„Wir werden Menschen hängen und grillen“
Vor denen mit den schweren Waffen, Israelis, flüchteten die mit den leichten Waffen, versprengte Palästinenser, zu denen ohne Waffen, libanesischen Bürgern, und warfen die Wehrlosen aus ihren Wohnungen, um selbst wieder ein Dach über dem Kopf zu haben: Juni im Libanon, israelischer Blitzkrieg, ein Land in Trümmern, mindestens 14 000 Tote, 600 000 Obdachlose und Flüchtlinge bei knapp drei Millionen Einwohnern.
10 000 geschlagene Krieger, mit Frostbeulen, ausgehungert und gedemütigt, aber froh, nach wochenlangem Trommelfeuer noch zu leben, da sie doch nach dem Willen ihrer Generäle bis zum berühmten "letzten Mann" verheizt werden sollten: Juni auf den Falkland-Inseln, wo die argentinischen Invasoren, die am 2. April "auf ewig" gekommen waren, nun ohne Waffen wieder weggeschickt wurden.
Zerbombte Dörfer, verbrannte Felder, ein paar zehntausend elende Flüchtlinge mehr zu den über drei Millionen, die das heimgesuchte Land schon vorher verlassen hatten: Juni in Afghanistan nach einer sowjetischen Offensive im Pandschschir-Tal, der größten angeblich seit dem Einmarsch der Russen vor zweieinhalb Jahren. Tausend oder auch zweitausend Tote mehr, wer zählt sie dort, wo keine Kriegsberichter und keine Kameraleute Zutritt haben, zu den 500 000 oder auch 600 000, die der Krieg am Hindukusch bereits gefordert hat.
Bomben auf Basra, Raketen auf Abadan, Gefangene, die zu Zehntausenden auf Flugplätzen in der prallen Sonne hocken, bewacht von Kindern, die kleiner sind als ihre Sturmgewehre: Juni am Schatt el-Arab, wo der furchtbare Ajatollah von Ghom den Präsidenten aus Bagdad in den Staub treten will und der von dem Iraker vor knapp zwei Jahren begonnene Krieg mindestens 100 000 Menschen, Moslems auf beiden Seiten, das Leben gekostet hat. Die Front steht heute wieder dort, wo sie am ersten Tag des Krieges eröffnet worden war.
600 Bauern und Landarbeiter in einem Dorf in El Salvador ermordet, von Regierungstruppen, die in dem Weiler einen Stützpunkt der Partisanen vermuteten: Juni in der kleinen mittelamerikanischen Republik, fast vergessen über Falkland, Beirut und Golf, trotz der bislang 32 000 Toten (bei etwa viereinhalb Millionen Einwohnern) in einem Bürgerkrieg, dessen Ende nach USgesponsorten Wahlen nicht näher rückte.
Am Scharifluß in der Sahelzone, dort, wo Afrika am elendsten ist, zogen zerlumpte Partisanen des seit Jahren rebellierenden früheren Verteidigungsministers Hissein Habre in die Hauptstadt Ndjamena ein, die, halbzerstört, von fast der Hälfte ihrer Bewohner verlassen ist: Juni im Tschad, wo die Entscheidung zugunsten der Rebellen aus dem Norden fiel, nachdem Intervent Gaddafi aus Libyen seine Legionäre abziehen mußte.
Libanon, Falkland, Afghanistan, Irak, Iran, El Salvador und Tschad, ein halbes Dutzend blutgetränkter Schlachtfelder S.119 in Afrika, Asien, Amerika; nicht nur Partisanengefechte mit der Kalaschnikow, auch Panzerschlachten, Schiffeversenken, elektronisch gesteuerte Raketenduelle mit Gerät aus den modernsten Waffenwerkstätten in Ost und West, das noch nie im Ernstfall erprobt worden war.
So scheint Krieg "als Mittel der Politik und Konfliktregelung wieder international salonfähig", wie die "Basler Zeitung" fürchtete, zeigte sich eine "Wirklichkeit, die der Friedensbewegung nicht so recht in den Kram paßt", weil "sie bestätigt, daß die größte Gefahr für den Frieden nicht von den Atomwaffen ausgeht, sondern von den konventionellen, die unterhalb der Atomschwelle immer noch die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln erlauben", wie es die "Süddeutsche Zeitung" sieht.
Sicher beides richtig - aber es ist nicht neu und die Aufzählung nicht vollständig: Geschossen, gebombt, getötet wird in diesem Sommer nicht nur auf jenem halben Dutzend Schlachtfelder, die Schlagzeilen machen. Durch Krieg und Bürgerkrieg, staatliche Gewalt und revolutionäre Gegengewalt sterben Tag für Tag noch in mindestens einem Dutzend weiterer Länder dieser Welt Menschen:
In Nordirland und im Baskenland, in der Westsahara, in Uganda, in Süd- und Südwestafrika, das sich schwer tut, zu Namibia zu werden, in Angola, Mosambik und Äthiopien, in Assam und in Burma, auf den Philippinen, in Nicaragua und im ausgebluteten Kambodscha.
Eine Meldung in diesen Tagen erinnert auch an ein Massensterben vor anderthalb Jahrzehnten und damit eben daran, daß dies alles gar nicht neu ist: Der General Ojukwu, unterdessen millionenschwerer Baulöwe, der vor 15 Jahren Biafra von Nigeria loslöste, dessen Ibo-Volk dafür mit zwei Millionen Hungers gestorbenen Menschen bezahlte, kehrte wieder heim aus seinem Exil an der Elfenbeinküste nach Nigeria.
So ist es nicht mehr als Gedankenlosigkeit, wenn die "Zeit", von Falkland und Libanon geschockt, sich selber und ihren Lesern weiszumachen suchte, es habe "seit 1945 als ausgemacht" gegolten, "daß der Krieg nicht mehr zum Mittel der Politik tauge und daß Konflikte nur noch friedlich gelöst werden dürften".
An keinem einzigen Tag seit 1945 hat es wirklichen Frieden auf der Welt gegeben, es wurde immer geschossen und nicht nur weit hinten in der Türkei. 130 Kriege, Bürgerkriege, Aufstände, Kriege gegen das eigene Volk und Terrorfeldzüge zählten Friedensforscher seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Fast hundert Länder wurden davon betroffen, etwa 35 Millionen Menschen kamen dabei um, weit mehr als im Ersten Weltkrieg. Und wie immer gehörte vor allem der Sommer den Soldaten.
Der "Krieg im Frieden", so der Titel eines jüngst in London erschienenen Buches, hat die Landkarte verändert, die Weltpolitik oder gar die Welt: Ein neuer 90-Millionen-Staat, nach der Bevölkerung der achtgrößte der Welt, wurde 1971 aus einem blutigen Schießkrieg geboren - Bangladesch. Der Vietnamkrieg hat die Welt und die westliche Gesellschaft gewandelt. Die Großmacht China als Resultat des wohl blutigsten Bürgerkrieges der Geschichte, der zwei Jahrzehnte dauerte und acht oder auch zehn Millionen Menschen das Leben kostete, schuf die Tripolarität auf dieser Erde.
Es gab Kriege in diesem Frieden, die waren so bestialisch, daß ihnen nur S.122 Auschwitz oder das Warschauer Getto vergleichbar erscheinen: der Völkermord, den der Kommunist Pol Pot und seine im Pariser Quartier Latin theoretisch aufgerüsteten Salonmarxisten im Streben nach dem "neuen Menschen" an ihrem eigenen Volk begingen, wobei ein Drittel der sieben Millionen Kambodschaner von den Steinzeitkommunisten der Revolution totgeschlagen wurden.
Andernorts wüteten Verrückte mit Schießgerät, das von den Waffenschmieden der industrialisierten Welt stets flott und frei Schlachtplatz geliefert wurde, unter dem eigenen Volk und unglücklichen Nachbarn:
Idi Amin und Kaiser-Marschall Bokassa, denen beiden nachgesagt wird, Stücke ihrer Opfer auch noch verspeist zu haben, Francisco Macias Nguema von Äquatorial-Guinea, der die Bevölkerung seines Landes binnen eines Jahrzehnts um ein Drittel reduzierte.
Oder der "Feldmarschall Okello", wer erinnert sich noch an ihn, ein in Kuba zum Revolutionär umerzogener Juju-Mann aus dem ostafrikanischen Busch, der 1964 auf der Gewürzinsel Sansibar auftauchte, "999 999 000 Mann" hinter sich, wie er prahlte, und der dann einige Tage lang tat, was er zuvor angekündigt hatte: "Wir werden Menschen hängen und grillen, andere werden wir in Stücke schneiden und ins Meer werfen, an Bäume fesseln und erschießen."
Nachdem er, der "in einer Stunde hundert Granaten zaubern" konnte, einige tausend Araber auf Sansibar massakriert hatte, verschwand er wieder in der Savanne, und nie wieder ward von ihm gehört.
Killer dieser Art gab es nicht nur im fernen Afrika. Nikos Sampson aus Zypern ließ im Jahr 1964 Türkenbabys mit dem Kopf gegen Wände schlagen. Zehn Jahre später reagierte er seinen Stiefsohn-Komplex gegenüber dem Inselherrn Erzbischof Makarios in einem blutigen Putsch ab, der ihn für eine Woche zum Präsidenten der Aphroditen-Insel machte, bevor die Türken seinem Spuk per Invasion ein Ende bereiteten und fast die halbe Insel dabei für sich vereinnahmten.
Europäische, auch deutsche Söldner-Marodeure, die Kongo-Wirren und andere Buschkriege im Schwarzen Afrika zum fröhlichen Kaffernschießen kolonialen Angedenkens nutzten, gehörten zu diesen Typen - Kongo-Müller und Biafra-Steiner, "Mad Mike" Hoare, der noch vor einigen Monaten auf den Seychellen zu putschen versuchte, der Belgier Schramme, der Franzose Denard.
Wer aber weiß heute noch von Hauptmann "Turko" Westerling, dem holländischen Abenteurer, der noch 1950 das eben befreite Indonesien wieder in das alte Niederländisch-Indien zurückschießen wollte und dessen einstige Hilfstruppen, die Molukker, unterdessen in Holland Terror üben, indem sie zuweilen Züge entführen, während es Westerling selbst zur Oper zog.
Auf allen Kontinenten schossen und schießen Gruppen, Stämme und Clans für Freiheit oder was sie dafür halten. Einige waren internationalen Medien noch nie eine Meldung wert, andere sind seit Jahrzehnten auf Schlagzeilen abonniert.
Da gab es jene Südtiroler Bergpartisanen, die sich selber "Bumser" nannten und die Heimat über das Umlegen italienischer Hochspannungsmasten wieder nach Österreich zurücksprengen wollten.
Moslemische Uighuren, von Chinesen in Sinkiang bedrängt, galoppierten um ihr Leben auf dem Rücken flinker Pferde ins sowjetische Kasachstan hinüber, wohl die einzige Massenflucht in das Sowjetimperium.
Da gingen blutig verfolgte Tibeter mit ihrem Gottkönig ins indische Exil, organisierten versprengte Nationalchinesen mit Waffengewalt im "Goldenen Dreieck" einen bis heute blühenden Opiumstaat.
Armenier machen Türkendiplomaten nieder, um einen Genozid zu rächen, der fast 70 Jahre zurückliegt und längst vergessen schien. Bolivianische Generäle und Obristen schießen alljährlich untereinander die Herrschaft über die Staatskasse aus. In den Amazonaswäldern setzen sich Indianer noch mit Blasrohr und Giftpfeil zur Wehr, weil staatlich geförderte Siedler sie ausrotten wollen.
Für Götter, Götzen und Propheten, Autonomie oder einen eigenen Staat, oft auch nur ums nackte Überleben kämpften und kämpfen Kurden und kenianische Mau-Mau, philippinische Hukbalahaps und Moslems, indische Naga-Krieger, Belutschen auf dem indischen Subkontinent, Meos in den Bergen Indochinas gegen Vietnamesen und Thai, Palästinenser gegen Israelis, Ogaden-Nomaden gegen Äthiopien, Sahrauis gegen Marokko, aber auch noch Korsen und Bretonen gegen Paris, Kroaten gegen Belgrad, Kanaren gegen Madrid und gar Jurassier in der friedlichen Schweiz gegen Bern.
Mal gehen dabei, wie auf Teneriffa, als Folge zwei Urlauber-Jumbos zu Bruch, anderswo werden ganze Stämme und Völkerschaften ausgerottet, ohne daß die Außenwelt davon Notiz nimmt - 50 S.124 000 Tote auf den Südphilippinen, vielleicht 100 000 im indischen Nagaland, Hunderttausende in jahrzehntelangen Kurdenkriegen, eine Million beim Bürgerkrieg im Südsudan.
Zuweilen waren die Anlässe für einen Schießkrieg so grotesk, daß sie eher in die Witzspalte paßten: Ein Fußballspiel löste im Sommer 1969 den Waffengang zwischen El Salvador und Honduras aus, bei dem immerhin mehr Menschen starben als in diesem Sommer um die Falkland-Inseln, nämlich zweieinhalbtausend.
Um eine unbewohnte Insel im Ussurifluß rempelten sich anfangs Grenzer der Sowjetmacht und Chinas mit den Schultern, dann begannen sie, aufeinander einzuschießen - etwa tausend Tote. Chinas Kommunisten schossen jahrelang Felsen auf den nationalchinesischen Inselchen Quemoy und Matsu zu Schotter - Ergebnis null.
Stammesfehden zwischen den hochgewachsenen Tutsi und den kleinwüchsigen Hutus entluden sich in den sechziger Jahren in Ruanda und Burundi mehrmals in wilden Massakern, deren Opfer die Flüsse und Seen füllten. Spezialität der Hutus war es, die langen Tutsis durch Abhacken der Unterschenkel auf ihre eigene Größe zurechtzustutzen.
Ebensooft wie derart exotisch anmutende Anlässe aber führte traditionelle Politik zur Fortsetzung auf dem Schlachtfeld. Dem jüngsten Libanon-Massaker diente als Vorwand ein Attentat auf einen israelischen Botschafter in London, Sarajevo 82, die Ursache aber liegt in dem ungelösten Nationenkonflikt zwischen Israelis und Palästinensern.
Kolonialisten und Imperialisten verteidigten in Jahrhunderten zusammengeraubte Länder und Völker auch noch nach dem Zweiten Weltkrieg bis zum Weißbluten: die Franzosen in Indochina, auf Madagaskar, in Tunesien, Marokko und Algerien - zusammen mehr als zwei Millionen Opfer.
Die Holländer wollten Indonesien behalten, und die netten Blumenzüchter von nebenan führten sich dabei so brutal auf wie ihre burischen Vettern in Südafrika, die Schwarze unterdrücken.
Die Briten, die ihr Empire gemeinhin lässig in die Unabhängigkeit entließen, klammerten sich um so verbissener, wenngleich vergebens, an kümmerliche Restflecken der einst rosaroten Weltkarte wie Zypern, Aden oder in diesen Wochen Falkland.
Die Portugiesen schließlich, die ihr überseeisches Lusitanien schon vor einem halben Jahrtausend zusammengerafft hatten und daher auch in alle Ewigkeit behalten wollten, schickten 150 000 ihrer neun Millionen Bürger in afrikanische Kolonialkriege. 11 000 von ihnen fielen, die Opfer bei den Afrikanern nicht gerechnet, das Mutterland verkam unterdes zu einem Armenhaus Europas, bevor dies eine Mal die Soldaten, des nicht zu gewinnenden Krieges überdrüssig, die Demokratie für die Heimat und die Freiheit für die Kolonien herbeiputschten.
Mit Waffengewalt im Stil des 19. Jahrhunderts zwang die laut eigenem Verständnis fortschrittlichste Macht, die Sowjet-Union, die rebellischen Ungarn, Polen, Tschechoslowaken und Ostdeutschen ins Imperium zurück und veranstaltete dabei die einzigen größeren Schießereien in Festlandeuropa seit dem aus dem Zweiten Weltkrieg hervorgegangenen griechischen Bürgerkrieg.
Noch vor zweieinhalb Jahren überfiel sie mit einer klassischen Invasionsarmee den Nachbarn Afghanistan.
Kreml-Strategen lösten auch jene beiden Konflikte aus, die nach 45 die Welt tatsächlich an den Rand einer atomaren Apokalypse brachten: in Korea 1950, wo zweieinhalb Millionen Menschen starben und US-Präsident Truman seinen Weltkrieg-II-Helden MacArthur nur dadurch abhalten konnte, in China einzurücken oder Atombomben zu werfen, daß er ihn über Nacht feuerte; und Kuba 1962, als Kennedy Chruschtschows Raketen-Schmuggel für Castro per Ultimatum stoppte und Kriegsschiffe der beiden S.125 Supermächte in der Karibik bereits aufeinander losdampften.
Als Zündfunke für den großen Krieg, dessen Ausbleiben Europäer in Friedensillusionen wiegt, mögen auch anderswo derweil Millionen sterben, ist auch jener Dauerkonflikt gut, der in diesem Sommer zum fünften Mal in dreieinhalb Jahrzehnten in Panzerschlachten explodierte, die der von Kursk kaum nachstehen - den zwischen Israelis und Arabern.
Seit der Mandatszeit hat es in Palästina niemals Frieden gegeben. Wenn ein Brandherd schier unlöschbar ist, dann wohl dieser, in dem bereits der fünfte Schub junger Männer auf dem Schlachtfeld blutet - und derselbe Mann Krieg führt, der schon als Jüngling vor fast einer Generation arabische Nachbarn niedermachte:
Ariel Scharon, 54, der jetzt den Libanon in Trümmer bomben läßt und dem dieses sein Werk bei gefilmten Frontbesuchen für alle ersichtlich wohlgefällt, focht schon vor der Staatswerdung Israels als Kibbuznik gegen Beduinen.
Als Veteranen in einem seit Weltkriegsende ununterbrochenen Kampf stehen Israel und sein Scharon aber nicht allein auf der Welt. Am anderen Ende Asiens haben die Vietnamesen und ihr General Giap seit vier Jahrzehnten das Gewehr nicht aus der Hand gelegt.
Vo Nguyen Giap verlor im März seinen Sitz im Politbüro. Aber den jüngsten Krieg, in dem junge Vietnamesen weiter sterben, die Besetzung Kambodschas, hatte er noch selbst geplant - wie den ersten vor vierzig Jahren.
1941 hatte Giap zusammen mit Ho Tschi-minh die Partisanenarmee der Vietminh geschaffen, die zuerst die japanischen Besatzer entwaffnete und dann in einem achtjährigen grausamen Krieg die Franzosen, die in Fernost wieder ihre Kolonialherrschaft erzwingen wollten, schließlich bei Dien Bien Phu vernichtend schlug.
Der kleine, rundliche General forderte in einem der überraschendsten Kriege der Geschichte auch die Weltmacht USA in die Schranken. Mit 56 000 Toten, einer demoralisierten Armee und einer S.127 korrumpierten Politik zog sich Washington schließlich nach einem Dutzend Jahren aus dem indochinesischen Sumpf zurück und überließ dem Sohn eines Dorflehrers aus Annam Südvietnam, Laos und Kambodscha - ein mit dem Gewehr wiedervereinigtes, vergewaltigtes und heruntergewirtschaftetes Indochina, für das eine Generation von Friedenskämpfern in Europa und den USA gestritten hatte. Gesamtzahl der Toten aller Vietnamkriege: etwa 3 Millionen.
Strategen wie Scharon und Giap war der Krieg lebenslang Vater aller Dinge. Freude am Kriegsspiel zeigten aber noch viele andere Litzen- und Sterneträger überall auf der Welt, vor allem die in der Etappe, während die Menschen, die dabei draufgingen, oft genug nur als Zahlen in abgelegten Statistiken vorkamen.
In Vietnam, wo es meist keine richtige Front gab, kein Land zu erobern war, geriet für die ebenso hochtechnisierte wie frustrierte U. S. Army der sogenannte "body count" zum Maßstab des Erfolges, zum Anlaß für Orden und Beförderungen, das heißt zum Motiv, möglichst viele Leichen zu produzieren.
So wurde denn gekillt, was die Rohre hergaben, ob Freund oder Feind, spielte oft keine Rolle, waren es doch nur gelbe "Gooks", Halbaffen, für die GIs, und wer tot auf der Strecke blieb, wurde immer als Feind gezählt.
"This bloody bastard has stolen my war", fluchte einmal im Dschungel an der kambodschanischen Grenze ein US-Oberst, dessen Haubitzen im Wald ringsum nur Teak-Bäume zu Kleinholz geschossen hatten, während der Kamerad Nachbaroberst nach zwölfstündigem Trommelfeuer tatsächlich sieben zerfetzte Leichen herzeigen konnte.
Obwohl auf das vergleichsweise kleine Indochina in den letzten zehn Jahren des Krieges von den Amerikanern über sieben Millionen Tonnen Bomben jeder Größe geworfen wurden, dreieinhalb mal so viele wie im Zweiten Weltkrieg, blieb der tatsächliche body count glücklicherweise weit hinter dem papiernen zurück - sonst gäbe es in Vietnam und den Nachbarländern heute wohl keine nennenswerte Bevölkerung mehr.
Body count, wenngleich nicht in solchem Maßstab, sorgte auch bei einem im Schatten der Vietnamtragödie weithin unbeachteten Krieg für Ruhm und Orden, der Konfrontation zwischen Indonesien und dem neugegründeten Malaysia, zu dessen Schutz die Briten, die damals "East of Suez" noch militärisch auftraten, ihre größte Flotte zwischen Weltkrieg und Falklandkrieg andampfen ließen, insgesamt 80 Schiffe.
Prinzgemahl Philip flog damals persönlich in den Dschungel von Borneo, um verdienten Gurkhas, die den Indonesiern die Konfrontation blutig vergällten, Tapferkeitsmedaillen an die Brust zu heften. Unter britischer Schirmherrschaft lebte in den Bergen von Borneo eine alte Kopfjägertradition wieder auf, und junge Tommys spielten mit abgeschlagenen Partisanenköpfen Fußball.
Sehr britisch ging es auch zumindest in den Kasinos der Gegner bei den drei, rechnet man die Scharmützel um die Salzwüste des Rann of Kutch von 1965 mit, dreieinhalb Kriegen zwischen Indern und Pakistanern zu.
Da verabreichten die jeweils als "galant" gerühmten Truppen der eigenen Seite den jeweils anderen "a good licking" oder ein "fine beating", gab es stets "heroical defences" und saßen bei der Kapitulation der pakistanischen Ostarmee in Dakka 1971 zwei Militärakademie-Kameraden, die der Zufall zu Gegnern auf dem Schlachtfeld gemacht hatte, einander gegenüber - die Generäle Aurora (Indien) und Niasi (Pakistan).
Einen britischen Offiziersstab, wenngleich aus schwarzem Ebenholz mit allerlei afrikanischen Tiersymbolen geschnitzt, schätzte auch Biafras Feldherr und Führer Ojukwu, obgleich die Briten den nigerianischen Feind unterstützten. Überhaupt hielt es der Ober-Ibo mit der Zivilisation. Als bereits 40 Prozent aller biafranischen Kinder zwischen zwei und vier Jahren verhungert oder mit aufgetriebenen Bäuchen dem Hungertod ausgeliefert waren, ließ sich Ojukwu immer noch Champagner der Marke "Moet et Chandon" in seine belagerte Festung einfliegen.
Immer Gentleman bleiben und die schmutzige Arbeit andere tun lassen, lautete auch die Devise britischer Statthalter etwa bei der Partisanenbekämpfung im Malaya in den vierziger und fünfziger Jahren, wo der General und spätere Feldmarschall Sir Gerold Templer der "letzte der großen britischen Prokonsuln" war, wie ein Londoner Biograph lobte. Unter der Verantwortung seines Vorgängers, Sir Harold Briggs, wurden eine halbe Million Chinesen in Wehrdörfer umgesiedelt, die in Wahrheit Internierungslager waren.
Anderen Kommandeuren war das Töten nicht nur Beruf, sondern Berufung. Die Geschichte der Kriege im Frieden strotzt von sogenannten Haudegen, die das Töten offensichtlich genossen. General Jacques Massu, der mit seinen Paras S.130 1957 die Kasba von Algier "säuberte", hinterließ Tausende zu Tode gefolterte Moslems. In Algerien bauten die Franzosen (unter einer radikalsozialistischen Regierung) auch schon vier Jahre vor der Berliner Mauer einen Todeszaun mit ähnlichen Raffinessen, Hunderte Kilometer durch die Wüste, mit Starkstrom-Stacheldraht, Minenfeldern, Stolperdrähten. Die "Morice-Linie" sollte das Einsickern von Partisanen aus Tunesien verhindern. 6000 Guerillas fielen ihr zum Opfer, im ganzen Krieg starben über eine Million Menschen.
Um den weißen Mann in Afrika zu halten, organisierte der rhodesische Oberst Reid-Daly während des rhodesischen Busch-Krieges die sogenannten "Selous Scouts", eine lizenzierte Killertruppe, deren Freiwillige durch eine mörderische Ausbildung brutalisiert wurden und die ihre Feindstrecke einmal stolz mit 1205 getöteten Guerillas bei zehn eigenen Gefallenen angaben. Als aus Rhodesien trotzdem Simbabwe wurde, musterten die meisten Scouts in Südafrika für künftige Aktionen gegen die Schwarzen an.
Killen um den Killens willen lehren und vollziehen aber nicht nur Abenteurer, sondern auch stramme Ideologen, vom Holocaust in Kambodscha bis zum brasilianischen Kommunisten und Theoretiker der weltweiten Stadtguerilla, Carlos Marighela.
Er erhob das Töten von Polizisten zu einer täglich nötigen Übung des echten Stadtguerrillero - und von Raul Sendic mit seinen Tupamaros in Montevideo bis zu Baader/Meinhofs RAF und den Roten Brigaden Italiens folgen seither fanatische junge Frauen und Männer diesem Fibel-Gebot.
So brutal wie fortan bei den Marighela-Jüngern ging es früher meist nur bei exotischen Warlords zu. Japanische Terroristen überboten einander in Sadismus und Masochismus und folterten einander grausamst zu Tode. IRA-Terroristen zerschmetterten im nordirischen Bürgerkrieg, der Ulster verwüstete und bisher über 1200 Menschen das Leben kostete, 700 "Verrätern" die Kniescheiben, ein grausames Spiel, das von den Brigate Rosse begeistert aufgegriffen wurde.
Ein deutsches Terrormädchen selektierte aus einer nach Entebbe entführten Air-France-Maschine die jüdischen Passagiere - die Hinrichtung verhinderten israelische Kommandos.
So bereitwillig, wie Menschen töten, sterben sie auch, Kanonenfutter findet sich immer. Langemarck gibt''s überall. Offenbar fällt es noch immer viel leichter, Menschen zum Töten und Sterben aufs Schlachtfeld zu treiben, als sie für Friedensdemonstrationen zu begeitern.
Pol Pots mordende Kinderbrigaden schlugen jeden tot, der schreiben konnte oder lesen, eine Brille trug, ein Wort Ausländisch verstand, also nach dem Verständnis der Revolutionstheoretiker nicht mehr für den neuen Menschen taugte. Kinder mordeten Eltern, Geschwister einander, offenbar ohne Gefühlsregung.
Weil die IRA es befahl, hungerten sich gesunde junge Menschen triumphierend zu Tode. Allah und seinen Ajatollah Chomeini preisend, marschierten Kinder und Frauen Hand in Hand über irakische Minenfelder oder stürmten gegen Kanoren und Panzer an.
Buchstäblich bis zum letzten Mann hielten Türken im Koreakrieg gegen menschliche Angriffswellen von Chinesen die Stellung - im Namen einer Freiheit, die ihnen zu Hause kaum je beschert war.
Afghanische Freischärler zwischen 14 und 80 kämpften zum Teil mit selbstgeschmiedeten Flinten gegen Raketenhubschrauber.
Exilkubaner ließen sich vom US-Geheimdienst in der Schweinebucht verheizen. Von Russen und Chinesen ausgerüstete und angespornte kommunistische Revolutionäre erhoben sich in Indonesien zu einer aussichtslosen Rebellion, die in einem Blutbad unter allen Linken endete - eine halbe Million Ermordete.
Immer wieder opfern Kriegsherren mehr oder weniger freiwillige Hilfstruppen an den Fronten. Über 15 000 deutsche Fremdenlegionäre starben für Frankreichs abgestandene Kolonialinteressen in Indochina. Fidel Castro, der die Befreiung Kubas vom Feldwebeljoch S.132 Batistas mit einer Truppe von 82 Getreuen begann, hat heute 40 000 seiner Soldaten zur Durchsetzung eigener wie sowjetischer Interessen in Afrika stehen. Die Zahl der fern der Heimat gefallenen Kubaner ist unbekannt.
Die Pakistaner verliehen ganze Brigaden an die Ölscheichs. Libyens Gaddafi bezahlt den berüchtigten Carlos zum Einsatz gegen Feinde in der ganzen Welt. Gurkha-Söldner fochten für die Briten noch auf Falkland.
Die meisten Kriege, Bürgerkriege, Rebellionen werden im Namen der Freiheit begonnen. Die Befreiten haben meist wenig davon, oft ist ihr Schicksal nachher noch viel schlimmer.
Auch die Kambodschaner wurden ja befreit, zuerst von Pol Pot, dann von den Vietnamesen, und das Volk hat es kaum überlebt. In Vietnam sind bisher etwa 30 000 Boat People bei dem Versuch, der nach vier Jahrzehnten Krieg befreiten Heimat zu entrinnen, ertrunken, verhungert, verdurstet oder von Piraten erschlagen worden.
Uganda, einst vielgerühmte Perle Afrikas, wurde nacheinander vom Kolonialismus, von Befreier Obote, von Idi Amin befreit und ist heute verwüsteter und verwilderter Schießplatz einer marodierenden Soldateska.
Im befreiten Iran des Ajatollah sterben viel mehr Menschen gewaltsam, als unter dem Terrorregime des Schah umkamen. Das befreite Bangladesch wurde zum Armenhaus der Welt, in dem die Generäle regelmäßig um die Macht über das geballte Elend schießen.
Überhaupt hatte der indische Subkontinent wenig Glück mit seinen Befreiungen. Bevor Ostbengalen zu Bangladesch wurde, massakrierten westpakistanische Truppen noch zwischen ein und drei Millionen der ungeliebten Landsleute.
Indien und Pakistan selbst begingen ihre eigene Befreiung vom britischen Radsch mit einem der blutigsten Mob-Massaker der Geschichte: Moslems, Hindus, Sikhs schlachteten einander ab. Eine halbe bis zwei Millionen kamen um, zwölf Millionen Menschen wurden vertrieben - soviel wie nach 1945 aus den deutschen Ostgebieten.
Im griechischen Bürgerkrieg, der bis 1949 dauerte, starben 100 000 Menschen. Von den fast 24 000 Kindern, die kommunistische Guerrilleros damals in kommunistische Nachbarländer verbrachten, sind längst noch nicht alle zurückgekehrt. In fremden Ländern wachsen fast all jene Kinder auf, die 1956, als Russenpanzer den ungarischen Aufstand niederwalzten, von verzweifelten Eltern über die Grenze nach Österreich geschickt wurden. Kriegswaisen aus Vietnam, Kambodscha, Biafra wurden über die ganze Welt verstreut, Entwurzelte in einer oft feindseligen Umwelt.
Starben früher vor allem die Krieger an den Fronten, sind bei Konflikten, die meist ohne feste Fronten verlaufen, längst Zivilisten die Opfer. In Indochina und Afrika, in Mittelamerika und im Libanon sterben viel mehr wehrlose Frauen und Kinder, als Soldaten im Kampf fallen. In Ostbengalen vergewaltigten pakistanische Soldaten mehr als 200 000 Frauen.
Und doch irren sich wohl jene Feministinnen, die glauben, daß es keinen Krieg mehr geben und der ewige Frieden ausbrechen werde, kämen die Frauen erst mal an die Macht.
Wo sie''s schon sind oder waren, da stellten die Frauen genauso ihren Mann, wenn''s in den Krieg ging:
Indira Gandhi zerschlug Pakistan mit Waffengewalt und steckte Sikkim ein. Golda Meir war im Jom-Kippur-Krieg angeblich nahe dran, Atomwaffen einzusetzen, und übertraf in ihrer Unerbittlichkeit alle Männer ihres Kabinetts.
Die im Namen des sozialen Fortschritts angetretene Frau Bandaranaike auf Ceylon ließ 1971 an die zehntausend aufständische Jugendliche massakrieren. Madame Nhu, die "Tigerlady" von Saigon, spottete über die "gegrillten Mönche" - Buddhisten, die sich selbst verbrannten.
Auf den Philippinen treibt die Präsidentengattin Imelda Marcos ihren Mann zu immer neuen Aktionen gegen Moslemrebellen. Und Frau Thatchers Freude am Siegen konnte kürzlich jeder Fernsehzuschauer live verfolgen.
So bleibt der Friede offenbar der Traum der Weisen, der Krieg aber des Menschen Geschick, trotz aller Friedensdemos. Daß die Menschheit aus ihrer Katastrophen-Geschichte nicht zu lernen vermag, zeigt in diesem Sommer der Soldaten, daß Konflikte nach dem ewig gleichen Muster ausbrechen, Kontrollmechanismen kaum besser funktionieren als früher.
Da wurde am Golf ein klassischer Grenzkonflikt ausgeschossen, lieferten den Israelis Schüsse auf einen Botschafter den Anlaß zum Krieg.
Eine Diktatur mit inneren Nöten - Argentinien - wollte mit einem Handstreich nach außen ablenken und unterschätzte eine Demokratie in Nöten. Der General Galtieri griff auf Falkland zu, weil er nicht im Traum erwartete, daß die Briten ernsthaft kämpfen würden - und die kämpften genau deshalb, weil keiner dachte, daß sie''s tun würden oder könnten.
In Afghanistan schlägt ein Imperium zu, das Unruhe an unsicherer Grenze fürchtet, im Tschad kämpfen Stämme, in El Salvador treffen sich soziale Spannungen und Großmachtinteressen - alles Dutzende Male dagewesen, im Geschichtsunterricht demonstriert als Raster für jede Art von Krieg.
Beängstigend nur, daß internationales Krisenmanagement, die Uno samt ihren Truppen, Pendel-Diplomaten und heiße Drähte im Ernstfall kaum je nützen; daß der Krieg entgegen der Warnung Clemenceaus nach wie vor weitgehend den Generälen überlassen wird und Politiker sich, wie in Falkland, wie im Libanon, wie in Afghanistan, willfährig seiner Eigendynamik beugen.
Nur eins haben sie sich abgewöhnt: Kriege werden nicht mehr erklärt wie früher, sie kommen klammheimlich über Nacht und sollen nachher dann oft gar keine gewesen sein - den Toten nützt das wenig.