Unternehmen Ab in den Irrsinn
Diese Geschichte beginnt wie ein Märchen. Sie beginnt gut: Es waren einmal ein paar Freunde, die gründeten eine Firma. Weil sie begabt, mutig und ehrgeizig waren, machten sie daraus ein großes Unternehmen.
Der Name ihrer Firma: Unister. Millionen Menschen suchen hier ihr Urlaubsglück, auf Internetseiten die ab-in-denurlaub.de oder fluege.de heißen. Gut 1500 Menschen arbeiten für das Unternehmen.
Der Mann, der Unister erschuf, heißt Thomas Wagner. 2002, die Dotcom-Blase war gerade geplatzt, baute der damals 23-jährige BWL-Student mit Freunden ein paar Internetportale.
Binnen zwölf Jahren wurde die Firma zum größten Onlinereisevermittler hinter der Deutschen Bahn. Über eine Milliarde Euro Reiseumsatz macht das Leipziger Mini-Imperium heute pro Jahr. Ein Interneterfolg, made in Ostdeutschland. So weit das Märchen.
Weil es bei dem Aufstieg wohl nicht immer mit rechten Dingen zuging, nahm die Geschichte eine jähe Wende. Unisters Geschäftsmethoden riefen die Staatsanwälte auf den Plan, 2012 und 2013 gab es Razzien, Wagner und seine Mitstreiter landeten sogar einmal in Untersuchungshaft. Es war der Tiefpunkt der Firmengeschichte.
Bisher. Denn nun droht der Firma neues Ungemach. Was Staatsanwälte und Richter nicht geschafft haben, erledigen die Gründer von Unister jetzt womöglich selbst: ihr Lebenswerk in Bedrängnis zu bringen – mit einem hässlichen Streit um Geld, Macht und Loyalität.
Am Mittwochabend sitzt Thomas Wagner in einem schmucklosen Konferenzraum der Unister-Zentrale in Leipzig. Er trägt ein leicht zerknittertes weißes Hemd und Dreitagebart, vor sich hat er einen Stapel handbeschriebener Zettel. Wagner sieht abgekämpft aus.
Wäre alles nach seinen Vorstellungen gelaufen, hätte die Unister-Holding schon vor ein paar Monaten ihre Reisesparte an einen Investor verkauft, für Hunderte Millionen Euro. Doch aus dem Plan wurde nichts, weil sich bislang kein Käufer fand. Die finanzielle Lage des Unternehmens ist angespannt. In den kommenden Monaten stehen Kredite zur Verlängerung an.
Eigentlich müssten Wagner und seine Partner in dieser Situation vor allem eines tun: Ruhe bewahren, gut Wetter machen. Sie müssten signalisieren, dass sie alles im Griff haben, dass der Laden rundläuft.
Doch Wagner fährt einen riskanten Kurs. Der Unister-Chef hat einen Gesellschafterstreit mit seinem Mitgründer Daniel Kirchhof losgetreten. "In dieser heiklen Lage weitere Unruhe zu stiften, ist unverantwortlich", sagt ein früherer Manager. Wirtschaftsprüfer und Gläubiger seien alarmiert, heißt es im Unternehmen. Hartnäckig versucht Wagner, Kirchhof loszuwerden. Vor fünf Wochen verlangte Unister eine außerordentliche Hauptversammlung seiner Tochter Travel24. Einziger Tagesordnungspunkt: die Abberufung von Kirchhof als Aufsichtsrat. Er habe "mehrfach seine Pflichten als Mitglied des Aufsichtsrats verletzt". Zur "Abwendung etwaiger weiterer Nachteile" für die Firma müsse er vorzeitig gehen. Es war die öffentliche Kriegserklärung.
Kirchhof wehrt sich dagegen juristisch. Die für Mitte Juli angesetzte Hauptversammlung könnte zum Showdown werden – was eine Katastrophe nicht nur für Travel24 wäre, sondern für das gesamte Unister-Reich, zu dem auch Domains wie shopping.de, auto.de und news.de zählen.
Dabei waren Wagner und Kirchhof lange ein bewährtes Team. Die beiden kennen sich noch aus Uni-Tagen. Wagner brach sein BWL-Studium nach dem Vordiplom ab, Kirchhof machte brav seinen Abschluss und kam zu Unister, als er einen Praktikumsplatz suchte. Er blieb und wurde Miteigentümer, zwölf Jahre lang teilten sich die zwei das Chefbüro in der Zentrale im Leipziger Barfußgässchen.
Wagner, 37, mit Fransen-Haarschnitt und Jeans-Look, galt von Anfang an nach außen als Mr Unister. Kirchhof, 37, mit seinen nach hinten gekämmten, blonden Locken und im Business-Look, saß still am Laptop über Zahlen und Beteiligungen. Privat hatte man sich wenig zu sagen, aber geschäftlich zog das Duo lange an einem Strang, um aus dem ostdeutschen Start-up doch noch eine finanzielle Erfolgsgeschichte zu machen.
Was genau den Ausschlag für den Krach gab, lässt sich im Nachhinein kaum genau festmachen. Spannungen gab es offenbar schon nach der Untersuchungshaft.
Unister-Gründer Wagner betrachtet das Unternehmen zudem als sein Werk, Widerstand ist nicht vorgesehen. Im Gesellschafterkreis sitzen zwar noch die beiden Zwillingsbrüder Christian und Oliver Schilling, zwei ehemalige Bundespolizisten und Jugendfreunde von Wagner. Doch die Versammlung sei eine reine Abnick-Runde, sagen Eingeweihte. Wagner träume schon lange davon, Unister tatsächlich allein zu regieren und seine Mitstreiter herauszukaufen, sagt ein Wegbegleiter. Es habe ein "gemeinsames Verständnis" gegeben, dass sich die anderen ins Private zurückziehen, nennt Wagner das. Übrig geblieben wäre nur einer: er.
Den Traum von der Alleinregentschaft hätte sich Wagner mit dem Verkauf der Reisesparte erfüllen können. Mit den Hunderten Millionen Euro hätte Unister Wagners Kumpel auszahlen können. Doch der Verkaufsprozess liegt brach. Schuld daran, so sehen es manche, sei Wagner selbst, der immer noch fest daran glaube, dass sein Reisegeschäft eigentlich eine knappe Milliarde Euro wert ist. Eine Summe, die mögliche Käufer verschreckte.
Dass sich bislang kein Investor fand, muss jedenfalls den Streit zwischen den Expartnern verschärft haben. Unister hat angeblich rund zehn Millionen Euro bei der Käufersuche verbrannt. Kirchhof fand das wohl zu viel. "Irgendwann hat Wagner beschlossen, dass Kirchhof einfach weg muss", sagt ein Eingeweihter.
Aufgefahren werden nun Anwälte und schweres Geschütz, auf beiden Seiten. Seinem langjährigen Büro-Mitbewohner Kirchhof hat Wagner Hausverbot für die Zentrale erteilt. Kirchhof habe dem Unternehmen finanziell geschadet, heißt es im Kreis um Wagner. Die Vorwürfe laufen darauf hinaus, dass der ehemalige Kompagnon sich auf Kosten von Unister bereichert habe.
Kirchhof betreibt eine eigene Werbeagentur. Die bucht für Unister-Portale TV-Spots und Anzeigen in Printmedien. Die in der Branche üblichen Rabatte soll Kirchhof jedoch nicht an Unister weitergereicht, sondern behalten und zum Teil in die eigene Tasche gesteckt haben. Es gehe um einen mittleren sechsstelligen Betrag.
Kirchhof streitet das ab. Ein Vertrag habe klar geregelt, wie viel seine Agentur behalten darf, jahrelang sei das auch nicht bemängelt worden. Abschließend klären lässt sich von außen weder das eine noch das andere. Von gelebter Praxis, Handschlag- und Gentlemen-Agreements ist die Rede – die ganze typische Wurschtigkeit der Unister-Welt.
Wie Wagner und Kirchhof, die mal gut miteinander konnten, jetzt versuchen, sich gegenseitig auszubooten, ist beinahe tragisch. Im März versuchte Wagner, Kirchhofs Firmenanteile einzuziehen. Dazu hatte er sich mit einem Beschluss der übrigen Gesellschafter – im Wesentlichen der Exbundespolizisten, die seine Freunde sind – munitioniert. Doch Kirchhof wehrte den Angriff trickreich ab. Er übertrug seine Anteile (alle, bis auf zwei) Ende März kurzerhand an eine Gesellschaft des Leipziger Immobilienkönigs Steffen Göpel. Der frühere DDR-Rennfahrer gehört bereits zum Kreis der Unister-Eigner: Er half der klammen Firma im vergangenen Jahr mit einem Kredit und bekam dafür etwa fünf Prozent der Anteile abgetreten – so lange, bis der Kredit zurückgezahlt ist. Göpel gilt nicht als Wagner-Freund und die Abneigung beruht auf Gegenseitigkeit: "Wir wollen ihn als Gesellschafter hier nicht haben", heißt es aus Wagners Umfeld.
Am 31. März fand das Scharmützel seinen vorläufigen Höhepunkt. Zur Gesellschafterversammlung in der Firmenzentrale erschienen Wagner, Kirchhof und Göpel in Begleitung ihrer Juristen. Erst in der Sitzung erfuhr Wagner von Kirchhofs Verkaufscoup – turbulent und ziemlich laut soll es daraufhin zugegangen sein, berichten Anwesende. Seither herrscht kaum verhohlen Krieg.
Wagner ließ den Verkauf anfechten: Ohne Zustimmung der übrigen Gesellschafter habe Kirchhof nicht verkaufen dürfen, jedenfalls nicht an einen, der nur vorübergehend im Eignerkreis sitze. Vor Gericht geht es jetzt hin und her: Anfechtungsklagen, einstweilige Verfügungen, die Anwälte haben gut zu tun.
Der Streit hat Unister in ein Tollhaus verwandelt. Kirchhof ist dabei nicht die einzige Personalie. Im Management hat ein regelrechter Exodus eingesetzt: Ende März verabschiedete sich Geschäftsführer Peter Zimmermann, unlängst der Pressesprecher – alles planmäßig, wie Unister sich zu versichern müht. Am Mittwoch vermeldete die Firma schließlich den Abgang ihres "Chief Operating Officers" Andreas Prokop. Auch er wurde abgesetzt, weil er sich mit Wagner überworfen hat. Der Vorwurf: Kontakte zum Feindeslager um Kirchhof und Göpel.
Gerade Prokops Rauswurf ist riskant, er genießt bei den Geldgebern einen guten Ruf. Und der ist derzeit wichtig: Ende Februar soll Kirchhof seine Miteigner gewarnt haben, dass sich Unister in einer schwierigen Situation befinde. In der Hoffnung auf einen Millionendeal mit der Reisesparte habe man erhebliche Schulden gemacht, von 85 Millionen Euro sei die Rede gewesen; der operative Verlust allein im dritten Quartal 2014 soll bei über 20 Millionen Euro gelegen haben. Kirchhof warnte vor einer weiteren Wertvernichtung.
Solange der Zoff zwischen den Gründern schwelt, wird sich auch schwer ein Käufer für die Reisesparte finden. Angebliche Bieter wie ProSiebenSat.1 sind in Wahrheit schon lange abgesprungen. Der Münchner TV-Konzern hätte sich ohnehin nur für einen kleinen Teil interessiert und ließ selbst davon schnell ab: Die Prognosen befand man für unrealistisch, harte Zahlen zum Geschäftsverlauf und den Geldflüssen innerhalb des Reisereichs bekamen die Münchner ebenso wenig zu sehen wie andere Bieter.
Auch die renommierte Investmentbank Goldman Sachs soll abgesagt haben. Selbst ein von Unister beauftragtes juristisches Gutachten und eine mehrere Hundert Seiten umfassende Expertise der Unternehmensberatung Boston Consulting Group verfingen nicht. Die Berater von Deloitte verfassten gar noch im Dezember 2014 eine 237 Seiten starke Finanzbewertung (Titel: "Project Ulanda") – da war der Verkaufsprozess schon fast gestorben.
Dass es bei Unister nicht ganz so geordnet zugeht wie in normalen Unternehmen, gehörte lange zum gut gepflegten Image der Start-up-Truppe. Das Wachstum des heimlichen Reiseriesen beruhte immer auch darauf, dass die Jungunternehmer ausgesprochen erfinderisch waren, wenn es darum ging, neue Servicegebühren zu erheben und sie den Onlinekunden erst möglichst spät im Buchungsprozess transparent zu machen. Nämlich dann, wenn diese schon viele Daten eingetippt hatten und den Aufwand scheuten, dieselbe Prozedur bei einem anderen Anbieter von Neuem zu beginnen. So brachten sich die Leipziger im Netz und bei Verbraucherschützern allerdings flugs als "Abzocker" in Verruf.
Ein Unister-"Produkt" namens "Stornoschutz" trug Wagner und Kirchhof neben weiteren Vorwürfen schließlich die Razzien, eine mehrtägige U-Haft und Anklagen ein. Die Staatsanwaltschaft Dresden sieht darin Unisters Version einer Reiserücktrittsversicherung – das Unternehmen hatte allerdings keine Versicherungssteuer sondern Umsatzsteuer dafür bezahlt. Unister sagt, man sei "sehr an einer Klärung dieser Vorwürfe interessiert".
In einem weiteren Verfahren haben die Dresdner Staatsanwälte inzwischen eine Praxis im Visier, die in der Branche als "runterbuchen" bekannt ist. Nach Einschätzung der Ermittler führte diese dazu, dass Kunden entgegen aller Werbeversprechen ("Fluege.de findet den billigsten und schönsten Flug") überhöhte Preise bezahlten, weil Kostenvorteile nicht an sie weitergegeben wurden. Unister bestreitet diesen Vorwurf.
Vor Kurzem gab zudem das Landgericht Leipzig einer Klage des Verbraucherzentrale Bundesverbandes statt. Sie hatte eine Strafgebühr von bis zu 50 Euro bemängelt, die Unister verlangte, wenn Kunden eine fällige Zahlung versäumten oder ihre Kontonummer falsch eingegeben hatten.
Eines immerhin konnte man den Gründern und Gesellschaftern bislang nicht vorwerfen: Einen übertriebenen Hang zu persönlichem Luxus. Eitelkeit oder Eigen-PR. Thomas Wagner wohnte lange in einer WG und ist dann in eine 68-Quadratmeter-Wohnung in Leipzig-Gohlis umgezogen. Mittags geht er mit den Schilling-Zwillingen gern in die Rathaus-Kantine oder auf einen Döner und zahlt sich selbst ein Gehalt von unter 5000 Euro im Monat. Offenbar ist die einzige Extravaganz, die er sich gönnt, ein weißer Porsche Boxster.
Über die Geldflüsse innerhalb des Konzerns haben allerdings selbst Kenner den Überblick verloren. Größter Geldgeber ist der Hamburger Versicherungskonzern Hanse Merkur, der Unister über 40 Millionen Euro geliehen hat, die wohl im Oktober fällig werden – auch dafür sollte das Geld aus dem Verkauf der Reisesparte her. Ob der Kredit inzwischen verlängert wurde, mag Wagner nicht sagen.
Das Hanse-Merkur-Darlehen soll auch mit Aktien der Travel24 besichert sein. Deren jüngster Quartalsbericht aber ist ein Beleg des Grauens: Weil das Reisegeschäft nicht läuft, sank der Umsatz um gut 40 Prozent, der Nettogewinn um 87 Prozent, die Vergleichswerte aus dem Vorjahr musste Travel24 wegen falscher Annahmen nachträglich nach unten korrigieren.
Mit einer Anleihe von 25 Millionen Euro wollte die Firma eigentlich Billighotels bauen. Aus denen sollten bereits 2015 knapp drei Millionen Euro Umsatz fließen. Fertiggestellt wurde bisher allerdings keines.
Die Wirtschaftsprüfer haben den Jahresabschluss für 2014 bisher nicht testiert. Für die Zeichner der Anleihe sind das keine gute Nachrichten. Bis 2017 muss Travel24 die Anleihe zurückzahlen, noch ist das Unternehmen sicher, dass dafür ausreichend Geld vorhanden ist.
Unister-Gründer Wagner gibt sich derweil beim Termin in Leipzig unverdrossen. Zumindest er scheint weiter an das Märchen zu glauben und sogar an ein Happy End. Er sei, sagt er, "in der Gesamtlage optimistisch".