Zeitgeschichte Singende Säge des Klassenkampfs
Am 14. Juni wird Hermann Kant 90 Jahre alt. In Neustrelitz in Mecklenburg-Vorpommern wird an diesem Tag im Theater der Stadt eine Veranstaltung stattfinden: "Aufenthalte. Ein Abend für Hermann Kant". In der Einladung, die mir zugeschickt wird, steht kein Hinweis darauf, dass Kant Schriftsteller ist.
Ein Zufall?
Auf meinem Schreibtisch liegen Romane von Kant: "Der Aufenthalt", "Die Aula". Aber in meiner Erinnerung ist Kant der Funktionär, der Genosse.
Ich suche die Zeitungsartikel heraus, die ich im Alter von 15, 16 Jahren ausgeschnitten habe, als Schüler auf der Suche nach Wahrhaftigkeit, nach moralischem Beistand im Streit mit dogmatischen Lehrern, die einem den Pazifismus austreiben und den Klassenstandpunkt eintrichtern wollten. Zeile für Zeile haben wir die Reden von Schriftstellern abgesucht, Jurek Becker, Christa Wolf, Günter de Bruyn. Bei Kant wurde ich nicht fündig, nicht mal zwischen den Zeilen. "Die Sache und die Sachen" heißt ein Interview-Buch mit ihm aus dem Jahr 2007, ein Titel, den ich erst seltsam, dann aber passend finde und der, wie mir die Autorin Irmtraud Gutschke erklärt, der Wunsch Kants war.
Ja, genau das ist Kant. Oder muss man sagen: Das war Kant? Um die Sache ging es ihm, die "große Sache", wie es hieß, wenn von der Weltrevolution die Rede war. Und wenn große Sachen geplant werden, kann der kleine Mensch schon mal vergessen werden.
Hermann Kant war kein DDR-Schriftsteller wie viele andere. Man muss in diesem Fall sehr fein unterscheiden zwischen geografischer Zuordnung und politischem Bekenntnis: Hermann Kant war nicht Schriftsteller in der DDR. Er war der Schriftsteller der DDR, von 1978 bis 1990 war er Präsident des Schriftstellerverbands. Er war Genosse, natürlich kein gewöhnlicher Genosse, er war von 1981 an SED-Abgeordneter in der DDR-Volkskammer, die selten, aber dann immer zum Zustimmen zusammenkam. Er war seit 1986 Mitglied im Zentralkomitee der SED. Er begrüßte SED-Generalsekretär Erich Honecker auf den Kongressen des Schriftstellerverbands.
Seine Stimme ist mir in bleibend unguter Erinnerung. Sie konnte schmeicheln, sie konnte scharf und schneidend sein. Kant war für mich die singende Säge des Sozialismus. Kunstvoll baute er prädikative Rahmen um das Lob der Partei, in das er – eitel, wie er war – immer genug Selbstlob einflocht. Kants politische Bekenntnisse lauteten: "Wir haben mit den Partei- und Staatsfunktionären in bestem Vertrauensverhältnis zusammengearbeitet, wo es um materielle und ideelle Voraussetzungen für die Entwicklung unserer Literatur gegangen ist. Wir sind uns sicher in der Absicht einig, uns von diesem Kurs nicht abbringen zu lassen. Dann sollten wir aber auch in der Absicht einig sein, jenen scharf zu widersprechen, die uns auf unserem Wege stören wollen."
Es gab also "Störer". Wie hält man die nur vom Stören ab? So gab er den Ton vor im Kampf um die Köpfe. Dieser Ton drang durch bis in die Schulen, in unsere Schule, in unseren Deutschunterricht, in dem wir von Goethe bis Fallada den Klassenstandpunkt ausfindig machen sollten. Und auch nicht stören sollten mit störenden Fragen. Es wurde "durchregiert" in der DDR.
Kants "Wir" markierte Grenzen: "Wir" gegen "die da", Freund gegen Feind. Voller Abscheu sprach er von "denen" oder von den "falschen Leuten". Welche Macht er hatte, beschreibt er später so: "Ich hatte die Abmachung mit Hager, dass alle Visa-Anträge, die wir befürworten, genehmigt würden." Man muss diesen Satz heute übersetzen: Gemeint sind hier Anträge von DDR-Schriftstellern zu Reisen im Westen. Und der Mann, mit dem Kant eine "Abmachung" hatte, war Kurt Hager, der Genosse für die Kultur im Politbüro der SED, dem engsten Zirkel der Macht.
Als einer dieser "Störer", einer der vom Sozialismus Abgefallenen, der in den Westen getriebene Dichter Reiner Kunze, 1977 mit dem Georg-Büchner-Preis ausgezeichnet wurde, erklärte Kant: "Kommt Zeit, vergeht Unrat." Jemanden so zu nennen, da gehört schon ein beträchtliches Stück Menschenverachtung dazu. Rückblickend fiel Kant dazu ein: "Ich wusste genau: Das war falsch, da kriege ich was über den Schädel."
In den Unterlagen, mit deren Hilfe ich mich in die Vergangenheit zurückversetze, gibt es einen Briefentwurf aus dem Jahr 1958. Kant, in Hamburg geboren, 1949 aus der Kriegsgefangenschaft gekommen, hatte von 1952 bis 1956 in Berlin Germanistik studiert. Er wurde Assistent bei dem Juristen und Literaturwissenschaftler Alfred Kantorowizc, einem Mann jüdischer Herkunft, der vor den Nazis geflohen war, einem bekennenden Kommunisten, der nun auch die Kommunisten und deren Schauprozesse fürchtete, nach dem gescheiterten Aufstand in Ungarn 1956. Im Sommer 1957 packte ihn die Angst. Der Professor verließ die "Republik" über die offene Sektorengrenze nach Westberlin. Wie kaum anders zu erwarten, bekam sein früherer Assistent Besuch von der Staatssicherheit. Was dann geschehen sein soll, liest sich in den Unterlagen des DDR-Geheimdienstes so: Genosse Kant wird in vertrautem Ton um Auskunft gebeten und um einen Gefallen. Er möge doch einen Brief an den Verräter schreiben.
Kant soll zugesagt haben. Aber nicht nur das. Bevor er den Brief abschickt, soll er ihn den Auftraggebern gezeigt haben. Ist es recht so?
Das war es dann wohl.
In den Akten findet sich ein mit Maschine geschriebener Entwurf. Ein Auszug:
"Dass es schwierig sein würde, diesen Brief zu schreiben, war ja von vornherein klar, aber dass diese Schwierigkeiten schon mit der Wahl der Anrede beginnen würden, hatte ich nicht bedacht. Da sitze ich nun und wäge die verschiedenen von der Konvention zur Verfügung gestellten Formeln gegeneinander ab und finde schließlich, dass sich da nichts Passendes finden lässt." Mit "Lieber" möchte der Briefschreiber nicht mehr beginnen, auch nicht mit "Genosse".
Kant war zu dem Zeitpunkt noch nicht Mitglied im ZK der SED, er war noch nicht Verbandspräsident, er war noch nicht einmal Schriftsteller. Aber er schrieb offenbar schon im Jahr 1958 von "uns" und von "diesen Leuten", in der Klassenkampflogik und mit unvorstellbarer Hybris: "Unmittelbar nachdem Sie von uns fortgegangen waren – ich will diesen Schritt hier nicht weiter qualifizieren, um diesen Brief nicht übermäßig zu belasten –, war ich schon einmal zu einem Brief versucht, oder mehr, ich wollte Ihnen ein Paket schicken. Ich wollte all die Bücher, die Sie mir einmal geschenkt haben – Sie werden sich vielleicht erinnern, es waren gar nicht so wenige –, bündeln und Ihnen vor die Füße werfen." Er hoffe, "Sie könnten doch noch zur Vernunft kommen".
Hatte Kant so früh seine zweifelsohne vorhandene Formulierkunst in den Dienst gestellt? Satzbau für den Sozialismus? Dieses Dokument aus dem Jahr 1958 scheint eine Art kantscher Urtext zu sein: eitel und willfährig. Jahrzehnte später findet sich in den Interviews Kants zu dieser "Sache", die ja ein Mensch war, ein erstaunlicher Satz: "Ich weiß nicht, wie oft ich die Verdienste von Kantorowicz herausgestrichen habe. Ich mochte ihn."
Fast 20 Jahre nach der Flucht des Literaturprofessors wurde Wolf Biermann nicht mehr in die DDR gelassen, andere Künstler "werden gegangen", wie damals gesagt wurde. Wer sich mit Biermann solidarisierte, geriet selbst unter Druck. Der Konflikt Geist gegen Macht ging in eine neue Runde. Am 23. Mai 1979 vermeldete die Nachrichtenagentur ADN, dass gegen den "Bürger Stefan Heym" vom Stadtbezirksgericht Berlin-Köpenick "wegen Verstoßes gegen das Devisengesetz der DDR eine Geldstrafe in Höhe von 9000 Mark" ausgesprochen wurde. Der Schriftsteller Stefan Heym, wie Kantorowicz einst ein Mann des Widerstands gegen die Nazis, hatte einen Roman im Westen veröffentlicht, weil der im Osten nicht gedruckt worden war. Deshalb die Strafe für das Devisenvergehen. Mehrere Autoren der DDR protestierten mit einem "offenen Brief" gegen die Gängelung Heyms, gegen die "Zensur". Im "Neuen Deutschland" erschien ein Brief des Schriftstellers Dieter Noll, an den "sehr verehrten Genossen Erich Honecker", in dem die Protestierenden und Heym gleichermaßen als "Gegner" und "kaputte Typen" bezeichnet wurden, die "emsig" mit dem Klassenfeind kooperieren.
Kant war seit 1978 Schriftstellerpräsident, er lavierte, er wollte die Gemüter besänftigen, seinen Verband retten. Doch zuletzt zückte er wieder die Messersätze. Am 30. Mai 1979 redete er im Vorstand des Schriftstellerverbands: "Der Ausdruck 'Zensur', Herrschaften, ist besetzt; belesenen Leuten muss das nicht erläutert werden. Wer die staatliche Lenkung und Planung auch des Verlagswesens Zensur nennt, macht sich nicht Sorgen um unsere Kulturpolitik – er will sie nicht." Einen Tag später erschien die Rede Kants im "Neuen Deutschland", dessen Untertitel man in diesem Zusammenhang noch einmal nennen muss: "Organ des Zentralkomitees". Kant war vom Abdruck überrascht.
Am 7. Juni 1979 wurden neun Autoren aus dem Schriftstellerverband ausgeschlossen. Heym konnte nur noch in Kirchen öffentlich lesen. Zwei Ostberliner Schüler, 15 Jahre jung, besuchten am 15. Juni 1979 eine Lesung Heyms in der Kirche von Eichwalde bei Berlin. Ein "Vorkommnis". Am Tag darauf wurden in der Schule Versammlungen abgehalten. Wir sollten bereuen, wir taten es nicht. Der Staatssicherheitsdienst leitete ein Schulermittlungsverfahren ein – wegen des Hörens der "falschen" Literatur. Nach dem Protest von Eltern und Kirchen wurde ein Schulrausschmiss revidiert.
Acht Jahre später, 1987, warb Kant öffentlich für die Rückkehr der Ausgeschlossenen in den DDR-Schriftstellerverband: "Was wir damals beschlossen haben, den Abschied von einer Reihe von Kollegen, ihren Ausschluss, das muss ja nicht für die Ewigkeit gelten. Ich glaube, es gehört in diese Zeit, dass wir sagen: Der Verband hat eine offene Tür."
Die Reaktion war reserviert. Günter Kunert antwortete: "Es klingt mir so, als öffne nun die Kirche ihre Tore für die verlorenen Schäfchen, unter der Voraussetzung, dass sie ihre ketzerischen Gedanken jetzt einstellten. Im Übrigen hätte es Herr Kant doch sehr einfach gehabt. Er hat ja zehn Jahre Zeit gehabt, uns, die hier lebenden Autoren, aufzusuchen. Das ist nicht geschehen."
Aber wenn Kant etwas nicht konnte, dann ist es um Verzeihung bitten. Er ist verfangen in der Logik des Klassenkampfs. Und die beschrieb er 2007 so: "Wenn wir den Feind nicht bändigen, bringt er uns um. Klingt primitiv, war jedoch ungeheuer wirksam."
Der Herbst 1989 beendete seine politische Laufbahn. Er wurde nun alle Funktionen los, die ihm so viel Einfluss verschafft hatten. Er rechtfertigte sich. Er schrieb Bücher, aber er empfand es offensichtlich nicht als Befreiung, nur noch Autor zu sein. Dabei erfuhr der Schriftsteller Kant erstaunliche Anerkennung. Marcel Reich-Ranicki hat Kants Roman "Der Aufenthalt" aus dem Jahr 1977 als "Passionsgeschichte" gelobt. Es ist die Geschichte eines deutschen Soldaten in polnischer Kriegsgefangenschaft. Mir aber, Kant würde schreiben: "uns", hat er durch sein politisches Wirken den Zugang zu seiner Literatur verstellt.
Mich beschäftigt, wie einer den Menschen über die Sache vergessen konnte. Für mich ist Kant ein Mann ohne Demut, ein deutscher Raskolnikow, nur mit dem Unterschied, dass er, anders als der Protagonist in Dostojewskis "Schuld und Sühne", seine Schuld nicht eingesteht. Dann aber greife ich zum "Aufenthalt". Ich will mich nicht anstecken lassen von der Gnadenlosigkeit des Funktionärs und versuche es mit dem Schriftsteller. Ich lese mich fest, lasse diesen Antikriegsroman nicht mehr los, er erinnert mich an den "Überläufer" von Siegfried Lenz. Kant aber verstehe ich nun noch weniger. Warum hat er es nicht beim Schreiben von Büchern belassen?
Kant: Das ist eine Frage, die ich schon ein paarmal an mich selbst gerichtet habe, weil ich meine, ich hätte dann mehr ausrichten können als Schriftsteller. Aber es war sinnvoll angewendete Zeit. Als ich in diesen Verband reinkam, war das ein Haufen von artigen Jasagern, beziehungsweise ein Haufen von hartgesottenen, durchs Leben gegangenen Emigranten, Remigranten beziehungsweise ehemaligen KZ- und Zuchthausinsassen und so weiter, die aber alle brav wurden, wenn ihnen ein Abgesandter der höheren Parteieinheit mitteilte, dies sei ein Beschluss. Dann sagten die: Aha, wenn's ein Beschluss ist, dann wird es gemacht. Das wollte ich nicht, weil ich einfach sah, dass zu viel Unfug damit angerichtet wurde. Das können Sie aber nicht mit bitte, bitte machen. Das machte ich in einem Ton, der mir angebracht schien. Wobei ich eines noch mal betonen will: Es war keine Sache eines großen Vorhabens, es ergab sich so, so wie man im Roman allenfalls so reden kann, wenn man im Roman so reden soll, wenn der Roman so sein soll, so kann man da in solchen Organisationen auch nur eine Organisationssprache reden.
SPIEGEL: Sehen Sie nicht die Diskrepanz zwischen Ihrem Sprechen und Schreiben?
Kant: Wenn ich eine Eiswaffel kaufen will, rede ich ja auch anders, als wenn ich mein Testament mache. Ich wurde von meinen Kolleginnen und Kollegen ganz gut verstanden. Was aber mir noch fast wichtiger war, dass die Obrigkeit, Ihre und meine, mich verstand. Die erkannten in meiner Sprechweise einen, der wusste, was er machte. Im Roman ist es ganz anders, da hab ich ja ewig und drei Tage gesucht, ehe ich den richtigen Ton gefunden habe. Es ist meine Überzeugung für die Literatur, dass sie steht und fällt mit dem richtigen Ton, der gefunden wird oder nicht gefunden wird.
SPIEGEL: Sie waren sehr hart gegenüber kritischen Geistern.
Kant: Ja und nein. Da würde ich Ihnen nicht ganz zustimmen. Hören Sie mal zu, ich hatte es mit lauter gestandenen Literaten zu tun, die ließen sich nicht durch ein oder drei Wörter in diese oder jene Richtung bringen. Wenn ich jemanden überzeugen wollte, dann musste ich in klaren Worten sagen, was ich wollte. Und das habe ich auch. Und ich glaube, im Großen und Ganzen ist mir das auch ausgelaufen, wie ich wollte. Denn aus diesem artigen Verein ist einer geworden, in dem man nichts, überhaupt nichts machen konnte, ohne eine Begründung dafür anzugeben.
SPIEGEL: Bereuen Sie, so viel Zeit mit Politik verbracht zu haben?
Kant: Doch, in dem Sinne, wie man etwas wohlfeil bereuen kann, nämlich ohne Folgen. Ich würde es nicht noch mal machen wollen, aber das war schon ganz vernünftig. Ich bin ein bisschen eingebildet auf ein paar Änderungen, die ich in diesem Verband durchgesetzt habe. Der wurde dann aus einem schon beschriebenen Herdenvorgang eine Abteilung dieser DDR-Gesellschaft, in der vieles mehr möglich war als vorher. Also, das Recht der freien Rede wurde bei uns bis zum Exzess ausgeübt.
SPIEGEL: Gibt es Dinge, die Sie heute gern ungeschehen gemacht hätten?
Kant: Das geht los mit den von Ihnen schon berührten Versammlungsgeschichten. Also der Heym war mir rundheraus gesagt nicht sehr sympathisch von Anfang an. Das war ein hervorragender Schriftsteller, daran habe ich keinen Augenblick gezweifelt. Also hat es mir auch immer ein bisschen wehgetan, dass ich ausgerechnet in ihm den Sprecher der Gegenseite hatte. Solche Sachen, davon gibt es vieles, aber das kann man leider nun nicht mehr ändern. Wir sagten früher: Das sind so Spesen des Kampfes. Das würde ich heute nicht mehr sagen, weil das zu leichtfüßig daherkommt, aber es waren Spuren dieses Kampfes.
SPIEGEL: Hatten Sie 1979, als die Auseinandersetzung im Schriftstellerverband eskalierte, den Eindruck, die DDR rücke aufs Ende zu?
Kant: Nein, nein, da hatte ich so ein Gefühl noch keineswegs. Da hatte ich allerdings ein ganz ausgeprägtes Gefühl, dass die Aufsplitterung des Verbandes und die Abwanderung des einen nicht ganz ungewichtigen Teiles in den Fürsprachebereich des Westens drohte. Da war ich absolut dagegen. Aber von irgendwelchen Dämmerstunden der DDR war in meinem Kopf nicht das Geringste.
SPIEGEL: Haben Sie 1990 persönlich als Niederlage erlebt?
Kant: Das war nicht auf den Augenblick beschränkt. Sehen Sie mal, ich muss noch einmal betonen, obwohl Ihnen das sicher nicht unbekannt ist, ich war ein überzeugter Erbauer der DDR, ich wollte die. Ich wollte sie zwar nicht so, wie sie dann geworden ist, aber ich wollte einen Sieg. Das alte Deutschland wollte ich nicht mehr. Es ist auch wahr, es war viel nicht in Ordnung, aber das war eben erreicht. So, und nun kam diese Geschichte, die für mich eine Rückkehr war in alte Verhältnisse, von denen ich gemeint hatte, die liegen nun hinter uns.
Kant ist offenbar beunruhigt. Nach unserem Telefonat lässt er noch einmal ausrichten, dass er diesen Text nicht geschrieben habe. Da kämpft ein 90-jähriger Mann um sein Ansehen. Ein wenig Mitgefühl habe ich.
Ob ein Stasimann den Brief gefälscht hat, um jemandem etwas vorzugaukeln, lässt sich Jahrzehnte später nicht aufklären. Unter dem Text in der Akte steht in Schreibmaschinenschrift: "Ihr ehemaliger Schüler Hermann Kant". ■