03.03.1986
FUSSBALLGuter Onkel
Thomas Wegscheider, der Chef der Bank für Gemeinwirtschaft, hält sich ein teures Hobby: den Skandalverein Offenbacher Kickers. *
Als Chef der gewerkschaftseigenen Bank für Gemeinwirtschaft (BfG) in Frankfurt weiß Thomas Wegscheider, 53, wo er trotz seiner Führungsposition hingehört. Der Topmanager wohnt mitten unter Arbeitern im Rodgau statt neben dem Geldadel am Taunushang.
Wegscheider bekleidet auch kein Amt im Renommierklub Eintracht Frankfurt, wohin es geltungssüchtige Wirtschaftsbosse zieht. Der Banker ist einfaches Mitglied der Offenbacher Kickers, des Proletariervereins am Main.
Seit Jahren fährt Wegscheider, der selbst einmal als Amateur bei Eintracht Braunschweig kickte, bei Heimspielen zum nahegelegenen Kickers-Stadion, wo die Fans treu ergeben hinströmen wie sonst nur die Kumpel "auf Schalke".
Doch seit einiger Zeit macht dem Kickers-Fan Wegscheider der Besuch am Bieberer Berg keinen rechten Spaß mehr. Denn es kommen nur noch Vereine wie Eintracht Haiger oder Tuspo Ziegenhain.
Das soll sich ändern. Der Offenbacher Fußball-Club (OFC) Kickers, seit vergangenem
Jahr drittklassig, will zurück ins Profigeschäft und ist auf dem besten Wege dazu. Die Kickers stehen derzeit an der Spitze der Amateuroberliga Hessen, und der Schuldenberg von 4,8 Millionen Mark, die zweite Hürde zum Wiederaufstieg in die Zweite Liga, ist fast weggeräumt - dank Wegscheider.
In der Chefetage des BfG-Hochhauses in Frankfurt wurde, zwischen Krisensitzungen wegen des maroden Gewerkschaftsunternehmens Neue Heimat, auch der Problemkunde Offenbacher Kickers behandelt. Das Ergebnis nach einer abschließenden Runde mit BfG-Chef Wegscheider und OFC-Präsident Waldemar Klein: Eine "Umschuldung", so die Formulierung der Hausbank, die den Fußballklub auf Kosten der BfG vor dem Konkurs bewahrt.
Die Vereinbarung, unter der Bedingung "absoluten Stillschweigens" getroffen, sieht vor, daß sich der OFC verpflichtet rund eine Million Mark durch den Verkauf von Spielern abzutragen, die der Bank gleichsam sicherungsübereignet wurden wie Autos oder Grundstücke. Von einer weiteren Million wurden den Offenbachern Zinsen erlassen.
Auf das Eintreiben des größten Schuldenbatzens, rund drei Millionen Mark, verzichtete das Geldinstitut, bis der Klub mal wieder flüssig ist - ein "nicht gänzlicher" Erlaß, wie BfG-Sprecher Gert Müggenburg betont, aber sicherlich ein faktischer: Die Kickers müßten schon, was utopisch erscheint, einen Star heranziehen, den sie für einige Millionen nach Italien verkaufen könnten, um diese Summe aufbringen zu können.
Mit der Drei-Millionen-Forderung verhält es sich, erklärt ein BfG-Mitarbeiter, "wie mit der Realisierung einer Forderung bei einem bankrotten südamerikanischen Land". Bankintern werden solche Außenstände im Wege der Wertberichtigung abgeschrieben.
Die Gewerkschaftsbank ist wie kein anderer Geldverleiher bei den Bundesligaklubs eingestiegen. Sie ist alleinige Hausbank von fünf Vereinen, für zwölf weitere Klubs einer der Kreditgeber. "Als junge Bank", erklärte Wegscheider das Engagement, "haben wir Kunden gesucht."
Die Finanzierungsgeschäfte mit den Fußballvereinen rentierten sich anfänglich auch. Für den Kauf teurer Spieler liehen sich die ehrgeizigen Klubvorstände Millionenbeträge. Nachdem eigenes Vermögen wie Stadien und Sporthallen für Zins und Tilgung aufgebraucht waren und nicht mehr als Sicherheiten herhalten konnten, begnügten sich die Kreditgeber vielfach mit dem geschätzten Verkaufswert der Spieler, meist ein riskantes Pfand.
Allein die Kreditkosten der Profivereine belaufen sich, so eine jetzt fertiggestellte interne "Situationsanalyse Lizenzfußball" des DFB, pro Klub und Jahr durchschnittlich auf "besorgniserregende" 373000 Mark.
Wegscheider und die BfG haben sich einem Verein verschrieben, bei dem sportliche Erfolge meist im Schatten finanzieller Mißwirtschaft standen. Es begann, im Jahr 1971, mit einer Beichte des damaligen Kickers-Präsidenten Horst-Gregorio Canellas über gekaufte Spiele und bestochene Spieler, im eigenen Klub wie in anderen. So oft wie die Kickers, insgesamt viermal, ist kein Verein in die Bundesliga auf- und dann wieder abgestiegen.
Beim Erwerb teurer Spieler für den Wiederaufstieg und vor dem drohenden Lizenzentzug durch den DFB tauchte immer wieder Wegscheider mit neuen Geldgaben auf, als "guter Onkel", wie ihn ein früheres OFC-Vorstandsmitglied bezeichnet.
An die Auflagen des DFB, sparsamer zu wirtschaften, hielt sich der Provinzklub selten. Der DFB brummte den Offenbachern zwei Geldstrafen auf, zunächst 10000 im Jahr 1983 und danach 80000 Mark - ohne Wirkung. Im letzten Jahr zog der Verband den Kickers dann zwei Punkte ab, weil "offensichtlich das allein eine spürbare Bestrafung darstellt". Er nahm ihnen auch die Profilizenz weg, wogegen der OFC diesmal keinen Einspruch erhob: Der Verein war auch sportlich in die Amateurklasse abgestiegen.
Daß die Offenbacher meist über ihre Verhältnisse lebten, dafür sorgten die Kredite von BfG-Chef Wegscheider. Das "Trumpf-As" oder "die helfende Hand", wie Lokalblätter den "Mann im grauen Flanell" mitten unter hemdsärmeligen Kickers-Funktionären würdigten, beruhigte auf hitzigen Generalversammlungen immer wieder die besorgten Fans. Löcher in der Kasse registrierte Wegscheider zwar "mit einem gewissen Stirnrunzeln", jedoch: "Als Hausbank stehen wir unverändert fest zu den Kickers."
Neben dem finanziellen wie sportlichen Abstieg der Kickers muß den BfG-Boß allerdings die Entwicklung der lokalen Konkurrenz Eintracht Frankfurt schmerzen. Dort hatte seine Bank, als eine von zwei Geldgebern, durch Beschränkung des Kreditrahmens den Verkauf von Starspielern wie Bruno Pezzey oder Bum Kun Tscha bewirkt.
Bei der Eintracht schrumpften die Schulden, die Mannschaft blieb erstklassig.
DER SPIEGEL 10/1986
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