RECHTSRADIKALE Bomben und Tiraden
Auf der rechtsradikalen Szene der Bundesrepublik sorgte keiner so sehr für Nazi-Klamauk wie der Jurist Manfred Roeder. Er war Veranstalter von "Reichstagen" und Prophet rechter "Befreiung". Für ihn ist Auschwitz eine "Lüge", die Bundesrepublik eine "Lumpendemokratie", das ganze Land voller "Kollaborateure". Hierher, so ließ er eines Tages aus Südamerika wissen, werde er erst wieder zurückkehren, wenn "andere Gesetze" gelten.
Dazu hatte er auch allen Grund. Als neonazistischer Agitator vielfältig angezeigt, angeklagt und manchmal auch verurteilt, befand der Braunbunte sich zuletzt zwei Jahre lang auf der Flucht vor den gescholtenen Gesetzen; die Bundesanwaltschaft suchte den ehemaligen Rechtsanwalt per Haftbefehl.
Jetzt fing sie ihn. Vor der Zeit zurückgekehrt, wurde Manfred Roeder letzte Woche in Hannoversch Münden verhaftet: Bei einer bundesweiten Verhaftungsaktion quer durchs ultrarechte Spektrum kassierten Beamte Roeder und außer ihm noch einige Topfiguren aus jenem Bereich der Neonazi-Szene, der seit geraumer Zeit mit Sprengstoff und Brandsätzen aktiv geworden ist:
* die mutmaßlichen Mörder der Hamburger Vietnam-Flüchtlinge, Werkmeister Raimund Hörnle, 49, und die medizinisch-technische Assistentin Sibylle Vorderbrügge, 24, die inzwischen verschiedene Attentate gestanden haben, darunter den Brandanschlag vom 22. August auf eine Flüchtlingsunterkunft, bei dem in Hamburg zwei Bewohner ums Leben kamen;
* der Arzt Heinz Colditz, 50, der die Beteiligung an zwei Bombenanschlägen Anfang des Jahres in Esslingen gestanden hat;
* die Colditz-Tochter Gabriele, 25, eine Röntgenassistentin, und den Ingenieur Klaus-Peter Schulze, 23, beide Aktivisten aus Hamburg.
Allen sechs Inhaftierten wirft die Bundesanwaltschaft vor, einer terroristischen Vereinigung anzugehören, die sich "Deutsche Aktionsgruppen" nennt und sich nach Terroranschlägen der letzten Monate der Urheberschaft rühmte. Roeder soll der Rädelsführer sein.
Stets standen die Verbrechen im Zusammenhang mit dem Asylantenproblem: Bomben krachten im Landratsamt Esslingen (21. Februar), das den Ultras als ausländerfreundlich mißfällt; am Haus des Esslinger Landrats Braun (18. April); an der Tür der Hamburger Janusz-Korczak-Schule, einer Ausländerbleibe (27. April); im Bundessammellager Zirndorf (30. Juli) und am 17. August in einer Unterkunft in Lörrach, wobei eine Frau schwer verletzt wurde. Die beiden Hamburger Opfer starben nach einer Brandstiftung mit Molotowcocktails.
An der Verantwortlichkeit der Deutsch-Aktionisten für alle Verbrechen scheint kaum ein Zweifel. Stets explodierten Metallrohrbomben von identischer Bauart. Hörnle gibt zu, sie gefertigt zu haben; nach den Geständnissen ist ihm und seiner Gang auch der Hamburger Anschlag zuzurechnen.
Die Täter trafen sich konspirativ, bombten und zündelten nach System. Zum erstenmal macht damit, ganz getreu dem Vorbild der linksaußen abgetauchten Baader-Meinhofs, auch der rechtsradikale Untergrund mobil.
Dort hatte man sich bislang weitgehend darauf beschränkt, durch Uniformtragen, Waffenhorten und Nazi-Stuß zu renommieren. Über Prügeleien, Pöbeleien und Parolengeschmiere ging es meist nicht hinaus. Selten einmal, daß gewalttätige Neofaschisten als Gruppe gerichtskundig wurden, wie im S.112 Vorjahr der Jungführer Michael Kühnen, der mit seinen Gefährten wegen Volksverhetzung und Waffenraub verurteilt wurde.
Seit die neonazistischen Parteien Ende der sechziger abgewirtschaftet hatten, war Rechtsradikalismus in der Bundesrepublik Sache bizarrer Grüppchen. Ernst zu nehmende Rechtsexzesse passierten nicht dort, eher schon an Schulen und Bundeswehreinrichtungen, wo in den letzten Jahren Hitler-Witze und "symbolische Judenverbrennung" registriert wurden.
Der gruppierte Rechtsradikalismus jedenfalls konnte kaum die Schreckvorstellung von "BRD-Faschismus" nähren, die Clownerie einer "Wehrsportgruppe Hoffmann" kaum neonazistische Wiederaufrüstung belegen, wie es im In- und Ausland gelegentlich anklang.
Solche vor allem auf der Linken angesiedelten Fehleinschätzungen riefen jahrelang Trotzreaktionen rechts von der westdeutschen Mitte hervor. Da wurde dann das Treiben verniedlicht, die braunen Bramarbasse zu "verlorenen Haufen" ("Die Welt") erklärt und förmlich schon verdrängt.
Ein symptomatisches Beispiel lieferte letzte Woche die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" ("FAZ"), der ohnedies letzthin der Unterschied zwischen links und rechts gleichbedeutend ist mit dem zwischen Chaos und Stabilität, weshalb rechter Terror wohl derzeit nicht ins Szenarium paßt. "FAZ"-Redakteure brachten es Dienstag letzter Woche fertig, die Nachricht von der Verhaftung der mußmaßlichen Mörder per Siebzehnzeilenmeldung auf Seite zwei, rechts unten zu verbannen.
Auch Verfassungsschützer haben lange Zeit die kunterbunte Rechtsaußenszene mit an die 100 Organisationen an ihrem Schwadronieren gemessen und für harmlos erklärt. Vom Niedergang der NPD habe sich, so die Einschätzung von Abwehrprofis, der Ultraflügel nie recht erholt.
Tendenzen, die Bedrohung durch militante Braune immer nur an der -natürlich nicht existenten -- Gefahr eines nazistischen Umsturzes zu messen, haben die Rechten allzulange begünstigt. Fahndungen kamen oft nur schleppend in Gang, Prozesse oft gar nicht erst zustande. Erst nach dem Anschlag von Hamburg, acht Monate also nach Beginn der Attentatsserie der "Deutschen Aktionsgruppen", schaltete sich die Bundesanwaltschaft ein -"erst mußte einer sterben", fand die "Zeit".
Längst haben sich Zweige der deutschen Neonazi-Szene konspirative Techniken und internationale Verbindungen zugelegt, die von Südtiroler Sezessionsbombern über belgische Altnazis zu rechtsradikalen französischen Gruppen und US-Hakenkreuzlern reichen. Auf der Flucht vor den Bundesanwälten machte Anwalt Roeder einen Vortragsstopp bei der "Nationalen Basis Schweiz".
Zwar haben die Neubraunen mit ihren komischen Trachten und Tiraden kaum Aussicht auf Popularisierung des "Befreiungskampfes" (Roeder). Mit ihrem neuerdings forcierten Kampf gegen asylsuchende Ausländer hingegen kommen sie den Vorstellungen vieler Westdeutscher schon näher. Viele Umfragen und Reaktionen der Bevölkerung deuten auf zunehmende Fremdenfeindlichkeit unter Bundesbürgern.
Die Parole "Ausländer raus", von Neonazis im Wahlkampf ausgegeben und an Tatortwände gesprüht, droht S.113 auch bei vielen politisch uninteressierten Jugendlichen zu fruchten: Nach Schätzung von Jugendexperten und Soziologen neigen rund 15 Prozent der Jungen zu autoritären Problemlösungen. Nach einer Untersuchung des Psychologen Walter Jaide finden 18 Prozent der Achtzehnjährigen eine "möglichst starke Führung" des Staates nötig, und 28 Prozent die Ausweisung der Gastarbeiter angebracht. In solchem Weltbild droht Rechtsterror Aufmerksamkeit oder gar Zuspruch zu finden.
Zur Unterschätzung des rechtsradikalen Randes trug stets das absonderliche Format der Führungspersönlichkeiten bei, meist Neonazis wie aus dem Bilderbuch: der zwirbelbärtige Uniformen-Fan Hoffmann ("Wehrsportgruppe"), der Blut-und-Boden-Landwirt Thies Christophersen ("Auschwitzlüge"), Edgar Geiss, der mit dem Hitler-Gruß am Kappler-Grab. Und die Alt-Werwölfe aus gutbürgerlichem Milieu, die jetzt gefaßt wurden, passen -- zündelnder Werkmeister, bombenbastelnder Doktor -- ganz ins Bild.
Als Exzentriker machte auch immer wieder der Rechtsanwalt Roeder von sich reden. In den sechziger Jahren CDU-Mitglied, führte er vielbeachtete Kreuzzüge anstandshalber -- gegen Sexmessen und Pornoblätter, und voll im Einklang mit seiner Partei, die durch Politiker wie Adolf Süsterhenn für Zucht und saubere Leinwand fechten ließ. Westdeutschland war dem Roeder damals noch nicht "Drecksrepublik", nur erst "Schweinestall Nr. 1".
CDU-konform wirkte der nationale Mann auch noch, als er in Berlin den "Demokratischen Klub" gründen half, ein rechtslastiges Gegenstück zum Republikanischen Club der Apo-Generation. Dort fand Roeder sich gemeinsam mit konservativen Gewerkschaftern, rechten SPD-Mitgliedern und viel örtlicher CDU-Prominenz wie etwa Peter Lorenz. Man stritt gegen "krankes Volksempfinden" und "Advokaten des Abartigen", einmal rief der Club die Bevölkerung auf, der Polizei beim Demonstrantenjagen zu helfen. Selbst diesem Kreis jedoch gerierte Roeder sich alsbald zu rechts; noch im Gründungsjahr 1967 verließ der Anwalt ihn.
Unverdrossen trat Roeder immer wieder als Politclown hervor. Er berief völkische Happenings ein, einen "Reichstag" in Regensburg, einen anderen in Flensburg. Bei Idi Amin warb er brieflich um Hilfe bei der Wiederherstellung des Reichs. An den damaligen Staatspräsidenten Brasiliens, Ernesto Geisel, appellierte der Anwalt 1978, "im Namen des Deutschen Reiches und des Völkerrechts", den festgenommenen KZ-Täter Gustav Wagner freizulassen ("Beschmutzen Sie nicht Ihre Soldatenehre").
Auf seinem "Reichshof" bei Bad Hersfeld führte der Jurist die Geschäfte einer "Deutschen Bürgerinitiative", unter gleicher Adresse firmiert auch S.114 eine "Freiheitsbewegung Deutsches Reich" mit Roeders Lieblingsemblem im Briefkopf, drei gekreuzten Fackeln.
Vor lauter Strafprozessen in eigener Sache -- "Öffentlichkeitsarbeit", wie sich der Anwalt ausdrückte -- kam die Kanzlei schon vor Jahren praktisch zum Erliegen. Laufend mußte sich der Hausherr Verfahren stellen, wegen Volksverhetzung, Widerstand gegen Polizeibeamte, Körperverletzung, Staatsverunglimpfung.
1976 erhielt Rechtsanwalt Roeder Berufsverbot, 1978 machte er sich vor den deutschen Behörden davon. Auf seiner Fluchtroute zwischen Europa, Nord- und Südamerika und dem Mittleren Osten entging er zweimal nur knapp der Auslieferung. Anders als die übrigen fünf Neonazis kam Roeder letzte Woche nicht in Untersuchungshaft -- er hat gleich einmal eine sechsmonatige Freiheitsstrafe wegen verfassungsfeindlicher Propaganda zu verbüßen. In Flensburg hatte Roeder im Mai 1975 die "Wiedereinsetzung der letzten Reichsregierung" gefordert.