Ballonfahren Ritt auf dem Wind
Nach diesem Flug", sagt Larry Newman, "werde ich pleite sein und nur noch Schulden haben. Aber dieses Abenteuer ist nun mal immer mein Traum gewesen."
Der Traum, mit einem Luftballon einmal rund um den Erdball zu gondeln, ist an die 200 Jahre alt. Verwirklicht wurde er nie. Allein seit 1980 wurden fünf Versuche unternommen, drei Ballonkapitäne brachen sich dabei den Hals.
In dieser Woche, am Donnerstag oder Freitag, will Newman auf den gefährlichen 32 000-Kilometer-Trip gehen - mit einem futuristischen Ballonfahrzeug, das einer riesigen Sanduhr gleicht: Die "Virgin Earthwinds", so der Name des Luftvehikels, besteht aus zwei mächtigen, übereinander schwebenden Ballonsäcken, zwischen denen eine winzig anmutende Kabine hängt (siehe Grafik).
Rund fünf Millionen Dollar hat der Bau des ingeniösen Zwillingsballons gekostet; gefertigt wurde er im Riesenhangar des Loral Air Dock in Akron (Ohio). Dort waren um 1930 die später katastrophal verunglückten US-Luftschiffsaurier "Akron" und "Macon" entstanden - Skeptiker sagen dem Newman-Ballon ein ähnlich trübes Schicksal voraus.
Die "Virgin Earthwinds", mit einer Länge von 112 Metern so groß wie die Freiheitsstatue in New York, soll nach dem Start auf dem Werftgelände von Akron zwölf Kilometer hoch in den Himmel steigen und sich dann vom sogenannten polaren Jetstream davontragen lassen, einem ebenso mächtigen wie tückischen Luftstrom, der in westöstlicher Richtung bläst und eine Spitzengeschwindigkeit von mehr als 600 Stundenkilometer erreichen kann.
Ungefähr auf dem 50. nördlichen Breitengrad wird der instabile Doppelballon wie ein torkelnder Riese mit gut 250 Stundenkilometer gen Osten sausen - über den Nordatlantik nach Europa, dann über die Landmassen der GUS-Staaten bis zum Himalaja und schließlich über den Pazifik zurück in die USA. Zwei bis drei Wochen soll der mörderische Ritt auf dem Sturmwind dauern, eine Art Sturzflug in der Horizontalen.
"Eine Chance von 50 Prozent" gibt der russische Luftwaffengeneral und Ex-Kosmonaut Wladimir Dschanibekow dem windigen Unternehmen. Der hochdekorierte Offizier, der auf insgesamt fünf Raumflügen die Erde schon 2300 mal umkreist hat, gehört neben dem Bootsbauer Don Moses und dem Piloten Newman zur dreiköpfigen Crew der "Virgin Earthwinds".
Raumfahrer Dschanibekow, Träger des Leninordens und gleich zweimal zum "Helden der Sowjetunion" ernannt, ist für die ausgepichte Technik der "Earthwinds"-Kapsel verantwortlich. In der hotelzimmergroßen Gondel, einer Spende der Herbergsfirma Hilton, stapeln sich an den Wänden Meßgeräte, Radio- und Funkanlagen sowie Einrichtungen für die Satelliten-Navigation. Da der Ballon steuerlos wie Treibgut durchs dichte Luftstraßennetz des Flugverkehrs trudelt, muß die Mannschaft ständig ihre Position in die Welt funken und sich bei den Bodenstationen der Fluglotsen melden.
In der engen Kapsel, die nur eine einzige Bettstatt für die drei Ballonschiffer bereithält, herrscht während der ganzen Reise ein Höllenlärm, der nur mit Ohrenschützern zu ertragen ist. Verursacht wird er von zwei Benzinmotoren unter dem Gondelboden, die den High-Tech-Ballon mit Energie versorgen. Fallen sie aus, wird es in der Kapsel nicht nur finster und kalt; auch das überlebenswichtige Kommunikationssystem bricht dann zusammen.
Vor allem aber wird der Ballon beim Ausfall der Motoren vollends manövrierunfähig: Nur mit ihrer Hilfe kann es gelingen, das Vehikel wochenlang in einer stabilen Flughöhe zu halten und so die Schubkraft des Jetstreams für die geplante Weltreise zu nutzen.
Bei herkömmlichen Gasballons wird der Aufstieg durch Ballastabwurf, der Abstieg durch Gasablassen reguliert. Gas und Ballast sind beim Auf und Ab dieser Steuermethode meist rasch verbraucht - was Langstreckenfahrten Grenzen setzt.
Den Jo-Jo-Effekt, der die Schwebefahrzeuge durch ständig wechselnde Luftschichten schickt, hoffen die "Earthwinds"-Piloten mit ihrer neuen Ballontechnik ausschalten zu können: Mit einem Kompressor, der von den Bordmotoren angetrieben wird, pumpen sie Luft in den "Ankerballon" unterhalb der Gondel - die tonnenschwere Portion Preßluft dient als Ballast, mit dem sich der heliumgefüllte "Auftriebsballon" jederzeit stabilisieren läßt.
Ob sich das Kompressor-System im tosenden Jetstream bewähren wird, ist ungewiß; Testflüge gab es nicht. Auf mögliche Bruchlandungen hat sich die Ballonmannschaft vorbereitet: An Bord befinden sich Fallschirme, Schwimmanzüge, Leuchtfeuer und ein Jagdgewehr, das bei der Nahrungssuche helfen wie zur Verteidigung dienen soll.
Angespornt werden die Ballonabenteurer von ihren Ehefrauen. Die Gemahlin des Kosmonauten Dschanibekow, der in der Höhe nach dem Ozonloch Ausschau halten will, strickte dicke Pullover für die Crew. Lynne Newman, die als Managerin das "Earthwinds"-Projekt organisiert hat, will ihren Mann auch auf seinem Weltrundflug nicht aus den Augen lassen: Sie plant, einmal täglich im Flugzeug an dem Ballon vorbeizufliegen und per Sprechfunk "die Moral der Mannschaft" aufzurichten.
Einen Vorgeschmack auf die zu erwartenden Durchhalteparolen gab Lynne Newman letzte Woche vor der Presse: "Wenn Larry es nicht schafft", erklärte sie, "werde ich ihm den Hals umdrehen." o
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_221_ Ballonfahren: Stratosphärenballon "Virgin Earthwinds"
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