Sowjetunion Reibach in Rubel
Der dreiköpfige Vorstand des nordamerikanischen Bob-Verbandes aus der Olympia-Gemeinde Lake Placid, von Frankfurt über Moskau nach Riga unterwegs, kam billig an russische Rubel: Mehr als 1000 für weniger als 200 US-Dollar. Tags zuvor, am Dienstag vergangener Woche, hätten die Sportmanager für den gleichen Haufen druckfrischer Noten mit den Lenin-Porträts noch das Zehnfache aufwenden müssen.
Doch nicht alle, die letzten Dienstag auf Moskaus internationalem Flughafen Scheremetjewo II eintrafen, waren über die Entscheidung der Sowjetbanker im Bild, ihr bislang künstlich verteuertes Geld abzuwerten - und gleich so kräftig, wie es sich für gewöhnlich nicht einmal ökonomisch schwindsüchtigere Entwicklungsländer getrauen: auf ein Zehntel des bisherigen Tauschwertes gegenüber harten Währungen. Bis vorigen Dienstag gab es für einen Dollar gut einen halben Rubel - jetzt mehr als sechs, für eine Mark 34 Kopeken, jetzt über drei Rubel.
Ein Geschäftsmann aus der Bundesrepublik kam aus dem Staunen nicht heraus, als ihm die Angestellte der Außenwirtschaftsbank für seine 300 Mark statt der erwarteten 100 Trinkgeld-Rubel mehr als 1000 Rubel durch den Schalter schob: "Was soll ich damit anfangen", fragte der überraschte Kursgewinnler, "hier will doch jeder Valuta sehen."
Richtig, doch die Angst, auf der weichen Währung sitzenzubleiben, ist unbegründet: Was nicht ausgegeben wird, darf vor der Ausreise wieder in Mark, Dollar oder Franken zurückgetauscht werden.
Von den Schwarzhändlern in der sowjetischen Hauptstadt, die von der kurzfristig angekündigten Maßnahme vor allem getroffen werden sollten, erwischte es einige kalt: "Verdammt", schimpfte einer vor dem Hotel Ukraina und wollte gar nicht glauben, daß Konkurrent Staat drinnen im Foyer einen besseren Kurs zu bieten hatte als er selbst.
In der Stadt stiegen am Tag, als der Rubel fiel, die diskreten Offerten bis 15 Rubel pro Dollar. Wer sich aufs illegale Hart gegen Weich einläßt, riskiert freilich, einem Provokateur ins Garn zu gehen: Das KGB bietet mit.
"Ein Ausländer mit Selbstachtung", mahnte der Vize-Staatsbankchef Walerij Pekschew, werde sich nun überlegen, ob er "den ganz anständigen offiziellen Kurs der Bank" dem verbotenen Tausch vorzieht. Als einen "großen Schritt in Richtung Konvertierbarkeit" des Rubel wollte Pekschew die Abwertung ohnehin nicht verstanden wissen - eher als "einen ganz kleinen".
Geschäftliche Operationen sind von dem überraschenden Schritt nicht betroffen: Nur Privatleute dürfen von dem neuen Spezialkurs Gebrauch machen. Die einen - Touristen aus dem Westen oder Westler, die in der UdSSR leben - machen einen Reibach; für die anderen - ins Ausland reisende oder für immer emigrierende Sowjetbürger - wird eine Begegnung mit dem Kapitalismus jetzt zehnmal so teuer.
Vor einer Besuchsreise ins westliche Ausland durften bisher pro Kopf 200 Rubel, vor der Emigration 90 Rubel in eine harte Währung getauscht werden. Reiselustige fürchteten schon, die neue Regelung würde das staatlich zugestandene Zehrgeld auf einen vollends lächerlichen Betrag reduzieren, der im Westen kaum fürs erste Taxi reicht.
Doch diese Schmach mochte das Perestroika-Land weder sich noch seinen Bürgern zumuten. Die Wechselquoten wurden kurzerhand ebenfalls verzehnfacht, auf nunmehr 2000 beziehungsweise 900 Rubel. Die Reise oder Auswanderung wird dadurch manchem gewiß ganz unmöglich gemacht: "Da lassen sich die Ausreisebestimmungen leicht liberalisieren", meint ein US-Diplomat, "wenn man zugleich den finanziellen Riegel vorschiebt."
Für Devisen-Geschäftskonten von ausländischen oder Jointventure-Unternehmen aber bleibt in der Sowjetunion alles beim alten: Dort ist jede Guthaben-Mark auch weiterhin nur 34 Kopeken wert, jeder eingelegte Dollar kaum das Doppelte. Hätte man auch sie in die realistischere Bewertung des Rubel einbezogen, wären die Valuta-Einnahmen des Sowjetfiskus etwa aus Mieten und Dienstleistungen für Fremde um 90 Prozent zurückgegangen.
Auch die Privateinlagen von Devisen-Ausländern mag die Außenwirtschaftsbank gegenwärtig noch nicht zum neuen Kurs umrubeln. Wer seine aus der Heimat überwiesene Hartwährung optimal und legal in Landeswährung verwandeln möchte, muß sie abheben und an einen Touristenschalter tragen, wo allein das Zehnfache des nach wie vor "offiziellen" alten Rubelwertes gegeben wird - freilich auch auf die alte Weise: Nach handschriftlicher Eintragung in zwei Listen, Vorlage des Reisepasses, Ausfertigung einer staatlichen Quittung und Protokollierung des Vorganges in einer Zollerklärung.
Am Morgen des ersten Spezialkurs-Tages waren die Umtauschschalter in Hotels und Flughäfen mit der zehnfachen Menge bankfrischer Noten beliefert worden. Am Abend hatten sie weit weniger Devisen eingenommen als jemals zuvor. "Wir wußten natürlich Bescheid", freuten sich schwäbische Moskau-Touristen beim Wechselgeschäft im Hotel Kosmos - und tauschten jeder nur 20 Mark für vier Tage, wo sie "gestern noch 200 ausgegeben" hätten.
"Wem soll das nutzen", empört sich ein Ingenieur aus Gorki, der einen Freund aus England am Flughafen erwartet, "außer den Spekulanten und einigen anderen Glücklichen, die auf irgendeine Weise an Valuta herankommen?"
Die verstünden es, sich vor dem schnellen Verfall des Rubel zu schützen, aber "mein Monatseinkommen von 250 Rubel war bislang rund 740 Mark wert, und ab heute arbeite ich für 45 Pfennig die Stunde - eine nationale Schande".