UNTERHALTUNG „Ich bin ein Weltstar“
Der "Kicker", das Zentralorgan wider den Sittenverfall im deutschen Fußballwesen, wollte es genau wissen. Ist Mario Basler, 30, noch vermittelbar? Schließlich war der Profi des FC Bayern München neulich, an der Seite seines Teamkollegen Sven Scheuer, in einer Regensburger Trattoria mit anderen Gästen mächtig in Streit geraten.
Die Redaktion befragte vorige Woche Entscheidungsträger aller Bundesligaclubs, ob sie an einer Verpflichtung Baslers interessiert seien. Das Votum war einstimmig - erleichtert titelte das Fachblatt: "Keiner will Mario Basler!"
Des Nationalspielers schmähliches Ende beim Deutschen Meister dokumentiert das Dilemma, in das sich der Berufsfußball hineingeboomt hat: Nach außen sind die Clubs Dienstleister in der Unterhaltungsindustrie - je spektakulärer die Show, desto besser die Position im Markt. Innerbetrieblich jedoch funktionieren die Mannschaften immer noch so wie zur Gründer-
* Bei der Eröffnung eines Fanshops in Oberhausen; mit Ehefrau Iris beim Profiboxen in Köln; auf der Meisterfeier im Englischen Garten in München.
zeit der Bundesliga - was zählt, sind Solidität, Teamgeist und Fleiß.
"Hätten wir nicht eingegriffen", erklärt Bayern-Vize Karl-Heinz Rummenigge, "wäre die Gemeinschaft kaputtgegangen." Vorvergangenen Samstag teilte Präsident Franz Beckenbauer deshalb den Sündern mit, dass sie ab sofort vom Dienst suspendiert seien. Im Falle des Ersatztorhüters Sven Scheuer, 28, wird das Deutschland verkraften können. Im Falle Basler ist das nicht so sicher.
Was macht "ran" künftig ohne Basler? Wie will Sat 1 die überschüssige Sendezeit füllen, wenn nicht mehr mit den Spaziergängen des Pfälzers auf Rechtsaußen, seinen ballistisch kühnen Freistößen oder seiner bebenden Halsschlagader im Disput mit den Männern an der Pfeife? Mit Jens Jeremies? Taugen Markus Babbels Querpässe für die Superzeitlupe?
In der nur ihm eigenen Selbstüberschätzung hat der ehemalige Anstreicherlehrling Basler neulich schwadroniert, dass 50 Prozent der Leute ihn schätzen und die anderen 50 Prozent ihn hassen.
Natürlich ist das Unsinn. Mit dem hochmütigen Kunstschützen verhält es sich so ähnlich wie mit dem Schlager-Millionär Dieter Bohlen: Das Publikum schätzt ihn nicht, sondern weidet sich am Unerträglichen: an den überheblichen Sprüchen, den prolligen Gesten, dem Irrglauben, wichtig zu sein. "Ich bin ein Weltstar, und du bist eine Null", hat Basler bei einem seiner Kneipenaufenthalte einen Zecher wissen lassen.
Die Neigung, sich das Leben leicht zu reden, begleitet Basler, seit er den Beruf des Fußballspielers ergriffen hat. Beim Zweitligaclub Rot-Weiß Essen, mit Anfang 20, schickt ihn sein Vorgesetzter, Jürgen Röber, vom Training nach Hause, weil ihn eine Alkoholfahne umweht. Bei seiner nächsten Station, Hertha BSC Berlin, verdichtet der damalige Trainer Bernd Stange Baslers Fähigkeiten in einen dieser Tage wieder häufig zitierten Aphorismus: "Bis zum Hals Weltklasse, darüber Kreisklasse."
Seine Ball-Artistik bringt ihn immerhin in die Bundesliga, zu Werder Bremen. Zwar verwendet der passionierte Raucher auch dort viel Zeit für Casinobesuche, fürs Kartenspiel und Amüsement an der Theke. Aber unter den Bremer Profis ist er ein Ausnahmekönner. Baslers Aktionen sichern Siege, Prämien, Ruhm - das Enfant terrible ist dem Team zu Nutze, also werden die Entgleisungen toleriert.
An der Weser gerät Basler jedoch in die Prominentenfalle. Seine Tore werden zu Kunstwerken hochgejazzt, seine präpotenten Ergüsse entzücken die Redaktionsstäbe zahlreicher Talkshows. Altmeister Udo Lattek preist ihn als "vielleicht schon letzten Künstler in der Bundesliga".
"Das Genie" (Werder-Manager Willi Lemke) beginnt jetzt, öffentlich vor Fernsehpublikum zu paffen und zu trinken. Er glaubt, für sich die Nische des Unterhalters in der so uniform-öden Leistungsgesellschaft Bundesliga gefunden zu haben. Er sieht sich fortan als Mann fürs Launige. "Entertainment kommt von mir auf dem Platz, und die Zuschauer wollen unterhalten werden", sagt er.
Basler hält sich für einen Dennis Rodman oder einen Andre Agassi des deutschen Fußballbusiness. Auch die stilisieren ihre Egozentrik - ein einträglicher Marketingtrick. Doch am Morgen nach einer wilden Party knechten sich die Rodmans dieser Welt im Fitnessstudio, um ihr athletisches Niveau zu halten; dazu ist Basler nicht bereit.
Das Verhängnis nimmt seinen Lauf, als "Super-Mario" ("Bild") zu Bayern München findet. Dort heißen die Kollegen nicht Eilts, Wiedener und Wolter - dort warten Matthäus, Kahn und Babbel. Plötzlich ist es nicht mehr selbstverständlich, dass ihn der Trainer aufstellt - gleichgültig ob er die Woche über fleißig war oder faul, krank oder blessiert. "Wenn ich fit bin, dann spiele ich, das ist überhaupt kein Thema", posaunt er. Aber Basler ist selten fit.
* Im Champions-League-Finale gegen Manchester United (1:2) am 26. Mai in Barcelona.
Die Bayern-Spitze ahnt die Gründe. Manager Uli Hoeneß beauftragt eine Detektei, Münchens gastronomische Betriebe auszukundschaften. Unter den Nachtaktiven wird Basler als besonders emsig ausgemacht. Er flieht ins Umland. In Landshut zieht es ihn nach dem Besuch der Spiele des örtlichen Eishockeyclubs gern ins "Michelangelo".
Eine neue Heimat findet Basler auch in Olching, einer beschaulichen Gemeinde westlich der tosenden City. Im Etablissement "Absolut", dessen Wände antike Spiegel zieren, entspannt er bei Weißbier und Longdrinks. Die Abende lassen sich wunderbar rechtfertigen, seit der Profi das Training der A- und B-Jugendlichen des SC Olching übernommen hat. Was er über jene Fußballer denkt, die nicht mit so viel motorischem Talent wie er gesegnet sind, bekommt einer seiner Schützlinge gleich bei der ersten Übungseinheit zu hören: "Du stehst schon wieder, gib mal ein bisschen Gas."
So ähnlich springt auch der neue Chef des Münchner Starensembles, Ottmar Hitzfeld, mit Basler um: Sonderschichten, Training unter der Kontrolle eines Physiotherapeuten werden dem Star auferlegt. Und siehe da, Basler kehrt im April gegen Dynamo Kiew in die Elf zurück und befördert den Ball von halbrechts mit dem linken Fuß ins linke Tordreieck. Es ist der einzige Treffer des Abends - und die Nation bebt.
Basler hält die Elogen für gerechtfertigt. Er signalisiert den Bayern, seinen im Sommer 2000 auslaufenden Vertrag vorzeitig verlängern zu wollen - natürlich zu Konditionen, die seiner Bedeutung angemessen sind. Er will in die Tarifgruppe des Spielmachers Effenberg eingereiht werden: statt drei rund fünf Millionen Mark per annum.
Das halten die Wächter über die Vereinsfinanzen für unverschämt. Sie lehnen ab. Basler greint: "Mir wird zu wenig Respekt entgegengebracht."
Der große Entertainer fühlt sich unverstanden. Statt das Genialische zu würdigen, werden die Weißbiere gezählt. Allen Ernstes rechnet er zur Verteidigung vor, dass er die Frei-Haus-Lieferungen des Bayern-Sponsors Erdinger Weißbräu eher gering in Anspruch nehme: "Bei mir hat eine Kiste schon mal sechs Wochen gereicht. Es gibt Spieler, die öfter nachbestellen."
Das scheint glaubhaft, weil Basler etwa im vergangenen September mit Vorliebe auswärts trinkt. In Hamburg mischt er sich bei einer Geburtstagsparty unter seinesgleichen, auf Du und Du mit VIPs wie Udo Lindenberg und Verona Feldbusch. In der Hauptstadt schaut er bei den Eishockey-Cracks der Berlin Capitals vorbei, bevor er die Nacht in der Disco "First" ausklingen lässt. In Frankfurt springt er bei der Automobil-Ausstellung herein, in Baden-Baden wird er auf der Galopprennbahn am Wettschalter gesehen.
Nicht alles lässt der FC Bayern durchgehen. Im August, zwei Tage vor dem Lokalderby gegen Unterhaching, wird Basler im "Maximilian''s", einem Musiktempel für die Wichtigen der Stadt, morgens gegen halb drei geortet. Auf der Geburtstagsfeier des ehemaligen Münchner Kollegen Dietmar Hamann gerät Basler in Wallung: Mit den Fäusten malträtiert er einen Spieler der Regionalliga-Mannschaft des FC Bayern. Der Verein belegt ihn mit 20 000 Mark Buße.
Der Szenegänger, Sohn eines Maschinenschlossers und einer Postangestellten, pflegt ein legeres Verhältnis zum Geld. Seinen Gehaltsbogen würdigt er keines Blickes. Das mache alles sein Manager, verrät Mario Neureich vergnügt; der wisse, "was die Immobilien kosten und was ich verdienen muss".
Vor einigen Jahren hatte der Fußballprofi 330 000 Mark in ein 40-Quadratmeter-Apartment in Düsseldorf gesteckt, das niemals gebaut wurde. Von dem Projekt hatte er nur "super Bilder" gesehen. Der Finanzberater Roger Wittmann half ihm damals aus der
Bredouille.
Es war der Anfang einer Männerfreundschaft, und seither leben beide prächtig voneinander. Wittmann ist, seit Basler zu seinem Kundenstamm zählt, zu einer bedeutenden Größe unter den deutschen Spielerberatern aufgestiegen.
Wittmann, 39, kennt die Schwächen seines Schützlings. Dass er Basler nicht ausredet, genauso viel verdienen zu wollen wie Effenberg, wird zum Problem. "Die gönnen mir nichts, jetzt gönne ich denen auch nichts", verkündet sein Klient mit kindlichem Trotz. Wenn der Vertrag nicht verlängert wird, kann Basler ablösefrei München verlassen.
Doch den Bayern-Verantwortlichen kommt es auf ein paar Millionen Mark Ablöse nicht mehr an. Sie interpretieren Baslers Eskapaden als Provokation und wollen nur noch Ruhe im Team. Spieler wie Oliver Kahn oder Giovane Elber, sagt einer aus dem Präsidium, "sind es satt: Die wollen Fußball spielen".
Die Affäre von Regensburg kommt nicht ungelegen. Mit detektivischem Eifer recherchiert Manager Hoeneß bei der Polizei in Regensburg. Auch bei Zeugen erkundigt er sich nach den Geschehnissen in der "Trattoria da Fernando": Hans Dorfner, selbst vier Jahre Profi bei Bayern, gibt präzise Auskunft.
Die Delinquenten werden zur Rede gestellt. Basler liest seine Aussage, wonach er und Scheuer Opfer eines pöbelnden Gastes gewesen seien, von einem Zettel ab. "Ein dreister und impertinenter Auftritt", empört sich Beisitzer Rummenigge.
Als Hoeneß die Suspendierung öffentlich begründet, berichtet er düster von der Spitze eines Eisbergs, die mal wieder sichtbar geworden sei. Die Blockwarte der Nation legen in den folgenden Tagen Teile des Mittelbaus frei. Jeder weiß was, jeder wispert was: dass Basler in Frontenhausen 180 000 Mark verloren haben soll; dass ihm in Bergkirchen der Wirt eines Landgasthofes 20 000 Mark abgeknöpft habe; dass ihm in Straubing ein bekannter Zocker besonders zugesetzt habe. Der Verlust soll 380 000 Mark betragen.
Mario Basler war auf dem besten Wege, ein deutscher Paul Gascoigne zu werden - jener gleichfalls begnadete englische Nationalspieler, der die Tabloids fast täglich mit Szenen eines durchgeknallten Lebens versorgt hat.
Der Unterschied ist bloß, dass der englische Fußballfan jene Profis am innigsten verehrt, die genauso unflätig und raubeinig sind wie er selbst. Zu dieser Identifikation ist der deutsche Tribünengast nicht fähig. Voriges Jahr fragten die Meinungsforscher von Emnid nach, wen die Deutschen für den dümmsten Nationalspieler halten. Den Titel sicherte sich Mario Basler mit weitem Vorsprung.
Dass der Exzentriker noch rechtzeitig zur Einsicht kommt, um Deutschland erhalten zu bleiben, steht nicht zu befürchten. Der Mann sehnt sich ins Ausland. Und fragt sich: Muss ich mir den Stress der Champions League noch antun? "Ich werde im Dezember 31 Jahre alt, da wäre es vielleicht nicht mal so schlecht, wenn man mal ein Jahr kürzer treten kann, nicht so oft unterwegs ist."
Das Mehr an Lebensqualität käme vielleicht auch seiner zweiten Ehe zugute. Vorigen Winter heiratete Basler die Schwester seines Beraters Wittmann. Draußen vor der Lutherkirche im pfälzischen Neustadt drängten sich über 1000 Schaulustige, abgeschirmt von Bodyguards und Polizisten in Zivil. Drinnen zitierte Pastor Lamotte aus dem Brief des Paulus an die Philipper: "Tut nichts aus Eigennutz oder um eitler Ehre willen, sondern in Demut achte einer den anderen höher als sich selbst."
ALFRED WEINZIERL, MICHAEL WULZINGER