30.01.1989
Eine Affenliebe
SPIEGEL-Redakteur Hellmuth Karasek über den Fossey-Film „Gorillas im Nebel“
Wie schwarze, schwere, glänzende Steine hocken sie bewegungslos im Regen auf einer Lichtung im ruandischen Tropenwald - so als ließen sich in dieser bewegungslosen Einheit der Regen und der Wald und die Familie der Berggorillas nicht mehr trennen und auseinanderlösen.
Und am Rand, in eine Regenpelerine gehüllt, kauert Dian Fossey (Sigourney Weaver) schwarz bei den von ihr geliebten Primaten. Erst als die Kamera näherfährt, wird dieses Bild von einer menschlichen Regung gestört: Über das Gesicht der Weaver rinnen Tränen. Ihr Freund hat sie gerade verlassen, nachdem er sie vor die Entscheidung, mit ihm zu gehen oder für immer bei ihren Gorillas zu bleiben, gestellt und sie sich gegen ihn entschieden hat.
In dieser Szene, die melodramatisch und sentimental und schön ist, sucht Michael Apteds "Gorillas im Nebel" den Schlüssel zu der Geschichte der ebenso rabiaten wie leidenschaftlichen Tierfreundin und Gorilla-Schützerin Dian Fossey.
Sicher ist, daß der missionarische Eifer, mit dem die Fossey die vom Aussterben bedrohten Berggorilla-Familien in Ruanda zu retten suchte, die wahnhaften Züge einer Affenliebe trug. In Tierhandlungen steht oft, meist vom Bild eines treublickenden Dackels begleitet, der Spruch: "Seit ich die Menschen kenne, liebe ich die Tiere." Dieser Menschenhaß mit Schonbezug hat sicher auch die Aktivitäten und Taten Dian Fosseys beflügelt.
Ihren barschen Umgang mit Fremden, ihre aus Mißtrauen geborene Einsamkeit, ihre koloniale Attitüde Schwarzen gegenüber, die ihr freundlich gesinnt waren und ihre Haßausbrüche gegen Eingeborene, die ihren Affen zu nahe treten wollten - das alles verschweigt der Film, unterschlägt Sigourney Weaver keineswegs. Aber da das Gesicht dieser eindrucksvoll selbstbewußten Schauspielerin eine stetige Entschlossenheit, Sicherheit und gewinnende Wärme ausstrahlt, geraten noch die krankhaften Übersteigerungen der Fossey zu Details eines Heldenporträts und Hohelieds.
So gerecht der Film sein möchte, sosehr er zeigen will, wie gleichgültig der Tierschützerin das menschliche Elend der Dritten Welt war - er gerät zum Appell für die Ideen und Taten einer Frau, die im weitesten Sinne ihr Leben für das ihrer tierischen Schützlinge opferte.
Das wäre nur dann schlimm, hätte der Film sich nichts anderes vorgenommen als ein gerechtes Bild einer Frau zu zeichnen, die die fanatische Engstirnigkeit und die psychischen Defekte einschließlich ihrer Alkoholsucht brauchte, um ihre Ziele ohne Zweifel und Skrupel verfolgen zu können. Aber was "Gorillas im Nebel" auszeichnet, ist, daß er mehr ist als eine verfilmte Biographie und weniger als ein ökologisches Pamphlet: Es ist ein Kinofilm und (damit) ein Märchen, in dem sich momentane kollektive Schuldgefühle, Sehnsüchte und Hoffnungen spiegeln.
Tierliebe, wie sie das Kino der letzten Jahre mit dem Tarzanfilm "Greystoke" auslöste, entspringt gewiß dem bildhaft gemachten schlechten Gewissen der Menschen, die alle ahnen, wie weit sie die Natur, ihr einziges gleichwertiges Gegenüber und gleichzeitig ihren einzig tragenden Grund, schon unheilbar zerstört haben.
Solch heldenhafte Verzweiflungsakte, wie sie die Film-Fossey vorlebt, sind wie letzte Kriegszüge gegen den Feind, der Fortschritt, kapitalistischer Raubbau, Zivilisation, Tourismus und sonstwie heißt, ihre Heldin muß zu einer Art heiliger Johanna der Affen verklärt werden, ihre Sache muß, so vielschichtig, zweifelhaft und zweideutig sie in Wahrheit auch gewesen sein mag, zur guten Sache avancieren.
Die Wahrheit des Kinos ist diese einseitige Wahrheit der verzweifelt gerechten einen Sache. Das leistet "Gorillas im Nebel" mit einer melodramatischen Selbstverständlichkeit, die durch ihre Kraft Bedenken von Kitsch und Sentimentalität gar nicht erst aufkommen läßt.
Filme verknappen ein Leben zwangsläufig auf eine Geschichte, die in sich eine logische, zumindest konsequente Entwicklung hat - wenn das im Leben so wäre, dann wäre Gott im Hauptberuf Dramaturg oder Drehbuchautor. Die Fossey, wie sie der Film schildert, ist eine Frau, die nach einem Vortrag eines großen Tierforschers ein Erweckungserlebnis hat, nach Ruanda geht, dort entschlossen und verbissen mit allen Strapazen fertig wird und ihren Kampf für die Affen aufnimmt. Sie verliebt sich in einen Photographen, der aber nicht bereit ist, mit ihr für immer auf die Zivilisation zu verzichten. Um so gründlicher muß sie sich ihren Schützlingen zuwenden, die sie rettet; auch um den Preis ihres Lebens.
Filme können ihren Lohn nur in Bildern auszahlen, die Gefühle wie in einem dauerhaften Spiegel einfangen. In Spielbergs "E. T." war die Kinderhand, die liebend von der Hand des Außerirdischen berührt und damit animiert wird, so ein Zeichen, das unübersehbar auch auf Michelangelos Erschaffung Adams anspielte.
In "Gorillas im Nebel" liegt die Heldin in einer Szene im Grünen auf dem Rücken und streckt vorsichtig ihre Hand aus. Da streckt ihr Lieblings-Gorilla auch behutsam seine Pfote aus, die beiden Hände berühren sich, Natur und Mensch sind für einen Augenblick liebend versöhnt, auch hier wird der Anklang an Michelangelo gesucht.
Doch der Film weiß, was er tut: Die Szene der zarten Vereinigung wird vom menschlichen Rivalen des Primaten gefilmt und dokumentarisch festgehalten. Das Paradies ist verloren, und hätten wir das Kino nicht erfunden, so ließe es sich nicht einmal in gefilmten Bildern wieder zum Leben erwecken.
Von Hellmuth Karasek
DER SPIEGEL 5/1989
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