TV-SHOWS Inferno der guten Laune
Wenn die Unterhalterin Margarethe Schreinemakers aus der Kulisse springt, verwandelt sich das Fernsehstudio in ein Tollhaus.
Ovationen brechen los, das Auditorium pfeift, johlt und trampelt. Frau Margarethe dankt mit spitzen, kleinen Entzückensschreien: "Hu!" Dann treten die Kandidaten vor, zwei Paare wetteifern um die "wundervollen Preise". Die Spielführerin ist schon sehr erregt und kreischt beständig "Super!" oder "Toll". Begeistert krakeelt auch das Publikum.
"Wortschätzchen" steht auf dem Programm, ein Ratespiel für"Schlagfertige". Seit Anfang März erscheint es, monatlich einmal, 45 Minuten lang, im ARD-Kanal. Die Moderatorin Schreinemakers, 28, ist aus Radio Bremens regsamer TV-"Extratour" bundesweit bekannt. Nun soll sie auch die Unterhaltung des Kölner WDR nachhaltig befruchten. Hell erklingt ihr vertrautes "Hu!", die Rätselecke öffnet sich.
"Was existiert nur paarweise?" So lautet, beispielsweise, eine Gretchenfrage. Die Testanden grübeln: "Oma und Opa" oder "Dick und Doof". Und "Wobei sollte man auf keinen Fall einschlafen?" Bei der Arbeit und beim Geschlechtsverkehr, richtig. "Das is super", kräht Margarethe ein ums andere Mal und fordert auf zum "großen Abräumspiel". Ein Frauen-Paar greift jauchzend nach dem Sieggewinn - Toaster, Topf und Bettwäsche -, die Zuschauer rasen, die Exaltissima Schreinemakers legt alle Kraft in ein letztes erlösendes "Huu!" Und so endet "Wortschätzchen", die Hu-is-Hu-Show für das enthemmte Klein-Hirn.
Kurzweil und "Spannung für die ganze Familie", so rühmt der WDR, bringe das Sandkastenspiel. Die Entertainerin Schreinemakers behauptet sogar, "Wortschätzchen" halte "fit im Oberstübchen". Anstaltsextern sehen weite Kreise eher verstört auf das Inferno der guten Laune.
Ein Trend zur Tobsucht ist unverkennbar in deutschen TV-Unterhaltungen ein Drang zu ungenierter Blödheit und infantilem Spieltrieb. Spielshows sind en vogue, die das Volk mit rohen Späßen, Zunder und Zoten amüsieren. Die Lauser sind los. Eine neue Generation von Showmastern drängt in die Lachprogramme, Schadenfreude ist der Humus, auf dem ihr Gewerbe gedeiht. Und massenhaft stürzen sich die Laien-Spieler, die aufgekratzten Exhibitionisten, ins öffentliche Gelächter.
Die ARD ist Triebkraft der neuen manischen Heiterkeit. Das ZDF, sonst meist vorneweg in der Volksbelustigung, hat derzeit nur einen alten Hut am Markt - die dumpfe Freakshow "Kaum zu glauben". Am emsigsten ackern Bayernfunk und WDR in der Furche des Frohsinns, deren Output hält WDR-Fernsehchef Günter Struve für das derzeit "lebendigste und innovationsfreudigste" Entertainment.
Die Münchner haben den Familien-Wettkampf "Vier gegen Willi" im Rennen, mit dem possierlichen Nasenbär und Nippel-Sänger Mike Krüger, 35, als Moderator. An diesem Montag, 22 Uhr, startet der BR eine Show-Reihe mit "vergnüglichen Mißgeschicken": "Pleiten, Pech und Pannen". Köln setzt, neben der nervsägenden Frau Schreinemakers, auf den rabiaten Jürgen von der Lippe, 38, und sein tumultuöses, anarchisches "Donnerlippchen". Bis zu 45 Prozent der TV-Haushalte sind mitunter bei den Spielshows eingeschaltet.
"Jeder einmal für 15 Minuten ein Star" - danach lechzt, laut Andy Warhol, der Mensch im elektronischen Zeitalter. Einmal berühmt sein, ein Auto gewinnen oder 20000 Mark, dafür sind die Kandidaten zu jedem groben Unfug, zu den peinlichsten Scherzen bereit.
Auf der Geisterbahn von "Vier gegen Willi" etwa kam der Postbeamte Heinrich Gronenberg unter die Schere und zum Irokesen-Schopf. Die Punk-Band "Tote Hosen" zertrümmerte das Wohnzimmer einer entgeisterten Kandidaten-Familie. Eine unverzagte Dame mußte über die geölten Leiber einer Eishockey-Mannschaft kriechen. Mike erhielt dafür die "Saure Gurke", einen feministischen Wanderpreis für die frauenfeindlichste TV-Darbietung.
Wie ein "Blitz in die Tristesse der deutschen TV-Unterhaltung" (Selbstannonce) ist auch Animateur von der Lippe gefahren, immerhin ein sympathischer Zyniker, der seine Mitwirkenden gern mit ausgesuchten Bosheiten von bisweilen wirklich komischer Wirkung überzieht.
Lippe ist der junge Wilde der Zerstreuungs-Television, ein Virtuose der öffentlich-rechtlichen Zote, ordinär und rüde bis zum Sadismus. So placierte er unlängst zwei frisch ondulierte und gebügelte Mitspielerinnen in eine Badewanne, stellte Nonsens-Fragen und bei falschen Antworten die Dusche an. Sichtlich vergnügt betrachtete der Showmaster sodann die Damen-Qual, das ruinierte Make-up, die entstellten Gesichter. "Nicht mehr durch Leistung", zürnte die "FAZ", "sondern durch Leiden kommen Fernsehkandidaten neuerdings zu öffentlichen Ehren." Da lacht die Banausen-Republik, dem Spieler wird der Spott, im Glücksfall, hübsch vergolten - mit Bargeld, Videogerät oder Schreibmaschine.
Den Humor nach Art der Lippeschen Naßzelle haben die Deutschen, wo sonst, in Übersee gelernt. "Wortschätzchen" und "Donnerlippchen" sind US-Kreationen, der Producer Michael Hill liefert Spielmuster und Pointen. Zu jeder Sendung eilt er aus Los Angeles herbei.
Das US-Publikum ist seit Jahrzehnten närrisch nach solch irrwitzigen "Game Shows", die derzeit wieder einen gewaltigen Boom erleben, wie "Newsweek" meldet. "Love Connection", "Hollywood Squares" und "Jeopardy" heißen beispielsweise die Quiz- und Puzzlespiele. Das populärste Produkt aber ist "Wheel of Fortune", mit täglich 43 Millionen Zuschauern der größte Serien-Renner in der amerikanischen TV-Geschichte.
"Wheel", ein Jux mit Wortspielen, erreicht 99 Prozent der US-Fernsehhaushalte. Die Show kostet jährlich sieben Millionen Dollar und bringt 120 Millionen aus Commercials ein. Kürzlich hat Coca-Cola das Glücksrad mitsamt "Jeopardy" für 250 Millionen Dollar gekauft. Die "Wheel"-Hostess Vanna White, die sich am liebsten "wie eine Barbie-Puppe" kleidet, ist das vergötterte Wortschätzchen. Siegreiche Herren wollen gelegentlich, zum Finale, mit dem blonden Püppchen öffentlich knutschen.
Rund 10000 Kandidaten jährlich verschleißt die Game-Show-Industrie, und an Bewerbern herrscht kein Mangel. In Los Angeles residiert bereits eine Psycho-Schule, die Showkandidaten enthemmt. Schamschranken sind unerwünscht in einer Branche, die - wie früher die "1.98 Dollar Beauty Show" - monströse 300-Pfund-Frauen im Bikini vor die Kameras treibt.
So erbarmungslos wird hiesige Spielwut wohl niemals zuschlagen. Doch ist offenkundig, daß deutsche Gemütlichkeit und der frackselige Gefühlskitsch aus dem TV-Showbusiness verschwinden. Die "Vergißmeinnicht"-Welt von Peter Frankenfeld und seinem braven Geldbriefträger Walter Spahrbier ist endgültig passe. Fracksausen werden wohl auch bald die Abendfüller a la Thoelke und Kuli bekommen. Der "kleinen, schnellen Form" gehört die Zukunft, sagen die Experten, dem fixen, kessen Lach-Panoptikum im 45-Minuten-Format.
"Die Gürtellinie", droht von der Lippe, "muß in jeder Generation neu definiert werden." Nicht "niedlich und anbiedernd" soll die Unterhaltung daherkommen, sagt der "Willi"-Erfinder Jochen Filser, "wir wollen polarisieren". Und "Donnerlippchen"-Redakteur Wolfgang Neumann insistiert, die Laienspieler hätten stets ,eine unbändige Freude" an der Flagellanten-Show und empfänden keinerlei Opfer-Trübsinn.
Unversöhnlich freilich ficht, auf breiter Front, die Fernsehkritik gegen die neue humoristische Afterkunst. Tief bestürzt reagierte, zum Beispiel, "Die Welt" auf die Invasion der Knalltüten. Diese Unterhaltung sei "ein erfolgreicher Schritt auf die Verpöbelung unseres Fernsehens zu". Auch die Showmaster-Elite, Frank Elstner, grollte: "Es ist das Ende guter Unterhaltung, wenn man Kandidaten zu Opfern macht." Verbittert sind nun auch alle, die geglaubt haben, die endgültige Verpöbelung des Mediums sei die historische Aufgabe des Kommerz-Fernsehens.
Die Wissenschaft hat zur Erklärung des kollektiven Game-Show-Wahns kaum Erhellendes beigetragen. Eine fernseherfahrene amerikanische Psychiaterin will erforscht haben, die inbrünstige Freude des Publikums beruhe auf der "Rückkehr zum Spieltrieb der Kindheit". Die "FAZ" denkt, daß die Spielshows "jener therapeutischen Methode gleichen, die in der klinischen Psychologie zum Abbau von Objektängsten verwendet wird". Mag sein, wer aber nimmt uns die Ängste vor den Therapeuten?
Ein wenig Klarheit hat die freche Hamsterbacke Krüger unlängst ins Dunkel gebracht, als er bekanntgab, die Einbis Dreijährigen seien "genau die Zielgruppe für unsere Sendung"; alle Freunde der hübschen Kleinkinder-"Sendung mit der Maus" hat das schwer getroffen.
In ,Vier gegen Willi" mußte, übrigens, letztens ein erwachsenes Mitglied der Tiroler Familie Pirkl-Picker mehrere Würste von einer Leine beißen.
Sehr lustig, und falls die innovative Kraft der ARD noch zu weiteren psychischen Härtetests ausreicht, empfiehlt sich ein wegweisender, altersloser Showtitel, der sich schon im US-Radio der 40er Jahre bewährt hat: "It Pays to Be Ignorant" - Blödheit zahlt sich aus. _(Oben: Kandidat Heinrich Gronenberg, ) _(Mike Krüger; ) _(rechts: Walter Spahrbier, Peter ) _(Frankenfeld (1968). )