Stark erhöhter Puls
Der Herr Minister rastet aus. Sein Gesicht färbt sich rot, der Hemdkragen spannt bedrohlich am Hals. "Bin ich denn von lauter Idioten umgeben?" faucht Arnold Vaatz, 37, in der sächsischen Landesregierung für Umwelt zuständig, und wedelt mit einem Referentenentwurf, bei dessen Lektüre er "völlig unsinnige Formulierungen" entdeckt haben will.
Die Frage ans Vorzimmer beantwortet der CDU-Politiker gleich selbst: "Was man nicht selber macht, geht schief." Die Sekretärinnen ducken sich. Büroleiterin Margita Herz versucht tapfer, den Chef zu besänftigen, indem sie das fehlerhafte Papier schönredet.
Ganz falsch. Jede Erläuterung faßt Vaatz als Widerwort auf, jedes "aber" reizt ihn zu einem weiteren Ausbruch. "Unterbrechen Sie mich nicht ständig", fährt er seine Mitarbeiterin an, "können Sie nicht ausnahmsweise mal hinhören, wenn ich Ihnen etwas erkläre."
Der Minister will sich nicht beruhigen lassen. Einmal in Fahrt, schimpft er auf die Juristen, die ihn am Morgen mit ihren Bedenken gegen eine kommunale Abwasserabgabe genervt haben ("Riesenrindviecher sind das"). Dann zieht er über einen Kabinettskollegen her, mit dem er erneut aneinandergeraten ist. "Ich habe keine Lust mehr", tönt Vaatz, "mich mit dem in irgendeiner Art und Weise zu vertragen."
Und was fällt eigentlich diesem Landrat ein, der wegen einer geplanten Autobahntrasse gegen ihn stänkert? Ein "Arschloch" ist der, Punktum!
Der Christdemokrat tobt durch sein Büro, als sei sein Name Rumpelstilzchen. _(* Bei der Eröffnung einer Kläranlage im ) _(sächsischen Wittichenau. ) In Zimmer 109 in der Dresdner Ostraallee 23 ist ein Unikum der deutschen Politszene zu besichtigen. Dort führt ein Mann die Regierungsgeschäfte, der sich als "unabhängig, uneinschätzbar, unkalkulierbar" bezeichnet - eine Selbstbezichtigung, die, auch wenn sie ironisch gemeint sein sollte, unter Spitzenpolitikern dem Harakiri gleichkommt.
Der Arbeitsstil des ehemaligen DDR-Bürgerrechtlers, der wegen seines Eifers bei den Stasi-Überwachern unter dem Decknamen "Primus" katalogisiert war, unterscheidet sich auffällig von dem angepaßten Werkeln blasser Funktionäre, die stets um Gleichklang mit der Parteiführung bemüht sind. Vaatz betreibt Politik mit stark erhöhtem Pulsschlag.
Bereits die Lektüre der Morgenzeitung kann ihn in Harnisch bringen, eine verlorengegangene Abstimmung versaut ihm den ganzen Tag. Wo Berufskollegen erst sorgfältig Gewinn- und Verlustrechnungen aufstellen, bevor sie für ihr Anliegen den Kampf aufnehmen, steigt Vaatz gleich in den Ring.
Im Austeilen ist der Sachsen-Minister Großmeister. Wenn er eine Idee hat, die ihm originell erscheint, dann will er sie auch verkünden, ohne Rücksicht auf Tabus und Empfindlichkeiten. Und da der Rebell viele Ideen hat, leidet er jedesmal erkennbar an sich und seinem Amt, wenn er, der politischen Vernunft gehorchend, Zurückhaltung üben muß.
Der Polit-Rebell Arnold Vaatz eckt an, wo er kann. Dabei gehorcht er eher einem zwanghaften Antrieb denn einem Kalkül. "Ich bin in gewisser Weise ein Totaloppositioneller", beschreibt er sich selbst und erklärt seine Umwelt in schöner Offenheit für verrückt, politischen Rigorismus zur einzig angemessenen Reaktion.
"Nie und nimmer" werde er anerkennen, schwört der studierte Mathematiker Vaatz, "daß zwei und zwei fünf ist". Doch "absurderweise" bilde gerade "diese verquere Rechenoperation" oft die Grundlage politischen Handelns.
So spricht ein Fundamentalist. Mit dem demokratischen Ritual - ein Argument dafür, ein Argument dagegen, und am Ende steht der Kompromiß - hat das wenig zu tun.
Wer wie Vaatz in einer Diktatur aufgewachsen ist und dort zu den wenigen zählte, die der herrschenden Ideologie trotzten, der konnte sich Toleranz und liberale Gesinnung nicht leisten. So einer mußte geradezu fanatisch an seinen Überzeugungen festhalten, wollte er nicht an seiner Umgebung irre werden.
Der Dresdner Umweltminister zählt zu einer Generation von Bürgerrechtlern, die das Ende der DDR als späte Bestätigung ihres leidvollen Lebensweges erlebten und die sich dennoch nur schwer in die neue Bundesrepublik einpassen. Die jahrelange Erniedrigung durch die SED-Bürokratie hat oft Verhärtungen hinterlassen. Opfern wie Vaatz bleibt der spielerische Umgang mit Meinung und Moral im Nachwendedeutschland gänzlich fremd.
Schon als er 20 war, fiel Vaatz den Spitzeln des Ministeriums für Staatssicherheit auf. Der Freundeskreis um den Lyriker Reiner Kunze, dem sich der Abiturient aus dem thüringischen Greiz angeschlossen hatte, stand unter intensiver Beobachtung. In ihren Protokollen zeichneten die Stasi-Informanten das Porträt eines notorischen Querulanten.
"Bei allem Belächelnswerten des Arnold Vaatz, bei seiner Konspiration, bei seinen Wünschen, sich beliebt zu machen", schreibt ein Spitzel, sei nicht zu übersehen, daß er eine "sehr scharfe und sehr spitze Intelligenz besitzt", die sich "in jeder Beziehung gegen die Ordnung der DDR richtet". Nie zuvor, so der Denunziant, habe er einen "solchen versteckten Haß" kennengelernt.
Die Folge waren Dauerbeschattung durch die Stasi und ein halbes Jahr Arbeitslager wegen Verweigerung des Reservewehrdienstes. Nach der Freilassung verhielt sich der Regimefeind zunächst unauffällig und arbeitete als Ingenieur in einem Dresdner Chemiewerk.
Eine Reihe von Techniken, die in den Jahren des Widerstands das Überleben sicherten, hat Vaatz bis heute beibehalten. Am liebsten agiert der Minister ohne Absprache; Informationen gibt er nur dann weiter, wenn es unbedingt notwendig ist - und auch nur an die Mitarbeiter, an deren Loyalität er keine Zweifel hegt. Zielstrebig versucht er, Vertraute auf Verwaltungsposten innerhalb der Sachsen-Regierung unterzubringen, im Kabinett heißt sein Amt bereits spöttisch "Untergrundministerium".
Überall wittert der CDU-Politiker Verschwörungen, sein stark dualistisch geprägtes Weltbild erlaubt ihm nur das Denken in den Kategorien Freund und Feind. Jede Kritik nimmt er persönlich, hinter jeder Abstimmungsniederlage vermutet er eine Intrige. Der größte Fehler des Kabinettskollegen sei, sagt Wirtschaftsminister Kajo Schommer, "daß er sich nie richtig entspannen kann".
Seinen Emotionen, so scheint es, ist Vaatz hilflos ausgeliefert. An manchen Tagen irrt er wie ein Autist durch sein Amt, den Blick starr auf den Boden gerichtet. "Wenn der Chef schlecht drauf ist, kann man ihn nirgendwo mit hinnehmen", klagt seine Büroleiterin, "sonst blamiert man sich bis auf die Knochen."
Kritische Briefe können den Christdemokraten so sehr erregen, daß er sofort zum Stift greift und eine wütende Erwiderung auf die Rückseite kritzelt. Mitunter sind die Antworten derart mit Beleidigungen gespickt, daß die Sekretärinnen die Schimpfwortkanonaden des Ministers nicht, wie befohlen, abschicken, sondern heimlich in den Papierkorb werfen. Vollends außer Kontrolle gerät Vaatz, wenn ihn seine Gegner in der Fraktion piesacken. Als die Abgeordneten seinen Entwurf für ein Naturschutzgesetz zu Fall brachten, versagte ihm vor Empörung die Stimme. Nach Worten ringend, zerrte er an seinem Mantel und verließ türenknallend die Sitzung. Seine Widersacher feixten sich eins.
Kabinettsdisziplin ist für den streitsüchtigen Sachsen ein Folterinstrument, Ressortzuständigkeiten sind ihm ein Graus. Stundenlang sitzt er oft noch nach Dienstschluß in seinem Büro und entwirft Thesenpapiere zu den Themen, die ihn umtreiben. Mal agitiert er gegen die geplante Autobahnvignette ("Ökologischer Super-GAU"), mal bringt er ein Pamphlet gegen die wildwuchernde Bürokratie in Umlauf oder fordert, weil sich sonst keiner traut, das Ende des Berufsbeamtentums.
Wann immer sich ihm die Gelegenheit bietet, versucht der sächsische Minister für Umwelt und Landesentwicklung die Grenzen seines Ressorts zu überschreiten. Kein Wunder: Das Amt hatte Vaatz, zuvor Chef der Dresdner Staatskanzlei, im Januar 1992 wider Willen übernommen.
Der Wechsel kennzeichnete einen ersten Knick in der bis dahin fulminanten Karriere des jüngsten sächsischen Kabinettsmitglieds und den Beginn einer Reihe von Kränkungen, die der Christdemokrat bis heute nicht verwunden hat.
Der Aufstieg vom politischen Einsiedler zum Spitzenpolitiker war auch für ostdeutsche Nachwendeverhältnisse in einem spektakulären Tempo verlaufen. Seit den Oktoberdemonstrationen stand der DDR-Opponent in der ersten Reihe, zunächst als Sprecher des Neuen Forum in Dresden, dann, nach seinem Übertritt zur CDU und dem Wahlsieg der sächsischen Christdemokraten bei den Landtagswahlen im Oktober 1990, als Staatskanzleichef unter Kurt Biedenkopf, 63. Der Ministerpräsident, auf Drängen von Vaatz aus dem Westen importiert, entdeckte in dem Youngster ein "politisches Naturtalent", einen Ziehsohn und Kronprinzen.
Die Machtposition als Staatsminister nutzte Vaatz zur Abrechnung mit den Altkadern in der Sachsen-CDU. Der Mut und die Gnadenlosigkeit, die er dabei bewies, machten ihn schlagartig bundesweit bekannt. Der Parteineuling sei ein "Glücksfall für die Politik in Deutschland", urteilte Die Welt. Die Frankfurter Rundschau erklärte den Mann aus Dresden zum "ostdeutschen Vordenker".
Bei seinem Regierungschef aber verlor Vaatz durch seine Interviewfreudigkeit und die häufigen, nach Biedenkopfs Geschmack zu häufigen Besuche im Bonner Adenauerhaus an Sympathie. Zudem begann der Dresdner Ministerpräsident, um Ausgleich zwischen Erneuerern und ehemaligen Blockparteilern bemüht, die Verbalattacken seines Zöglings zu fürchten.
"Er hat sich um Kopf und Kragen geredet", begründete Biedenkopf die Versetzung des Radikalreformers ins Umweltministerium, der junge Mann brauche "die Disziplin eines Ressorts".
Während Vaatz sich mit Abwasserverordnungen und Müllgebühren herumplagte, traf ihn der nächste Schlag. Ein anderes Kabinettsmitglied, der sächsische Innenminister Heinz Eggert, 47, trat plötzlich zum Höhenflug an: Vizechef der sächsischen Union, stellvertretender Ministerpräsident, stellvertretender Parteivorsitzender der Bundes-CDU.
Wie sehr Vaatz sich von dessen Blitzkarriere getroffen fühlt, macht schon die Körperhaltung deutlich, mit der er über den Konkurrenten spricht. Das Gesäß rutscht auf die Vorderkante des Stuhls, der Kopf geht zwischen den Schulterblättern in Deckung, die Augen fixieren einen imaginären Punkt am Fußboden. Ein "Unglück" sei der Mann, ein "Blender", ein "Wichtigtuer". Vaatz schleudert die Worte hervor, als wolle er seine ganze Enttäuschung ausspeien.
Der Vergleich der beiden Minister zeigt, welches Profil ein Ostpolitiker haben muß, um in dem von Westfunktionären dominierten politischen System voranzukommen. Eggert wirkt charmant und unkompliziert, sein forsches Auftreten wird ihm als erfrischende Unbekümmertheit ausgelegt. Der Dresdner Umweltminister hingegen ist ein Ostbetrieb auf zwei Beinen: eigensinnig, grüblerisch, rüpelhaft, einfach nicht konkurrenzfähig. Im Kanzleramt wird der Querdenker aus Sachsen - die Parteifreunde in Bonn drücken sich schließlich höflich aus - als "zuwenig umgänglich" empfunden.
Dieser Arnold Vaatz versteht sich eben kaum auf Eigenwerbung oder Polit-PR. Was, bitte schön, ist von einem Unionspolitiker zu halten, der auf die Frage nach den Leistungen der Bundesregierung in minutenlanges Schweigen verfällt und sich schließlich die Antwort abringt: "Man hat seine Hausaufgaben gemacht, in gewisser Weise"? So jemand kommt vielleicht bei den Journalisten an, bei der eigenen Truppe gilt er als Sicherheitsrisiko.
Der Besucher im Dresdner Umweltministerium trifft auf einen Politiker, der ständig Gefahr läuft, an sich und seiner Partei zu scheitern. Bislang hat ihn vor dem selbstgewählten Ausstieg vor allem der starke Haß auf die Altkader bewahrt, die schon die Vereinigung unbeschadet überstanden haben. Den Triumph, auch ihren Erzfeind politisch zu überleben, will er ihnen nicht gönnen.
Doch sollte ihm keine andere Möglichkeit mehr bleiben als der
Rücktritt, dann, daran läßt Vaatz keinen Zweifel, wäre er diesmal
nicht das einzige Opfer. "Ich bin in der Lage", sagt er, "alle
Loyalitäten zu vergessen." Und damit auch jeder den Sprengstoff
sieht, der in diesen Worten steckt, zeigt er die Zündschnur gleich
vor: "Ich kann den ganzen Laden hier auffliegen lassen, wenn man mir
übermäßiges Leid zufügt."
*VITA-KASTEN-1
*ÜBERSCHRIFT:
Arnold Vaatz
*
ist einer der wenigen ehemaligen DDR-Bürgerrechtler, die Minister wurden und es bis heute geblieben sind. Der sächsische Umweltminister Vaatz, 37, hat sich durch seine Härte im Umgang mit politischen Altlasten einen Namen gemacht. Mit seiner Ruppigkeit ist der Mathematiker, seit 1990 CDU-Mitglied, in der Partei weitgehend isoliert.