewaltigungsparagraph schaffe lediglich einen Erpressungstatbestand, mit dem die Frau den Mann besonders bei einer Scheidung unter Druck setzen könne.
Fließend rheinisch moniert auch Hirsch die fehlende Beweisbarkeit: "Et hät jo niemand en Kerz beijehalten."
Dabei steht Hirsch gegen seine eigene Partei. Die Liberalen forderten in ihrem Wahlprogramm von 1990 eine Bestrafung der Vergewaltigung in der Ehe.
"Mit uns nie", drohte CSU-Unterhändler Edmund Stoiber schon bei der letzten Regierungsbildung und setzte sich durch. Das Reizthema Ehegatten-Notzucht wurde erst einmal vertagt - auf unbestimmt.
Bei aller Rücksicht auf die Schwesterpartei können die Christdemokraten jedoch über das Problem nicht mehr einfach hinweggehen.
Dafür haben die Frauen in der Partei gesorgt. Bei ihrer Bundesdelegiertentagung im Oktober verlangte die CDU-Frauen-Union, endlich "sexuelle Gewalt in der Ehe gesellschaftlich zu ächten".
Mittlerweile brüten die konservativen Gesetzesgegner neue abstruse Argumente aus. Ein christdemokratisches Mitglied im Rechtsausschuß des Bundesrates erfand diesen Einwand: "Wir müssen auch an die Beamten denken. Wenn die künftig wegen Ehemißbrauchs verurteilt werden, verlieren die ja ihren Job." o