Geißler: „Es geht um die Glaubwürdigkeit“
Sie haben "totalitäre Ziele", wollen die Wirtschaft ruinieren und die Bundesrepublik von der Sowjet-Union abhängig machen; kurz, der Untergang ist gewiß, wenn Grüne an der Seite der Sozialdemokraten die Macht erringen und das rot-grüne Chaos auslösen sollten - sagt der CDU-Generalsekretär.
Doch seltsam, Heiner Geißler, der Meister des groben Keils, zögert zuzuschlagen.
Nicht Skrupel lähmen seinen Arm. Er selber schließlich hat jene Kampagne geplant und vergangene Woche Probe laufen lassen, die in den kommenden zwei Jahren das politische Leben der Bundesrepublik prägen soll, bei allen Kommunal- und Landtagswahlen bis hin zur Bundestagswahl Anfang 1987.
Geißler zweifelt am Erfolg des Feldzugs. Der Generalsekretär hält die christlich-liberale Koalition des Helmut Kohl einstweilen für zu schwach, um diese Auseinandersetzung zu bestehen: "Eine wichtige Voraussetzung ist bisher nicht erfüllt, nämlich eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den Grünen. Die müssen wir in den nächsten Monaten führen."
Um die durchhalten zu können, braucht die Regierung allerdings auch, vor allem im Umweltschutz, "unzweideutige rasche Entscheidungen". Geißler: "Darin besteht das Glaubwürdigkeitsproblem der Regierung."
Da hat der CDU-Manager wohl recht. Seit knapp zwei Jahren regiert die CDU/ CSU-FDP-Koalition, und im Bundestag ist noch kein einziges Gesetz zum Umweltschutz verabschiedet worden. Die Koalitionspolitiker verheddern sich im grünen Unterholz.
Auf Betreiben des Kanzlers hatte sich die Koalition im Bundestag zu der Resolution aufgerafft, die "Dreckschleuder der Nation" - das Kohlekraftwerk Buschhaus bei Helmstedt - dürfe nur mit einer Entschwefelungsanlage in Betrieb genommen werden. Per Sondersitzung im Parlament kassierten die gleichen Koalitionspolitiker dann wieder ihre Entschließung. Das Verwaltungsgericht Braunschweig kassierte letzte Woche wiederum die Bundestagsentscheidung: Buschhaus darf einstweilen nicht ans Netz gehen (siehe Seite 25).
"Die Bundesregierung", höhnten die Grünen, "stürzt damit vom Sommerloch ins Herbstloch."
Auch im Kampf gegen sterbende Wälder und im Streit um Subventionen für abgasarme Autos wirken Bonns Regierende konzeptionslos und unglaubwürdig (siehe Seite 26). Die Koalition, verstrickt in innere Auseinandersetzungen, überläßt den Grünen das Feld: Sie versäumt
es, Bürgerängste aufzunehmen und wachsende Sensibilität der Wähler gegenüber Umweltgefahren politisch umzusetzen. Polemische Ausfälle, so fürchtet Geißler zu Recht, bringen den Regierenden da keinen Gewinn.
Auch sein Vorgänger im Amt des CDU-Generals, der jetzige westfälische Landesvorsitzende Kurt Biedenkopf, warnte vor blindwütiger Propaganda gegen die Grünen. Sie orteten schließlich allgemeine Gefahren und ließen sich, im Gegensatz zu den etablierten Parteien, nicht hindern, darüber auch laut zu reden. Gerade deshalb seien die Grünen im Aufwind - sie stellten wenigstens die Fragen, auf die alle noch keine vernünftige Antwort hätten.
Sorge wegen der weiteren Zerstörung der Umwelt hat inzwischen die Furcht der Bundesbürger vor einem Verlust ihres Arbeitsplatzes eingeholt. Mehr als 90 Prozent bewerten Zukunftsängste um Arbeitsplatz und Umwelt gleichrangig, wie jüngste Umfragen der Institute Sinus und Infratest ergaben.
Die Meinungsforscher ermittelten, daß Umweltthemen keineswegs nur eine bestimmte Parteiklientel beschäftigen. Sie plagen konservative Bürger ebenso wie Aus-, Auf- oder Einsteiger. Wirksamen Umweltschutz verlangen nicht nur Sympathisanten der rot-grünen Parteien, auch Unionswähler aus höheren Ständen und bürgerlicher Herkunft fürchten sich vor Umweltschäden sogar inzwischen stärker als traditionell den Sozialdemokraten zugewandte Wähler aus dem Industriearbeitermilieu.
Geißlers und Biedenkopfs Erkenntnisse haben den CDU-Vorsitzenden Helmut Kohl allerdings bisher nicht erreicht - oder jedenfalls nicht beeindruckt. Zurück vom Wolfgangsee, vergab der Kanzler letzte Woche die Chance, die Erinnerung seiner Wähler an Sommerloch und Sommertheater mit Tatkraft oder wenigstens Entschlußfreude verblassen zu lassen.
Sein öffentliches Versprechen, nach dem Urlaub werde in Bonn aufgeräumt, blieb ein Versprecher: "Ich habe keine Probleme", verkündete der Kanzler vergangenen Freitag auf einer Pressekonferenz, "entscheidend ist, was hinten rauskommt."
Doch was kommt da raus?
Kohl tat nichts, um all jene seiner Anhänger zu beruhigen, die in ihrem Glauben an den CDU-Kanzler irre werden, deren Skepsis wächst, daß es am Ende um die Regierungskünste des Helmut Kohl doch nicht zum besten bestellt sei. Ein Kohl-Zuarbeiter über die Stimmung bei den Bürgern: "Die Inflationsrate unter zwei Prozent rauscht an vielen glatt vorbei, aber wenn das Kabinett nicht beschlußfähig ist und keine Ordnung herrscht, das behalten die."
Von Ordnung kann in der konservativen Koalition wirklich nicht die Rede sein. Die Regierung, die den "rot-grünen Chaoten" (Geißler) ans Leder will, produziert selber nur Tohuwabohu.
Kaum war der Besuch von SED-Parteichef Erich Honecker angekündigt, kamen die alten Berührungsängste bei den Unierten wieder hoch. Alfred Dregger, Vorsitzender der CDU/CSU-Fraktion, versprach sich nicht, als er zu Protokoll gab: "Unsere Zukunft hängt nicht davon ab, daß Herr Honecker uns die Ehre seines Besuches erweist." Er artikulierte einen in der Union verbreiteten Widerwillen gegen das Gespräch.
Und mit einer nur scheinbaren Richtigstellung letzte Woche bestätigte er nur aufs neue diesen Widerwillen: Sein "Stückchen Ironie" beziehe sich ja nicht auf "die Person des Generalsekretärs", sondern nur auf "die Bedeutung seines Besuches".
Eben.
Der Wille zur Kontinuität, die der Kanzler und sein Vizekanzler Hans-Dietrich Genscher auf dem schwierigsten Feld deutscher Außenpolitik wahren möchten, überfordert halt alle in der CDU/CSU, die einst die Ostpolitik der Sozialliberalen verteufelten. Verständigungs- und Dialogbereitschaft werden in Frage gestellt - Sozialdemokraten und Grünen kann es nur recht sein.
Die gebeutelten Liberalen glauben gar, die Kräche und Pannen im Regierungslager wie ehedem dem großen Partner allein zuschieben und für sich nutzen zu können. Christdemokraten und Christsoziale, so FDP-Generalsekretär Helmut Haussmann, hätten immer gehöhnt, "einen Sauladen hätten sie übernommen, jetzt relativiert sich deren angeblich so große Staatskunst". Haussmann hat auch den Ort der Mangelerscheinungen gesichtet: "Wenn es Knatsch gibt, ist der immer zu lokalisieren - bei Zimmermann oder im Kanzleramt."
Kohl läßt die Dinge treiben. Nach der ersten Sitzung des CDU-Präsidiums nach der Sommerpause am vergangenen Montag - befragt, was die CDU jetzt anders machen werde - gab der Kanzler auf Kohl-Deutsch zurück, es seien sich alle einig, "daß alles, was da an Gerede war in diesem Sommer, im Sommerloch weggefallen ist".
Das Gerede? Der Sommer? Oder das Loch?
Kohl hat seinen Anspruch, die geistige Führung im Lande - was immer das sei - zu übernehmen, nicht erfüllt. Er hat es
nicht vermocht, seiner Kanzlerschaft klare Ziele zu setzen außer dem, an der Macht bleiben zu wollen. Er verzettelt sich im Regieren, und die eigene Parteibasis merkt es immer deutlicher.
FDP-Chef Genscher nutzt die Schwächen aus. Er will seinen Bündnispartner CDU in die große Auseinandersetzung mit den Grünen treiben. Kaum hatte der stellvertretende FDP-Landesvorsitzende von Nordrhein-Westfalen, Rudolf Wickel, die SPD und die Grünen in die Nähe der Nationalsozialisten gerückt (Schon damals hätten die meisten "ein bestimmtes Buch nicht gelesen" - gemeint war Hitlers "Mein Kampf"), nahm Genscher letzte Woche selbst den Hammer: "Zum wirtschaftlichen Ruin der Bundesrepublik Deutschland" werde das Treiben der Grünen führen; und die Gewerkschaften rief der Chef-Liberale auf, ihn gegen rot-grünes Treiben zu unterstützen.
Genscher geht es darum, im Vier-Parteien-System die beiden Blöcke zu verfestigen, den Graben zwischen beiden Lagern zu vertiefen. So will er die Union fest an seine Partei, den Dackel an den Schwanz kitten, der Union klarmachen, wie existenznotwendig auch für Christdemokraten das Überleben der FDP sei.
Wenn die Polarisierung erst mal fortgeschritten ist, dann kann die Union, so Genschers Kalkül, nicht mehr fremdgehen.
In Erinnerung an die lange unklare Lage im hessischen Landtag, wo zuweilen auch eine Große Koalition zwischen SPD und CDU ins Gespräch kam, fürchtet Genscher, auch Nordrhein-Westfalens Christdemokraten könnten am Ende eine Koalition mit den Sozialdemokraten eingehen - ein Gedanke übrigens, der dem CDU-Spitzenkandidaten Bernhard Worms gar nicht so fremd ist. Ein rot-schwarzes Bündnis aber muß Genscher noch mehr fürchten als eine rotgrüne Zusammenarbeit.
Auf die bevorstehende Konfrontation haben sich die Sozialdemokraten noch nicht eingerichtet.
Die SPD, die einst unter Willy Brandts Kanzlerschaft mit Ostverträgen erfolgreich und zu inneren Reformen ambitioniert war, hatte sich mit Helmut Schmidt zu lange nach rückwärts orientieren müssen. Kohls Vorgänger regierte mit Krisenmanagement und eher konservativer Wirtschaftspolitik; er mühte sich, den Wachstumstraum der fünfziger und sechziger Jahre in Politik umzusetzen. Was sich in der Partei an neuen Ideen regte, vom Verlangen nach qualitativ orientiertem Wachstum bis hin zu ökologischen Konzepten, wurde von Schmidt und seinen Genossen verschüttet.
Für den unter Schmidt ausgegrenzten, jetzt wieder ins Präsidium berufenen Vordenker Erhard Eppler ist das, was derzeit von Kohl und Genscher in Bonn betrieben wird, "nichts anderes als das Satyrspiel nach der Tragödie der Regierung Schmidt".
Doch all jene Sozialdemokraten, die geglaubt hatten, Schmidts Abgang und die Befreiung von Regierungs- und Koalitionszwängen setze auch neue Gedanken frei, freuten sich zu früh. Die neue, grüne Konkurrenz am linken Rand in der Umwelt- und Friedenspolitik hat bereits Sympathisanten und Wähler abgesprengt. Die "zweitbesten Antworten" (SPD-MdB Heinz Rapp) reichten offenbar doch nicht aus.
Die SPD ist, knapp zwei Jahre nach der Wende, immer noch in der Defensive - der Koalition gegenüber wie auch der grünen Mit-Opposition. Alternativen zur "Pannenregierung" (SPD-Sprecher Wolfgang Clement) sollte sie anbieten; doch in Wirklichkeit muß die Partei sich anstrengen, in der Öffentlichkeit nicht zwischen Regierung und Grünen in Vergessenheit zu geraten.
SPD-Chef Willy Brandt, der nach der hessischen Landtagswahl im Herbst 1982 eine mögliche "Mehrheit diesseits der Union" entdeckt hatte - und dafür von Parteirechten getadelt worden war -, will den mühsam erreichten Minimalkonsens nicht wieder zerstören: die Grünen als real existierende, demokratisch gewählte Kraft zu akzeptieren und nicht die grüne Opposition ins Aus zu drängen. Lange genug hatte Hessens Ministerpräsident Holger Börner gebraucht, ehe er kapiert hatte, daß Dachlatten zum Nageln, nicht zum Prügeln da sind und daß er nur mit Duldung der Öko-Partei im Amt bleiben durfte.
Die Partei schwankt. Unvereinbarkeit mit grüner Politik predigen unverdrossen gestandene Genossen wie Hermann Heinemann, der Vorsitzende des mitgliederstärksten SPD-Bezirks Westliches Westfalen, wie Günter Samtlebe, der Oberbürgermeister von Dortmund, oder die Vorsitzenden der Bergbau- und Chemiegewerkschaften, die Bundestagsabgeordneten Adolf Schmidt und Hermann Rappe. Gesinnungsfreund Hans Apel hat sich für die Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus im nächsten März bereits festgelegt: keine Kooperation mit den Alternativen. Dagegen rüstet sich Rüstungsgegner Oskar Lafontaine zu einer echten Koalition, wenn er im März 1985 als Sieger aus der saarländischen Landtagswahl hervorgehen sollte.
Dazwischen jonglieren in Bonn Oppositionsführer Hans-Jochen Vogel und in Düsseldorf SPD-Ministerpräsident Johannes Rau, der im nächsten Mai in Wahlen gehen muß. Beide wollen mit den Grünen flirten, an Verlobung denkt keiner: der eine aus Sorge, die Bundestagsfraktion zu entzweien, der andere in der Gewißheit, Proteste in der traditionell gewerkschaftlichen Stammwählerschaft auszulösen, die sich schon bei den Kommunalwahlen am 30. September negativ auswirken könnten.
Immerhin können sich die Genossen frohmachen, auch während der von den Bürgerlichen düster beschworenen "Hamburger" und "Hessischen Zustände" sei bisher jedes Mal, wenn rot und grün ein Zusammenspiel probten, jede Abart von Chaos ausgeblieben.
Guter Dinge sind bei alldem die Grünen. Die von Geißler gewünschte inhaltliche Auseinandersetzung zwischen Koalition und Opposition schreckt sie nicht: "Wir warten fieberhaft darauf", so Grünen-Sprecher Heinz Suhr.
Und auch der Grünen-Abgeordnete Joschka Fischer glaubt, die Koalition laufe in eine selbstaufgestellte Falle: "Das rot-grüne Gespenst zieht bei unseren Wählern nicht, das ist für uns nur Werbung."