„Sterben, bevor der Morgen graut“
Die Zeichen stehen schlecht. Aids hat die Welt umrundet. In allen Kontinenten steigt die Zahl der Infizierten, der Erkrankten, der Toten. Die Ärzte sind völlig hilflos. Sie können die Gesunden nicht schützen und die Kranken nicht heilen. Mit ihrer Macht ist nichts getan.
In fröhlicher Runde haben sich am letzten Wochenende, ganz vorsichtig gerechnet, mindestens 300 Deutsche mit Aids angesteckt. Voran die jungen homosexuellen Männer, denn die Darkrooms, Gay-Saunen, -Keller und -Liegewiesen, die "Klappen" und Pornokinos sind bumsvoll wie eh und je. Keine Rede davon, daß diese Treffpunkte des anonymen Sex irgendwo unter Publikumsmangel litten oder von Amts wegen überwacht, gar geschlossen würden. Wo der schnelle Wechsel von Mann zu Mann seine Heimstatt hat, herrscht Hochkonjunktur wie seit zehn Jahren.
Gute Laune und erfreuliche Umsätze auch bei den Prostituierten, jetzt, wo alle Männer aus dem Urlaub heimgekehrt sind und noch nicht für Weihnachten sparen müssen. Die meisten Damen arbeiten, weil der Kunde es so wünscht, noch immer ohne Kondome. Für ein Aufgeld sind die risikoreicheren Sonderleistungen zu haben. Die schnelle Mark lindert jede Angst - und so schlimm ist es mit der Aids-Furcht im alten Gunstgewerbe nicht. Man lebt, man liebt, das nächste Jahrzehnt ist ganz weit weg.
Acht, höchstens zwölf Stunden voraus planen die heroinsüchtigen Fixerinnen, genau die Frist bis zum nächsten "Druck". Auch sie waren am Wochenende wieder unterwegs, als "Beschaffungs"-Prostituierte, auf dem Baby- oder Bahnhofsstrich. Niemand hat sie beim "Anschaffen" gestört, keiner ihnen einen Ausweg gewiesen. Für ein paar grüne Scheine haben sie schnell, schnell alles gemacht, was gewünscht wurde. Am Ende kamen als Lohn die große Ruhe und ein warmes Gefühl des Glücks über sie - aus einer dreckigen Spritze, deren Nadel Aids weitergibt.
Immer wieder dieselbe Nadel, schartig schon und verschmutzt durch Blut aus vielen Adern - wie anders sollen sich die eingesperrten Fixer ihren Druck machen? Auch an diesem Wochenende galt in Deutschlands Gefängnissen und Entziehungsanstalten nicht dem fehlenden Stoff die Hauptsorge, sondern dem Besteck. Heroin findet seinen Weg in jeden Knast, das Aids-Virus auch.
Vor allem aber hat die Liebe den heimtückischen Keim weiterbefördert - vom bisexuellen US-Soldier auf das pummelige Mädchen in Hessen oder Rheinland-Pfalz; vom arbeitslosen Traveller auf die kosmopolitisch fühlende Studentin; von der Sachbearbeiterin auf den Herrn Abteilungsleiter. Nach der Disco, vor der Party, während des Klubabends. Der bösartige Erreger, den man nicht sehen und nicht spüren kann, sucht seine Opfer blind und rücksichtslos. Die meisten werden später nicht einmal sagen können, wann und wo sie sich angesteckt haben.
Von den 300 Aids-Infizierten des letzten Wochenendes werden mindestens 30 an der Seuche sterben. Das ist die optimistische - alles in allem: ganz unrealistische - Prognose. Es kann sein, daß 100 von ihnen sterben müssen und die anderen 200 chronisch krank werden. Wenn es sehr schlimm kommt, werden alle 300 Infizierten an Aids erkranken und alle an Aids sterben.
Manche schon im nächsten Jahr. Viele erst im kommenden Jahrzehnt. Einige wenige noch nach dem Jahr 2000.
Die Seuche breitet ihre dunklen Flügel aus. Man kann es sehen - doch die meisten schauen lieber weg. Die apokalyptische Vision des Untergangs überfordert die Medizinalbürokratie, die Schwulen, die Fixer. Sie alle leben, als ob es kein Morgen gäbe.
Wenn am letzten Wochenende von fliegenden Standgerichten einer Terrorgruppe
dreißig Deutsche wahllos herausgegriffen und nach kurzem Prozeß zum Tode verurteilt worden wären, ginge ein Schrei des Entsetzens durch das Land. In Bonn tagte der Krisenstab in Permanenz, selbst die führenden Politiker verstünden plötzlich, worum es sich handelt. Bischöfe faßten ihr Kruzifix fester, Freiwillige würden sich, das Hemd offen, zwischen die Hinrichtungspelotons und deren Opfer stellen.
Aber so, bei Aids, einem lautlosen Tod, der jetzt nur die Namen der Opfer notiert und sie dann noch mal laufen läßt, an langer Leine? Da passiert erst mal gar nichts, es wird Ruhe bewahrt und auf Gott vertraut.
Dr. Karsten Vilmar, der Präsident der Bundesärztekammer, hat im Fernsehen große Mühe, zwischen Bakterien und Aids-Viren zu unterscheiden. Er war vor langer Zeit mal Chirurg und arbeitet nun als Facharzt für Schriftverkehr. Vilmar hat ganz andere Sorgen als ausgerechnet Aids, gibt doch die bedrohliche finanzielle Lage der deutschen Ärzteschaft ihrem Präsidenten immer wieder Anlaß, in Bonn energisch zu intervenieren.
Als Gesundheitsministerin amtiert dort seit wenigen Wochen die Pädagogik-Professorin Rita Süßmuth. Ihr Vorgänger, der Generalsekretär der CDU, Heiner Geißler, hat das Amt nur en passant geleitet. Aids ist ihm nicht in den Blick geraten. Frau Süßmuth, die dereinst nur mit der Elle Aids gemessen werden wird, räumt der Seuchenbekämpfung zwar hohe Priorität ein - doch es stürmt, sagt sie, "so vieles auf mich ein": vor allem "das Erziehungsgeld, Formaldehyd und das Weingesetz". Das erste Problem ist zehn Jahre, das zweite 100, das dritte gut 1000 Jahre alt.
Rita Süßmuths Oberhirte, der Kölner Erzbischof Joseph Kardinal Höffner, 78, hat Anfang Oktober mitgeteilt, daß "Aids nach christlicher Auffassung keine Strafe, sondern eine Heimsuchung Gottes" ist. Daraus folgt logischerweise, sagt Höffner tröstend, "daß die Krankheit so ist wie ein Teppich, der auf der falschen Seite liegt. Aber Gott wird zu der Zeit, die er bestimmen wird, den Teppich auf die richtige Seite legen".
Zwar schwant vielen, daß sich mit Gottvertrauen allein gegen die Seuche wohl nichts ausrichten lassen wird. Doch an kühnen, weitausgreifenden Anti-Aids-Konzepten herrscht nicht nur in Deutschland ein totaler Mangel. Gefragt wären Strategien, die der lautlosen Verbreitung des tödlichen Virus sofort viele Riegel vorschöben. Angesagt und als Erfolg gefeiert werden statt dessen banale Kleinigkeiten, wie Anfang Oktober die Fertigstellung des ersten Aids-Flugblattes der "Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung" - vier Jahre nach Ausbruch der Seuche.
Daß selbst kluge und kenntnisreiche Seuchenexperten sich mit Anti-Aids-Strategien so zurückhalten, hat drei Gründe: *___Die Seuche grassiert noch immer vornehmlich in den ____gesellschaftlichen Randgruppen der promisken ____Homosexuellen und der drogenkranken Fixer, deren ____bemitleidenswertes Lebensschicksal man nicht durch ____zusätzliche Repression erschweren möchte - also läßt ____man auch, um sich und anderen die Erinnerung an KZs, ____rosa Winkel und Pogrom zu ersparen, alles schleifen. ____Das kostet am Ende zwar mehr Angehörige der ____Risikogruppen Gesundheit und Leben als eine ____rechtzeitige, notfalls energische ____Interventionsstrategie, wie sie das Seuchengesetz ____vorschreibt, plagt aber nicht das Gewissen. *___Weil Aids vor allem auf sexuellem Wege übertragen wird, ____stoßen alle denkbaren Eindämmungsstrategien
auf die starke Zeitströmung, die das Sexualverhalten von Tabus, Fesseln und Diskriminierung weitgehend befreit hat und es dabei natürlich auch belassen will. Deshalb wird Aids nicht als gefährliche Infektionskrankheit und Seuche, sondern vor allem als unerfreuliches psychosoziales Phänomen betrachtet. *___Schließlich wiegten sich bis vor kurzem auch viele ____Ärzte in der Illusion, so richtig schlimm werde das ____Virus nicht sein, es werde wohl 90 Prozent der ____Infizierten am Leben lassen. Außerdem könne es nur ____"zwei oder drei Jahre" dauern, bis ein Impfstoff zur ____Verfügung stehen werde.
Diese "zwei oder drei Jahre", seit 1981 jeweils neu als Frist annonciert, sind jetzt endgültig um. Vor 1990, so erklärte Ende September der Sprecher des US-amerikanischen "Public Health Service", werde "weder eine Schutzimpfung noch eine Behandlung" zur Verfügung stehen. Die "New York Times": "Nun ist der Pessimismus offiziell."
Er hat noch eine zweite, viel dunklere Seite: Die weitverbreitete Hoffnung, bei den meisten Infizierten, den im Aids-Test "Positiven", werde sich ein erträgliches Gleichgewicht zwischen den Viren und dem menschlichen Organismus einstellen, ist offenbar falsch. Langsam, aber sicher driften immer mehr Infizierte in die manifeste Aids-Krankheit ab.
Anders als Pocken, Pest und Cholera, Krebs und Herzinfarkt kennt Aids keine Gnade, für niemanden. Nur der Tod heilt diese Krankheit.
Solange es weder Schutzimpfungen noch Heilmittel gibt, ist deshalb die Verhinderung der Ansteckung die einzig mögliche Anti-Aids-Strategie. Im Grundsatz haben das manche potentielle Aids-Opfer inzwischen verstanden, meist nur im Grundsatz.
In den Hochburgen der amerikanischen Homosexuellen - sie stellten 1982 rund 72 Prozent, ein Jahr später 73 Prozent und 1984 sogar 74 Prozent der Aids-Opfer - läuft, mit Millionen-Dollar-Aufwand, seit Jahren eine "Safer Sex"-Kampagne. Propagiert werden Kondome und nichtinvasive Sexualpraktiken, meist phantasievoll aufgemotzte Onanie in Gruppen. Obgleich sich grundsätzlich alle an "Safer Sex" halten wollen, hat die Durchseuchung kontinuierlich zugenommen: In den USA sind jetzt rund 70 Prozent der promisken Schwulen mit dem Aids-Virus infiziert.
Das liegt nicht daran, daß die empfohlenen Praktiken etwa besonders unzuverlässig wären, sondern an der Unzuverlässigkeit der Praktikanten - mehr oder minder häufig treiben sie es eben doch so bunt und gefährlich wie in den
alten Zeiten, als Aids noch nicht mal als Wort existierte. Doch der eine, der "one wrong fuck" kann reichen - wenn drei von vier möglichen Partnern das Virus schon im Blut haben, beträgt die Chance, einem noch Gesunden liebevoll zu begegnen, gerade noch 25 Prozent.
Auch die Kleingruppen-Strategie ist gescheitert. Die Aids-Furcht im Nacken, hatten sich in den USA Sechser-Gemeinschaften von gesunden Homosexuellen gebildet und einander geschworen, mit niemandem außerhalb des Zirkels intim zu werden. Längstens nach drei Monaten, so berichtete der erfahrene Dr. Marcus A. Conant (er hat die ersten Aids-Erkrankungen diagnostiziert) seinen deutschen Kollegen, sei einer der Verschworenen eidbrüchig geworden und, zwei doppelte Wodka im Leib, in die Klappe verschwunden. So fand das Virus immer wieder sechs neue Opfer.
Obgleich das Desaster in den USA offensichtlich ist, empfiehlt keine der überall gegründeten homosexuellen deutschen "Aids-Selbsthilfegruppen" ihren höchst gefährdeten Klienten etwa Monogamie oder gar Keuschheit für den Zeitraum, bis es Schutzimpfungen gibt. Bei der Promiskuität soll es schon bleiben - nur eben, wenn''s geht, risikofrei. Das geht aber nicht. Zur Zeit sind rund 30 Prozent der promisken deutschen Homosexuellen mit dem Aids-Virus durchseucht, man kann sich ausrechnen, wann es 70 Prozent sein werden (1988) und wann 90 Prozent (1990) - dann kämen bestenfalls noch zehn Prozent der Homosexuellen in den Genuß der Schutzimpfung. Die wird nur denen helfen, die bis dahin nicht mit dem Aids-Virus angesteckt sind.
"Wenn ich ein homosexueller Mann wäre", sagt Robert Gallo, Mit-Entdecker des Aids-Virus, "wäre ich so vorsichtig, wie ich irgend könnte. Ich würde sexuelle Abstinenz empfehlen, bis das Problem gelöst ist. Das mag für einige Zeit sein, es kann ein ganzes Leben lang sein."
Für die meisten der 25- bis 40jährigen promisken Homosexuellen, die in den deutschen Großstädten leben, kommt dieser Rat zu spät. Sie können sich nicht nach ihm richten, selbst dann, wenn sie wirklich wollten. Die Subkultur, urteilt der homosexuelle Autor Günther Amendt, ist für viele in eine "Suchtkultur" umgekippt: Ihre Droge ist die Promiskuität.
Wer die gefährdeten Homosexuellen retten will, müßte ihnen, wie anderen Suchtkranken auch, therapeutische Programme anbieten, Verhaltenstraining nach dem bewährten Rezept der "Anonymen Alkoholiker" - jedenfalls so lange, bis auf Liebe nicht mehr die Todesstrafe steht.
Aus eigener Kraft werden das die Selbsthilfegruppen nicht schaffen. Sie werden wohl auch keinen erfolgreichen Schutz der nachwachsenden deutschen Homosexuellen - pro Jahrgang rund 15 000 Jungmänner - vor den Versuchungen der kommerzialisierten Promiskuität organisieren können, so ernsthaft sich einige wenige auch bemühen: "Wir brauchen", sagt Rosa von Praunheim, der in den siebziger Jahren die "Schwulenbefreiung" anführte, "andere Kommunikationsformen außer Sex, Cafes ohne Kommerz, wir brauchen intensive Aufklärung. Auch das Heiraten sollte erlaubt werden, schon wegen der Erbregelungen."
Noch wird über soviel Realitätssinn in den meisten "Schwulenreferaten" der Uni-"Asten" nur gespottet. Merkwürdigerweise sitzen dort besonders schlecht informierte Homos. So nennt Bernd Flury, Schwulen-"Referent" des Asta in Münster, den wissenschaftlich ganz unbestrittenen Zusammenhang zwischen HTLV-3-Antikörpernachweis und Aids-Erkrankung schlichtweg "Hetze". Die vereinigten "Hamburger Schwulengruppen", darunter "Schwusos", "Schwusel" und "Rosa Biber", fordern: "Aids darf nicht zur Seuche erklärt werden!" - Gefahr: "Sexverbot".
Am kommenden Sonntag versammeln sich in Köln Vertreter diverser Homogruppen, um "eine starke Lobby" zu formieren, wie Matthias Frings (Autor der homosexuellen "Liebesdinge") es sich wünscht. Anti-Aids-Lobby ja, aber auch Mehrverkehr: "Ich werde leben und lieben wie bisher. Mir ist klar, daß dies ein Todeskontrakt sein kann. Aber: Ich werde gelebt haben." Frings ist 32.
Er beklagt, daß trotz Aids, dieser "Kampagne, die die Vernichtung betreiben sollte", in der Homoszene bisher "alles beim alten" geblieben sei. Auch "unsere zwei Ministerpräsidenten, unsere Fernsehsprecher, unsere Abgeordneten
oder unser Bundesminister" sind nicht aufgetaucht, haben sich nicht an die Spitze der "Aids-Selbsthilfegruppen" gestellt. Dort wirken sanfte, gutwillige, aber oft etwas vitalschwache Männer, die früher meist mit Büchern zu tun hatten. Wie sollen die als Bollwerk einer anbrandenden Seuche die Kraft nehmen?
Es fehlt an tatkräftigen Helfern aus der Hetero-Szene, an Ärzten, Werbefachleuten, Rednern, an erfolgsorientierten Psychotrainern, die das Aids-Leid nicht beweinen, sondern verhindern wollen. Sogar an Geld herrscht großer Mangel - dabei geht es, bedenkt man die Dimension der Seuche, jetzt noch um lächerliche Beträge.
Mit 100 Millionen Mark ließe sich viel bewirken. Zum Vergleich: Für die Behandlung eines sterbenden Aids-Patienten werden von den Krankenkassen und Sozialämtern derzeit durchschnittlich 150 000 Mark aufgewendet. Weil das Durchschnittsalter der Seuchenopfer bei Mitte 30 liegt, gehen der Gemeinschaft noch mal gut 1,5 Millionen Mark verloren, die der Mann im Laufe seines Erwerbslebens zum Bruttosozialprodukt beigesteuert hätte. Allein die 300 Aids-Infizierten des letzten Wochenendes waren, versicherungsmathematisch betrachtet, die 100 Millionen Mark wert.
Wenn die Aids-Selbsthilfegruppen irgendeinen Erfolg haben sollen, muß man sie schnell und großzügig sponsern. Von den wohlhabenden Homosexuellen sind keine Geldspenden zu erwarten, vorerst auch keine Stiftungen oder Legate. "Wir alle", gesteht das in Aids-Fragen weit vor seinen Lesern operierende "Gay Journal", sind "so schreckliche Individualisten und Egozentriker" - selbst "beim Wettlauf mit dem Tod".
Die Hauptrisikogruppe hat bisher auch kein solidarisches Konzept gegen die Diskriminierung der Aids-Infizierten vorgelegt - dafür wird es höchste Zeit. Sehr dezent hat die Ausgrenzung bereits begonnen, vorerst am Arbeitsplatz: Vor allem die kleinen Betriebe trennen sich von ihren Homos. Entlassen wird der Hosenverkäufer, der Pizza-Bäcker, der Coiffeur, der Barmixer, meist wegen "unentschuldigten Fernbleibens", bisher eine läßliche Montagssünde der Wochenend-Sextouristen.
Bei Vater Staat, wo viele Szene-Ideologen ein warmes Plätzchen gefunden haben, droht keine Gefahr. Die Universitäten werden sich nicht von ihren Sexualmedizinern trennen, sowenig wie die Bundeswehr von ihren männertreuen Kriegern und die großen Airlines von den schlanken Stewards mit den Schnauzern im Gesicht. Der Gefahr, wegen Aids in ein soziales, vor allem finanzielles Abseits gedrängt zu werden, sind fast nur die Unterschicht-Schwulen ausgesetzt.
Für Herbert Rusche, 33, Grünen-MdB und ganz stolz darauf, seit 1949 der erste von über 2000 Bonner Abgeordneten zu sein, der sich zu seiner gleichgeschlechtlichen Veranlagung bekennt, ist die Situation jedoch noch nicht ernst genug. "Die Grünen im Bundestag lehnen gesetzliche Maßnahmen im Kampf gegen Aids als ungeeignet ab." Für den Anti-Aids-Kampf will der Ex-Krankenpfleger (klein-klein) 16 Millionen, die Regierung denkt an knapp halb soviel. Da ist Tom Bradley, der schwarze Bürgermeister von Los Angeles, schon weiter.
Im August dieses Jahres machte er die Stadtkasse weit auf und erließ zugleich eine Anordnung, die allen Möglichkeiten der Diskriminierung einen Riegel vorzuschieben sucht: Aids-Kranke dürfen nicht entlassen und nicht von der übrigen Belegschaft isoliert werden; Ärzte und Zahnärzte müssen sie behandeln; in Restaurants darf ihnen die Bedienung nicht verweigert werden. Sogar die Lebensversicherer will Bradley zwingen, Aids-Kranke zu normalen Prämien aufzunehmen. Nur, daraus wird wohl weder dort noch hier etwas werden - alle anderen Vorschläge eignen sich auch für den schwulen Nachwuchsparlamentarier Rusche als Denkanstöße.
Schon verlangen etliche Arbeitgeber von ihren homosexuellen Angestellten das Ergebnis des Aids-Antikörpertests zu sehen. Hermann Kroll-Schlüter, 46, früher Landwirt und jetzt gesundheitspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion,
fordert, daß alle Deutschen über 16 Jahre dem Aids-Test unterzogen werden, logischerweise nicht nur einmal, sondern immer wieder.
Dem Test und der Meldepflicht gilt andererseits der erbitterte Widerstand der Homosexuellen, die sich dabei von einer breiten Sympathisantenfront unterstützt sehen. Aufrufen diverser Homo-Organisationen, den Test zu boykottieren, war kein Erfolg beschieden. Auch die Initiatoren haben sich inzwischen still und heimlich testen lassen.
In Krankenhäusern, Arztpraxen und bei Einstellungsuntersuchungen gehört der Test mittlerweile schon fast zur Routine. Seit als erwiesen gelten muß, daß das Aids-Virus die Nervenzellen des Gehirns befällt, wird für "sicherheitsrelevante" Bereiche überlegt, ob regelmäßige Aids-Antikörper-Tests notwendig sind: Die U.S. Army geht schon voran, Wörners Bundeswehr wird folgen, danach die zivilen Luftlinien. Fragt ein hochrangiger Airline-Manager: "Wollen Sie in einem Jumbo fliegen, dessen Kapitän plötzlich desorientiert ist?"
Ende Oktober werden in Berlin die Strafvollzugsbehörden der Bundesländer über ein gemeinsames Vorgehen beraten. Im Knast ist die Situation besonders prekär: Die Durchseuchung nimmt dort sehr rasch zu. Der schwedische Arzt Michael Koch, dessen in Zusammenarbeit mit dem norwegischen Mathematiker Jose Gonzales erarbeitete Aids-Prognosen sich als ungewöhnlich präzise erwiesen haben, hält "heroinsüchtige Gefängnisinsassen" für die "gefährdetste Risikogruppe überhaupt", noch vor den promisken homosexuellen Strichjungen. Koch: "90 Prozent Durchseuchung sind ganz schnell erreicht."
In Frankfurt-Preungesheim, wo Frau Regierungsdirektorin Sigrid Bernhardt einer großen Justizvollzugsanstalt für Frauen vorsteht, wird das bald geschafft sein. Dort sitzen 50 bis 60 Drogenabhängige ein, die sich aus dem hauseigenen, lebhaft florierenden Drogenmarkt versorgen. Auf den Hinweis der linken "Tageszeitung", daß "Fixerspritzen, auch was das Aids-Virus angeht, hochinfektiös sind", und die daran anschließende Frage: "Werden Sie hier in der Anstalt Einwegspritzen austeilen lassen?" antwortete die Blondine wörtlich: _____" Nein, das kann ich nicht, das ist eine Aufforderung " _____" zu einer Straftat, denn der Besitz von Betäubungsmitteln " _____" ist strafbar. Auch die Drogenabhängigen haben die " _____" Information, daß sie sich mit fremden Spritzen anstecken " _____" können, und dann sollten sie entsprechend handeln. Der " _____" Gedanke der Verteilung von Einwegspritzen wäre mir fremd. "
So schlägt die Rechtsidee, die einem Kranken einen Pfennigartikel verwehrt, dem Virus eine breite Schneise. Nach der Entlassung werden die infizierten Mädchen, die schwanger gehen mit ihrem eigenen Tode, wieder "anschaffen" - und das Virus den bürgerlichen Freiern weitergeben. Strafe muß sein?
In New York City sind mittlerweile fast 90 Prozent der drogenkranken Fixer Aids-infiziert. Fixen allein kann man gut überleben. In Berlin starben im vergangenen Jahr nur 32 der rund 6000 Heroinabhängigen, auch deshalb, weil einige Apotheken mit Billigung und Unterstützung des Sozialsenators Fixerbesteck gratis abgeben. Wenn man aber, vor allem in den Gefängnissen, zuläßt, daß die Sucht wegen des Mangels an sauberen Nadeln und Einweg-Plastikspritzen zu einem Vehikel der Seuche wird, verurteilt man mindestens zehn Prozent, vielleicht alle Süchtigen zu einem qualvollen Tod. Noch beträgt die Durchseuchung der Fixer in Deutschland nur rund 30 Prozent.
Ein "bundesweites Eindämmungs- und Bekämpfungskonzept" hält der Münchner Kreisverwaltungsreferent Peter Gauweiler angesichts dieser Gefahren für "dringend erforderlich". Aber leider lasse das "zuständige Bonner Ministerium auf sich warten". Deshalb ist der energische CSU-Mann (selbst die _(Gewebekultur mit "HTLV-3-positiven" ) _(Leukozyten, im Hamburger Tropeninstitut. )
"Wiesn"-Wirte hat er das Fürchten gelehrt) aus eigener Macht aktiv geworden - mit einer Beratungsstelle. Mehr traut aber auch er sich nicht, obwohl das Bundesseuchengesetz alle "seuchenpolitischen Instrumente" auflistet und ihre Anwendung in das Ermessen der örtlichen Behörden stellt.
Gauweiler plädiert für eine "anonyme bundesweite Meldepflicht" bei Aids. Zwangsuntersuchungen von Aids-Verdächtigten, wie sie in Großbritannien bereits angeordnet werden, soll es vorerst nicht geben. Gerade darauf steuern aber die Falken unter Deutschlands Gefängnisdirektoren zu. Sie wollen alle Insassen testen lassen und die "Positiven" dann am liebsten räumlich separieren. Darauf dringen im Knast in seltener Eintracht die Wärter und die gesunden Gefangenen - beide Gruppen aus Angst vor Ansteckung.
"Gerade innerhalb des Strafvollzugs multiplizieren sich die Ansteckungsgefahren", schreiben die Gefangenen der Justizvollzugsanstalt Rheinbach in einem offenen Brief. "Schon ein Biß bei den häufigen tätlichen Auseinandersetzungen kann hinreichen ..."
Gleich ein Dutzend gefährliche Situationen nennen drei Strafgefangene, die in Kaiserslautern einsitzen: Rasierapparate, Nagelscheren, Handtücher, selbst Zahnbürsten werden notgedrungen häufig gemeinsam benutzt; selbstgedrehte Zigaretten "kreisen aus Freundschaft oder als Knastwährung". Schlimmer noch: "Ca. 50 Häftlinge teilen sich vier Duschzellen. Darein tropft Blut aus Rasier-Schnittwunden, Ekzemen, Arbeits- und Unfallverletzungen."
Was die Kaiserslauterer nicht erwähnen: In allen Gefängnissen kommt es vor, daß junge Strafgefangene vergewaltigt werden, oft sogar wiederholt oder von mehreren Mithäftlingen.
Noch wehren sich selbst CDU-Justizminister gegen die Zweiteilung der Gefängnisse. "Wir wollen keine Leprastationen in unseren Vollzugsanstalten", sagt Baden-Württembergs Justizminister Heinz Eyrich. Doch der Druck von unten wird stärker. "Dieser studierte Herr mit seinem Nadelstreifenanzug", schimpft ein schwäbischer Gefängnisbeamter, "der muß nicht in die Zelle gehen, wenn Randale ist. Der ist fein raus. Der wird nicht gebissen. Der hat auch noch nie in Blut gefaßt."
Die kontroverse Erörterung des Aids-Problems belegt die alte Erkenntnis, daß die Neigung zu großzügigen, liberalen Lösungen mit dem individuellen Abstand vom Problem zunimmt. Ministerialdirigenten, Sexualmediziner, Literaten und Kolumnisten sind in der ganzen Republik einmütig gegen eine repressive Seuchenpolitik. Die Feuerwehrmänner, Fahrer von Rettungswagen, Leichenwäscher und Streifenpolizisten sind ebenso einmütig dafür.
Als sich Anfang Oktober der 24jährige Alexander K. in suizidaler Absicht aus dem Fenster seiner Berliner Wohnung auf die Straße stürzte, mußten sich die an der Rettungsfahrt beteiligten Beamten der Feuerwehr anschließend auf der Wache ausziehen, duschen, desinfizieren und neu einkleiden. Der Krankenwagen wurde, fürs erste, aus dem Verkehr gezogen; in die Personalakten der Beamten kam vorsichtshalber eine Notiz. Der ganze Aufwand war durch zwei einander ergänzende Mitteilungen verursacht worden.
Der Verletzte jammerte: "Ich verblute, ich verblute." Neben ihm kniete ein 22jähriger, der weinte und schrie: "Mein Alexander! Mein Alexander!" Das reichte für den Aids-Verdacht und die Staatsaktion danach.
Wer vor Ort Erste Hilfe leistet, für Ruhe oder Ordnung sorgt, einen Aids-Toten in den Plastiksack verschnürt oder irgendwo Blut wegwischen muß, weil das zu seinem Beruf gehört und er dafür bezahlt wird, der findet keinen Trost darin, daß bisher nirgendwo auf der Welt ein Helfer sich mit Aids infiziert hat. Selbst von den rund 600 Pflegepersonen, die sich in Ausübung ihres Berufes mit _(In der Toilette des Frankfurter ) _(Hauptbahnhofs. )
einer Aids-infizierten Nadel oder einem Seziermesser unabsichtlich verletzten, ist bisher nur eine britische OP-Schwester an der Seuche erkrankt.
In den unteren Sozialschichten, die näher an den Aids-Gefahren dran sind, geht der starke Wunsch nach persönlicher Sicherheit rasch eine gefährliche Liaison mit dem Haß auf "Arschficker" ein. Die Randgruppen können von Glück sagen, daß im höheren Staatsdienst jetzt (anders als zu den Pestzeiten) skrupulösere Männer die Entscheidungen fällen. Von "Schwulenhaß" und "-hatz" ist dort - entgegen den Behauptungen der Homo-Organisationen - nichts zu spüren.
Erläutert Professor Manfred Steinbach, im Bundesgesundheitsministerium zuständig für Aids: "Der Gedanke, wir könnten den Verdacht erregen, daß wir die Homosexuellen irgendwie peinigen wollen, hindert uns eher. Wir möchten aus der Aids-Bekämpfung ja keine Gesellschaftspolitik machen." Außerdem gebe es unter den Homosexuellen "einen hohen Anteil Geistesträger", Akademiker wie Steinbach.
Auch aus diesem Grunde orientiert sich die Bonner Bürokratie beim Anti-Aids-Bemühen an der dickfälligen Manier ihres Kanzlers, der gelernt hat, Probleme erst "reifen" zu lassen, um sie dann auszusitzen. Dringenden Handlungsbedarf hat Steinbach für den Tag geortet, "wenn die Krankheit durch die Unvernunft der Träger und Überträger herüberspringt in die Gesellschaft und die Gesellschaft schlechthin bedroht".
Doch so weit wird es wohl nicht kommen. Die Ausbreitungsgeschwindigkeit von Aids in der heterosexuellen Gesellschaft Deutschlands ist vergleichsweise sehr gering - und doch ist die Prognose düster genug:
Wenn es keine Schutzimpfung gegen Aids geben sollte und keine effizienten Vorsorgeprogramme, werden sich in den nächsten zehn Jahren drei bis fünf Prozent der bundesdeutschen Bevölkerung mit dem Aids-Virus infizieren - macht rund zwei bis drei Millionen Menschen. Mehr als die Hälfte von ihnen werden Angehörige von Risikogruppen sein.
Mehrere Epidemiologen bemühen sich derzeit, das unterschiedliche Risiko auszurechnen - so die an einem schwedischen Institut in Karlsborg arbeitenden Aids-Experten Koch und Gonzales, die mit Kurvenanalyseprogrammen hantieren. Die von den beiden Forschern mit Computerhilfe erarbeiteten Prognosen stimmen mit schon beängstigender Genauigkeit mit der tatsächlichen Entwicklung überein. So hatten sie für den Herbst 1985 die Zahl der akuten Aids-Kranken in den USA mit 14 000, die Zahl der Aids-Toten mit 7000 prognostiziert - letzte Meldung der amerikanischen Gesundheitsbehörden vom 7. Oktober 1985: 13 834 Aids-Kranke, 7055 an Aids Gestorbene (siehe Graphik Seite 207).
Über die Chance jedes einzelnen, an Aids zu erkranken, meint Koch: "Man kann sehr viele Risikogruppen voneinander abgrenzen, heroinsüchtige Gefängnisinsassen, promiske homosexuelle Callboys, Prostituierte, leichtsinnige Menschen schlechthin ... und am unteren Ende Opfer von Autounfällen, die eine Bluttransfusion erhalten."
Weshalb der Anteil promisker Homosexueller unter den Seuchenopfern auch fünf Jahre nach Ausbruch der Krankheit mit mehr als 70 Prozent stabil ist, gilt den Wissenschaftlern weithin als Rätsel. Vermutet werden "Co-Faktoren", die andere Bevölkerungsgruppen nicht haben - vor allem die Überlastung des Abwehrsystems durch zahlreiche Infektionen während der letzten zehn Jahre.
Heterosexueller Geschlechtsverkehr mit einem Aids-Infizierten muß jedenfalls nicht notwendigerweise zur Übertragung der Seuche führen. So sind von den Ehefrauen der Bluter, die regelmäßig mit ihrem Aids-kranken Mann schliefen, nur rund 20 Prozent angesteckt worden. Robert Gallo vermutet, daß das Virus zwar aus den Risikogruppen in die heterosexuelle Bevölkerung eingeschleppt wird, dort aber häufig in "monogamen Sackgassen" endet, die bei
den Risikogruppen eine Rarität sind. In Deutschland werde, sagt Steinbach, "Aids nicht den Charakter einer typischen Volksseuche" annehmen. Anderenorts ist das schon geschehen: Im zentralafrikanischen Ruanda sind bereits 88 Prozent der weiblichen Prostituierten mit dem Virus infiziert.
Die schwedische Sozialbehörde hat Afrikareisende deshalb vor intimen Kontakten mit der einheimischen Bevölkerung dringend gewarnt. Schwedischen Aids-Kranken soll der Geschlechtsverkehr mit Gesunden per Gesetz verboten werden; Strafandrohung: zwei Jahre Gefängnis. Die Liebe unter Infizierten wird erlaubt bleiben.
In der DDR hat sich das Ministerium für Gesundheitswesen, wie unlängst offiziell mitgeteilt wurde, "sehr früh auf das Aids-Problem eingestellt und entsprechende Maßnahmen veranlaßt". Diesmal stimmt das Eigenlob - wenn auch manche Maßnahmen nicht gerade von der ganz noblen Art waren: So expedierte die DDR-Regierung Anfang des vergangenen Jahres mit der großen Ausreisewelle zahlreiche promiske Homosexuelle (die damals noch nicht infiziert waren) in den Westen. Vorsorglich streute der Staatssicherheitsdienst unter den trauernden Hinterbliebenen im "Operncafe" und im "Burgfrieden" - zwei Ost-Berliner Homotreffpunkten -, daß jedem, der sich von einem Westbesucher mit Aids anstecken lasse, Quarantäne bis zum Tode sicher sei.
Zeitgleich erhielten die Bezirks- und Kreisärzte detaillierte Weisungen, wurde eine namentliche Meldepflicht eingeführt, wurden "Konsultationszentren" gegründet. Ost-Berlin hält seit Monaten vorsorglich Betten auf Isolierstationen für Aids-Patienten bereit, noch stehen sie leer.
"Die epidemiologische Situation wird bei uns anders sein als in den jetzt hauptsächlich betroffenen Ländern", erläutert Niels Sönnichsen, Professor an der berühmten Charite (die einst als "Pesthaus" erbaut wurde). Die "sozialen Verhältnisse" seien in Ost und West grundverschieden. So gebe es in der DDR keine Drogenszene (die Ostmark ist eben keine frei konvertierbare Währung) und man habe aus den "Negativerfahrungen der anderen Länder lernen" können - "ein nicht zu unterschätzender Vorteil".
Von ihm suchen die anderen Länder des Ostblocks zu profitieren. "Aids wird am Eisernen Vorhang nicht haltmachen", prophezeit die Frankfurter Medizinprofessorin Brigitte Helm. Die UdSSR hat die Aids-Bekämpfung zu einem "dringlichen Schwerpunktprogramm" erhoben. Polens Gesundheitsminister sind die ersten "verdächtigen Fälle" gemeldet worden. Die Regierungen der Tschechoslowakei, Ungarns und Jugoslawiens behaupten zwar kühn, von irgendwelchen Aids-Erkrankungen auf ihren Territorien nichts zu wissen, betreiben inzwischen aber Aufklärung.
In die Volksrepublik China dürfen seit kurzem keine Blutkonserven mehr eingeführt werden. Dort hatte man sich lange Zeit in Sicherheit gefühlt. Noch 1983 erklärte in Schanghai der Präsident der Universität seinem amerikanischen Gast Marcus Conant: "Aids kann hier nicht vorkommen. Wir haben während der Kulturrevolution alle Homos erschossen."
Für viele Länder der Dritten Welt wird sich Aids zu einer Katastrophe auswachsen - nicht für China, dort herrscht eine repressive Sexualmoral. WHO-Experten fürchten, daß es Afrika am schlimmsten treffen wird. Hinter verschlossenen Türen berieten Ende September in Genf 12 hochkarätige Aids-Kenner _(Bei einer Aids-Diskussion in der ) _(ARD-Sendung "Brennpunkt". )
über die "Möglichkeiten, die Ausbreitung der Seuche künftig in internationaler Zusammenarbeit zu beobachten und gemeinsam einen Impfstoff zu entwickeln".
Mit einer Schutzimpfung - nur durch sie - würde der Seuche der tödliche Schwung genommen werden. Doch eine Schutzimpfung ist nicht in Sicht.
"Wenn wir Glück haben, wird es etwa in fünf Jahren soweit sein", erklärte der Virologe Dr. Robert Crowl im Sommer dieses Jahres. Er arbeitet in Nutley/USA für den Schweizer Pharmakonzern Hoffmann LaRoche. Der unterhält dort und in Basel zwei miteinander konkurrierende Institute - jährlicher Zuschußbedarf: 50 Millionen Franken -, die beide an der Entwicklung eines Aids-Impfstoffes arbeiten. In Nutley ist es schon gelungen, das "Hüllprotein" des Virus herzustellen. Das ist ein erster Schritt - so wichtig wie die Erfindung des Rades für die Herstellung von Automobilen (und vergleichsweise ebenso weit voneinander entfernt).
Ein Aids-Impfstoff wäre für Roche das beste Geschäft seit der Erfindung von "Valium", an dem bislang gut 15 Milliarden Franken verdient wurden. Daß ein wirksamer Schutzstoff seinen Entdeckern und Produzenten nicht nur Ruhm und Ehre, sondern vor allem Dollars in Hülle und Fülle eintragen würde, wissen alle Virologen und Pharmamanager rund um den Erdball. Entsprechend groß ist der Eifer. Nur: Mühe allein genügt nicht. Man muß auch viel von den Retroviren verstehen - am besten seit zehn Jahren.
Damals aber interessierten sich sehr wenige Wissenschaftler für die exotischen Strukturen auf der Grenze zwischen belebter und unbelebter Natur. "In Deutschland nur fünf", sagt Professor Gerhard Hunsmann, Virologe am Primatenzentrum in Göttingen. Er ist einer der fünf.
"Eine aktive Immunisierung", vergleichbar der Schutzimpfung gegen Pocken, hält er "für sehr unwahrscheinlich". In Tierversuchen spürt Hunsmann derzeit anderen Möglichkeiten nach, doch "manche Idee ist reine Sciencefiction".
"Seit Pasteur und Robert Koch sind in den vergangenen hundert Jahren etwa zwölf wirksame Impfstoffe gegen Infektionserreger entwickelt worden - also rund einer pro Jahrzehnt", rechnete Hunsmanns Kollege Richard M. Krause. Er ist der Direktor des amerikanischen Nationalen Instituts für Allergie und Infektionskrankheiten. Nun sei viel schnelleres, sehr "energisches Vorgehen" das Gebot - sonst räumt Aids, wie die Endzeitpropheten raunen, mit der Menschheit auf.
Da sei die Gentechnologie vor! Zum erstenmal in der Geschichte der Seuchen entwickeln sich die tödlichen Keime und die rettende Strategie synchron mit gleicher Vehemenz. Die Fähigkeit des Menschen, das Erbgut von Bakterien und Viren zu manipulieren, nimmt von Monat zu Monat zu. Sie wird eines Tages (der Tag ist fern) auch den Aids-Viren den Garaus machen.
Bis dahin aber werden Millionen Menschen weit vor der Zeit an der neuen Seuche gestorben sein. Auf obszöne Weise drängt sich der Tod zwischen Lust und das Leben. Aids führt eine scharfe Axt.
Ende _(Sprechblase: "Schließlich folgten sie ) _(dem Slogan ''Mach Liebe, nicht Krieg'' - ) _(und bekamen Aids." )
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AIDS Bundesrepublik Aids-Erkrankungen und Sterbefälle in der Bundesrepublik; kumulative Darstellung Erkrankungen Jeweils Quartalsende Tote AIDS USA Aids-Erkrankungen und Sterbefälle in den USA; kumulative Darstellung Erkrankungen Tote 11 Erkrankte 9 Tote 7. Oktober
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