14.12.1992
Rheinland-PfalzRentner auf Kaffeefahrt
Ein rheinland-pfälzisch-russisches Versöhnungswerk entpuppt sich als teure Posse.
Priester trugen der Prozession eine blumenbekränzte, goldschimmernde Ikone des Jossif Wolozki voran. Hinter dem Bildnis des Klostergründers aus dem 15. Jahrhundert umschritten Metropolit Pitirim und andere russisch-orthodoxe Würdenträger die Klosterkirche von Wolokolamsk, 120 Kilometer westlich von Moskau.
Mit feierlicher Geste segnete der Metropolit den jahrzehntelang durch die Sowjets enteigneten Boden. Das Jossif-Wolozki-Kloster war eines der ersten, das der Staat auf persönliche Anordnung Michail Gorbatschows der Kirche zurückgegeben hatte.
Zum Gottesdienst drängten an jenem 22. September 1989 Tausende von Gläubigen, aber auch eine stattliche Delegation von Politikern und Journalisten aus _(* Bei der Prozession in Wolokolamsk am ) _(22. September 1989. ) Rheinland-Pfalz. Die Bundeswehr hatte sie für Gotteslohn eingeflogen. Denn dem kirchlichen sollte ein völkerverbindender weltlicher Festakt folgen.
Der damalige Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, Carl-Ludwig Wagner (CDU), und Metropolit Pitirim vereinbarten ein Versöhnungswerk. Sie unterzeichneten einen Vertrag über den Wiederaufbau des im Zweiten Weltkrieg teilweise zerstörten Klosters, die Errichtung einer Begegnungsstätte vor den Klostertoren sowie Mainzer Hilfe bei der Verbreitung russisch-orthodoxer Kirchenliteratur.
Per Federstrich, bei Kerzenschein im Refektorium, sicherten Wagner sowie drei Vertreter der Landtagsfraktionen von CDU, SPD und FDP den russischen Partnern Leistungen im Wert von 22,5 Millionen Mark zu, die über die landeseigene Kulturstiftung "Villa Musica" erbracht werden sollten. Für die Stiftung unterschrieb auch Paul Wieandt, damals Chef der Landesbank Rheinland-Pfalz, inzwischen Chef der Bank für Gemeinwirtschaft.
Mitunterzeichner Hans-Otto Wilhelm, CDU-Fraktionschef in Mainz und Promotor des frommen Unternehmens, wollte die gute Tat nicht auf Geld beschränkt wissen. Wilhelm hochtönend: "Wir öffnen unsere Herzen."
Wagners Nachfolger Rudolf Scharping dagegen bereitet das Versöhnungswerk Herzschmerzen. Der Sozialdemokrat will die CDU-Altlast nicht unbesehen übernehmen, sondern lieber Projekte fördern, die der russischen Bevölkerung "unmittelbar und dauerhaft" zugute kommen.
Der Mainzer Ministerpräsident bestreitet, "daß der geschlossene Vertrag wirksam ist" - jedenfalls dessen russische Version. Denn bei der Unterzeichnung im Zwielicht des klösterlichen Speisesaals ließen sich seinerzeit die Mainzer Politiker statt gleichlautender deutscher und russischer Schriftstücke zwei völlig unterschiedliche Fassungen unterjubeln.
Keinem fiel offenbar auf, daß der Text der deutschen Version 4, der in kyrillischer Schrift hingegen 17 Seiten umfaßte. Niemand merkte, daß nicht einmal der Name des Gemeinschaftsunternehmens in beiden Fassungen übereinstimmte.
Drei Jahre hat es gedauert, bis der Coup durch Zufall aufflog: Der Mainzer Kultur-Staatssekretär Joachim Hofmann-Göttig wollte im Oktober in Wolokolamsk die Baustelle für das Begegnungszentrum in Augenschein nehmen. Der Bau, so zeigte sich, wäre bei der derzeit verworrenen Lage im neuen Rußland wenig sinnvoll.
Doch die Russen mahnten Vertragserfüllung an - mit dem Hinweis auf eigene Vorleistungen, wie sie nach Ansicht Hofmann-Göttigs überhaupt nicht vereinbart waren. Die Russen legten dem Gast daraufhin nahe, sich genauer mit dem Inhalt des Vertrages vertraut zu machen. Nach Rückkehr des Staatssekretärs gab die Landesregierung deshalb bei der Uni Mainz eine Übersetzung der russischen Fassung in Auftrag.
Das Ergebnis schockte die Regierenden. Denn laut russischer Version haben sich die Deutschen nicht nur zur Kloster-Hilfe verpflichtet, sondern zu "allseitiger Förderung der Entwicklung geistiger, kultureller und sozialer Beziehungen zwischen den Völkern des Landes Rheinland-Pfalz (und der BRD im ganzen) und den Bürgern der Stadt Wolokolamsk und des Kreises Wolokolamsk (und der UdSSR im ganzen)".
Außerdem sagten die Mainzer "Unterstützung der Behörden und Organisationen" im Kreis Wolokolamsk bei der Verbesserung sozialer und kultureller Verhältnisse zu sowie Beistand bei der Wiedergeburt klösterlicher Traditionen.
Rätselhaft ist vor allem, wieso sich die Mainzer nicht vor Vertragsabschluß kundig gemacht haben: In den Stiftungsakten fanden Scharpings Rechercheure eine Übersetzung der russischen Vertragsversion. Den Text hatte die deutsche Botschaft zehn Tage vor Unterzeichnung per Fax an die Stiftung übermittelt.
Der frühere Vorstandsvorsitzende der Kulturstiftung "Villa Musica", Ernst Maurer, der die Vertragsunterzeichnung vorbereitet hatte, legte die Fernkopie einfach zu den Akten, denn "Gegenstand der Verhandlungen war allein der deutsche Text". Bei der Unterzeichnung habe er dann darauf vertraut, daß die Russen eine sinngetreue Übersetzung vorgelegt hätten.
Der Metropolit Pitirim entschuldigt sich jetzt, die russische Fassung des "maßgeblichen" deutschen Vertrages sei "versehentlich" bei der Unterzeichnung nicht beigefügt gewesen. Der statt dessen präsentierte Text sei "lediglich zur internen Verwendung bei den staatlichen russischen Stellen" gedacht gewesen und nicht mit der deutschen Seite besprochen worden, "weil wir daraus keine Rechte herleiten".
Im Auswärtigen Amt quittieren Ministeriale die Mainzer Pannen mit Schadenfreude. "Wir bieten guten Rat, und das auch noch kostenlos", spotten Bonner Beamte über die Provinzler: "Die unterschreiben Verträge wie Rentner bei der Kaffeefahrt."
* Bei der Prozession in Wolokolamsk am 22. September 1989.
DER SPIEGEL 51/1992
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