Griff zur Notbremse
In die Rolle des Saubermanns ist Max Mosley, 52, hineingeboren worden. Der Sohn des britischen Faschistenführers Sir Oswald Mosley und Lady Diana Mitford verbrachte einige Schuljahre in einem Internat am Bodensee, studierte in Oxford Jura und Physik und ließ sich schließlich als Rechtsanwalt in London nieder.
Weil aber auch der geradeste Karriereweg nicht vor jugendlichen Torheiten schützt, fuhr Max Mosley in seiner Freizeit Autorennen, gründete mit Freunden sogar einen eigenen Rennstall. 1977, als der Motorsport vom Gentleman-Vergnügen zum schnöden Business abstieg, stieß Mosley seine Anteile am March-Team wieder ab.
Eine Beziehung aber überdauerte den Rückzug in die Noblesse der gediegenen Kanzlei im Londoner Viertel Knightsbridge - Max Mosleys Freundschaft zum ehemaligen Gebrauchtwagenhändler Charles Bernard Ecclestone, der damals das Brabham-Team besaß. In der Funktion des Präsidenten der Vereinigung der Formel-1-Rennstallbesitzer (Foca) machte Ecclestone, der in der Branche mal als geldgieriger Beutelschneider beschimpft, mal als cleverer Sportmanager mit Visionen gefeiert wird, seinen Freund Max zum Hausjuristen seines Vereins. Dank Mosleys anwaltlicher Hilfe wuchs "Bernie" Ecclestone, der "Napoleon der Formel 1" (Sport auto), zum Impresario des internationalen Motorsports.
Nur Jean-Marie Balestre, der selbstsüchtige Präsident des übergeordneten Motorsport-Weltverbandes (Fisa), störte die Kreise des britischen Duos. Als Ecclestone, der sich jahrelang mit dem im Stile eines absolutistischen Sonnenkönigs regierenden Franzosen befehdet hatte, den Widersacher im Herbst 1991 aus dem Amt hebelte, lancierte er die Wahl eines Kandidaten, "der genauso denkt wie ich" - Max Mosley.
Ecclestone hat einen zuverlässigen Verbündeten auch dringend nötig: Die Geschäfte klemmen. Mosley, der personifizierte Anstand im schillernden Grand-Prix-Zirkus, soll mit der Autorität seines Amtes Ex-Weltmeister Alain Prost zähmen. Der Chef-Intrigant der Branche hat mit einem angedrohten Fahrer-Boykott Ecclestone aufgebracht: "Die sind unverschämt geworden." Gleichzeitig gilt es, die Kosten zu senken und die Chancengleichheit der Teams wiederherzustellen (siehe Interview Seite 211).
Wegen der Überlegenheit der Williams-Renault-Autos stoppten im Vorjahr neun Fernsehstationen mitten in der Saison die Live-Übertragungen der langweiligen Rennen, in Italien sanken die Einschaltquoten im Vergleich zum Vorjahr um 25 Prozent. Kaum ein Rennstall findet noch ausreichend Sponsoren, weil das Verhältnis von Preis und Werbeleistung nicht mehr stimmt.
Selbst ein Autokonzern wie Peugeot, der gern wieder in die Formel 1 einsteigen möchte, suchte bisher vergeblich nach einem Partner, der 30 Millionen Mark zu investieren bereit ist. Viele private Teams sind bei Kredithaien verschuldet, andere pleite. Sollte der vom March-Rennstall angekündigte geheimnisvolle Geldgeber aus Arabien nicht zahlen, hätte die Formel 1 in dieser Saison mit nur 26 Autos das kleinste Teilnehmerfeld seit 1978.
Der japanische Motorenhersteller Honda, über Jahre größter Investor im Grand-Prix-Zirkus, stieg aus. Und sogar Ferrari stellte sein Engagement zur Disposition: "Nichts zwingt uns, auf ewig in der Formel 1 zu bleiben."
Daß das finanziell überbordende PS-Spektakel, wie Ferrari-Berater Niki Lauda bemerkt, "in eine völlig falsche Richtung fährt", ist vor allem in der Autoindustrie unstrittig. In Zeiten von Absatzkrise, Kurzarbeit und Entlassungen sind Dollar-Investments in dreistelliger Millionenhöhe für kein Unternehmen zu rechtfertigen.
Manager wie Flavio Briatore vom Benetton-Ford-Team oder Luca di Montezemolo (Ferrari) sehen nur einen Ausweg: Die mit Elektronik vollgestopften Rennwagen, die inzwischen eher Flugzeuge mit Bodenhaftung denn Automobile sind, müssen abgerüstet werden. Die Technik, fordert Montezemolo, "muß sich den Serienautos wieder annähern".
Bislang widersetzten sich die beiden erfolgreichsten Rennställe der letzten neun Jahre allen Reformbemühungen. Frank Williams, 50, und McLaren-Chef Ron Dennis, 45, stiegen in den sechziger Jahren als Habenichtse in den Rennsport ein. Mit harter Hand und langem Atem trieben sie ihre Firmen zu Ruhm und Reichtum. Um ihren Vorsprung zu wahren, erproben sie in ihren High-Tech-Labors unentwegt teure Erfindungen, die ihre Autos noch schneller machen. Wenn nicht sofort die Notbremse getreten werde, warnt Mosley, gehe die Formel 1 "an den Egoismen dieser reichen Teams kaputt".
Auf einem Fisa-Krisengipfel Mitte Januar wehrten Williams und Dennis alle Korrekturversuche unter Hinweis auf die gültigen, vom Juristen Mosley erarbeiteten Regeln ab. Ob Ecclestone Gewichtshandicaps, zusätzliche Tank- oder Reifenstopps oder technische Abrüstung vorschlug, stets beriefen sich die beiden Briten auf das Concorde-Agreement, das Regeländerungen nur einstimmig erlaubt. Foca-Chef Ecclestone hatte dieses Abkommen (benannt nach der Fisa-Adresse an der Place de la Concorde in Paris) 1981 durchgesetzt, um die Teams "vor den dummen Entscheidungen" der damals von Balestre angeführten Fisa-Funktionäre zu schützen - jetzt wurde es gegen ihn verwandt.
Erst der Zufall half. Am Schlußtag der Einschreibefrist für die neue Saison hatte der Williams-Bote an Ecclestones Haus den Briefkasten nicht gefunden. So erfolgte ausgerechnet die Anmeldung des amtierenden Weltmeisters zu spät - bei buchstabengetreuer Auslegung des Concorde-Abkommens ein irreparables Mißgeschick. Die Konkurrenz signalisierte Bereitschaft zum Vertragsbruch, wenn auch Williams nicht länger sture Paragraphenreiterei betreibe.
So wurde Williams zum Solidarpakt gezwungen: Beim Saisonauftakt am kommenden Wochenende wird im südafrikanischen Kyalami wieder mit annähernd handelsüblichem Benzin gefahren, die Zahl der Reifen ist begrenzt, die Trainingszeit wird verkürzt, und der Einsatz von Ersatzautos ist verboten. Pro Team sollen damit übers Jahr knapp fünf Millionen Mark gespart werden. Das soll nur der Anfang sein. Am 18. März wird das World Council der Fisa über weitere Änderungen abstimmen. Zur Debatte steht, ab 1994 alle elektronischen Hilfen wie automatisches Getriebe, Anti-Blockier-Bremse, computergesteuerte Fahrwerke oder Traktionskontrolle zu verschrotten.
Die Gegenwehr wird heftig ausfallen. Doch Ecclestone und Mosley wissen, daß sie die Formel 1 attraktiver gestalten müssen. 1994 laufen zahlreiche TV-Verträge aus, und in naher Zukunft wird die Zigarettenindustrie in allen EG-Ländern ihre Reklame auf den Rennwagen einstellen müssen.
Um den größten Geldgeber - rund ein Drittel der Teambudgets bringen die Tabakfirmen auf - nicht zu verlieren, wird die Formel 1 auf Strecken ausweichen, wo weiterhin unbeschränkte Werbung erlaubt ist. Der Fisa-Plan sieht demnächst zwei Rennen im Mittleren Osten, zwei oder drei in Fernost und drei in den USA vor. Die rasenden Reklameboten erreichen aber nur den so wichtigen europäischen Werbemarkt, wenn auch das Fernsehen Gefallen an Ecclestones Spektakel findet.
Der ist, um die Krise abzuwenden, sogar bereit, eiserne Grundsätze aufzugeben. Für die US-amerikanische Indy-Car-Serie hatte der Brite stets nur Spott und Hohn übrig, die weltberühmten 500 Meilen von Indianapolis diskreditierte er hochmütig als "Showspektakel ohne sportlichen Wert".
Der jetzt verschämt vorgetragene Fisa-Vorschlag, künftig auch Formel-1-Rennen auf den in den USA üblichen ovalen Hochgeschwindigkeitskursen auszutragen, hat nur einen Grund: Ecclestone möchte sicherstellen, daß sein dahinsiechender Grand-Prix-Zirkus im Rahmenprogramm der Indy 500 auftreten darf.