DDR-KABARETT Nähre dich rötlich
Langsam schält sich ein bekanntes Männer-Paar aus dem Bühnendunkel. Der eine sitzt, der andere steht beide sind sie bärtig und auffallend ähnlich dem Paar, das, in Erz gegossen und hinter sich die DDR-Volkskammer, der Berliner Luft trotzt - "Sakko und Jacketti" im Volksmund.
Karl Marx und Friedrich Engels. Behutsam, raunend heben sie einen nächtlichen Bühnen-Diskurs an, dialektisch, wie es die Lehre gebeut, über den real existierenden Sozialismus und darüber, wie Ideal und Wirklichkeit vielerorts auseinanderklaffen. Und argwöhnen man habe sie, als Denkmal, so hingesetzt, "daß wir nicht sehen, was die hinter unserem Rücken machen".
Andere Szene in einem anderen DDR-Kabarett. Transportprobleme in einem Lager für "Sekundärrohstoffe", einem Schrottplatz. "Unsere Straßenzustände", erklärt einer, "sind Bestandteil unserer Friedenspolitik." Denn: "Nichts kann abschreckender auf den Gegner wirken." Die Partei mache sich "Sorgen", vermerkt ein anderer: "Das ist neu. In unseren Zeitungen macht sie sich immer bloß Erfolge."
Dritte Szene in einem dritten DDR-Kabarett: Alle Räder stehen still, eine Senf-Abfüllmaschine streikt. "Die Masse ist in Ordnung", erkundet eine Werktätige, "es muß an der Leitung liegen." Der Maschinist findet den Fehler, Treibriemen kaputt: "Der ist aber heute interessant gerissen."
Zum Vierten. Maß-Regeln für ein Kind, das was werden soll; nach einem alten Lied zu singen: "Die Gedanken sind frei./ Darfst nur nichts verraten./ Denn Schönrederei/ bringt mehr ein als Taten./ Laß nie dich ertappen,/ dann wird es schon klappen./ Die Gedanken sind frei - / also schweig und gedeih."
"Distel", "Pfeffermühle", "Academixer" und "Herkuleskeule" nennen sich die Kabaretts. Die "Distel" stichelt in Berlin (DDR), "Pfeffermühle" und "Academixer" knirschen in Leipzig, die "Herkuleskeule" wird in Dresden gezückt. Augiasstall in jedem Fall: der Alltag der DDR.
Die Großen Vier des DDR-Kabaretts, Veteranen ihres Fachs, hatten sich, vorletzte Woche, aus erlauchtem Anlaß in ihrer Hauptstadt versammelt. Zum Auftakt des Berlin-Jubiläums (750 Jahre) rollte eine mächtige Heerschau ab, das "1. Nationale Theaterfestival der DDR", und zu den 26 nach "Qualität" und "Wirkung" ausgewählten Bühnen des Landes zählten, gleichberechtigt auch die Vier von der Sektion Satire.
Solche Hochschätzung kann nur "Bundis" (DDR-Jargon für Bundesbürger) verblüffen: DDR-Kabarettisten sind nicht, wie ihre West-Kollegen, heimatlose Gesellen. Sie gehören zum "Verband der Theaterschaffenden der DDR", seit einem Jahr als eigene "Sektion", die zwölf Profi-Kabaretts des Landes (600 Amateurgruppen gibt es außerdem) haben eigene stets volle Häuser und werden, wie jede andere Bühne auch, subventioniert; etwa die Hälfte ihres Etats ist Staatsknete.
Die Fürsorge geht noch weiter. "Beiräte" aus Kulturfunktionären; Paten-Brigaden, Paten-Schulklassen helfen den Brettl-Bühnen bei der Themenfindung; auch der Physiker Manfred von Ardenne riet schon mal mit. Bei regelmäßigen "Werkstattagen des Berufskabaretts" in Gera erläutern Experten aus Wirtschaft, Politik und Militär den Kabarettisten den Lauf der Welt.
Der wird dann freilich gesteuert, wenn die Texter, häufig abgebrochene Lehrer, mit ihren Programmen niederkommen. Vor der Premiere tut die Hand der Obrigkeit die guten ins Töpfchen, die schlechten ins Kröpfchen, was Mißhelligkeiten nicht ausschließt: Die einzelnen DDR-Bezirke haben eine Art Kulturhoheit,
ein in X genehmigtes Wort kann in Y für Parteifuror sorgen.
Kabarett als Staatstheater, VEB Brettl, subventionierte Satire - und dennoch eine Lipp Wagen: für den "Bundi" ein Verwirrspiel. Denn er kennt ja seine eigenen Gesellen als Leute, die vor nichts zurückschrecken und höchstens riskieren, vom ZDF abserviert und vom Bayernfunk abgedreht zu werden.
Satire in der DDR ist, natürlich, system-immanent. Nicht die herrschende Ideologie wird attackiert, nur der herrschende Zustand, mit seinen Bonsai-Bonzen, Karrieregeiern, Duckmäusern, Schlampern,. Sündern wider die sozialistische Moral, den ewigen "Versorgungsengpässen", dem dröhnenden, leeren Blech-Welsch der Medien.
Jedoch: Die Schmerzgrenze ist ziemlich hochgefahren. Bei den Großen Vier in Berlin wehte spürbar ein Wind aus Richtung "Glasnost" - auch wenn die Programme schon vor Gorbatschows "Öffnungs"-Zeit entstanden waren. Beispiele am laufenden Band:
Ein Sportreporter lernt, wie aus der katastrophalen Niederlage des Fußballclubs "Fortschritt" ein strahlender Siegesbericht wird; als Staatsgast wird Papst Wojtyla erwartet, weil die DDR das Land mit den "meisten Wundern" sei; "Beamten-Mikado" heißt: "Wer sich bewegt, hat verloren. " Rat an Reiselustige: "Bleibe im Lande und nähre dich rötlich." Einen "vorübergehenden Engpaß" werde man schon "überwintern".
Tabus? Der Strauß-Milliarden-Kredit wird satirisch verlängert, die Doppel-Währung im Lande (die einen haben Devisen", die anderen "de Wiesen und Wälder") notiert- DDR-exportiertes Benzin im Tank, rasen die Bundis "mit 140 ins Ausland, wir mit 65", im Rentenalter. Und das Spiel der DDR-Nationalhymne sei "unentschieden" ausgegangen: Die Musik habe gewonnen, der Text verloren - die Zeile "Deutschland, einig Vaterland".
Tabus, einige: Schießbefehl, die Außen- und Innenpolitik der "sozialistischen Bruderländer", die Regierungsspitze. Honecker kommt allenfalls volkstümlich als "unser Erich" vor, der ZK-Sekretär Kurt Hager als "Leserbriefschreiber Kurt H. aus Wandlitz-See", dem Dorado der Polit-Prominenz.
Just zwischen Honecker und Hager freilich liegt die Spielwiese der Kabarettisten. Grundsatz Honecker: "Wenn man von den festen Positionen des Sozialismus ausgeht, kann es meines Erachtens auf dem Gebiet der Kunst und Literatur keine Tabus geben." Grundsatz Hager: Es sei darüber zu wachen, "daß niemand unsere Bereitschaft zur Selbstkritik für das schmutzige Geschäft unserer Feinde ausnutzen kann".
Es soll alles in der Familie bleiben, nicht mal in die TV-Familie vordringen. Schmerzlicher Scherz: "Waren Sie nicht neulich im Fernsehen?" "Nein, das verwechseln Sie. Ich bin Kabarettist." Doch
der Zulauf zu den Brettl-Bühnen ist gewaltig, die Programme rollen, stets ausverkauft, oft jahrelang. "Wir haben zuviel Publikum und zuwenig Autoren", sagt der "Pfeffermühle"-Chef Rainer Otto, "während es bei anderen Genres umgekehrt ist", bei den Theatern.
Rudi Strahl, erfolgreichster Komödien-Schreiber der DDR und selbst "aufgehörter Kabarettist", erklärt den Andrang: In den Kabaretts werden "Dinge gesagt, die nicht oder so nicht in der Zeitung stehen". Das Brettl füllt eine Medienlücke und übernimmt die Rolle des kritischen Gegenwart-Stücks.
Zyniker unter den Satirikern blicken noch besser durch. Das DDR-Kabarett habe "Ventilfunktion", "sozialhygienische Wirkung", die Leute könnten sich "ihren Frust ablachen". Die obligate West-Nummer in jedem Programm, "Bundis" als Punker oder lurchende Angeber, nehmen sie gelassen hin.
"Drüben haben sie Freiheit, dafür kann hier jeder machen, was er will." Die Begrenzungen des DDR-Kabaretts tragen jedenfalls dazu bei, daß die Texte, in Sprachschliff, Dialektik, Artistik, sehr oft zu kleinen Meisterwerken geraten. Star-Texter und meistgespielter Autor ist der Berliner Peter Ensikat, 45 (siehe Interview, Seite 193).
Der scheue, asketische Mensch, Träger des "Lessing-Preises" der DDR, Vorsitzender der Sektion Kabarett im "Verband der Theaterschaffenden", hatte als Schauspieler angefangen, schrieb dann, von Oberhausen bis Addis Abeba gespielte, Kinderstücke nach Märchen, darunter "Das tapfere Schneiderlein". Ensikat: "Das bin ich."
Mit seinem Dresdner Kompagnon Wolfgang Schaller textete er vor sieben Jahren das mittlerweile zum Klassiker gewordene Programm "Bürger, schützt eure Anlagen". Kuriosität wieder für den "Bundi": 32 DDR-Bühnen spielten den Text bereits nach, als wär's ein Repertoire-Stück; und der FDGB, der DDR-Gewerkschaftsbund, bedankte sich mit seinem "Kunstpreis".
Mit dem Klassiker kam die Uraufführungs-Truppe, die Dresdner "Herkuleskeule", nach Berlin - ein blitzblankes Vergnügen, ein irrer Erfolg beim Publikum, von haltbarer Aktualität offenbar und zweifellos ein Schrittmacher der Kabarett-Kunst.
Denn Ensikat/Schaller lassen das gute alte Nummern- und "Reizwort"-Kabarett weit hinter sich; eine durchgängige Fabel erzählt, mit satirischem Brio und dialektischen Mäandern, vom Leben eines Toten: des ollen, aufrechten Proleten Paul.
Der war "ein Genosse, wie er im Buche steht, hatte also im Leben keinen leichten Stand". Er blieb noch "aktiv, als sich andere schon auf seinen Lorbeeren ausruhten". Und seine "schwersten Fehler" wurden "erst viel später als richtungweisend erkannt". Am Ideal Paul messen Ensikat/Schaller die Realität der DDR, die Bonzen, Schlamper, Duckmäuser, Blech-Bläser. Heroisch.
"Es ist eine prächtige Zeit für die Reglosen. Das muß sich ändern" - schrieb Manfred von Ardenne der "Herkuleskeule" ins Stammbuch. Bei richtigem Licht besehen, blicken die starren Erz-Väter vor der DDR-Volkskammer tatsächlich äußerst argwöhnisch auf das Land unter ihren Füßen.