Lkw-Maut Vergoldete Kontrollbrücken
Alexander Dobrindt war zufrieden, als er Mitte Mai im Bundestag über die Lkw-Maut sprach. Ab 2018 werde für Laster auch auf allen Bundesstraßen eine Verkehrsabgabe fällig. "Das wird zwei Milliarden Euro zusätzliche Einnahmen bringen", jubelte der Verkehrsminister im Parlament.
15 000 Kilometer umfasst das Mautsystem auf deutschen Fernstraßen. Nun kommen weitere 40 000 Kilometer Bundesstraßen hinzu. Die Folgen sind gewaltig, für das Transportgewerbe, für den Bund. Und vor allem für die beiden Hauptgesellschafter Daimler und Telekom, die mit ihrem Konsortium Toll Collect das Mautsystem betreiben.
Beide Konzerne kassieren seit Jahren Milliardenbeträge mit der Lkw-Maut. Wettbewerb müssen sie nicht fürchten. Den Vertrag für die Autobahnen hat der Bund ohne Ausschreibung verlängert. Es gilt als sicher, dass Toll Collect auch für die Bundesstraßen den Zuschlag erhält.
Doch die Verhandlungen und die bisherigen Vereinbarungen sind geheim. Wie viel Daimler und Telekom insgesamt an dem System verdienen und welche Bedingungen sie dafür erfüllen müssen, sollen im Detail nicht mal die Abgeordneten im Bundestag erfahren.
Nun konnte der SPIEGEL zentrale Verträge auswerten, die das bisherige Verhältnis zwischen Bund und Toll Collect regeln. Die Dokumente zeigen, dass das Konsortium zahlreiche bislang unbekannte Prämien ausgehandelt hat. Zwischen 2007 und 2014 kassierte Toll Collect 185 Millionen Euro Boni für die Autobahnen, dazu kommen bis zu 42 Millionen Euro Prämien für die Bundesstraßen. Zusätzlich zu Betriebskosten von mehreren Hundert Millionen Euro pro Jahr, die das Konsortium erstattet bekommt.
Die Boni sind an bestimmte Ziele geknüpft, die allerdings leicht zu erreichen sind. Was hinter den Kulissen von Toll Collect abläuft, können Dobrindt (CSU) und seine Beamten ohnehin kaum nachvollziehen: Nur Daimler und Telekom kennen das Mautsystem in allen Details und nutzen diesen Informationsvorsprung offenkundig aus, um der Regierung die Regeln ihrer Partnerschaft zu diktieren.
Schon der erste Vertrag über die Lkw-Maut auf Autobahnen aus dem Jahr 2002 fiel zugunsten des Konsortiums aus. Die bundesweit errichteten Kontrollbrücken über den Autobahnen haben sich für Toll Collect schnell vergoldet: Über die Laufzeit von zwölf Jahren betrugen die Renditen insgesamt mehr als eine Milliarde Euro; damit sollten die Kapitalkosten und das unternehmerische Risiko abgedeckt werden. Das ging aus wichtigen Teilen des 17 000 Seiten starken Betreibervertrags hervor, der durch die Enthüllungsplattform WikiLeaks und den "Stern" bereits 2009 bekannt geworden war.
Allerdings fehlten damals brisante Passagen der Vertragsanlage F 1.1., die der SPIEGEL nun komplett auswerten konnte. Demnach kassiert Toll Collect zusätzliche Millionenboni. Und zwar allein dafür, dass das System ganz normal funktioniert.
Solche Zahlungsmodalitäten dürfte jeder Handwerker als einen Sechser im Lotto empfinden: Liefert ein Installateur eine Heizungsanlage, schließt sie an, und anschließend funktioniert sie auch noch, bekäme er unter Toll-Collect-Bedingungen nicht nur den vertraglich vereinbarten Preis – sondern eine üppige Prämie obendrein. Einzig dafür, dass er bei der Arbeit nicht geschlampt hat.
Bei Toll Collect heißt die entsprechende Bonusformel "Gesamterfassungsquote". Gelingt es dem Unternehmen, sämtliche Laster auf allen Autobahnen zu erfassen, darf es eine Sonderzahlung von 20 Millionen Euro kassieren. Zusätzlich wird das Unternehmen belohnt, wenn es Nicht- und Falschzahler identifiziert. Für die "Aufdeckungsquote" gibt es nochmals bis zu zehn Millionen extra vom Bund.
Theoretisch sieht der Vertrag auch Strafzahlungen vor, falls Toll Collect mal zu wenige Lastwagen erfasst. Doch seit 2008, als die Prämien erstmals in der Bilanz des Betreibers ausgewiesen wurden, kamen solche Bußgelder nicht vor. Stattdessen erklomm Toll Collect stets die höchsten Stufen der Bonusleiter, wie ein Blick in die Jahresabschlüsse offenbart.
Jahr für Jahr gab es mehr als 20 Millionen Euro an erfolgsabhängigen Prämien. Im Geschäftsjahr 2013/14 erreichte das Konsortium offenbar Gesamterfassungs- und Aufdeckungsquoten von 100 Prozent: Es kassierte den höchstmöglichen Bonus von 30 Millionen Euro.
Toll Collect war das erste satellitengestützte Mautsystem der Welt. Dem Bundesverkehrsministerium muss es entsprechend schwerfallen, die Forderungen des Konsortiums zu überprüfen. Ob wirklich 100 Prozent oder womöglich nur 99,75 Prozent aller Lkw erfasst werden, entscheidet am Ende aber darüber, ob Toll Collect 15 oder 20 Millionen Euro an Boni bekommt.
Die Boni entsprächen den vertraglichen Festlegungen, erklärte ein Toll-Collect-Sprecher auf Anfrage. Man sei "stolz" auf die Zuverlässigkeit des Systems.
Weil es bei den Autobahnen so gut lief, brachten die Mautbetreiber das profitable Bonussystem auch in die Verhandlungen über die Bundesstraßen ein.
Den Anfang machten 1100 Kilometer, die als erstes Teilstück für Lkw ebenfalls gebührenpflichtig wurden. Nach monatelangen Beratungen erschienen am 27. März 2012 Vertreter des Bundes und Toll Collects in der Kanzlei WilmerHale in der Berliner Friedrichstraße. Dort unterzeichneten sie die "Vereinbarung über die Erhebung von Maut auf Bundesstraßen".
Das Konsortium hatte gut verhandelt: Die Betriebskosten übernahm wie üblich der Bund. Zusätzlich garantierte er eine jährliche Rendite von fünf Millionen Euro. Und eine "erfolgsabhängige Prämie". Sie sollte Toll Collect in den folgenden Jahren bis zu 42 Millionen Euro extra einbringen.
Außerdem baute Toll Collect eine komfortable Sicherheitsklausel ein. Sollte die neue Bundesstraßenmaut zu Problemen bei der Autobahnmaut führen, würde das Konsortium nur eingeschränkt haften.
Daimler und Telekom durften mehr als zufrieden sein. Eine interne Kalkulation aus der Phase des Vertragsabschlusses offenbart, wie gut sie an dem Deal verdienen konnten: Das Konsortium rechnete bereits im Vorfeld für die nächsten drei Betriebsjahre mit einem Gewinn vor Zinsen und Steuern von gut 90 Millionen Euro – pro Jahr also 30 Millionen Euro. Die jährlichen Betriebskosten betrugen laut Vertrag dagegen nur 5,3 Millionen Euro.
Solche Details waren dem damaligen Verkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) kaum der Rede wert. Er rechne mit "zusätzlichen Einnahmen von 100 Millionen Euro" sagte Ramsauer stolz, als er über die Ausweitung informierte.
An der privilegierten Partnerschaft hat sich wenig geändert. Ende 2014 einigten sich Ramsauers Nachfolger Dobrindt und das Konsortium darauf, weitere 1100 Kilometer Bundesstraßen mautpflichtig zu machen. Wieder musste ein Vertrag geschlossen werden, wieder konnte sich Toll Collect ordentliche Renditen sichern. Laut der "Vereinbarung über die Erhebung von Maut auf weiteren Bundesstraßen" kassiert das Konsortium eine Vergütung über 3,3 Millionen Euro sowie eine Rendite in gleicher Höhe.
Der Juraprofessor Hans-Peter Schwintowski von der Humboldt-Universität in Berlin hat schon viele Verträge zwischen öffentlicher Hand und privaten Unternehmen untersucht. Für den SPIEGEL nahm er sich nun die Geheimpapiere von Toll Collect vor. Er sagt: "Hier werden Steuermittel zum Fenster rausgeworfen."
Toll Collect sei ein Monopolist, der keine Konkurrenten fürchten müsse. Die einzige Aufgabe bestehe darin, die Maut zu erheben. Dafür würden dem Konsortium sowieso schon alle Aufwendungen erstattet. "Es ist nicht normal, dass der Staat Renditen und Boni in dieser Größenordnung an Toll Collect bezahlt", sagt Schwintowski. "Damit könnte die Bundesregierung gegen das Beihilfeverbot verstoßen."
Das hätte vor allem für die Gesellschafter Daimler und Telekom Folgen, die je 45 Prozent an dem Konsortium halten. Zahlt die Regierung unerlaubte Beihilfe für deutsche Großkonzerne?
Dobrindt will sich zur möglichen Beihilfe-Problematik nicht äußern. Auch zu Boni und Renditen schweigt sein Ressort. Eine Beantwortung der Fragen sei nicht möglich, so ein Sprecher, da die Verträge "der Vertraulichkeit unterliegen".
Intern jedoch wurden im Ministerium längst Zweifel laut. Als das Konsortium mit dem Bund darüber verhandelte, den Vertrag über die Autobahnmaut zu verlängern, schrieb ein Beamter eigens einen Warnbrief an seinen Minister.
Bei der Höhe der Vertragsstrafen und anderen zentralen Fragen, fürchtete der Ministeriale, werde das Konsortium wohl als Sieger aus den Verhandlungen hervorgehen. Die Regelungen seien "ganz überwiegend zum Vorteil von Toll Collect".
Dobrindt störte das nicht. Der Vertrag wurde anstandslos verlängert.