„Die müßte man rausschmeißen“
SPIEGEL: Herr Professor Grottian, deutsche Professoren und Hochschullehrer werden von Hochschulkritikern als faul, verwöhnt und pädagogische Nieten beschimpft. Wie antworten Sie auf solche Vorwürfe?
GROTTIAN: Hochschullehrer sind sicherlich nicht alle faul und zum Teil auch hervorragend in der Lehre. Aber sie müssen sich die Frage gefallen lassen, wie sie eigentlich ihre Arbeit organisieren und ob es nicht ein eklatantes Mißverhältnis zwischen Forschung und Lehre gibt.
SPIEGEL: Die Antwort wollten wir von Ihnen hören.
GROTTIAN: Zu viele meiner Kollegen und Kolleginnen vernachlässigen die Lehre sträflich. Für sie steht die Forschung ganz oben. Dazu tanzen sie auf vielen Kongreßhochzeiten oder privatisieren und verwenden jedenfalls nicht die Zeit für die Lehre, die angesichts der relativ dramatischen Situation an den Hochschulen notwendig ist.
SPIEGEL: Etliche Professoren scheint das Chaos an den Universitäten nicht sonderlich zu kümmern, ihre Planstellen sind ja gesichert.
GROTTIAN: Das Wort vom Chaos ist, so generell gebraucht, falsch. Die pauschalen Klagen über zu wenig Personal, zu wenig Räume, zu wenig Geld muß ich zurückweisen. Auch wenn sie von Kollegen oder Ministern kommen. Es gibt immer noch Idylle und gute Studienbedingungen in vielen Fächern. Daneben stehen die Universitäten, in denen tatsächlich Chaos herrscht.
SPIEGEL: Die Professoren haben also alles im Griff?
GROTTIAN: So auch wieder nicht. Die Diskussion der Politiker und Hochschulrektoren ist ja deswegen so verquer, weil sie ständig mit Geld und Stellen argumentieren und eigentlich nichts zu den hausgemachten Problemen der Hochschulen sagen. Dann kämen sie nämlich auch zu den Hochschullehrern, die ein gerüttelt Maß Schuld daran tragen, daß die Zustände in vielen Fachbereichen so sind, wie sie sind.
SPIEGEL: Wie sind sie denn nun?
GROTTIAN: Es ist unglaublich, was sich Professoren inzwischen alles rausnehmen. Da werden massenhaft Sprechstunden abgesagt, Lehrveranstaltungen fallen aus, Semesterarbeiten werden oft nicht intensiv gelesen, eine gemeinsame Bewertung findet in den wenigsten Fällen statt.
In Untersuchungen wurde festgestellt, daß 50 bis 70 Prozent der Seminararbeiten beispielsweise in den Geistes- und Sozialwissenschaften nie besprochen werden. Das ist nur noch zynisch. Ein Student liefert ein Produkt ab über 20 Seiten, und es gibt darüber kein Gespräch mit ihm, sondern der Schein wird einfach rübergeschoben. So ist ein Fünftel der Professoren inzwischen glatt entbehrlich, _(* Mit SPIEGEL-Redakteuren Manfred Ertel ) _(und Mathias Müller von Blumencron. ) die müßte man eigentlich rausschmeißen.
SPIEGEL: Gute Lehre hat noch nie zur besonderen Reputation eines Hochschullehrers beigetragen. Karrierefördernd sind allein die Ergebnisse seiner wissenschaftlichen Arbeit.
GROTTIAN: Inzwischen stimmt die Balance gar nicht mehr. Für eine Berufung muß ein Professor wissenschaftliche Leistungen und ein geschätztes Auftreten gegenüber den Kollegen haben. Was der Kandidat an didaktischen Fertigkeiten oder Lehrleistungen vorzuweisen hat, bleibt außer Betracht. Entsprechend organisieren Hochschullehrer dann auch zunehmend ihre Arbeit: Wichtig sind wissenschaftliche Reputierlichkeit und öffentliche Wirkung.
SPIEGEL: Wie wollen Sie ausgerechnet jetzt, da Studenten die Hörsäle stürmen, Einsicht in der Professorenschaft fördern?
GROTTIAN: Es wäre ungeheuer wichtig, wie zum Beispiel in England, endlich auch bei uns überall Leistungsbewertungen für Hochschullehrer einzuführen und bei jeglichem Berufungsvorgang auch deren Leistung in der Lehre zur Grundlage zu machen. Ich wette mit Ihnen: Wenn dann ein Kandidat plötzlich in der Skala ganz hinten steht, wird ihn die Berufungskommission kaum vorschlagen können.
SPIEGEL: Wer soll denn die Noten verteilen, das Ministerium, die Hochschule oder gar die Studenten?
GROTTIAN: Es gibt bislang unterschiedliche Versuche, das den Rektoraten oder den Fachbereichen zu übertragen. Es gibt auch eine ganze Reihe studentischer Initiativen.
SPIEGEL: Mit guten Noten allein können Sie einen unkündbaren Berufsbeamten noch lange nicht dazu bewegen, freiwillig mehr und besser zu arbeiten.
GROTTIAN: Sie unterschätzen die Selbstverliebtheit der Hochschullehrer in ihr selbstgefertigtes Bild, daß sie ganz toll sind. Ihr Narzißmus kennt keine Grenzen. Doch solange über ihre Lehrleistung nur heimlich auf Fluren und in Cafeterien gesprochen wird, bleibt für sie alles ungefährlich. Dann wird sich nichts ändern.
SPIEGEL: Aber Noten allein sind in der Pädagogik kein Garant für gerechte Beurteilungen.
GROTTIAN: Ein Lebenszeitbeamter muß besonders viel aushalten können, der wird durch harte Kritik ja nicht gleich existentiell bedroht. Deshalb ist sie in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung auch ganz normal. In Fußnoten werden häufig Lebenswerke mit wenigen schnöden Worten niedergemacht. Außerdem sagt das Grundgesetz, daß Wissenschaft, Forschung und Lehre frei sind. Das heißt für mich, Lehre ist kein Intimbereich. Die Öffentlichkeit kann damit frei umgehen und auch die Lehre von Professoren frei bewerten.
SPIEGEL: Und die Hochschullehrer sind dann so frei, daraus ihre Konsequenzen zu ziehen oder auch nicht.
GROTTIAN: Mir geht es um positive Anreize. Ich glaube, allein der Druck führt dazu, daß sich bestimmte Kollegen nicht mehr so viel leisten.
SPIEGEL: Diejenigen Professoren, die sich darum nicht scheren, können Sie ja nicht einfach feuern.
GROTTIAN: Rausschmeißen ist aufgrund der dienstrechtlichen Stellung natürlich ausgesprochen schwierig. Aber verhandeln, ob solche Professoren ihren Vertrag reduzieren oder sich vielleicht um etwas anderes kümmern wollen, das kann man. Oder die finanziellen Mittel anders verteilen. Warum soll eine Universität nicht Professoren, die in der Lehre offenkundig engagierter sind, entsprechend besser fördern?
SPIEGEL: Soll denn auch das Gehalt eines Professors, wie in England, von seiner Lehrleistung abhängig gemacht werden?
GROTTIAN: Das wird dienstrechtlich schwer möglich sein. Aber man könnte argumentieren, daß jeder Professor angestellt ist für Forschung, Lehre und sonstige Aufgaben in der akademischen Selbstverwaltung, meinetwegen jeweils zu einem Drittel. Also könnte man doch darüber verhandeln, bei den Kollegen, die sich nicht so recht in die Niederungen des Lehrdeputats begeben wollen, deren Arbeit, aber auch deren Gehalt um ein Drittel zu kürzen.
SPIEGEL: Wann haben Sie das letzte Mal Ihre Leistungen durch Studenten bewerten lassen?
GROTTIAN: Wir haben an unserem Fachbereich Politische Wissenschaften zwei Versuche gemacht. 1990 haben die Examenssemester sowie die Studenten, die Zwischenprüfungen ablegten, rückwirkend Professoren und ihre Dienstleistungen bewertet . . .
SPIEGEL: . . . und welche Zensuren bekamen Sie?
GROTTIAN: Mein Ergebnis war gut. Der zweite Versuch ist im letzten Semester vom Uni-Präsidenten veranlaßt worden. Ich hatte vier Lehrveranstaltungen. Eine wurde als problematisch und drei wurden gut bewertet.
SPIEGEL: Welche Sanktionen würden Sie nach solchem Zeugnis durch Studenten hinnehmen?
GROTTIAN: Das studentische Urteil kann natürlich nicht das einzige sein. Aber es muß zunächst eine Auseinandersetzung produzieren, schließlich will ich die Kritik ernst nehmen.
SPIEGEL: Eine Auseinandersetzung scheint vielen Ihrer Kollegen überflüssig; bei denen herrscht die Meinung vor, die Universitäten litten vor allem an der Überlast ungeeigneter Studenten. Sind viele zu dumm für das Studium?
GROTTIAN: Nein. Zwar kann, überspitzt formuliert, ein Drittel mit dem System schwer umgehen, zum Beispiel, weil die Studenten bei der Organisation vernünftiger Arbeitsprozesse allein gelassen werden. Aber auch da könnten die Hochschullehrer eine ganze Menge mehr machen. Zum Beispiel wird mit Langzeitstudenten, die jenseits des zehnten oder zwölften Semesters meist den Bezug zur Universität verlieren, ganz liberalistisch umgegangen, nach dem Motto: Du, wenn du demnächst in meine Sprechstunde kommen willst, dann reden wir mal über das Examen und so. Und das ist dann eigentlich alles.
SPIEGEL: Sollen Hochschullehrer ihre Studenten stärker an die Leine nehmen?
GROTTIAN: Es geht nicht um straffer führen, sondern darum, sie nicht fortwährend in einer scheinbar liberalen Haltung zu bestätigen. Im 15. Semester müssen sie vielleicht auch mal zum Abschluß gedrängt werden.
SPIEGEL: Auch nach Ansicht von Bildungspolitikern wie dem konservativen bayerischen CSU-Kultusminister Hans Zehetmair soll es mit der Liberalität ein Ende haben, nur ganz anders. Die wollen Langzeitstudenten mit Regelstudienzeiten und notfalls einer saftigen Strafgebühr belegen.
GROTTIAN: Das ist ungeheuer bequem und typischer Bürokratismus. Eigentlich müßten wir statt dessen versuchen, den Studenten einen Anreiz für den zügigen Abschluß eines Studiums zu schaffen. Mein Vorschlag ist, etwa sechs Monate lang ein Examensgehalt für Studenten zu zahlen, die innerhalb der Regelstudienzeit plus sagen wir mal vier Semester ihr Examen machen. Wenn die in dieser Zeit nicht abschließen, dann bin ich mit Zehetmair einig, daß drastische Studiengebühren fällig werden.
SPIEGEL: Wie soll dieser Millionen-Aufwand finanziert werden, wenn am Geld heute schon das kleinste Bauprogramm scheitert?
GROTTIAN: Es werden ja auch nach überzogener Examensfrist viele eingeschrieben bleiben. Dann könnte das Examensgehalt zum Teil aus den hohen Studiengebühren bezahlt werden. Und es könnte eine Dienstleistung daran gekoppelt werden, indem die erfahrenen Studenten beispielsweise Kommilitonen aus den Anfangssemestern beraten und betreuen müssen.
SPIEGEL: Sie fordern seit Anfang der achtziger Jahre, daß Hochschullehrer von sich aus zu Reformen beitragen, zum Beispiel durch Einlegen eines Sabbatjahres oder durch Teilzeitarbeit. So sollen Neueinstellungen ermöglicht werden, das könnte auch für frischen Wind in den Hörsälen sorgen. Geben Sie dieser Idee eine Chance?
GROTTIAN: Ich bin Teilzeit-Hochschullehrer gemeinsam mit dem Kollegen Wolf-Dieter Narr. Mit dem Effekt, daß die Kollegin Eva Kreisky als neue Teilzeit-Professorin einsteigen konnte.
Die Hoffnung war damals, in fünf oder sieben Jahren etwa 600 von insgesamt 32 000 Hochschullehrern dazu zu bewegen. Das wäre ein Signal gewesen. Das Ergebnis ist ganz bescheiden. Ich glaube, es gibt nicht mehr als 70 Teilzeit-Hochschullehrer in der ganzen Republik.