Banken Das Zinswunder im Osten
Ganz hinten vor den Garagen ist die Steinstraße im Plattenbauviertel Halle-Ammendorf nicht zu Ende. Die Schlaglochstrecke macht noch einen Bogen, nur Hausnummern gibt es nicht mehr. In einer Plastebaracke aus vergangenen Zeiten sitzen dort Siegfried Anz und Rasmus Reinhardt auf sechs Quadratmetern beisammen. Die Unterkunft ist eng, muffig, überheizt, der Aschenbecher proppenvoll.
Die beiden Ossis vertreten 135 ehemalige Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften (LPG), 270 000 Hektar Land, Tausende von Arbeitsplätzen - und weit über eine halbe Milliarde Mark Schulden.
Anz und Reinhardt wollen sich wehren, anders als der große Rest ihrer Mit-Opfer im vereinten Deutschland. Sie haben eine Interessengemeinschaft "Gegen Altschulden" gegründet. "Schrecklich" sei alles, sagt Anz, der sich die Berufsbezeichnung Unternehmensberater zugelegt hat.
Der Diplomlandwirt und Geschäftsführer der Betriebsgesellschaft "Agricola" Reinhardt pflichtet ihm bei, "ja, ganz schrecklich". Die beiden kämpfen auf verlorenem Posten.
Sie haben kaum Informationen, kein Geld und nicht einmal das Recht auf ihrer Seite. Was sie in unteren Instanzen an Prozessen gewonnen haben, hat der Bundesgerichtshof aufgehoben: Die Politik habe alles genau so gewollt, wie es ist.
Über die Ex-DDR senkt sich neue Unfreiheit - "die Zinsknechtschaft", so der Wirtschaftswissenschaftler und ehemalige Banker Wilhelm Hankel.
Die Knechtschaft trifft Bürger der einstigen DDR, besonders Bauern, aber auch Betriebe. Die Herren sind weit weg im Westen. Die Mitarbeiter und Manager etwa der Deutschen Genossenschaftsbank (DG Bank) residieren in zwei schimmernden Bürotürmen, 42 und 50 Stockwerke hoch, in Frankfurt am Platz der Republik.
Westdeutsche Geldhäuser wie die DG Bank haben sich zu günstigsten Konditionen Banken der vergangenen DDR einverleibt, mitsamt deren Kreditforderungen gegenüber der alten sozialistischen Kundschaft in Milliardenhöhe. Es geht um Forderungen zwischen 150 und 200 Milliarden Mark, schätzen Finanzexperten.
Diese Kredite treiben die Banken nun ein oder lassen sie, noch lieber, zu marktüblichen Zinsen weiterlaufen. 150 Milliarden Mark Altschulden, zu zehn Prozent verliehen, mit sechs bis sieben Prozent refinanziert, bringen einen - im Bankenjargon - "Zinsüberschuß" von mehr als fünf Milliarden Mark im Jahr. Staatlich, vom Bundesfinanzminister garantiert, ist der Zins hier nicht Risikoprämie, sondern sicheres Bankeinkommen - wie eine Lizenz zum Gelddrucken.
Das Einigungsvertragswerk erweist sich als mangelhaft. Die Regierung Kohl hat entweder schwerwiegende Fehler gemacht. Oder sie hat mit politischem Vorsatz westdeutsche Banken so begünstigt wie die ostdeutschen Bauern und Betriebe benachteiligt.
Die Ost-Schulden hätten nicht wie West-Schulden behandelt werden dürfen. Denn Kredite im real existierenden Sozialismus hatten mit Krediten der westlichen Marktwirtschaft außer dem Namen wenig gemein. Die Kredite Ost waren Steuerungsinstrumente der Planwirtschaft Ost-Berlins.
Da wurden etwa Staatsbankkredite auf die Konten von Industriekombinaten überwiesen, "damit der Finanzminister sich dort bedienen konnte, wenn er Geld brauchte", ermittelte Jürgen Brockhausen, ein Bankier aus dem Westen, der noch kurz vor der Einheit DDR-Finanzminister Walter Romberg beriet: "Das waren in Wahrheit durchgereichte Darlehen der Staatsbank an die Regierung." Verbucht wurden sie nach der Währungsunion zu Lasten der Betriebe.
Oder im Wohnungsbau: Gerade mal ein Fünftel der Kosten konnten die Vermieter über die staatlich fixierten Mieten hereinholen. Den Fehlbetrag deckten Zuschüsse aus dem DDR-Haushalt und Kredite bei der Staatsbank. Zins und Tilgung für diese Schulden übernahm - bis auf ein Prozent - der Staat.
Solange die SED herrschte, konnten die kommunalen oder genossenschaftlichen Wohnungsunternehmen ihre Schulden - zuletzt 72 Milliarden DDR-Mark - "mehr oder weniger vergessen", so Thies Bünning, Altschuldenspezialist im Bonner Finanzministerium.
Nach der Währungsumstellung standen sie plötzlich mit 36 Milliarden Mark bei der Deutschen Kreditbank und der Berliner Stadtbank im Soll. Die hatten die Forderungen aus der DDR-Konkursmasse übernommen und verlangten nun Marktzinsen, damals über zehn Prozent.
Im Währungsvertrag wurden die Schulden zwar nur im Verhältnis von zwei DDR-Mark zu einer West-Mark umgestellt, doch die Schuldner mußten ihre Verbindlichkeiten plötzlich in harten D-Mark zurückzahlen und für die verbliebenen Kredite westübliche Marktzinsen zwischen zehn und elf (statt zuvor durchschnittlich 2,5) Prozent zahlen.
Folge: Viele Betriebe in den neuen Ländern haben wegen der alten Schulden keine Chance.
Zu den Opfern gehören die Bauern, die in der DDR spätestens in den sechziger Jahren gezwungen wurden, ihre Rinder, Ställe, Traktoren in die LPG einzubringen, und die jetzt durch die westdeutschen Banken ein zweites Mal enteignet werden. Geht eine ehemalige LPG in Liquidation und fordern die Bauern oder deren Erben das zwangsweise eingebrachte Inventar zurück, werden zuerst die Ansprüche der Bank bedient. Die Bauern gehen in aller Regel leer aus.
Die Opfer sind auch die deutschen Steuerzahler. Was die westlichen Kreditinstitute bei einem Pleitebetrieb der Ex-DDR nicht mehr herausholen können, ersetzt ihnen der Staat.
Die Ungerechtigkeit hat System - und ist Rechtens, wie der Bundesgerichtshof Ende Oktober 1993 feststellte: Es sei Sache des Gesetzgebers gewesen, grundsätzlich darüber zu entscheiden, welchen Einfluß der Wechsel des Wirtschaftssystems auf die Verbindlichkeiten aus DDR-Zeiten haben sollte.
Im Einigungsvertrag seien die Altkredite eben nicht erlassen, sondern mit der 2:1-Umstellung für tilgungsbedürftig erklärt worden. Eine Verfassungsbeschwerde der ehemaligen LPG Schlanstedt, vom Nürnberger Rechtsprofessor Karl Albrecht Schachtschneider formuliert, hat wohl wenig Aussicht auf Erfolg.
Warum der Gesetzgeber so und nicht anders entschied, läßt sich nur mutmaßen. Betroffene äußern den - sicherlich verwegenen - Verdacht einer hochintelligenten, feingesponnenen politischen Intrige: Der durchschnittliche bayerische Bauer mit allenfalls 16 Hektar Land mußte fürchten, daß die ostdeutschen 2000-Hektar-LPGs mit allen Möglichkeiten rationellen Wirtschaftens ihm die Preise verderben.
Unverblümt verlangte damals CSU-Landwirtschaftsminister Simon Nüssel öffentlich die Zerschlagung der östlichen Großbetriebe; an ihre Stelle sollten "Betriebsgrößen von 60, 70 oder 80 Hektar" gesetzt werden.
So geschieht es nun, ohne direkte Eingriffe aus Bonn, nur mit Hilfe der westdeutschen Banken.
Dem Finanzminister Theo Waigel war diese Lösung recht. Er selbst hätte die Schulden nur schwer übernehmen können - seine eigenen Kassen waren längst leer. Die Verbindlichkeiten tauchen in Waigels Haushalt jetzt gar nicht auf, sondern sind über westdeutsche Banken in der Privatwirtschaft geparkt.
Das widerspricht allen Regeln der Haushaltsehrlichkeit. Wirtschaftsprofessor Hankel klagt Waigel deshalb des "Budgetbetrugs" an.
Waigel mußte den westdeutschen Geldhäusern garantieren, daß sie nicht auf faulen Krediten sitzenbleiben würden. Über den Ausgleichsfonds des Bundes ist den Instituten in Pleitefällen die Bezahlung der Außenstände samt aufgelaufener Marktzinsen sicher.
Für westdeutsche Geldhändler hat es einen dickeren Fang wohl nie gegeben: Das komplette Bankensystem eines ganzen Staates, rund 180 Milliarden Mark Spareinlagen und die Schulden auf der anderen Bilanzseite, war im Supermarkt der Deutschen Einheit billig zu haben. Fast alle bedeutenden Kreditinstitute griffen zu.
Filialnetz und Mitarbeiter der Staatsbank-Nachfolgerin Deutsche Kreditbank gingen an Deutsche und Dresdner Bank. Zugunsten der Berliner Bank wurde zuvor das Hauptstadt-Geschäft der einstigen DDR-Zentralbank abgetrennt.
Über Nacht wandelte sich das Provinzinstitut zur Großbank. Reichlich 12 Milliarden Mark Bilanzsumme erstanden die Berliner für bloß 49 Millionen Mark. Der Kaufpreis war in wenigen Wochen wieder hereingeholt.
"Die Erwartungen übertroffen", wie es in einem internen Bericht des Finanzministeriums vom 4. November 1991 heißt, hatte schnell auch die Verbindung der WestLB mit der früheren DDR-Außenhandelsbank Daba. Schon in den ersten sechs Monaten der Währungsunion nahm ihre neue Tochter Deutsche Industrie- und Handelsbank über 20 Millionen Mark an Zins- und Provisionsüberschuß ein.
Auch die ehemalige gewerkschaftseigene Bank für Gemeinwirtschaft, jetzt BfG Bank, ging nicht leer aus: Für 225 Millionen Mark erstand sie rund zwei Drittel der Deutschen Handelsbank (Bilanzsumme: 14 Milliarden Mark) nebst deren vielversprechenden Beteiligungen.
Die Bankmanager aus dem Westen gingen stets gleich vor: Sondieren des Reviers, Ansprechen der Beute, Einstieg als Freund und Helfer aus dem Westen, dann die Übernahme.
Exemplarisch: der Coup der DG Bank. Schon zu Jahresanfang 1990 hatte die Frankfurter Großbank, Spitzeninstitut der westdeutschen Volks- und Raiffeisenbanken, ihren Fang geortet: die frisch umgetaufte Genossenschaftsbank Berlin (GBB), bis dahin als Bank für Landwirtschaft und Nahrungsgüterwirtschaft im deutschen Osten aktiv.
Mit Gerd Beck, dem GBB-Chef, verstand man sich schnell, seit der im März 1990 ein paar schöne Tage in Frankfurt verleben durfte. Die Freundschaft hält bis heute. Beck, der Ende 1990 seine Ost-Bank der DG zuführte, ist noch heute gutbezahlter Geschäftsführer der Tochterfirma DG Agroprogress International. "Unter moralischen Gesichtspunkten" hat aber auch der Ostdeutsche Beck seine Schwierigkeiten, "wie das mit den Altschulden läuft".
In bester Eintracht wurde damals ein positiver Saldo der GBB von rund 700 Millionen Mark bilanziert. Das sollte der Kaufpreis sein.
Davon zahlten die Frankfurter 100 Millionen Mark in bar. Für den Rest schoben sie Anteile am Eigenkapital über den Tisch. Die Papiere, Nennwert 120 Millionen Mark, wurden auf einen Marktwert von 600 Millionen Mark geschätzt. Alle Aktiva und Passiva, die 14 Bezirksdirektionen und etwa 800 Mitarbeiter der GBB, waren damit bezahlt.
"Wegen unseres Förderauftrags zugunsten der Landwirtschaft", behauptet DG-Vorständler Heiko Bruns, "gewissermaßen aus Menschlichkeit", habe man "das Ganze übernommen". In Wahrheit war es ein unglaubliches Geschäft.
16 Milliarden Mark an Forderungen gingen an die DG Bank, für die sie ab sofort (Ziffer 2 des Übernahmevertrages: "Mitabgetreten werden sämtliche Zinsansprüche") zehn bis elf Prozent Zinsen kassieren konnte. Die Spareinlagen auf der anderen Seite der Bilanz wurden mit fünf Prozent abgefunden.
Das Risiko, sollte ein Schuldner nicht zahlen können, übernahm zu 100 Prozent der Bonner Finanzminister, Zinsen inklusive.
Der Verkäufer der GBB, der westdeutsche Staat als Rechtsnachfolger der DDR, hatte allerdings weniger Grund zur Freude über das Geschäft. Das scheinbar profitable Geldhaus in Frankfurt hatte bei heimlichen Wertpapiergeschäften mit französischen Partnern viel Geld verloren, mußte selbst mit 1,4 Milliarden Mark von den Eigentümern vor der Pleite bewahrt werden.
Spätestens nach einem Jahr war klar, daß die eingetauschten DG-Anteile in Wahrheit nur einen Bruchteil der veranschlagten 600 Millionen Mark wert sind. Seitdem liegen die Papiere als "Hoffnungswert" im Bonner Finanzministerium, wie Ministerialrat Knut Kage zugibt: "Mit heutigem Wissen hätten wir das Geschäft so bestimmt nicht gemacht."
Pech für den Fiskus? "Vorsatz", vermutet Serge Boyko vom Schutzverband der Bank- und Anlagegeschädigten in München. Der Finanzminister habe die damals schon angeschlagene öffentlichrechtliche DG Bank retten wollen und ihr deshalb das lukrative Altschuldengeschäft zugeschoben.
Auffällig ist in der Tat: Waigels Fachmann für den DG-GBB-Deal, Kage, überwacht zugleich als "Kommissar der Bundesregierung" die DG-Gremien und hat damit Einblick in alle Interna. Und er hat nichts gemerkt?
Vieles an dem DG-Handel ist merkwürdig. Seinen Kontrolleuren im Haushaltsausschuß des Bundestages läßt Finanzminister Waigel mitteilen, bis auf eine Ausnahme seien Grundstücke und Gebäude nicht übertragen worden, weil sie sich "nicht im Eigentum der GBB, sondern im Volkseigentum unter Rechtsträgerschaft" befunden hätten.
Im Vertrag, den kein Parlamentarier je sehen durfte, steht es anders. "Die in der Anlage 12 zu diesem Vertrag im einzelnen aufgeführten Grundstücke", so heißt es dort in Ziffer 3, "werden übernommen, wie sie liegen und stehen." Darunter sind Spitzenlagen, etwa am Friedrich-Engels-Ring 38 in Neubrandenburg, in der Magdeburger Heydeckstraße, in Potsdam (Im Bogen). Kleine Zugaben vom Bonner Finanzminister? Nicht erkennbar ist auch, warum DG-Manager und Waigels Referenten in der GBB-Bilanz einen 700-Millionen-Mark-Überschuß errechneten, den sie dann als Kaufpreis festlegten. Die Zahlen aus dem Übernahmevertrag addieren sich auf rund 1,2 Milliarden Mark. Noch eine Draufgabe?
Zinsansprüche, Wertpapiererträge, die en passant an die DG gingen, Immobilien und der tatsächliche Bilanzüberschuß - das trug der Halberstädter Rechtsanwalt Günter Köhler dem Oberlandesgericht Naumburg jetzt vor - summierten sich sogar auf zwei bis drei Milliarden Mark, die "real ohne Gegenleistung übertragen" worden seien. Weil damit das vom Haushaltsgrundsätzegesetz und der Bundeshaushaltsordnung vorgeschriebene "ausgewogene Verhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung" fehle, sei das Geschäft zwischen Theo Waigel und den DG-Bankern, so Anwalt Köhler, "nichtig". Etliche Juristen sehen das genauso.
Auffallend ist auch die ungleiche Art, in der Waigel mit Schuldnern umgeht. Die einen müssen im Verhältnis 2:1 zahlen, für die anderen tritt der Steuerzahler zumindest teilweise ein.
Von den derzeit 51,5 Milliarden Mark Schulden der kommunalen und genossenschaftlichen Wohnungsunternehmen (darunter fast 20 Milliarden Mark Zinsen seit 1990) sollen rund 31 Milliarden, das hat Theo Waigel zugesagt, von öffentlichen Kassen übernommen werden.
So geht es inzwischen auch bei einem großen Teil der Firmenschulden aus SED-Zeit. Für rund 70 Milliarden Mark übernahm die Treuhandanstalt Altkredite von Unternehmen, die sie dann - schuldenfrei - an neue Eigentümer, in aller Regel aus dem Westen, weiterverkaufte.
Auch die Schulden der riesigen Agrarkombinate, offiziell "volkseigene Güter" genannt, gingen an den westdeutschen Staat; nur den Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften nimmt Bonn fast nichts ab. Von deren vergleichsweise bescheidener 8,3-Milliarden-Schuld zahlt Waigel nur 1,4 Milliarden Mark.
"Die Bundesregierung ist nach wie vor der Auffassung", beschied Waigels Staatssekretär Franz-Christoph Zeitler Petenten, daß es sich bei den Altschulden im landwirtschaftlichen Bereich "um betriebliche Verbindlichkeiten handelt, die von den Schuldnern zu tilgen und zu verzinsen sind".
Eine "gesetzliche Pflicht zur Aufnahme von Krediten", assistiert Beck, letzter Chef der DDR-Bauernbank GBB, habe es für die LPGs, "anders als für die VEBs, nicht gegeben".
Die Praxis belegt das Gegenteil.
Über 15 Millionen Mark mußte die LPG "Friedrich Engels" in Queis bei Halle auf Geheiß der SED-Führung zwischen 1983 und 1986 in eine obskure "multivalent nutzbare Cobalt-60-Bestrahlungsanlage" investieren, mit der Zwiebeln, Futterhefe und Arzneimittel haltbar gemacht werden sollten. Seit der Wende schulden die LPG-Bauern der Frankfurter DG Bank dafür 4,4 Millionen Mark.
Ähnliche Fälle gibt es in allen Regionen des ehemaligen Arbeiter-und-Bauern-Staates. Auf 200 Hektar in Sachsen-Anhalt mußte etwa eine LPG Mohn säen. Die DDR-Führung wollte Backmohn nicht länger gegen Devisen auf dem Weltmarkt kaufen. Saatgut und Erntemaschinen kosteten eine Million Mark. Nach der Einheit wurde die Plantage wertlos: Mohnanbau in der Bundesrepublik ist nach dem Betäubungsmittelgesetz bis auf wenige Ausnahmen verboten. Die alten Schulden aus der DDR-Zeit gelten weiter.
Mit 600 000 Mark stehen Mähdrescher, Marke VEB Fortschritt, auf der Sollseite einer LPG und als Forderung in der Bilanz einer Bank. Tatsächlich sind die rostigen Getüme wertlos, müssen sogar für 30 Mark je Tonne entsorgt werden.
Viele LPGs zahlten Löhne, kauften Saatgut und Dünger mit jährlich neuen Staatsdarlehen. Am Jahresende, nach der Ernte oder dem Schlachtfest, wurde die Schuld beglichen. Nur 1990 klappte das nicht, weil das bis dahin im Plan ausgeglichene Verhältnis von hohen Betriebskosten und hohen Preisen den Einfall der Marktwirtschaft nicht überstand.
Eine Kuh, zuvor 2000 Mark wert, brachte noch 500 Mark. Schafe, für deren Wolle die LPG mit 70 Mark pro Kilo kalkuliert hatte, mußten, weil unwirtschaftlich, für eine Mark pro Tier verkauft werden. Auf 28 Prozent des einstigen DDR-Niveaus fielen die Preise für tierische Produkte, bei pflanzlichen Waren auf 48 Prozent.
Derweil wachsen die Kreditlasten um jährlich etwa zehn Prozent. Nur für etwa ein Drittel der Schulden, so schätzen _(* In Mittenwalde. ) Fachleute, liegt noch ein Gegenwert auf den Genossenschaftshöfen.
"Der erste Fehler der Währungsunion" ist nicht nur für den letzten SED-Regenten in Ost-Berlin und heutigen PDS-Abgeordneten Hans Modrow "die Gleichstellung von DDR-Krediten mit westlichen Markt-Krediten" gewesen. Der christdemokratische Ministerpräsident Sachsens, Kurt Biedenkopf, hat "seit Februar 1990 in fast jeder Sitzung des Bundestagswirtschaftsausschusses" darüber doziert, "daß die Betriebskredite in der DDR nicht Kredite im eigentlichen, westlichen Sinne" gewesen seien.
Auch der damalige Bundesbankpräsident Karl Otto Pöhl, ohnehin kein Freund der Währungsumstellung, hatte vergeblich gewarnt: "Das ruiniert die Betriebe."
"Ein Konstruktionsfehler der Einheit" ist die Altschuldenregelung sogar für Detlef Marquardt, den Generalbevollmächtigten der Frankfurter DG Bank. Doch jetzt, da die Kreditforderungen bei den Geldhäusern liegen, müßten sie auch beglichen werden. Eine Bank sei schließlich "keine karitative Einrichtung".
Wohl wahr. Den Geldhäusern haben die Einheitsjahre die Kassen gefüllt. Zwar ist das Industriegeschäft, Folge der schlechten Konjunktur, mau. Private Bankkunden halten sich zurück, weil ihre Einkommen stagnieren oder gar sinken. Im Handel der Banken untereinander "tendieren die Margen gegen Null", wie Geldhändler klagen. Im Aktienhandel sind noch satte Provisionen zu verdienen und im boomenden Risikogeschäft mit Finanzderivaten. Aber das dicke Geschäft haben die Kredithändler bei der gigantischen Finanzierung der deutschen Einheit auf Pump gemacht.
Wieviel sie dabei verdienten, ist bestgehütetes Bankgeheimnis. Doch was die Branchenführer an Zuwächsen ausweisen, ist deutlich genug.
Die DG Bank hat den flauen Zinsüberschuß von 362 Millionen Mark im Jahre 1990 binnen zweier Jahre auf 692 Millionen liften können. Der ausgewiesene Zinsüberschuß der Dresdner Bank kletterte von 1990 bis 1992 um über eine Milliarde, bei der Branchenführerin Deutsche Bank gar um mehr als zwei Milliarden Mark.
Im Osten wachsen derweil die Schulden. Wer nicht zahlen kann, bekommt gestundet, da sind die Banken großzügig. So erhöhen sich ihre Forderungen laufend um die Zinsen, der Staat garantiert ja die Rückzahlung. Die Lage der Schuldner wird derweil immer trostloser.
Aus 3,5 Millionen Mark Verbindlichkeiten, die seine frühere LPG am Tag der deutschen Wiedervereinigung notierte, seien jetzt schon 4,5 Millionen geworden, klagt Rasmus Reinhardt: "Gerecht ist das nicht." Y *VITA-KASTEN-1 *ÜBERSCHRIFT:
Milliarden verdienen *
die Banken an den Altschulden der DDR. Kanzler Helmut Kohl und sein Finanzminister Theo Waigel trieben gleichzeitig Bauern und Betriebe, Handwerker und Vermieter in die Zinsknechtschaft der Geldhäuser, weil sie deren Schulden nicht dem Bundeshaushalt übertragen wollten. Statt dessen gingen die Altschulden - also die Kredite der früheren DDR-Banken - bei der Währungsreform 1990 zur Hälfte als Forderungen an die heutigen Besitzer der Kreditinstitute über. Wirtschaftsprofessor und Ex-Landesbankier Wilhelm Hankel nennt dies einen "Budgetbetrug": Die Bundesregierung habe so "ohne erkennbare Not die Kosten der Einheit verschleiert" und viele Arbeitsplätze in Ostdeutschland riskiert.
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__57_ Aufteilung d. DDR-Staatsbank unter westdt. Kreditinstituten
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