MINISTERPRÄSIDENTEN Eiserner Mann
In der Wiesbadener Staatskanzlei hat die Polizei immer wieder mal Großeinsatz. Dann sichern zwei Beamte mit Maschinenpistolen das Hauptportal an der Bierstadter Straße. Ein gepanzerter Mercedes fährt durch das Seitentor, ein zweiter Wagen mit Zivilbeamten folgt.
Die Autos stoppen vor einem schäbigen Hintereingang. Die Beamten springen heraus und decken mit ihren Leibern den Mann ab, der aus dem Fond steigt. Vorgefahren und geschützt wie ein gefährdeter Staatsgast wird der Hausherr selber: Walter Wallmann, 56, Hessens Ministerpräsident.
Von den Polizisten sicher abgeschirmt - zwei vor ihm, zwei hinter ihm -, zwängt sich der Christdemokrat durch die engen Gänge des Untergeschosses, schreitet dann über die weite Treppe in den ersten Stock und verschwindet in seinem Dienstzimmer. Die Bodyguard bezieht davor Posten, bis Wallmann seine Amtsgeschäfte erledigt hat. Das dauert nicht lange.
Denn Akten studiert der Chef höchst ungern. Für die wöchentliche Kabinettssitzung veranschlagt Wallmann, wenn er sie nicht ganz streicht, etwa eine halbe Stunde.
Weil die Auftritte des Regierungschefs in der Staatskanzlei selten und kurz sind, müssen seine Mitarbeiter öfter als üblich den Unterschriften-Automaten einsetzen. Der "Eiserne Wallmann", in verschiedenen Ausführungen, stempelt unverbindlich nur den Namen oder ein freundliches "Ihr" davor.
Mit Faksimile ging schon Post ans Kanzleramt, selbst auf Gesetzentwürfe wurde der Namenszug des Ministerpräsidenten gedruckt. Ein Kabinettsmitglied wunderte sich, daß sich der Regierungschef an den Inhalt eines Schriftstücks, auf dem sein Namenszug stand, nicht mehr erinnern konnte - Wallmann hatte das Schreiben nie gesehen.
Daß sich der Ministerpräsident in der Landeshauptstadt so rar macht, verstimmt auch Abgeordnete der CDU-Landtagsfraktion. Vielen Parlamentariern mißfällt zudem Wallmanns "populistisches Kurzfristdenken": Er trete ohne Abstimmung mit vollmundigen Versprechen in Erscheinung, die ihm Pluspunkte einbringen sollen, letztlich aber gar nicht einlösbar sind.
Empört nahmen CDU-Parlamentarier zur Kenntnis, daß der Ministerpräsident im kleinen Kreis die eigene Fraktion als unbedeutend für die Geschicke des Landes hingestellt haben soll. Ein Abgeordneter wirft Wallmann vor, er maße sich ein "gottähnliches" Verhalten an: "allmächtig, aber nie zu sehen".
Die CDU-Fraktion will jetzt mehr Einfluß auf Wallmanns unberechenbare Amtsgeschäfte nehmen. Die Abgeordneten haben bereits durchgesetzt, daß einer von ihnen in eine Schlüsselposition der Staatskanzlei rückt: Seit Anfang des Jahres ist Rolf Müller, 41, bis dahin sozialpolitischer Sprecher der Fraktion, Wallmanns neuer Regierungssprecher.
Auf Drängen vor allem des Dregger-Flügels in der hessischen CDU, der sich mit dem Landesvorsitzenden Wallmann, dem Nachfolger Alfred Dreggers, nie anfreunden konnte, wurde der neue Regierungssprecher in den Rang eines Staatssekretärs befördert. Die Aufwertung ist als Affront gegen Staatssekretär Alexander Gauland, 48, zu verstehen, den Chef der Staatskanzlei. Gauland, schon zu Wallmanns Glanzzeit als Frankfurter Oberbürgermeister und im Bonner Umweltministerium ein treuer Diener, ist im Wiesbadener Regierungsgebäude der einzige Intimus des Ministerpräsidenten.
Daß die Amtsgeschäfte besser gesteuert werden und der Chef vorteilhafter dargestellt wird, ist ein dringendes Anliegen der Hessen-CDU. Denn wenige Wochen vor den Kommunalwahlen am 12. März sind die Partei und ihr Führer in der Gunst tief gesunken.
Binnen anderthalb Jahren ist Wallmanns Image, so eine Erhebung des Sozialforschungsinstituts Infratest, rapide abgesackt: Weit weniger Befragte als zuvor waren letztes Jahr noch der Meinung, daß der Regierungschef "hohes Ansehen" genießt, "politische Weitsicht" hat oder "irgendwie imponiert". Dagegen stieg die Zahl derer, die glauben, Wallmann vertrete "manchmal gefährliche Positionen" und es gehe ihm "zu sehr um die eigene Karriere".
Niederschmetternder noch ist ein Ergebnis des Mannheimer Instituts für praxisorientierte Sozialforschung (Ipos). Nach der von der Staatskanzlei letztes Jahr in Auftrag gegebenen Studie würde die CDU bei einer Landtagswahl um zehn Punkte auf 32,1 Prozent sacken.
Ebenso düster ist eine Ipos-Wählerbefragung für die Kommunalwahl in Frankfurt. Danach rutscht die regierende CDU, durch die Verstrickung von Oberbürgermeister Wolfram Brück in die Bestechungsaffäre bei der Stadtverwaltung angeschlagen, von 49,6 auf nur noch 39,5 Prozent. Die SPD legt um 3,7 Prozentpunkte auf 42,3 Prozent zu und könnte gemeinsam mit den Grünen (Umfragewert: 12,9 Prozent) den Magistrat bilden.
Das Stimmungstief kreiden Christdemokraten dem Ministerpräsidenten an. Denn immer wieder hat sich Wallmann als Krisenmanager profilieren wollen, mit großtuerischen Ankündigungen aber nur verwirrt und Zugzwänge geschaffen:
Die in der Bundesrepublik hin- und hergeschobenen Güterwaggons mit verstrahltem Molkepulver wollte der Ministerpräsident aus Staatsräson in einer mittelhessischen Milchfabrik entsorgen lassen. "Marschall Molke", wie Wallmann verspottet wurde, brachte die gesamte Region gegen seinen Plan auf. Die verseuchte Fracht lagert noch heute in den Güterwagen. Demnächst soll sie, weit weg von Hessen, im Emsland entseucht werden.
Schon vor einem Jahr hatte Wallmann öffentlich verkündet, im Zusammenhang mit dem Bestechungsskandal um die Hanauer Atomfirmen Nukem und Transnuklear gebe es Hinweise, daß Bombenstoff aus der Bundesrepublik an Drittländer geliefert worden sei. Der leichtfertige Verdacht, der auf dem vagen Hinweis eines Journalisten basierte, ist noch immer nicht erhärtet.
Nach der Aufdeckung des Diätenskandals im letzten Juni drängte Wallmann, ohne vorher die Fraktion zu fragen, den Landtagspräsidenten Jochen Lengemann aus dem Amt und versprach, die Bezüge der Abgeordneten drastisch zu kappen. Ein Gesetzentwurf dazu liegt bislang nur von den Grünen vor.
Sorge bereitet dem christdemokratischen Management auch, daß im Landtag, vor allem unter Parteifreunden, mittlerweile unverhohlen über den Alkoholkonsum des Regierungschefs gesprochen wird.
Nach einer Dienstreise durch die Vereinigten Staaten, auf der Wallmann, wie Delegationsmitglieder beobachteten, abends schwankend Empfänge verließ und vormittags Termine nicht einhielt, nannten ihn Begleiter im Bundesstaat Wisconsin anzüglich "Lallmann, Whiskynson".
Wallmanns wiederholte Aufenthalte im Steigenberger-Kurhotel im niederbayrischen Griesbach, in dem die ärztlichen Therapien auf "schnelle Stärkung des Nervensystems und der geistigen Leistungsfähigkeit" zielen, brachte das Frankfurter Sponti-Blatt "Pflasterstrand" damit in Zusammenhang, daß, "wenn der Tag geht", auch "Johnnie Walker zu Walter Wallmann kommt".
Über die doppeldeutige "Pflasterstrand"-Titelzeile "Regierung auf Entzug" erregten sich CDU-Parteistrategen ebenso wie darüber, daß sich Wallmanns Vertrauter Gauland in demselben Szene-Magazin als Autor politisch-philosophischer Beiträge profilierte.
Der getreue Gauland ist mittlerweile wiederholt Opfer der Zornesausbrüche seines in der Öffentlichkeit so verbindlich lächelnden Chefs geworden. Mehrmals schon hat der Ministerpräsident seinen Adlatus rausgeworfen.
Die mangelnde Präsenz "Seiner Scheinheiligkeit", wie ihn Mitarbeiter verspotten, macht es schwer, Wallmanns Termine zu koordinieren. Die Jahrespressekonferenz 1988 des Deutschen Turner-Bundes, dessen Präsident der Landesfürst ist, mußte kurzfristig wegen eines "anderen wichtigen Termins" des Ministerpräsidenten verschoben werden. Beim letztjährigen "Hessentag", einem von der Landesregierung veranstalteten Volksfest, warteten die vom Ministerpräsidenten zu einem Empfang geladenen hohen Offiziere vergebens auf den Gastgeber.
Nur schwer können sich Bedienstete der Staatskanzlei, die sich an die umgängliche Art des früheren SPD-Ministerpräsidenten Holger Börner gewöhnt hatten, mit den Marotten des neuen Hausherrn abfinden. So lehnt es Wallmann grundsätzlich ab, sich vom Cheffahrer chauffieren zu lassen. Er ließ einen Beamten vom Bundeskriminalamt zu sich abstellen. Der organisiert nun die Fahrten mit ausschließlicher Polizeibesatzung, auch für Ehefrau Margarethe.
Der penible Wallmann, der stets mit messerscharfer Bügelfalte auftaucht und sich tagsüber mehrmals den Staub von den Schuhen putzt, verlangt von Untergebenen strengste Etikette. Bei Besprechungen müssen sich selbst Duzfreunde mit dem Titel anreden, das gilt auch für die Minister der Kabinettsrunde.
So zeichnet sich ein erstes Zerwürfnis zwischen Wallmann und seinem neuen Regierungssprecher bereits ab. Staatssekretär Müller, ein Hobby-Fußballer, liebt es hemdsärmlig und bringt eine Referenz mit, die Wallmann zuwider sein muß: Der Grünen-Fraktionsvorsitzende Joschka Fischer hält seinen Sportkameraden Müller für einen "lockeren Typ", der halt nur "in der falschen Partei" sei.