FILBINGER Leben in Nischen
Die CDU-Spitzen von Helmut Kohl bis Norbert Blüm waren einig: Der "furchtbare Jurist" (so der Schriftsteller Rolf Hochhuth) mußte weg. Doch Baden-Württembergs Ministerpräsident Hans Karl Filbinger, ehedem Kriegsrichter in Hitlers Marine, widersetzte sich hartnäckig. Sein Parteifreund Manfred Rommel, Stuttgarter Oberbürgermeister, diagnostizierte schließlich eine "gewisse psychische Erstarrung".
Viel bewegt hat sich bei Filbinger, 73, der bis zu seinem erzwungenen Rücktritt 1978 Regierungschef im Ländle und Vorsitzender der Südwest-CDU war, seither nicht. Der Christdemokrat, der wahrheitswidrig bestritten hatte, an Todesurteilen beteiligt gewesen zu sein, sieht sich noch als Opfer eines "Rufmordes".
Über sein schreckliches Schicksal hat Filbinger nun auch noch eine Lebensbilanz verfaßt. Das über 360 Seiten starke Stück, Titel: "Die geschmähte Generation", _(Hans Filbinger: "Die geschmähte ) _(Generation". Universitas Verlag, ) _(München; 368 Seiten; 38 Mark. )
präsentiert er am Mittwoch dieser Woche im Stuttgarter Hauptstaatsarchiv. Das Werk soll, so Filbinger, zu seiner Rehabilitierung und zur Klarstellung beitragen.
Klargestellt ist allerdings längst, daß Filbinger unter anderem *___in Oslo 1945, sieben Wochen vor Kriegsende, als ____Ankläger die Todesstrafe
gegen den Marinesoldaten Walter Gröger, 21, wegen Entfernens von der Truppe beantragt und die Erschießung selbst geleitet hat; *___im Jahr 1943 wegen "fortgesetzter Plünderung" die ____Todesstrafe gegen den Matrosen Herbert Günter Krämer, ____19, gefordert hat, der aus einem Laden Filme, ____Niveacreme, Kölnisch Wasser und Zahnbürsten entwendet ____hatte - der Mann wurde später auf Filbingers Betreiben ____zwar zu zehn Jahren Zuchthaus "begnadigt", der ____Marineoberbefehlshaber aber hatte nur acht Jahre ____gefordert; *___über die Jahre als Marinerichter mit großer Härte gegen ____kleine Straftäter in der Marine vorgegangen ist.
Als Filbinger nur scheibchenweise mit der Wahrheit rausrückte und sich mit unseligen Sprüchen zu rechtfertigen suchte, fehlten seinen Parteifreunden schließlich die Worte. Der damalige Landesinnenminister Lothar Späth: "Meine Erklärungskraft ist erschöpft."
Inzwischen hat er sie wohl wiedergewonnen. Denn Späth, Filbingers Nachfolger im Amt, will diese Woche selber die Buchpremiere wegweisend würdigen - wohl um die aufziehende Auseinandersetzung über die Schrift, an der Filbinger drei Jahre gearbeitet hat, gleich zu Beginn zu entschärfen. Denn Erbe Späth, der nie die Traumergebnisse seines Vorgängers (56,7 Prozent) holte und sich nach 16 Jahren CDU-Alleinherrschaft wohl auf eine Koalition mit der FDP einrichten muß, kann weder parteiinternen Streit noch eine verquere Vergangenheitsbewältigung vor den Landtagswahlen am 20. März brauchen.
Bisher war es um Filbinger, dem viele ältere Christdemokraten die Treue halten, ruhig geblieben. Er hatte sich auf das von ihm gegründete "Studienzentrum Weikersheim e. V." konzentriert, wo sich radikalkonservative Politiker, Generale und Professoren treffen - vom österreichischen Kaisersohn und CSU-Europa-Abgeordneten Otto Habsburg bis zur Allensbacher Demoskopin Elisabeth Noelle-Neumann.
Doch nun will Filbinger, in eigener Sache, mit den Thesen aus diesem "institutionalisierten Zentrum konservativen Denkens" ("Die Zeit") eine breite Öffentlichkeit beglücken. Dem Buchtitel gemäß sieht er zwar eine ganze Generation "geschmäht", vor allem aber sich selbst. Er, der Kohlschen Gnade der späten Geburt nicht teilhaftig, sei einer "verlogenen und billigen Rufmordkampagne" zum Opfer gefallen, die er, da fackelt er nicht lange, dem "Ministerium für Staatssicherheit" in Ost-Berlin und dessen "Einflußagenten bei den Medien" zuschreibt. Gearbeitet werde in solchen Fällen stets mit "Fälschungen" und "falschen Zeugen" - obwohl es derer bei Filbingers unzweideutigem Wirken gar nicht bedurfte.
In der Tonlage einer teils weinerlichen, teils aggressiven Selbstrechtfertigung ist das Buch durchzogen von der Weigerung eines konservativen Herrenmenschen, seine eigene Gnadenlosigkeit wahrzunehmen. Bei anderen fällt ihm das nicht schwer, etwa bei dem "gnadenlosen" Hochhuth, der erst Papst Pius XII., dann Winston Churchill und schließlich ihn, den "Feind Nummer eins" der Linken, verleumdet habe. Ein Kartell "mächtiger Kombattanten", voran SPIEGEL und "Zeit", habe den Fall Gröger "als Unrechtsfall aufgezäumt und mir angehängt".
"Daß von Unrecht im Falle Gröger" keine "Rede sein kann", ist für Filbinger klar: Er fand sich damals lediglich "in ein Drama besonderer Art verstrickt" wie andere auch - "und das führte im Zuge einer Vergangenheitsbewältigung dazu daß diese Generation heute verunglimpft und geschmäht wird".
In einem Gespräch mit drei SPIEGEL-Redakteuren hatte Filbinger 1978 bündig erklärt: "Was damals Rechtens war, das kann heute nicht Unrecht sein" - ein Zitat, das er einige Wochen später der "Zeit" gegenüber in Abrede stellte. Nun spricht er von einer "Fälscherparole", denn er habe die Journalisten nur gewarnt, "im nachhinein ein nach gültigen Rechtsnormen ergangenes Urteil in Unrecht umzufälschen". Selbst wenn''s richtig wäre, was es nicht ist, wäre auch diese Version schlimm genug.
In seiner "zeitgeschichtlichen Darstellung der Kriegsgeneration", wie Filbinger sein Buch sieht, verfügt er einen kollektiven Freispruch. Er wolle nachweisen, erklärte er dem SPIEGEL letzte Woche, daß "wir unschuldig an der Heraufkunft Hitlers waren, daß wir alles durchstehen mußten und geläutert wurden durch alle Abgründe".
Von sich selbst berichtet der scharfe Marinestabsrichter in seinem Buch erneut, daß er eigentlich Widerständler gewesen sei. Schon früh habe er Verbindung zum Freundeskreis des katholischen Dichters Reinhold Schneider und des Nationalökonomen Walter Eucken geknüpft. Er habe damals auch dem oppositionellen "Bund Neudeutschland" nicht abgeschworen und sei deshalb von der "Studienstiftung des deutschen Volkes" als Stipendiat abgewiesen, später denunziert und durch einen Vermerk in seiner Referendarakte als "politisch unzuverlässig" gebrandmarkt worden.
Den Widerspruch, daß er, der angebliche Anti-Nazi, als Marinerichter amtierte - ein Posten, in den niemand hineingeprügelt wurde -, sucht der Christdemokrat zu verbrämen. "Das Volk war keine willenlose Masse", so Filbinger vorige Woche, "es gab differenziertes Leben im NS-Staat, das sieht man an meinem Beispiel, man konnte von innen heraus etwas tun, um die geistige Identität nicht aufzugeben, und das ist die beste Möglichkeit, eine Diktatur zu bekämpfen: ein Leben in Nischen."
Unverdrossen bleibt Filbinger in den Kapiteln über seine Marinezeit dabei, daß seinetwegen "kein Mensch sein Leben verloren hat", im Gegenteil, er habe nachweislich unter Hinnahme persönlicher Gefahren während des Krieges mehreren Soldaten das Leben gerettet.
Und dann das: die "Jagd gegen mich", die "Jagdgesellschaft, die nach dem Wild lechzte". Gegenüber der CDU, die seinen Rücktritt schließlich erzwungen hat und seit langem einen Gegenschlag befürchtete, zeigt Buchautor Filbinger sein reines Gewissen: "Ich habe die Partei nobel behandelt." _(Der spätere Papst Pius XII. (1939 bis ) _(1958). )