Grace Kelly, ein gefallener Unschuldsengel
Die beiden Herren vom Fach unterhielten sich über Hitchcock-Filme, der Altmeister des Suspense und Haarfetischist Alfred Hitchcock persönlich und der Regisseur, Beinfetischist und damalige Film-Journalist Francois Truffaut. Das Gespräch kam, zwangsläufig auch auf Hitchcocks Lieblingsstar, auf die unnahbar blonde, unsagbar kühle Grace Kelly.
Hitchcock spöttelte über den so offenkundigen Sex italienischer und französischer Stars, das sei langweilig. Er bedauerte auch die "arme Marilyn Monroe", der man den Sex vom Gesicht hätte ablesen können.
"Ich", sagte Hitchcock, "ich brauche Damen, wirkliche Damen, die dann im Schlafzimmer zu Nutten werden." Norddeutsche, Skandinavierinnen, junge Engländerinnen. Die mögen daherkommen "wie eine Lehrerin, aber wenn Sie mit ihr in ein Taxi steigen, überrascht sie Sie damit, daß sie Ihnen in den Hosenschlitz greift."
Diese buchstäblich tiefgreifende Erkenntnis zur Psychologie der scheinbar kühlen Blonden, des Vulkans unter Eis verkündete Hitchcock ausgerechnet im Zusammenhang mit einem Hollywood-Star, der seinem Zeitalter, den fünfziger Jahren, als Inbegriff des Reinen, Heiligen, Unnahbaren erschienen war.
Die strenggekämmte Grace, die aussah, als würde sie täglich mit Weihwasser gewaschen, galt in den fünfziger Jahren als "Nonne" an Einfalt, Charakterstärke und Sittenkraft. Schließlich hatte sie''s auch gar nicht nötig. Ihr Vater, ein Baulöwe irischer Abstammung, war einer der reichsten Bürger Philadelphias, die Familie und ihre Harmonie schienen solide betoniert; aus dem katholischirischen Makel, der einen hinderte, zu den feinsten protestantischen Kreisen in Germantown aufzusteigen, machte man eine Tugend - ähnlich wie die Kennedys: Man gab sich päpstlicher als der Papst.
Um zu beweisen, wie tüchtig er war, hatte Papa Kelly 1920 bei den Olympischen Spielen die Goldmedaille im Einer-Rudern geholt.
Die Kinder mußten sich im Sport und im Gesellschaftsturnen hervortun, die Tochter besuchte die Klosterschule und sollte aufs College, aber es haperte mit der Mathematik. So durfte sie Schauspielunterricht in New York nehmen- und landete in Hollywood.
Aber wie! Anders als all die lasziven, diabolischen und männermordenden Frauen, die als Teufel Männer auf die schiefe Bahn und krumme Gedanken brachten, spielte Grace in "High Noon" (1952) die Quäkerin Amy mit züchtig unterm Kinn festgezurrten Häubchen.
Die 22jährige, mit dem vor Pflichterfüllung zerknitterten Sheriff Gary Coopers verheiratet, war sogar einem Phallus-Symbol wie dem Gewehr gründlich abgeneigt. Die Film-Ehe zwischen ihr und ihm legte in dem Zinnemann-Heldenlied den Gedanken nahe, daß Vermehrung durch Zellteilung und Kameradschaft zu erfolgen hätte. Und daß die Knöpfe an der Bluse mit Uhu verleimt wären.
Am Ende der Film-Karriere stand "High Society" von 1956, wo die niederen Stände der Welt gegen Erwerb einer Kinokarte von Hollywood zum Schaufensterbummel bei den oberen Zehntausend Amerikas eingeladen wurden. Keine Angst - auch hier, der Film war ein Musical - kopulierte man, indem man sich ansang. Bing Crosby, der Ältere, mit Schifferklavier, sie den Kopf da gebettet, wo sich früher sein Hosenschlitz befunden haben mußte, und dann Duett, Duett: "True Love, True Love".
Dazwischen Hitchcock. In "Bei Anruf Mord" (1954) wurde sie, die reiche Unschuld, die nur aus Verzweiflung den Ehebruch in Erwägung zog, erst fast ermordet und dann des Mordes verdächtigt. Ähnlich hat nur der Kitsch-Roman im 18. und 19. Jahrhundert der bedrängten, blonden Unschuld zugesetzt. Folter als sadistischer Ausgleich für strengste Moral.
In dem voyeuristischen Film "Das Fenster zum Hof" (1954) ist sie so zur Heirat entschlossen, daß sie unter Lebensgefahr für James Stewart und sich einen Ehering von gegenüber, vom Mörder, holt. Erst "Über den Dächern von
Nizza" (1955) ließ Hitchcock mit ihr die Sau raus. Sie war scharf auf Cary Grant. Da das Ganze eine Komödie war, merkte das so recht niemand.
Grace Kelly blieb die "Nonne", "Miß Frigidaire", die "strenge Schönheit", die "Lady mit dem rostfreien Stahlkorsett", die "langstielige Teerose aus Philadelphia" - daß dann die katholische Immaculata, Hollywoods Unschuldsengel. Prinzessin auf dem Operetten-Thron von Monaco wurde, war nur das Tüpfelchen auf dem i. Eine Karriere wie aus dem Werbeprospekt einer amerikanischen Kosmetikfirma: reine Haut, reines Herz, reine Krone.
Jetzt, die Fürstin, aus der Kurve getragen, ist längst tot, die Töchter haben das Gröbste an Sexualität hinter sich, des Fürsten Gram ist längst zu massiven Photoposen erstarrt, jetzt also gibt eine amerikanische Biographie _(James Spada: "Grace. The Secret ) _(lives of a Princess. An intimate ) _(Biography of Grace Kelly." Doubleday, ) _(New York; 1987. 348 S. 17,95 Dollar. )
dem toten Hitchcock in seinem (Vor-)Urteil über seine tote Lieblingsblondine postum recht:
Ja, sie war keine Heilige, sondern hat in Hollywood alles genommen, was sie wollte und kriegen konnte. Ein gefallener Unschuldsengel, in die fünfziger Jahre gefallen. Zwar ist von Taxis und Hosen nicht die Rede, aber von Ehebruch, von der Verführung absolut Unminderjähriger wie William Holden, Gary Cooper, Ray Milland und Bing Crosby durch das frische Blondchen.
Kelly-Biograph James Spada macht aus dem notorischen Kühlschrank Kelly einen feuerspeienden Tischvulkan - Diana auf der Jagd nach Hollywoods Platzhirschen. Und er hat auch eine grobgewirkte psychologische Erklärung zur Hand, die, bloß weil sie so klippschulenhaft ist, noch nicht einmal falsch sein muß:
Grace fand in dem ehrgeizigen Elternhaus keine Liebe. Weder bei der strengen Mutter, die sie mit eiserner Hand erzog, noch beim Vater, der eisern fremdging, dabei aber ehern den Schein wahrte. So hat die frustrierte Blondine immer wieder ältere, wenn auch verheiratete Herren gesucht (Vater-Ersatz, sagt triumphierend der Biograph), die den Eltern und der Gesellschaft nicht gefallen konnten (Protesthaltung, sagt wissend der Biograph).
Nun ist es heute, fünf Jahre nach dem Tod der Plastik-Prinzessin der fünfziger Jahre, die die Sexualität mit dem Ruch eines Deodorants ausstattete, nicht mehr so schrecklich aufregend, wenn man erfährt, daß die Kelly ihren "Bei Anruf Mord"-Partner Ray Milland fast aus seiner glücklichen, 20jährigen Ehe herausgebrochen hätte wie einen Eckzahn oder daß sie sich an Clark Gable umgekehrt die eigenen Zähne ausbiß oder daß sie, zum Arger ihrer stockkatholischen Eltern, eine heftige Affäre mit einem andersgläubigen, nämlich jüdischen Playboy hatte. Das ist Schnee von gestern für die Regenbogenpresse von vorgestern. "Wer mit wem" als Leichenschändung, ein Vergnügen für Nekrophile bestenfalls.
Na gut, sie, vormals Grace, nachmals Gracia Patricia, war keine Heilige; sie wußte, wo der Barthel den Most holt und wie man es macht, damit der Storch keine Kinder bringt: "True Love, True Love".
Was Spadas Buch über Regenbogen-Tratsch und -Klatsch hinaushebt, sind die Einblicke in die geradezu halsbrecherische sportliche Übung der Kelly-Familie, den Schein über das Sein siegen zu lassen, eine Dauer-Olympiade des "So als ob". In dem, was man primitiv Heuchelei und angestrengt Verklärung nennen könnte, haben die Kellys, hat Grace die swimmingpoolgeborene Venus, einige Goldmedaillen errudert - im Einer wie im Zweier, mit und ohne Steuermann. Grace Kelly lehrt: Das war
schon eine Zeit, wo man sich den Nylon-Büstenhalter eng um das schwellende Fleisch schnallen mußte. Jedenfalls wenn man im mythologischen Hollywood-Himmel als keusche katholische Diana besetzt war und später die Prinzessin auf der Erbse zu spielen hatte.
Die "Märchenhochzeit des Jahrhunderts" zwischen der Hollywood-Prinzessin und dem Monegassen-Staatsoberhaupt aus der Seeräuber-Sippe der Grimaldis war mit ihrem frömmelnden Glanz und ihrem Talmi-Charme geradezu ein Schlüsselereignis für die abblätternde Doppelmoral der Fuffziger.
Während die Boulevard-Presse die Liebesheirat zwischen lateinischem Europa und jungfräulichem Amerika feierte, während des Abendlands erlesenere Herrscher wie die Königin von England oder die der Niederlande der halbseidenen Hochzeit fernblieben, war die Verbindung in Wahrheit eine touristische Sanierungsaktion.
Der Reeder Onassis, eine zwielichtige Galionsfigur des Riviera-Jet-sets und einer der Hauptaktionäre des Staates Monaco und seines Spielcasinos, hatte sich schon ungebeten unter Amerikas Filmstars umgesehen, um dem Junggesellen Rainier eine Frau zu verschaffen, sie sollte Amerikas Edeltouristen wieder nach Monaco locken. Onassis war, unter anderem, auf Marilyn Monroe verfallen, der Fürst war schon über den Gedanken so verärgert, wie er es sich gegenüber dem Milliardär leisten konnte .
Es gab da noch ein zweites Problem: Rainier brauchte eine Frau mit Gebärgarantie. Denn ohne Kinder wäre die Steuer-Oase nach des Fürsten Tod an Frankreich gefallen. Rainiers Romanze mit der französischen Schauspielerin Gisele Pascal war an einem ärztlichen Test zerbrochen (Ironie des Schicksals: der Test war falsch, Jahre später genas die Entlobte eines Kindes).
Grace Kelly als Auserwählte war also katholisch genug und verfügte auch über die nötige Reputation - blieb der Test. Der Fürst versuchte, seinen Arzt möglichst unauffällig in seinem Fluggepäck nach den USA zu verstauen, ein heimlicher Termin wurde anberaumt - vor dem Grace Kelly eine panische Angst hatte.
Spadas Biographie jedenfalls behauptet, sie hätte sich deshalb so davor gefürchtet, weil dem Arzt - schrecklich zu denken! - ihre fehlende Jungfräulichkeit auffallen und er sie ihrem künftigen Piraten-Häuptling denunzieren hätte können. Die hatten Sorgen!
Doch den monegassischen Macho von Gottes Gnaden plagten andere Probleme, nachdem klar war, daß die Kelly ihm Caroline, Albert und Stephanie würde werfen können. Er war momentan knapp bei Kasse. Und so kam der Hof bei Grace'' Vater, der darüber schäumte, um reichlich zwei Millionen Dollar Mitgift ein.
Schließlich siegte bei den Kellys der Drang, in die besseren Kreise aufzusteigen (etwas, das ihnen in Philadelphia stets verwehrt blieb), über den Geiz. Grace'' Unglück stand nichts mehr im Wege. Hatte sie geglaubt, sie könnte ihren Thron mal eben für ihren Zweitjob in Hollywood verlassen, um weiterzufilmen, so entschied der Fürst im Namen seines Volkes, seine Frau habe es nicht nötig zu arbeiten.
Obwohl ihr die sozusagen anständigste Filmrolle aller Zeiten angeboten wurde, die der Jungfrau Maria und Mutter Gottes - ein Doppelporträt, dessen Gefährdungen ihr vertraut waren. Und, Undank ist der Welt Lohn, obwohl sie dem Tourismus in Monaco kräftig auf die Sprünge geholfen hatte, denn die Spekulation von Onassis war aufgegangen.
So schlug sich die einsame Fürstin den Rest ihres Lebens erst mit der französischen Sprache, dann mit ihrem Mann, dann mit ihren ungebärdigen Töchtern herum, die so gar nicht darauf bedacht waren, den Schein zu wahren.
Die Trostlosigkeit ihres fürstlichen Daseins läßt sich an ihren Hobbys und Verpflichtungen mühelos ablesen.
So wurde sie, unter anderem ,Präsidentin der monegassischen Sektion der "La Leche League" (Die Milch-Liga), einer Gesellschaft, die das Stillen mit der Mutterbrust propagierte. Selbst in das düstere Monaco-Schloß wie eine Blume ins Album gepreßt, pflückte sie Farne und Kräutlein an den mediterranen Wegrändern ihres putzigen Reichs. Dann preßte sie die Blümelein zu kunstvollen Arrangements und stellte sie aus. Eine Kritikerin schrieb folgerichtig: "Blumenpressen ist wahrscheinlich die trostloseste Kunstform, die die Menschheit kennt... die Blumen sehen tatsächlich tot aus."
Da sie nicht filmen durfte, veranstaltete sie Lesungen, denen ihr stämmiger Gatte grollend fernblieb - ihn zog es mehr zu den Grisetten nach Paris, sie blieb, immer öfter zur Flasche greifend, daheim.
Es war eigentlich wie bei Müllers nebenan, nur etwas teurer. Manchmal, auf Reisen, zankte man sich sogar so laut, daß die Hotelkorridore davon widerhallten. Man sieht: Lady Di und Charles hatten auch darin Vorläufer, Ehemiseren hat man nie exklusiv.
Noch einmal, 1962, machte Hitchcock sich und ihr Hoffnung auf eine Filmrolle. Es ging um "Marnie". Der Prinz, überraschend, stimmte zu. Wahrscheinlich kannte er die Rolle nicht, die seine Gattin spielen sollte: Marnie ist eine Kleptomanin, die von ihrem Mann mittels Vergewaltigung "zur Räson" gebracht wird - ein maliziöses Schauerstück der Chauvi-Kultur.
Erst der breite Mann auf den Straße von Monaco brachte die nach Hollywood flüchten Wollende wieder auf den felsigen Boden der monegassischen Tatsachen. In Befragungen kündigte sich in der Stimme des Volkes eine Staatskrise an. "Was ist, wenn sie den Hauptdarsteller küssen muß?",
"Ich könnte keine Achtung mehr vor ihr haben, wenn sie nach Hollywood ginge", "Können Sie sich Präsident Kennedy auf der Leinwand vorstellen?"
So blieb sie, wo sie war, und Hitchcock suchte sich für seine Marnie eine andere Blondine, Tippi Hedren, die er als Film-Pygmalion nach dem Vorbild der Kelly umformte. Der alte Mann überhäufte seinen neuen Star mit Schmuck, Blumen, Geschenken, er gestand ihr seine Liebe, machte ihr ein Angebot. Auch sie bestieg Hitchcocks Phantasie-Taxi nicht. Aber das ist eine andere Geschichte.
Der Kelly hatte Hitchcock, als er sie 1954 kennenlernte, in Gesellschaft noch dröhnend unanständige Witze erzählt, um sie in Verlegenheit zu bringen. Sie hatte ihn dadurch entwaffnet: "Lieber Hitch, die kenne ich doch schon aus meiner Klosterschulzeit." Dann lachten die beiden Katholiken.
So waren sie, die fünfziger Jahre.