FUSSBALL Geselliger Bursche
Die Ankunft des Fluges AZ 577 aus Buenos Aires war ein nationales Ereignis. Aufgeregte Reporter mit Fernsehkameras, Photoapparat oder Papier und Stift und über hundert Fans fieberten vergangenen Mittwoch auf dem römischen Flughafen seiner Rückkehr entgegen. Vergebens, Diego Armando Maradona, 28, derzeit der Welt berühmtester Fußballer, hatte den Flug mit der Alitalia-Maschine zwar gebucht, aber nicht angetreten.
Die Italiener, vor allem Neapels närrische Fußballfans, warteten schon länger auf ihren Helden. Der argentinische Superstar, seit fünf Jahren beim SSC Neapel unter Vertrag, scheint ausgerechnet eine Woche vor Saisonbeginn die Lust an seinem Beruf verloren zu haben.
Nach dem Ende der italienischen Meisterschaft war Maradona in die Heimat geflogen, um mit seiner Nationalmannschaft am Südamerika-Championat teilzunehmen und anschließend einige Zeit auszuspannen. Die für den 3. August vereinbarte Rückkehr verschob der stark übergewichtige "Dieguito" um zwei Tage, weil er den Geburtstag der Mutter gebührend feiern wollte.
Dann teilte er mit, daß er seine Ferien um eine Woche im Anden-Skigebiet Las Lenas verlängern wolle. Die weltbesten alpinen Skirennläuferinnen, die zur selben Zeit zwei Weltcuprennen austrugen, lernten den Argentinier prompt als "sehr geselligen Burschen" schätzen. Während die Fußball-Kollegen zur Saisonvorbereitung in Madonna di Campiglio bereits hart trainierten, nahm sich der pummelige Ballerino zudem heraus, was Profis normalerweise vertraglich untersagt ist: Er übte sich im Skifahren.
Genauer als mit seinen Pflichten nimmt es Maradona mit den Rechten: Über seinen Anwalt Guillermo Coppola ließ er schließlich verlauten, daß er auf den ihm zustehenden 28 Urlaubstagen bestehe und deshalb erst am 14. August nach Italien zurückkehren werde. Überdies gedenke er nicht, sich gleich dem Trainingsprogramm der Mannschaft anzuschließen, sondern erst eine zehntägige Entschlackungskur in Meran zu absolvieren.
Kommentarlos ließ Maradona auch den vergangenen Montag verstreichen. Dickfellig narrte und nervte der Starfußballer seinen Arbeitgeber und die Öffentlichkeit mit täglichen Terminverschiebungen seiner Rückkunft. Keine Frage jedenfalls, daß die Meisterschaftspremiere des SSC Neapel in Ascoli am kommenden Sonntag ohne die schwarzgelockte Diva stattfindet.
Unter den Fachleuten für das runde Leder huben inzwischen lebhafte Diskussionen über die Gründe der imperialen Allüren an: Die plausibelste Erklärung ist, daß die Arbeitsverweigerung kühl kalkuliert ist und den Abgang des Idols aus Italien vorbereiten soll.
Falls Maradona heil aus Neapel entkommen will, muß er zunächst die geradezu hysterische Verehrung der Fußballfans dämpfen. Mitte Juni ließ sich der Ballkünstler beim Heimspiel gegen Pisa bereits nach 17 Minuten auswechseln, woraufhin ihn die aufgebrachten Fans als "Simulant und Feigling" beschimpften. Sogar die höfische "Gazzetta dello Sport" kritisierte erstmals "den kleinen argentinischen Möchtegern-König".
Anderntags trieb der Argentinier in einem lokalen Privatsender die Entfremdung weiter voran: Er habe genug von dieser Stadt und den "Kretins", die seine unbeschreiblichen Opfer für Neapel nicht zu schätzen wüßten. Vorhaltungen über seinen unprofessionellen Lebenswandel, der von Discobesuchen, Amouren und Freßlust bestimmt wird, beantwortete er einfallsreich: Er sei schließlich gezwungen, sein Privatleben in die Nacht zu verlegen, denn nur dann finde er "Ruhe vor den Fans".
Die verbalen Dribblings erinnern stark an Maradonas Abgang aus Spanien. Beim FC Barcelona hatte der Argentinier Fans und Vereinsführung mit Erfolg genervt. Die Katalanen waren am Ende froh, ihren teuren Egomanen für 24 Millionen Mark an Neapel verkauft zu haben.
Auch in diesem Sommer hatte Maradona ein Alternativangebot vorliegen. Bernard Tapie, Unternehmer und Präsident von Olympique Marseille, bot 27 Millionen Mark. Nach einem persönlichen Gespräch mit Tapie wünschte Maradona sich "nichts sehnlicher", als Neapel zu verlassen. In Marseille erwarte ihn "mehr Ruhe und Respekt".
Doch Maradona mußte einsehen, daß er Gefangener seiner ungeheuerlichen Wirkung auf die neapolitanische Seele ist: Die bloße Ankündigung seines Wechsels nach Frankreich stürzte die süditalienische Metropole in ohnmächtige Trauer. Der Präsident der "Himmelblauen", ein Bauunternehmer namens Corrado Ferlaino, fürchtete das Vakuum, das Maradona hinterließe. Er schlug Tapies überhöhte Offerte aus und verweigerte die vorzeitige Freigabe.
Der Präsident und sein Trainer sind schließlich seit Jahren an Kapriolen des Stars gewöhnt. So findet das Training um zehn Uhr morgens grundsätzlich ohne ihn statt, auf die nachmittäglichen Übungen verzichtete er in der vergangenen Saison rund 70mal. Lieber vertraute er einem persönlichen Fitneßtrainer, der ihn in seinem Haus trimmt.
Immer häufiger von einem chronischen Rückenleiden geplagt und anfällig für Gelenk- und Muskelverletzungen, versäumte er im Vorjahr zehn Meisterschaftsbegegnungen und flog oftmals, auf Kosten des Klubs, im Privatflugzeug erst wenige Stunden vor Anpfiff zu den Spielen des SSC Neapel. Das alles konnte sich Maradona erlauben - schließlich hatte seine Spielkunst den Neapolitanern 1987 erstmals in der über 60jährigen Vereinsgeschichte den italienischen Meistertitel beschert.
Doch jetzt, so deuten die Kommentatoren der großen Sportzeitungen, habe der Argentinier den Bogen überspannt. Obwohl die Elf im Mai den Uefa-Pokal gewann, scheint der Maradona-Kredit aufgezehrt. Die Zahl der Dauerkartenbestellungen, die in den Jahren zuvor meist über 70 000 lag, hat sich auf das Normalmaß aus der Vor-Maradona-Zeit halbiert.
Auch in der Region büßt Maradona zunehmend Sympathie ein. Nur noch 48,5 Prozent der Neapolitaner bekennen sich laut "Guerin Sportivo" zu Maradona. Ob sich ein Champion wie er "alles erlauben" dürfe, verneinten 69 Prozent der Befragten.
Die Verklärung in Neapel könnte demnächst weiter gedämpft werden: Anfang September muß sich der Star einem Vaterschaftstest unterziehen, den die 24jährige Cristina Sinagra gerichtlich durchgesetzt hat. Die Neapolitanerin behauptet, der Argentinier sei der Vater ihres mittlerweile zweijährigen Sohnes Diego Armando junior. Mit allen juristischen Winkelzügen hatte Maradona die genetische Analyse zu verhindern gesucht. Ist Maradona Vater des Sinagra-Sohnes, urteilt "Intrepido Sport", sei er im kinderverrückten Neapel fortan ein "gebrannter Mann".