Familie ABSTIEG ZUM DUMMERCHEN
Den Hamburger Autor Kester Schlenz, 35, packte das große Grauen im Geburtsvorbereitungskurs. Als einziger Mann fühlte er sich ziemlich allein unter Frauen. Der Aufforderung der Gruppenleiterin, ihre Schützlinge möchten sich vorstellen, sie hätten "einen dicken Känguruhschwanz, den wir entspannt herunterhängen oder steil aufrichten können", vermochte er gerade noch Folge zu leisten. Doch als es wenig später um das "kräftige Anspannen der Scheidenmuskulatur" ging, ergriff Schlenz die Flucht - sein Motto: "Flieh, ehe es zu spät ist."
Der Tübinger Wolfgang Bäurle, 33, fragt sich nach rund drei Jahren in der Rolle des Hausmanns, wozu er sich an der Universität zum Ernährungswissenschaftler ausbilden ließ - nun will er zurück in den Beruf: "Ich bereue nichts - aber mein Lebensentwurf war ein anderer."
Den Münchner Musiker Oliver Ketterer, 32, seit fast zehn Jahren im Haushalts- und Erziehungseinsatz, nervt, "daß meine Arbeit von den meisten Leuten als besserer Ferienjob angesehen wird". Wer als Hausmann auf dumme Fragen danach, was er denn sonst so treibe, nicht schlagfertig antworte, so Ketterer, "der steht sofort als Kasperl da".
So empfinden viele Männer, die versucht haben, andere, bessere Väter zu sein. Gerade erst angetreten, überkommene Rollenfixierungen - Vater verdient das Geld, Mutter versorgt die Kinder - zu durchbrechen, leiden sie nun unter Minderwertigkeitsgefühlen und dem Eindruck, sich geirrt zu haben.
Dazu tragen Wissenschaftler bei, die das Rollenbild vom sanften, windelwaschenden modernen Mustervater ankratzen: "Innerlich verunsichert" und vom Gefühl der "Wertlosigkeit" geplagt seien viele Väter, konstatiert die Berliner Jugendpsychiaterin Agathe Israel, 45. Und die Münchner Familienforscherin Gisela Erler, 48, sieht bei in der Kindererziehung engagierten Vätern jene "Macht-Erotik" schwinden, die nicht nur den Kindern Bewunderung abnötigt, sondern auch die Partnerin reizt: Im Bett der Hausmänner, so Erler, "wird die erotische Spannung geringer".
Für prominente Frauenrechtlerinnen wie Cheryl Benard und Edit Schlaffer bedeutet von Männern versehene Hausarbeit einerseits einen "Quantensprung" in der maskulinen Entwicklungsgeschichte. Andererseits höhnen die beiden Soziologinnen jedoch über den "kollektiven Sinnverlust" eines ganzen Geschlechts.
Die Väter der Männer von heute, so Benard und Schlaffer, "wußten wenigstens noch klipp und klar, was sie zu tun hatten: Kohle ranschaffen und der Familie sagen, wo es langgeht". Der neue Vater dagegen arbeite zumindest unbewußt bereits am eigenen Versinken in "Bedeutungslosigkeit".
Die bedenkliche Konsequenz solcher Erkenntnisse: Im aktuellen "Weiber-Lexikon" kommt der Begriff "Vater" nicht mehr vor. Hier folgt auf "Vagina" nun flugs die "Vergewaltigung".
Rächt sich hier männliche Nachgiebigkeit? Immerhin steht fest: Nie zuvor haben sich Familienväter mehr um Kindererziehung und Hausarbeit bemüht als heute. Mehr als ein Drittel der deutschen Väter mit Kindern unter sechs Jahren (38,4 Prozent), heißt es in einer noch unveröffentlichen Erhebung des Deutschen Jugendinstitutes, beziehen ihre Identität mittlerweile aus der Familie und nicht mehr aus dem Beruf. Männer mit Job übernehmen, bei gleichzeitiger Berufstätigkeit der Frau, 44 Prozent der Hausarbeit und 52 Prozent der Kinderbetreuung.
Um so weit zu kommen, haben nicht nur Full-time-Hausmänner hart an sich gearbeitet. Auch beruflich voll eingespannte Väter lernten putzen und flicken. Von den Kindern ließen sie sich mit Vornamen rufen: Das Wort "Papa" war längst zum Synonym geworden für etwas Überkommenes, obendrein galt der Typ als unbeweglich und asexuell.
Die "neuen Väter" haben sich im "Väteraufbruch e.V." gesammelt und diskutieren im "Samstagsclub für Vater und Kind". Die bislang als "Das faule Geschlecht" (Buchtitel) gescholtene Spezies ist, verewigt in rund 200 Büchern, zum Hauptgegenstand der Frauenliteratur avanciert.
Was da über Männer und ihre Probleme nachzulesen ist, genügt längst schlichtesten Ansprüchen. Statt über die "Psychopathologie der bürgerlichen Erziehung", wie es vor 20 Jahren Standard war, werden Männer heute über "Mein Kind und das Kind in mir" belehrt. "Kehrt den wichtigen Konferenzen, Aufträgen und Büros den Rücken", empfiehlt etwa die Schweizer Psychoanalytikerin Eva Burkard. Der Freundin-Ratgeber verspricht für diesen Fall "Abenteuer" und "Erlebnisse", die für "das ganze Leben nützlich" seien.
In solcher Manier angepriesen, galt der sogenannte Hausmann lange Zeit als neuer Idealtypus Mann - als sanfter Nonkonformist, der sich ungeachtet aller gesellschaftlicher Konventionen auf eine neue Rollenverteilung einließ. Er sei stolz darauf, hatte schon Beatle John Lennon verkündet, auch bei der Hausmann-Revolution "in der ersten Reihe mit dabeizusein".
Heute sehen sich waschmüde Hausmänner so mitleidig behandelt, als seien sie soeben als Verlierer aus einem Krieg zurückgekommen. "Mein Mann will wieder arbeiten gehen", begründete eine Mutter in einem Münchner Privatkindergarten den Aufnahmeantrag für ihr Kind. Es bekam prompt einen Platz, obwohl der Hort seit langem ausgebucht war.
Denn der Papi zum Anfassen, jahrelang als Idealbild revolutionärer Frauenphantasien gefeiert, stößt plötzlich bei Kritikern beiderlei Geschlechts eher auf Mitgefühl denn auf heroische Verklärung. Der Mann, der aufgebrochen war, es mit Emanzipation und Chancengleichheit ernst zu nehmen, sieht sich zur Lachnummer verkommen. Von der "Diffamierung und intellektuellen Liquidierung des Vaters" spricht der Berliner Anthropologe Dieter Lenzen, die Funktion der Familienväter tendiere in weiten Bereichen der Gesellschaft "gegen Null".
Väter seien eine "zur Verdammnis verurteilte Spezies", befand jüngst die Londoner Sunday Times, die väterliche Autorität "ein schwarzes Loch". Wie ein implodierender Stern, in seinem Zentrum bereits auf Zwerggröße geschrumpft - so empfänden heute viele Väter ihre Rolle in der Familie. Nicht mal zum Kinderkriegen fühlen sich die Männer noch gebraucht, seit Samenbanken und Befruchtungskliniken den Frauen ihren Service anbieten und etwa lesbische, aufs Mutterglück erpichte Frauen sich bei homosexuellen Freunden "Sperma im Cocktailglas" besorgen (SPIEGEL 26/1994).
"Klammheimlich ist es anders geworden", gab ein Vater dem Magazin der Süddeutschen Zeitung zu Protokoll, "Kinder sind nicht mehr kindlich, Erwachsene werden nicht erwachsen. Väter sind von Geburt an dabei, aber Helden sind sie nicht mehr und ihr Wort kein Machtwort."
Arme Väter: Auf den angestammten Jagdgründen vom Jäger zum Gejagten geworden, als Ernährer nicht mehr anerkannt, zu Hause eher geduldet als bewundert. Der Nachwuchs verkorkst, die Maßstäbe verloren, keiner mehr da, der für Disziplin und Lebensführung sorgt. "Ich krieg'' ja nichts zurück", klagt ein Hamburger Hausmann über den Totschlag mit der Wiege, "wenn meine Frau zu Hause ist, ist sie kaputt, läuft mit schlampigen Klamotten rum und geht früh ins Bett." Natürlich honoriere auch er den Einsatz seiner Frau nicht richtig, "aber wenn ich alles bedenke - der größere Depp von uns beiden bin ich".
Sie hätten die Karriere aufs Spiel gesetzt, klagen die neuen Väter, ihre Identität in Frage gestellt, Mehrarbeit in Kauf genommen und auch noch den Spott der Öffentlichkeit ertragen - aber belohnt worden seien sie nicht. Im Gegenteil. Einfluß und Attraktivität schwinden. Nun büßten sie die Hinwendung auch noch mit einem Ansehensverlust in den Reihen der eigenen Familie. "Meine Position", sagt einer, "ist doch wesentlich schwächer als früher, als ich noch der Watschen-Macho war." Den Mann zu Hause, schreibt die Saarbrücker Zeitung, kennzeichne der "Abstieg zum hausväterlichen Dummerchen".
Führte die neue Väterrolle also geradewegs in die Frauenfalle? Möglicherweise, so diskutierte schon im Vorjahr die "Bundeskonferenz für Erziehungsberatung" in Berlin, vollziehe sich mit dem "Vater in der Wende" nunmehr tatsächlich die Wende, nämlich die "vom Familienoberhaupt zur überflüssigen Randfigur".
Wahr ist, daß noch nie eine Gesellschaft so weitgehend auf den Vater verzichten wollte - und es auch konnte. Die postmoderne Experimentierlust hat den Verfall der herkömmlichen Vater-Identität beschleunigt; zumal durch die Illusion, Väter ließen sich zu besseren Müttern umerziehen. Die Problematik ist mittlerweile so offenkundig, daß selbst einst eifrige Verfechter des Rollenwandels zu Skepsis mahnen.
Der Vater als Hausmann, glaubt etwa die Familienforscherin Gisela Erler, sei das riskanteste Partnermodell von allen. "Der ganze Rollentausch", so Erler, "ist so explosiv, daß ich den niemandem mehr empfehlen will." "Am Schluß", pflichtet der Ethnobiologe Conrad Gorinsky bei, "gehen beide Geschlechter drauf."
Die Erfahrungen von Ludwig und Claudia Seibold* scheinen das zu bestätigen. Vor zwei Jahren hatte das Ehepaar beschlossen, sich fortan Haushalt und Erziehung zu teilen. Claudia argumentierte, sie hätte bisher allein die Kinder gehabt, nun wolle auch sie mal zum Zuge kommen. Nur: Als Künstlerin konnte sie leider kein entsprechendes Einkommen beisteuern.
Das Ergebnis war Streß total. Der Fernsehjournalist Ludwig hatte das Gefühl, er müsse jetzt nicht nur einen Haufen Geld nach Hause bringen und den Mann von Welt darstellen, sondern Frau und Familie auch noch zu Hause verwöhnen: "Ich tat dies, machte das, nur - das wurde ja nicht mal zur Kenntnis genommen."
Streitereien zwischen den Eltern häuften sich, die Kinder litten mit. Die Ehegatten schalteten eine Psycho-Beratung _(* Namen geändert. ) ein. Sie begannen, sich mit organisatorischen Veränderungen über die Zeit zu helfen. Es gab ein System, wann wer mit Arbeit dran sei. Nur leider war es nicht flexibel genug. Alle Beteiligten glaubten sich gleichermaßen unrespektiert, ungeliebt. Die neue "seelische Erfüllung", über die sie in Büchern gelesen hatten, blieb aus.
Zuerst wollte Ludwig noch einen Film über das Thema drehen, dann entschied er sich dafür, ein anderes Zeichen zu setzen: Er zog aus. Die neuen Verhältnisse - getrennt wohnen, gemeinsam leben - priesen Ludwig und Claudia Freunden gegenüber zunächst noch "als einzige der heutigen Zeit angemessene Lebensform". Nach vier Monaten war auch dieses Experiment gescheitert. "Es war", sagt Ludwig heute, "komplett ein Irrtum."
Wie aber aus solchen Irrtümern lernen? Konsequenterweise rückt eben jetzt, da die angeblich neuen Väter ins Gerede kommen, die Bedeutung väterlicher Autorität ins Zentrum wissenschaftlichen Interesses. Ein erklärter Alt-68er wie der Gießener Politologe Claus Leggewie formuliert sein "Plädoyer eines Antiautoritären für Autorität", Familienforscherin Erler fordert, daß auf den Feminisierungsschub nun ein "ganz neuer Mix" für Papas Zukunftsorientierung folgen müsse.
Offenbar sind echte Vaterfiguren wieder verzweifelt gesucht. Nicht nur der Siegeszug von muskelgestählten, brusthaarfreien Männerkörpern im Werbegeschäft läßt ahnen: Der neue Mann soll wieder wild sein, wenngleich nicht zu sehr. Das integrierte Modell: Ein paar weiblich-weiche Qualitäten soll er schon einbringen, dazu jedoch so traditionell männliche wie ein gewisses Maß an Unnahbarkeit, Autorität und Stärke.
Auf die Väter-Diskussion schlägt das voll durch. Es sei "ein schreckliches Mißverständnis unserer Zeit", so die Erziehungswissenschaftlerin Christine Brinck, selbst Mutter von zwei Kindern, den Vater zum entbehrlichen Gegenstand zu erklären. Die Kids hingen an ihm, "springen an ihm hoch, egal, ob er nun viel oder wenig Zeit mit ihnen verbringt". Ein Kind ohne Vater, so Brinck in Abwandlung eines Emanzenspruchs, sei nicht wie ein Fisch ohne Fahrrad, sondern "wie ein Fisch ohne Flossen". Y
Vaterfiguren werden verzweifelt gesucht