„Der Feind ist mir nie begegnet“
Teske. Dr. Werner Teske. Wenn Erich Honecker, Erich Mielke und Markus Wolf die wenigen Opfer des Sozialismus Revue passieren lassen, die ihnen noch gefährlich werden können, dann dürften alle drei - der eine in Moskau, der andere in Plötzensee, der dritte in Ost-Berlin - über dieselbe Leiche stolpern: Teske.
Dieser immer korrekt gekleidete, schüchterne, schmale Teske. Damals, 1981, hat er kein großes Theater gemacht. Vernünftiger Typ. Kurzer Prozeß, nur einen Tag. Genickschuß in Leipzig, verbrannt, vergessen. Keine Schlagzeilen im Westen.
Doch jetzt taucht Teske wieder auf und macht Ärger. "Ermittlungsverfahren gegen Markus Wolf" steht auf der Akte, die beim Generalbundesanwalt liegt.
Seit letzter Woche ist auch Sabine Teske wieder da. Ihre Arbeitskollegen im ehemaligen Ost-Berliner Amt für Bauinvestitionen haben sie zuletzt am 9. September 1980 gesehen. Seither war sie ausradiert, als habe sie nie gelebt.
Die beiden Männer, die Sabine Teske an jenem Septembermorgen gegen elf Uhr abholen, kennt die damals 37jährige Frau. Es sind Arbeitskollegen ihres Mannes, die angeblich Kleidung für ihn abholen wollen.
Sie ist froh, etwas von Werner Teske zu hören, denn seit über einer Woche, seit die beiden Kollegen ihn am Sonntag nachmittag aus der Wohnung geklingelt haben, hat er sich nicht gemeldet.
Teske arbeitet bei der Staatssicherheit, in der Hauptverwaltung von Markus Wolf, und darum ist seine Frau daran gewöhnt, daß er gelegentlich und plötzlich verschwindet.
Sabine Teske wird nicht in ihre Wohnung gefahren, sondern wortlos auf den Parkplatz der Dynamo-Sporthalle in Hohenschönhausen gebracht. Dort wird sie zu zwei Unbekannten in einen grauen Lada gedrückt und in eine schöne Villa nach Oranienburg geleitet.
Keiner der vier Männer redet dort mit ihr. Wenn sie etwas zu sagen habe, so wird ihr bedeutet, solle sie es auf den Zettel schreiben, der vor ihr liegt. Warum sie hier sei, fragt Sabine Teske. Denken Sie mal drüber nach, und schreiben Sie es auf. Die Männer blicken abweisend aus dem Fenster.
Nach vier stummen Stunden beginnt die Frau aufzuschreiben, daß sie zugebe, im Intershop eingekauft und auch ihre Tochter mitgenommen zu haben.
Am frühen Abend wird ihr Mann gebracht. Er wirkt nicht verängstigt, aber unruhig. Sie sind allein im Zimmer. Doch beide trauen sich nicht zu sprechen, da sie Mithörer fürchten. Mit geübten Bewegungen vernichtet Werner Teske drei Wanzen, eine in der Schrankwand, eine am Fenster, eine neben dem Radiogerät.
Er dreht das Radio laut und flüstert ihr zu, daß sie alle Papiere, die er zu Hause im alten Waschkessel lagere, verbrennen soll. Er werde wegen Verrat festgehalten, er sei unschuldig, er werde aber eingesperrt bleiben.
Die Nacht verbringen die beiden nebeneinander liegend, ohne Schlaf und ohne Worte, beobachtet und belauscht. Jeder beschäftigt sich mit sich selbst.
Werner Teske ist klar, daß sein Ende als Stasi-Mann gekommen ist. Dies hat er herbeigesehnt, seit er vor fünf Jahren begann, seine Arbeit zu hassen.
Bis dahin war er ein erfolgreicher Agentenführer, der 15 bundesdeutsche Spione, darunter zwei Doppelagenten, betreute. Sie arbeiten in der Bundesbank, in der Managerakademie Bad Harzburg und in den Forschungsabteilungen von drei Großkonzernen.
Teske hat Finanzökonomie studiert, war wissenschaftlicher Assistent an der Humboldt-Universität und träumte von einer wissenschaftlichen Karriere, bevor ihn sein Professor 1967 für den Staatssicherheitsdienst warb. Teske lieferte zwei Jahre lang als Inoffizieller Mitarbeiter erstklassige Berichte und wurde 1969 im Hauptberuf Geheimdienstmann. Ihm wurde versprochen, nach einigen Jahren Frontdienst Professor und Leiter der Hochschule für Staat und Recht in Potsdam zu werden.
Er tüftelte unter Markus Wolf an "speziellen Aufgaben zur Sicherheit der DDR und zur Ausschaltung des Überraschungsmoments", wie er später in einem Verhör sagt, an Operationen, _(* Vor der ehemaligen U-Haftanstalt ) _(Berlin-Hohenschönhausen. ) "die sogar gegenüber den Mitarbeitern des eigenen Arbeitskollektivs strengstens geheimzuhalten sind".
Bei den Olympischen Spielen 1976 und der Fußballweltmeisterschaft 1974 begleitete er die DDR-Sportler als der Mann mit dem Koffer. "Ohne mich hätten die alle kein Geld gehabt", erzählte er seiner Frau hinterher.
Bis 1975 brachte Teske das Agentenleben Spaß, Schokolade und Westchic. Seiner Frau brachte er von seinen Ausflügen in die nichtsozialistische Welt elegante Kleider mit und seiner Tochter Milka, Jeans und Abba.
Der zarte Hauch von Bond, der Teske umgab, gefiel Sabine Teske. Wenn eine Aufwertung der D-Mark beschlossen wurde, wußte ihr Mann das schon drei Tage vorher. Wenn im Westfernsehen Städte auftauchten, kannte er sie. Frankfurt, Köln, Düsseldorf, München, Hamburg, Recklinghausen. Wen er traf, wußte sie nicht, aber daß er wieder rüberfuhr, wußte sie, wenn er sich nach ihren Wünschen erkundigte.
Der östliche Teil seiner geheimen Welt gefiel Teske weniger. Die Empfänge bei Erich Mielke und Markus Wolf absolvierte er lustlos. Wer bei solchen Gelegenheiten in die Nähe der beiden kam, pflegte schleunigst die West- gegen die Ostzigaretten auszutauschen. Der private Kontakt mit Arbeitskollegen war auf Hochzeiten reduziert.
Teske litt darunter, daß er im Verwandten- und Bekanntenkreis nie über seine Arbeit reden konnte. Die Schreibtischroutine langweilte ihn; nach fünf Jahren war ihm klar, daß er als Geheimnisträger nie wieder aus der Staatssicherheit herauskommen würde; sein Lebenstraum vom forschenden, lehrenden Wissenschaftler zerstob. Er begann zu trinken.
In der letzten gemeinsamen Nacht, in der Oranienburger Stasi-Villa, wird Sabine Teske klar, daß sie die Verzweiflung ihres Mannes jahrelang überhört hat. Sie hat gesehen, daß er trank. Sie hat die Westblätter gelesen, die er verbotenerweise mit nach Hause brachte. Sie hat die Geschenke gemocht, mit denen er die Eheprobleme zudecken mußte. Sie hat die Dienstakten gesehen, die er in der Anrichte stapelte. Aber daß ihr Mann nur noch ein Nadelöhr sah, um seinem alten Leben zu entkommen, hatte sie nicht bemerkt.
Wann immer die beiden in dieser Nacht das Zimmer verlassen, um die Toilette aufzusuchen, ist ein Schatten zur Stelle. Am Morgen werden die Eheleute zum letzten gemeinsamen Frühstück auf die Veranda gebeten.
Zum Abschied verspricht Sabine Teske, sich um einen Anwalt zu kümmern. Sie bleibt in der Villa; Werner Teske wird in die Ost-Berliner Oberseestraße gebracht, in ein konspiratives Einfamilienhaus von Wolfs Hauptverwaltung Aufklärung.
Dort setzen zwei Hauptmänner der Stasi-Abteilung Kader und Schulung jene Verhöre fort, mit denen sie seit einer Woche versuchen, aus dem Agentenführer die Wahrheit herauszuholen. Sie wollen Auskunft darüber, warum Teske einen erkennbar falschen Bericht über einen seiner Spione abgeliefert hat. Und sie wollen bestätigt haben, daß Dokumente aus seinem Panzerschrank fehlen.
Der Schrank war entsiegelt worden, weil Teske wiederholt durch Abwesenheit aufgefallen war. Das Innere bot in etwa jenes Bild der Unordnung, das kürzlich auch in Panzerschränken des Bundeskanzleramtes vorgefunden wurde.
Gegen 19.30 Uhr räumt Teske schließlich "zögernd und ausweichend" ein, wie die Vernehmenden protokollieren, daß er in der Anrichte, im Kleiderschrank und in der Waschküche seiner Wohnung geheime Unterlagen aufbewahre. Er habe sie bereits im Juli 1978 nach Hause geschafft, vor dem Urlaub, "damit ich nicht wegen Unordnung kritisiert werde". Danach habe er die Unterlagen zu Hause behalten. "Gegen 2.00 Uhr" gesteht Teske, daß er vor zwei Jahren mal die Absicht hatte, Verrat an der Deutschen Demokratischen Republik zu begehen.
Mit diesem Satz setzt Teske den feinsinnigen Unterdrückungsapparat der Arbeiter-und-Bauern-Macht auf die Spur seiner Familie; der Hund, die Tochter, er selbst und seine Frau entkommen ihm nicht mehr.
Die 16jährige Tochter wird am nächsten Tag aus der Schule geholt und zehn Tage lang in der Oranienburger Villa ausgehorcht. Nachdem sich herausstellt, daß sie weder im Kleiderschrank noch in der Anrichte in den Geheimpapieren geschmökert hat, denken sich die netten Onkel von der Stasi erst mal ein Freizeitprogramm aus, zum Beispiel einen Besuch im KZ Ravensbrück.
Ihre Mutter, am selben Morgen wie sie in Gewahrsam genommen, soll unterschreiben, daß die Tochter in ein Waisenheim kommt. Sabine Teske wehrt sich mit Tisch und Stuhl, tobt so lange, bis sicher ist, daß die Großmutter das Sorgerecht bekommt.
Acht Jahre werde sie sitzen, kündigt der Vernehmer Teskes Ehefrau schon im ersten Verhör an. "Ich habe keine Spionage gemacht", antwortet sie. "Es gab keine Pläne, die DDR zu verlassen." Sie legt Haftbeschwerde ein und verlangt nach einem Anwalt.
Der kommt zehn Wochen später, sagt, daß es düster aussehe, aber er müsse erst mal Akteneinsicht beantragen. Das dauert sechs Monate.
Am dritten Tag der Untersuchungshaft willigt Sabine Teske, schon mürbe, ein, ihren Hund einschläfern zu lassen. Ohne Erlaubnis der Besitzer will sich die Stasi, gesetzestreu, wie ein deutscher Geheimdienst ist, nicht an dem Tier vergreifen.
In den täglichen Verhören will der Vernehmer wissen, ob ihr Mann wirklich fliehen wollte, ob sie davon wußte und ob ihr die westlichen Agenten bekannt sind, die ihr Mann führte.
Aus den Fragen ergibt sich für Sabine Teske Bruchstück für Bruchstück ein Bild davon, was ihrem Mann unterstellt wird beziehungsweise was er möglicherweise plante.
Gelegentlich darf sie ihm schreiben, allerdings nie über "den Verrat" und die Vernehmungen. Sie vermutet, daß er im Stockwerk über ihr einsitzt.
Aus seinen Briefen meint sie, eine "kindliche Entwicklung" herauszulesen. Weihnachten bastelt er sich einen Strohstern.
Beim täglichen Freigang beginnt sie, in den Betonritzen nach Grashalmen zu suchen. Draußen wie auch in der Zelle ist sie allein. Nachts bekommt sie häufig Besuch; stündlich schaut der Wärter nach, ob sie noch da ist.
Ihr Gesicht und ihre Glieder schwellen an, bis sie wie aufgepumpt aussieht.
Ihr Vernehmer wird ausgetauscht; sie sitzt nun dem Hauptmann gegenüber, der auch ihren Mann verhört. Davon weiß sie nichts.
Sie muß immer wieder ihr Leben erzählen. In der Partei ist sie nicht. Welche Haltung haben Sie zu den Maßnahmen vom 13. August 1961? Ich fand es gut, daß dem Grenzgängertum ein Ende bereitet wurde. Äußern Sie sich zusammenhängend über Ihre berufliche Entwicklung! Machen Sie über Ihre Kenntnisse über die Vorfälle um den Verräter Stiller nähere Aussagen! Welche objektiven Umstände kennen Sie, die Ihre Kenntnisse über die Fahnenflucht und Verratsabsichten Ihres Ehemannes erhärten?
Das Lesen von Westzeitschriften, gibt sie zu Protokoll, sei eine Tatsache, "die seine Äußerungen über sein Vorhaben erhärten". Sabine Teske ist weich. Vier Wochen vorher hat sie ihrem Vernehmer noch entgegnet: "Ich habe mich immer wieder damit beschäftigt, ob das wahr ist, daß er fahnenflüchtig werden wollte: Ich glaube das einfach nicht."
Nach vier Monaten U-Haft ist sie sicher, selbst schuldig zu sein. Würfelzucker westlicher Herkunft, vertraut sie dem Vernehmer an, habe ihr Mann mit in die Ehe gebracht, gemeinsam hätten sie ihn verbraucht. Sie selber habe das Lesen der Westpresse in große Konflikte gestürzt. Ihr Mann habe ständig Westfernsehen geschaut, besonders alle Sendungen über den Kölner Fasching. Er habe vom Rheinland und den Rheinländern geschwärmt.
Am 26. Februar 1981 legt ihr der Vernehmer ein maschinengeschriebenes Geständnis vor. Sie soll es mit der Hand abschreiben. Sie schreibt. "Ich erhielt durch Gespräche mit meinem Ehemann und einigen Handlungen von ihm glaubhaft Kenntnis, daß er die DDR ungesetzlich verlassen und bei westlichen Nachrichtendiensten über seine Tätigkeit im Ministerium für Staatssicherheit der DDR berichten wollte."
Sie bedauert in dem Schreiben, ihren Mann nicht angezeigt zu haben, und verspricht in schnörkellosem Stasi-Deutsch, "bei glaubhaften Kenntnissen gegen Zuwiderhandlungen der Gesetze der DDR, auch im privaten Bereich, die notwendige Konsequenz zu beweisen".
Gegen den (westlichen) Katechismus für Opfer des Stalinismus verstößt Sabine Teske ein zweites Mal, nachdem sie für kurze Zeit eine Zellengenossin bekommen hat. Beide Frauen liefern der Stasi Berichte über ihre Unterhaltungen.
Das Geständnis von Sabine Teske kommt zu spät, um ihren Mann mehr zu belasten, als er es selber schon getan hat. In den acht Monaten seiner Vernehmungen hat Werner Teske sich erleichtert, als stünde er vor dem Jüngsten Gericht.
Er hat freimütig begründet, warum er keine Lust mehr hatte, Geheimdienstmann zu sein. "Ich sah durch das MfS meine Entwicklung zerstört."
Im Verhältnis zu seiner Frau hat er sich als Versager beschrieben.
Er hat ausgeplaudert, private Westbekanntschaften zu haben.
Er hat den Charme des Klassengegners gepriesen. "Der Feind ist mir dort nie begegnet." Und: "Ich sah dort keine niedergedrückten Menschen." Und: "Ich habe ein ausgeprägtes westliches Konsumdenken."
Diese Bekenntnisse stürzen den Stasi-Vernehmer, einen langjährigen Verhörspezialisten der Untersuchungsabteilung IX/1, in große Verlegenheit. Schließlich schauen seine Vorgesetzten, Oberst Fister und Oberst Walß, per Videokamera zu, und so muß der Ankläger die Ehre der Arbeiter-und-Bauern-Macht mit donnernden Fragen wie diesen verteidigen: Sie sagten aus, marxistisch-leninistische Grundpositionen zu vertreten und sich andererseits durch BRD-Massenmedien informiert zu haben. Klären Sie diesen Widerspruch!
Eingesperrt in den Katakomben des Sozialismus, der Diktatur des Proletariats so schutzlos ausgeliefert wie nie zuvor in seinem Leben, wagt dieser schmächtige Finanzökonom, sich auf die Deutsche Demokratische Republik zu stürzen.
Was der überzeugte Kommunist Teske, solange er in Freiheit war, nie zu kritisieren traute, läßt er nun, hinter Gittern, heraus. Den Mauerbau habe er nie verstanden, die Informationspolitik der DDR sei verlogen, zuviel Geld fließe in den Leistungssport, die DDR-Wissenschaft sei ineffektiv und die Lohnpolitik ungerecht, das schlimmste aber sei, daß "Funktionäre im hohen Alter und bei schlechter Gesundheit noch hohe staatliche Funktionen bekleiden".
Dieselben Forderungen, mit denen sich knapp zehn Jahre später das Volk zunächst vorsichtig auf die Straße traut, erhebt der Stasi-Hauptmann im Angesicht seiner Verfolger.
In seinem gefährlichen Drang nach Wahrheit offenbart er rücksichtslos alle ketzerischen Fluchtgedanken, die ihm gelegentlich kamen. Am 17. August 1978 war er dem Kapitalismus am nächsten, stand bereits wild entschlossen auf dem westlichen Teil des S-Bahnhofes Friedrichstraße, kehrte aber aus Sehnsucht nach seiner Familie wieder um.
Immer wenn er Ärger mit seiner Frau, seinen Vorgesetzten oder seiner Arbeit hatte, dachte er an den alles lösenden Schritt und brachte dann, wohl um sich selbst den Ernst seiner Absichten zu beweisen, immer mal ein kleines Dienstgeheimnis mit nach Hause und versteckte es im Kleiderschrank.
Im August 1980, als er wegen schlampiger Aktenführung für kurze Zeit beurlaubt wird, will er die gefährlichen Akten verbrennen, läßt es aber, nachdem der Zwangsurlaub zu Ende geht, ohne daß etwas passiert.
Die Papiere, die in seinem Waschkessel gefunden wurden, sind für Teske unangenehm genug, aber zu allem Überfluß legt er dem Vernehmer auch noch die Geheimnisse hin, die er in seinem Kopf aufbewahrt.
Wie viele MfS-Mitarbeiter er kenne, wird Teske gefragt. Er schreibt brav die Namen von 328 Stasi-Bediensteten auf. Daraus wird im späteren Strafprozeß, er habe 328 Patrioten der Staatssicherheit an imperialistische Geheimdienste verraten wollen.
Teske ist kein gerissener Agent und auch kein Held. Gegen Ende der zweimonatigen Verhöre unterschreibt er alle möglichen Schuld- und Reuebekenntnisse, gipfelnd in den Sätzen: "Meine Handlungsweise ist schädlich und verantwortungslos. Ich sehe keine Momente, die meine strafrechtliche Verantwortlichkeit mildern könnten."
Allem Druck, aller Einsamkeit, aller Verzweiflung, aller Resignation zum Trotz, eines hat der Vernehmer, zwischenzeitlich vom Hauptmann zum Major befördert, in Teske nicht hineinfragen können - das Geständnis, irgendwann Kontakt zu einem westlichen Geheimdienst aufgenommen zu haben.
Das hindert den Staatsanwalt, den Richter, den Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker, den Stasi-Chef Erich Mielke, den Vorgesetzten Markus Wolf und alle anderen, die daran arbeiten, Dr. Werner Teske verschwinden zu lassen, nicht daran, im folgenden Schauprozeß "vollendete Spionage" für erwiesen zu halten.
Zwei Tage, nachdem der Generalstaatsanwalt der DDR Anklage erhebt, eröffnet das Oberste Gericht der DDR bereits das Hauptverfahren. Für Staatsanwalt Heinz Kadgien steht schon vorher fest, daß die Todesstrafe zu verhängen ist. Über den Stasi-Oberst Walß schlägt er dies Erich Mielke vor, von Erich Honecker beantragt er die Genehmigung schriftlich. Honecker verhängt die Todesstrafe.
Die "Konzeption zur Hauptverhandlung", drei Wochen vor dem großen Tag erstellt, liest sich wie das Drehbuch von "Das Fernsehgericht tagt". Jedes Argument, jeder Antrag, jede Lüge ist minutiös geplant. Der Entwurf der Inszenierung endet mit den Worten: "Das Urteil ist rechtskräftig. Abführen."
Zeugen sind am 10. Juni 1981 nicht geladen, die Öffentlichkeit ist ausgeschlossen, lediglich "verantwortliche Mitarbeiter" der Stasi dürfen zur Abschreckung mithören. Teskes Vernehmer regelt den Einlaß, schenkt Kaffee aus und verteilt belegte Brötchen.
Zwei Jahre nach der Flucht des Überläufers Stiller, der beim westdeutschen Bundesnachrichtendienst auspackte, wollen die Stasi-Obristen allen potentiellen Verrätern den toten Teske vor die Füße legen. Gerade Wolfs HVA ist intern zum Gespött geworden und braucht Satisfaktion.
Nachdem Staatsanwalt Kadgien in seinem halbstündigen Plädoyer die Wahrung der Menschenrechte im Sozialismus gewürdigt und allen Tschekisten zu kühlem Kopf, heißem Herzen und sauberen Händen geraten hat, nachdem Teskes Pflichtverteidiger Hans-Gerhard Cheim eine winzige Pflichtrede gehalten hat, fordert Richter Fritz Nagel den längst Verurteilten auf: "Angeklagter, Sie haben das Wort zu Ihrer Verteidigung."
Teske sagt vier Sätze. Im letzten bittet er um die Möglichkeit, "aus ehrlichem Herzen ein vernünftiges Leben gestalten zu können".
Teske habe auf das Todesurteil doch ruhig reagiert, sagt der Staatsanwalt heute. "Ich habe mich mißbrauchen lassen", sagt der Richter heute. "Die Sache schien vorprogrammiert", sagt der Anwalt heute.
Teskes Vernehmer ist schockiert über die Todesstrafe, heute wie damals, weil, wie er sagt, Dr. Teske der DDR letztlich keinen Schaden zugefügt habe. Er versucht, Teske in der Zelle zu besuchen. Der lehnt ab. Er will allein sein.
Am 26. Juni um 10.09 Uhr wird Dr. Werner Teske mitgeteilt, daß sein Gnadengesuch von Erich Honecker abgelehnt worden sei. Sekunden später tötet ihn ein Genickschuß.
Zwei Stunden später sitzt Sabine Teske in einer Stasi-Villa in Berlin-Schmöckwitz am gedeckten Tisch. Rouladen, Rotkohl und Kartoffeln, das Entlassungsessen für Sabine Teske. Sie mag keine Rouladen.
Ihr zu Ehren haben sich der Leiter der Untersuchungen gegen ihren Mann, Stasi-Oberst Walß, der Vernehmer ihres Mannes und der Gutachter der Stasi, der ihn im Prozeß schwer belastete, eingefunden.
Den letzten Brief von ihrem Mann hat Sabine Teske Ende April erhalten, an ihrem Geburtstag. Sie fragt nach ihm. Der Gutachter zuckt mit den Schultern, gibt die Frage an Oberst Walß weiter. "Soweit ich weiß, wird der heute hingerichtet."
Auch Sabine Teske stirbt. Sie lebt weiter als Sabine Kampf und wohnt in Schwerin. Sie hat einen neuen Ausweis und für ihre Tochter alte Schulzeugnisse mit neuem Namen. "Teske" ist ausgelöscht, Teske soll tot sein, aber Sabine Teske glaubt es nicht. Ein Grab gebe es nicht, hat man ihr gesagt. Sie sucht auf Berliner Friedhöfen nach Rasenstellen, die frisch verlegt sind.
Teskes Halbbruder wird mitgeteilt, Werner Teske sei zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt worden und habe bald darauf Selbstmord verübt.
Im Standesamt von Stendal erscheint am 15. Juli 1981 die Vorgesetzte aus Magdeburg und diktiert ihrer erschrockenen Kollegin eine Todesurkunde. Name: Dr. Werner Teske. Gestorben am 26. Juni 1981 im Johanniter-Krankenhaus in Stendal, um 10.10 Uhr. Eine Anweisung wird beigelegt, die Kopien der Urkunde verbietet und verlangt, daß jeder Nachfragende unverzüglich dem Innenministerium zu melden sei.
Zwei Tage vorher ist ein Dr. Werner Teske, laut zentraler Meldedatei, aus der Staatsbürgerschaft der DDR entlassen worden und in die BRD ausgereist. Er selbst oder ein Agent unter seinem Namen?
Sabine Kampf lebt fortan mit zwei Schutzengeln, einem aus Schwerin und einem aus Berlin. Sie muß die beiden alle vier Wochen treffen. Die nützlichen Idioten gehen bei Renovierungen und Umzügen zur Hand, besorgen ihr Arbeit und der Tochter einen Studienplatz, holen diskret Auskünfte über die Männer ein, die Sabine Kampf kennenlernt, und bremsen Polizisten, die die Frau mit Verkehrskontrollen belästigen.
Als Sabine Kampf am Todestag ihres Mannes mit dem Auto volltrunken einen Brückenpfeiler ansteuert, stoppt die Stasi sie.
Nach Ost-Berlin und Leipzig darf sie nicht umziehen, zu viele Westbürger, der BND, man wisse ja nie, ob sie nicht doch . . . aber nach Halle könne sie ziehen.
Einen Mann, der sie vergewaltigt, bringen ihre Beschatter hinter Gitter, und als er zu schnell amnestiert wird, schnell wieder dorthin zurück.
Gelegentlich spenden sie Trost. Im Fall ihres Mannes sei nicht alles so gelaufen, wie es hätte laufen sollen, räumen sie 1988 ein, auch die Stasi könne irren. Diese Herren sind die einzigen, mit denen Sabine Kampf über das Ehepaar Teske reden darf.
Im Oktober 1989 hat sie den letzten Kontakt zu ihrem Sicherheitsdienst. Ihre Tochter ist verschwunden, ist vermutlich über Ungarn geflüchtet. Sabine Kampf will wissen, ob sie gesund angekommen ist, und ruft die gewisse Nummer an. Sie brauche sich keine Sorgen zu machen, hört sie, die Tochter sei wohlbehalten in Stuttgart eingetroffen.
Am nächsten Tag bekommt Sabine Kampf einige hübsche Postkarten aus Stuttgart, abgesandt in den letzten Wochen, überreicht: Man habe ja mal gucken müssen, ob da nicht doch jemand hilft, ein alter Kontakt des Vaters, man könne ja nie wissen.
Dann ist Stille. Keiner hebt mehr ab, wenn sie die Nummer wählt.
Erst im Januar 1990 traut sich Sabine Kampf, einen Antrag auf Rückkehr nach Berlin zu stellen. Sie erfährt, daß ihre alte Wohnung am Hendrich-Platz immer noch von der Stasi genutzt wird.
Die Suche nach den Akten und der Urne ihres Mannes führt sie viel später zu einem hilfsbereiten Staatsanwalt namens Lohse. Monate danach ist der allerdings noch nicht viel weiter gekommen, übergibt ihr aber eine Sterbeurkunde, ausgestellt am 9. Mai 1990, in Stendal. Lohse ist höchstpersönlich nach Stendal gefahren, um die Unterlagen des Standesamtes einzusehen.
Die Sterbeurkunde sei nur zur persönlichen Nutzung, schärft ihr der Staatsanwalt ein. Und mehr könne er ihr zu Werner Teske auch nicht sagen.
Kurz darauf fordert Lohse die Sterbeurkunde plötzlich zurück, nachdem ihm Sabine Kampf mitgeteilt hat, daß sie sich nun an eine Zeitung wenden wolle, um das Schicksal ihres Mannes restlos aufzuklären. Lohse verbietet ihr, seinen Namen in der Öffentlichkeit zu nennen.
Als Sabine Teske in der vorletzten Woche schließlich die Ermittlungsakten gegen sich und ihren Mann in die Hände bekommt, stößt sie häufig auf eine ihr vertraute Unterschrift. Das prägnante, hoch aufragende "L" entdeckt sie auch unter jenem Schreiben vom 19. September 1980, das erklärt, warum in ihrem Fall "die Fortdauer der Untersuchungshaft" wegen des begründeten Tatverdachts der Spionage "gesetzlich begründet und dringend erforderlich" sei. Unterschrift: Lohse, Oberst.
47 Spione, tatsächliche und vermeintliche, sind in den Gefängnissen der DDR getötet worden. Werner Teske war der letzte. Wirklich?
Landeseinwohneramt Berlin. Teske, Werner: "1. 1. 90. Laut Abmeldung verzogen nach unbekannt."