LITERATUR Der dritte Mann
Vom Entsetzen gejagt, auf der Flucht vor dem Verhängnis irren seine Helden durch die Straßenschluchten, schuldlose Opfer böser Verstrickungen, satanischer Komplotte, und ringsum im Dunkel lauert tausendäugig der Tod.
Abgründig und von Urängsten durchbebt ist die Welt des Amerikaners Cornell Woolrich, der in den dreißiger und vierziger Jahren seine schönsten Mordfabeln schrieb, dessen finstere Hirngespinste reichlich Stoff auch fürs Gruselkino lieferten, für rund 25 Filme insgesamt, darunter den Hitchcock-Thriller "Das Fenster zum Hof" und Francois Truffauts "Die Braut trug Schwarz".
Zum "Edgar Allan Poe des 20. Jahrhunderts" hat sein Biograph Francis M. Nevins ihn ernannt. Als einen der Großen der "Schwarzen Ära", den dritten Mann neben Dashiell Hammett und Raymond Chandler, so empfiehlt ihn der Diogenes-Verlag. Denn nach seinen erfolgreichen Werkausgaben zum Nachruhm Chandlers und Hammetts will Diogenes nun auch noch Woolrich in neuen oder bearbeiteten Übersetzungen zu einem späten Klassiker-Glanz verhelfen, der ihm in Heynes Krimi-Serie bislang versagt geblieben ist _(Zu Beginn der Diogenes-Ausgabe von ) _(Woolrich-Romanen sind soeben erschienen: ) _("Der schwarze Vorhang" (184 Seiten; 9,80 ) _(Mark), "Der schwarze Engel" (268 Seiten; ) _(12,80 Mark), "Der schwarze Pfad" (180 ) _(Seiten; 9,80 Mark). - Heyne offeriert ) _(unter anderem die Romane "Schwarzes ) _(Alibi" (256 Seiten; 6,80 Mark) sowie in ) _(einem Band "Phantom Lady" und "Die Braut ) _(trägt Schwarz" (156 Seiten; 6,80 Mark), ) _(dazu drei Sammlungen von ) _(Kriminalgeschichten: "Engel der ) _(Finsternis" (256 Seiten; 7,80 Mark), ) _("Unter Beobachtung" (220 Seiten; 7,80 ) _(Mark), "Nachtgedanken" (252 Seiten; 7,80 ) _(Mark). ) .
Hammetts San Francisco, Chandlers Los Angeles, das New York des Cornell Woolrich: So verschieden bei den dreien auch die Schauplätze, es ist immer wieder die gleiche verkommene, zynische, mörderische Welt der Asphaltdschungel, in der ihre blutigen Melodramen spielen, die zwielichtige Großstadt-Szenerie der Cafeterias, Spelunken, Spielhöllen und schäbigen Hotels, der Prostituierten, Rauschgifthändler, Berufskiller und korrupten Polizeichefs - nur schnüffelt bei Woolrich eben kein Privatdetektiv vom harten Schrot eines Sam Spade oder Philip Marlowe durchs Revier.
"Wie ein alter Kaugummi, nur nicht so zäh", fühlt sich im "Schwarzen Pfad" der arbeitslose Streuner Scotty, von den Bullen gehetzt als vermeintlicher Mörder. Eines vor Jahren begangenen Mordes verdächtigt wird im "Schwarzen Vorhang" der brave Frank Townsend, der an Gedächtnisschwund leidet und blindlings durchs Dunkel seiner Vergangenheit tappt. Für schuldig befunden, seine Geliebte umgebracht zu haben, wartet im "Schwarzen Engel" Kirk Bennett in der Todeszelle auf den letzten Gang zum elektrischen Stuhl.
Und unter Mordverdacht, im panischen Wettlauf gegen die Zeit, rennt noch so mancher Woolrich-Held um sein Leben, durch die "Aura des Unbekannten", bedroht von "einer schemenhaften, gestaltlosen Gefahr", voller Todesfurcht "wie ein in die Enge getriebenes Tier", und "die Schlinge um ihn herum zog sich mit jedem Mal enger zu".
Das Leben als Nachtmahr, den Lesern effektvoll zu Gemüt geführt in oft haarsträubend absurden, doch allemal spannenden Plots: In rund zwei Dutzend Romanen hat Woolrich sein Thema variiert, dazu in vielen hundert Mystery Stories, mit denen er die Groschenhefte belieferte, Kriminalmagazine wie "Black Mask", für die auch die Kollegen Chandler und Hammett schrieben.
Dabei war Woolrich, 1903 in New York geboren, ähnlich wie Chandler einst mit sehr viel höherem literarischen Ehrgeiz ans Werk gegangen. Inspiriert von seinem Vorbild Scott Fitzgerald, hatte er in den zwanziger Jahren des Jazz-Zeitalters zwei Romane verfaßt, was ihm einen Hollywood-Vertrag eintrug, und dazu in Hollywood die äußerst kurze Ehe mit der Tochter eines Filmproduzenten, die für Woolrichs homosexuelle Neigungen kein Verständnis zeigte.
So floh er zurück nach New York zur Mutter, mit der er fortan, "gefangen in einer bizarren Haßliebe" (so sein Biograph Nevins), über zweieinhalb Jahrzehnte hinweg zusammenlebte, in Pensionen und Hotels, ein blasser, scheuer, einsamer Mann, zurückgezogen von der Außenwelt, verbunden (wie er selbst sagte) in "lebenslanger Partnerschaft" allein mit seiner Schreibmaschine.
Im Depressionsjahr 1934 stieg der Romancier Woolrich hinab in die Niederungen der Thriller-Literatur. Er sollte sich als einer ihrer produktivsten Autoren hervortun. Seine Geschichten wurden zu Hörspielserien, später auch fürs Fernsehen dramatisiert, seine Kriminalromane dienten als Vorlage für die "schwarzen Filme" made in Hollywood. Cornell Woolrich in den vierziger Jahren war ein überaus erfolgreicher Mann.
Doch seine Schaffenskraft erlahmte, seine Popularität schwand bald dahin, und als 1957 seine Mutter starb, versank der Eigenbrötler Woolrich vollends in Verzweiflung. Dem Suff ergeben wie Hammett, wie Chandler, quälte er sich durch die letzten Jahre. "Ich habe", schrieb er, "nur versucht, noch ein klein wenig länger am Leben zu bleiben, nachdem ich schon längst gestorben war."
Woolrich, nach einer Beinoperation an den Rollstuhl gefesselt, starb 1968 an einem Schlaganfall. Er hinterließ der New Yorker Columbia-Universität eine Million Dollar für einen Stipendienfonds zur Unterstützung junger Schriftsteller.