Juden Wut auf sich selbst
Der Kandidat hatte es reichlich eilig. Schon einen Tag nachdem der verstorbene Heinz Galinski, vier Jahre Vorsitzender des Zentralrats der Juden in Deutschland, beerdigt worden war, meldete der Frankfurter Immobilienkaufmann Ignatz Bubis, 65, Ansprüche auf das Amt an.
Er sei, verteidigte sich der Vorsitzende der Frankfurter Jüdischen Gemeinde vorige Woche, seit langem als Galinski-Nachfolger gehandelt und deshalb gleich nach dessen Tod immer wieder zu Erklärungen gedrängt worden. Da habe er schließlich bestätigt, worüber ohnehin schon spekuliert worden sei. Bubis: "Das ist keine allzu große Sünde."
Der Frühstart brachte dennoch viele gegen den Bewerber auf. "Ein großes Gegrummel" hat ein Mitglied der Hamburger Jüdischen Gemeinde vernommen. Nach jüdischem Religionsritus ist nach einem Todesfall für 30 Tage Trauerzeit vorgeschrieben. Besonders strikt ist die Trauer in den ersten sieben Tagen einzuhalten. Er "bedauere außerordentlich", grollte denn auch Galinski-Stellvertreter Max Willner, "daß dies nicht respektiert" worden sei.
Die Rüge galt auch Robert Guttmann, 53, vom Vorstand der Israelitischen Kultusgemeinde in München. Der Großhandelskaufmann, seit eineinhalb Jahren neben dem Frankfurter Willner Galinskis Vize, hatte zunächst die hurtige Kandidatur von Bubis bemängelt. Dann aber brachte er sich selbst als Nachfolger ins Gespräch - acht Tage nach dem Ableben Galinskis.
Dabei hätten sich beide Bewerber ruhig Zeit lassen können. Bisher steht noch nicht einmal fest, ob der neue Vorsitzende der Dachorganisation von 35 000 Juden in Deutschland schon auf der nächsten Sitzung des Direktoriums, dem 21 Mitglieder angehören, am 20. September gewählt wird.
"Manche", berichtet der Generalsekretär des Zentralrats, Micha Guttmann, "wollen zunächst mal eine Gedenksitzung" und die Neuwahlen auf den regulären Wahltermin im Januar _(* In Frankfurt 1985, bei einer ) _(Demonstration gegen das Fassbinder-Stück ) _("Der Müll, die Stadt und der Tod" in den ) _(Kammerspielen. ) nächsten Jahres verschieben. Dann hatte Galinski sein Amt ohnehin an einen Nachfolger abgeben wollen.
FDP-Mitglied Bubis galt in der Tat seit langem als aussichtsreicher Bewerber. Und der gebürtige Breslauer wird wohl auch das Rennen machen. Gegenkandidat Robert Guttmann, der 1939 in Budapest geboren wurde, in Ungarn, Schweden und Israel aufwuchs, in Paris promovierte und sechs Sprachen spricht, ist bisher auch in der jüdischen Öffentlichkeit wenig bekannt.
Bubis hingegen, der während des Nationalsozialismus das Ghetto Deblin und das Arbeitslager in Tschenstochau überlebte und der in den Wirtschaftswunderjahren nach dem Krieg zu einem der reichsten Männer Frankfurts aufstieg, ist vielen auch außerhalb der Frankfurter Gemeinde seit langem ein Begriff - wenn auch nicht nur positiv.
Als Anfang der siebziger Jahre Häuserspekulanten und Stadtverwaltung in trautem Zusammenspiel das alte Frankfurter Westend zerstörten,war auch Bubis unter den etwa 50 Investoren, die in dem Poker mitmischten. Die brutalsten Straßenschlachten mit der Hausbesetzerszene wurden 1974 geschlagen, als Bubis seine besetzten Häuser polizeilich räumen ließ.
In ihm wollten deshalb manche den "reichen Juden" aus Rainer Werner Fassbinders umstrittenem Theaterstück "Der Müll, die Stadt und der Tod" wiedererkannt haben. Bubis protestierte 1985 gegen die Aufführung des Stückes in Frankfurt, das er, wie viele andere, für antisemitisch hielt. Gleichzeitig wehrte er sich gegen die Unterstellung, er sei Vorbild für Fassbinders skrupellose Zentralfigur gewesen.
Mit den Protesten und antisemitischen Pamphleten, deren Ziel Bubis damals war, habe der "jüdische Selfmademan" die "Wut der Bundesrepublikaner auf sich selbst" zu spüren bekommen, glaubt der Heidelberger Professor für Erziehungswissenschaft, Micha Brumlik. Gegen Bubis habe sich der Groll der "Wirtschaftsbürger eines Wirtschaftsstaates" gerichtet, "den viele nicht akzeptieren mochten, obwohl sie nur durch ihn zu dem wurden, was sie sind".
Brumlik, der Bubis jetzt für den richtigen Mann im Vorsitz des Zentralrats hält, hatte Mitte der achtziger Jahre noch zusammen mit anderen in einer "Neuen Jüdischen Liste" gegen dessen Führungsstil in der Frankfurter Gemeinde opponiert. Inzwischen haben auch die anderen aus der Gruppe mit Bubis ihren Frieden gemacht.
"Der ist", so der Frankfurter Übersetzer und Religionslehrer Andrew Steiman, 34, "ein Gewinn für uns." Bubis, beobachtete Steiman, habe als Vorsitzender der Frankfurter Jüdischen Gemeinde "für Probleme immer ein offenes Ohr" und sei im Umgang "viel kameradschaftlicher", als es Heinz Galinski jemals war.
Solche Fähigkeiten wird der Kandidat, wenn er denn gewählt wird, dringend brauchen. Denn im wiedervereinigten Deutschland mit wachsendem Rechtsextremismus ist das "undankbare Amt" (Steiman) des Zentralratsvorsitzenden schwieriger geworden. Vor allem viele jüngere Juden, aufgewachsen in der alten Bundesrepublik, fühlen sich zunehmend fremd. "Wir haben keine Zukunft hier", fürchtet Steinman.
Mit ihren Ängsten und Zweifeln sehen sich die Jungen bisher auch von ihren Altvorderen im Zentralrat alleingelassen. Denen werfen sie vor, zu sehr auf Repräsentation nach außen zu setzen. "Wir müssen mehr für die Kinder- und Jugenderziehung tun", hat der Münchner Guttmann erkannt, "sonst haben wir keine jungen Leute mehr."