Eine Meldung und ihre Geschichte Unter dem Gras
Anno 43 nach Christus: Die Römer überquerten den Ärmelkanal mit vier Legionen. Die Soldaten, so heißt es bei den Geschichtsschreibern, eroberten rasch große Teile der Insel, und es scheint so, als hätten die Einheimischen den Zivilisationsschub mit britischer Höflichkeit hingenommen. Schon einige Jahrzehnte später nämlich sprachen die britischen Eliten Latein und besuchten in neu errichteten Städten Badehäuser und Amphitheater. Familien aus der römischen Oberschicht ließen sich auf dem Land Villen errichten und verzierten diese mit Fresken und Mosaiken. Eine davon, besonders prachtvoll, wurde gut 150 Kilometer westlich von Londinium erbaut, und der damalige Besitzer des Hauses konnte nicht ahnen, dass irgendwann, fast 2000 Jahre später, ein englischer Teppichdesigner in dessen Obergeschoss einziehen würde, sozusagen.
Anno 2015 nach Christus, ein Tag im Februar: Luke Irwin folgte einem Handwerker in seinen Garten in Brixton Deverill, einer Ansammlung gedrungener Häuser, 83 Einwohner. Gemeinsam blickten sie in ein 50 Zentimeter tiefes Loch.
"Da ist irgendwas da unten", sagte der Mann.
Irwin, 48, hatte den Handwerker gebeten, ein Stromkabel zu verlegen, von seiner Garage bis zu einer Scheune aus roten Backsteinen. Der Mann war in einem halben Meter Tiefe auf etwas Hartes gestoßen. Er fragte Irwin, was er tun solle. Ein Stromkabel müsse mindestens in einem Meter Tiefe verlaufen, Vorschrift.
Irwin schüttete einen Eimer Wasser in die Grube und fegte mit einem Handbesen den Dreck weg. Da sah er das Mosaik: kleine Würfel aus Sandstein, Schiefer und Terrakotta, makellos in einem Muster angeordnet. Die Steine funkelten rötlich und schwarz in der Sonne.
Ein Jahr später, im April 2016, steht Luke Irwin in seiner Scheune und erzählt von seinem Fund. Er trägt eine modische Brille, sein Haar ist zerstrubbelt; er passt besser in seine Londoner Teppichgalerie als nach Brixton Deverill. Dort, in der Hauptstadt, verkauft er handgeknüpfte Teppiche. Edelware.
"Mir war sofort klar, dass das Mosaik aus der Zeit der Römer stammt", sagt er. Als Kind hatten ihm seine Eltern in Pompeji die freigelegten Bodenmuster gezeigt, die die Vesuv-Asche einst unter sich begraben hatte.
An jenem Februartag stieg Irwin einen halben Meter hinunter in die Vergangenheit und stellte sich auf den Steinboden. "Ich habe gedacht: Über diese Steine sind einmal Menschen geschritten. Menschen, die liebten und hassten, die das Schöne begehrten und das Hässliche verschmähten. Menschen wie ich." Irwin fragte sich, welche Geschichten von Aufstieg und Fall sich hier abgespielt haben könnten, unter seinem Haus.
Am nächsten Morgen reiste die Chefarchäologin der Grafschaft Wiltshire an. Sie brachte eine Kamera mit, ein Maßband und eine Assistentin und katalogisierte den Fund. Kurz darauf gruben Archäologen des Instituts Historic England in seinem Garten sechs Löcher, legten Mauern frei, Feuerstellen und fanden einen getöpferten Krug. Auf dem Grundstück, so ergaben ihre Untersuchungen, stand einst eine römische Villa, gebaut zwischen 175 und 220 nach Christus, mit mindestens 20 Zimmern. 20 Zimmer, allein im Erdgeschoss! Der leitende Archäologe sagte, in der Villa hätte einmal eine wohlhabende Familie gewohnt.
Im "Guardian" stand: Ein unglaublicher Fund!
Der "Telegraph" schrieb: Eine beispiellose Entdeckung!
Der Oberbefehlshaber Magnus Maximus führte seine Truppen im Jahr 383 zurück aufs Festland. Sie hatten ihn in Britannien zu ihrem Kaiser erhoben, nun griff er im Westen des Römischen Reiches nach der Macht. Die Insel hinterließ er weitgehend ohne Schutz. Die zurückgelassenen Truppen versuchten, die Macht zu sichern, scheiterten, und Britannien fiel den Angelsachsen zum Opfer. Die nächsten Jahrhunderte werden gern "Dark Ages", das dunkle Zeitalter, genannt, in dem die römischen Städte zerfielen und die Menschen das Latein verlernten. Unter dem Boden des Teppichdesigners Luke Irwin breitete sich eine kulturelle Wüste aus.
Irwin zeigt, was die Ausgrabung zutage gefördert hat. Es liegt auf einem langen Tisch in seiner Scheune: Mosaiksteine, Austernschalen und das abgebrochene Rohr einer antiken Heizung. "Die ließen sich gezüchtete Austern liefern und heizten ihre Fußböden", sagt Irwin. Später, darauf weisen verkohlte Stellen hin, hausten in der Villa Vagabunden, die offene Feuer machten, genau dort, wo kurz zuvor Menschen noch Delikatessen kredenzten.
Irwin hat der Entdeckung eine eigene Teppichserie gewidmet, "The Mosaic Collection", inspiriert von den römischen Mustern. Teppiche, sagt Irwin, "sind ja nichts anderes als die Mosaiken unserer Zeit".
Die Grabungen ruhen seit bald einem Jahr. Der leitende Archäologe sagt, er würde gern weitermachen, die Villa könnte helfen, Licht ins Dunkel der britischen Dark Ages zu werfen. Doch nichts passiert. Es fehlt das Geld. Luke Irwin, an einer Zigarette ziehend, sagt, das sei ihm nicht unrecht. Die Grabungen, einmal ernsthaft begonnen, könnten Jahre dauern, und er möchte keine Sehenswürdigkeit in seinem Garten haben. Bei aller Liebe zu dem Schatz unter seinen Füßen, Irwin mag die Ruhe. Ihm gefällt der Gesang der Amseln und das Plätschern des Baches hinter seinem Haus.
Die Gräben sind erst einmal zugeschüttet. Die römische Villa von Brixton Deverill liegt wieder unter einer Wiese, auf der vier Schafe laufen.