STÄDTEBAU „Der Schatten meines Vaters“
SPIEGEL: Herr Professor Speer, mit Ihrem Konzept für das Frankfurter Europaviertel, das Sie zwischen Hauptbahnhof und Messegelände bauen wollen, lassen Sie Moden der Jahrhundertwende wieder aufleben. So soll die Innenstadt einen großen Pracht-Boulevard bekommen. Ist das ein Akt der Wiedergutmachung nach Jahrzehnten städtebaulicher Sünden?
Speer: Vielleicht. In der Stadtplanung sind tatsächlich viele Fehler gemacht worden. Aber Sie müssen auch bedenken: Man hat den Ausbau der Innenstädte lange nicht vorantreiben können, weil es einfach keinen Platz gab.
SPIEGEL: Und das hat sich jetzt geändert?
Speer: Ja, große Firmen ziehen sich in letzter Zeit aus riesigen Gebieten zurück, wie zum Beispiel Opel aus Rüsselsheim. Auch viele andere Firmen haben früher Flächen gehortet, weil sie an Expansionen dachten, nun geben sie sie frei. Deswegen können wir plötzlich wieder Boulevards und attraktive Plätze bauen. Investoren haben die Auswahl, ob sie sich in München ansiedeln oder in Paris oder eben in Frankfurt. Da müssen sich Städteplaner anstrengen, um sie dahin zu lotsen, wo sie sie haben wollen.
SPIEGEL: Dennoch werden die Innenstädte meist halbherzig verschönert. Auch bei Ihrem Boulevard gibt es berechtigte Sorgen, dass daraus wieder nur eine Stadtautobahn wird.
Speer: Das wollen wir verhindern. Man muss unseren Boulevard an vielen Stellen überqueren können. Wir brauchen mehr Zebrastreifen als üblich und für die Straßenbahn ein begrüntes Gleisbett, über das Fußgänger laufen dürfen.
SPIEGEL: Die Straßenbahn ist ein Verkehrsmittel aus alten Zeiten. Warum gibt es sie auf einmal überall wieder?
Speer: Der Bau einer Straßenbahn ist nur ein Zehntel so teuer wie der Bau einer U-Bahn. Außerdem mögen die Leute lieber überirdisch fahren, weil sie da etwas zu sehen haben.
SPIEGEL: Trotz Investitionen in den öffentlichen Nahverkehr - die Autos bleiben das größte Problem der Städte. Über Ihren Boulevard, das haben Verkehrsplaner schon ausgerechnet, werden voraussichtlich 40 000 Autos täglich donnern. Ist das für eine Flaniermeile nicht viel zu viel?
Speer: Ich gebe zu, das ist eine Horrorzahl. Die muss man allerdings differenziert betrach-
* Vor dem Modell für das Deutsche Haus der Pariser Weltausstellung.
ten. Unter den Linden in Berlin fahren auch 40 000 Autos in 24 Stunden, und dort können Sie ohne weiteres über die Straße gehen.
SPIEGEL: Die Leute ziehen, auch wegen der vielen Autos, aus der Stadt aufs Land. Das Einfamilienhaus gilt als beliebteste Wohnform. Sie sehen aber für Ihr Europaviertel Wohnblöcke mit insgesamt 4100 Wohnungen vor. Wie wollen Sie gerade die Besserverdienenden in die Innenstadt locken?
Speer: Einfamilienhäuser sind beliebt, weil es keine echte Alternative gibt. Unser Wohnviertel soll aber eine Alternative sein. Es kommt in einen Park, ausgewiesene Wohnungsbauarchitekten aus europäischen Ländern sollen dort etwas Besonderes zaubern.
SPIEGEL: Zum Europaviertel gehört auch das so genannte Urban Entertainment Center - eine Ansammlung von Hochhäusern, in denen auf geballtem Raum lauter Vergnügungsstätten entstehen, Theater, Kinos, Cafés. Warum werden überall in Deutschland monströse Spaßviertel errichtet?
Speer: Die Investoren lieben diese Viertel, sie stürzen sich geradezu darauf. Und das nicht ganz zu Unrecht. Innenstädte haben an Attraktion verloren, weil die Shopping- und Kino-Center sich oft draußen auf der grünen Wiese befinden. Gleichzeitig entwickeln wir uns hin zu einer Erlebnisgesellschaft. Durch immer mehr Heimarbeit wird die Routine nach Hause geholt, und dann entsteht der Wunsch, draußen etwas erleben zu wollen.
SPIEGEL: Um die Innenstadt insgesamt wieder attraktiver zu machen, wäre es doch sinnvoller, die Vergnügungsstätten zu verteilen, nicht zusammenzuballen.
Speer: Ich schätze diesen Trend auch nicht sehr, und er entspricht zudem nicht der Tradition der europäischen Stadt. Doch die Menschen wollen nun mal alles auf einmal bekommen, ohne sich anzustrengen. Stadtplanung muss mit solchen Entwicklungen verantwortungsvoll umgehen.
SPIEGEL: Während Ihr Europaviertel bislang weitgehend gute Kritiken bekommt, beziehen Sie als einer der wichtigsten Gestalter der Expo 2000 laufend Prügel. Was läuft schief?
Speer: Sie müssen beachten: Deutschland hat sich für die Expo entschieden, als die Mauer noch stand. Hannover sollte Schaufenster zum Osten sein, sonst hätte man wohl einen anderen Standort gewählt. Zudem: Wenn man gewusst hätte, wie teuer der Aufbau der neuen Bundesländer wird, hätten wir die Expo wahrscheinlich gar nicht gemacht. Nun hat man sich aber entschlossen, eine zu machen, und eine halbe wäre peinlich, also wird es teuer. Völlig klar.
SPIEGEL: Immens teuer. Eine Milliarde Mark fließen allein in die Baumaßnahmen. Wie konnte es zu diesen horrenden Kosten kommen?
Speer: Wir bauen ganz bewusst eine Expo-Stadt und keinen Millenniumsdom wie die Londoner. Das Gelände besteht aus Straßen, Parks und ist so groß, dass es später ein Stück Stadt wird. 800 Millionen sind für längerfristige Investitionen ausgegeben worden, auch für S-Bahn-Stationen und einen neuen Bahnhof. Dies alles amortisiert sich nicht in fünf Monaten, aber im Lauf der Jahre auf jeden Fall.
SPIEGEL: Bei der Expo sind Sie, wie bei den meisten Projekten, vor allem Moderator, Vermittler zwischen den Interessen von Bauherren, Stadt und Land. Sie propagieren überdies den Abschied vom Architekturbüro alter Schule. Was haben Sie gegen aufrechte Entwerfer?
Speer: Nichts. Aber die Zeiten haben sich geändert. Es geht nicht mehr vor allem darum, schöne Häuser zu bauen, sondern darum, wuchernde Städte zu organisieren. Was ich hier mit einem sehr schlagkräftigen und sich stetig verjüngenden Team zu schaffen versuche, ist ein Dienstleistungsbüro im allerweitesten Sinne. Wir sind ein Architekturbüro mit Spezialisten - zu denen ich mich selbst nicht zähle -, dazu gehören auch Verkehrs- und konventionelle Stadtplaner. Und dann gibt es einen Bereich, der alle diese Dinge zusammendenkt. Der wird immer wichtiger, und dort liegen vor allem meine Stärken.
SPIEGEL: Sie übernehmen Aufgaben von Regional- und Kommunalpolitikern. Überschreiten Sie damit nicht Ihre Kompetenzen?
Speer: Die Komplexität der Aufgaben ist heutzutage so groß, dass die Kommunen, Firmen wie BASF oder Preussag jemanden brauchen, der Moderationen übernimmt. Überlegen Sie mal: In München liegen zwischen Hauptbahnhof und Pasing 160 Hektar Bahnfläche brach. Die Stadt und die Bahn konnten sich zehn Jahre lang nicht einigen, was hier geschehen soll. Uns ist es in einem strikt organisierten Diskussionsprozess gelungen, in einem Jahr einen Rahmenplan zu erstellen, der zu einem Vertrag zwischen Bahn und Stadt geführt hat, der überdies einstimmig durch den Münchner Stadtrat gegangen ist.
SPIEGEL: Der Architekt, der Stadtplaner soll also in Zukunft Berater der Mächtigen sein, nicht mehr eigenständiger Künstler?
Speer: Nicht ganz. Das eigenständige Kunstwerk kann heutzutage erst nach einer langwierigen Beratungsphase entstehen, das übersehen viele Architekten häufig. Die verteidigen immer noch das, was nicht funktioniert, reden nicht mit den Investoren, weil das angeblich böse Menschen sind, die die Stadt kaputtmachen wollen. Das Gegenteil ist der Fall. Nur mit den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Gruppen gemeinsam ist überhaupt noch etwas zu bewegen.
SPIEGEL: Drei Generationen Speer waren in diesem Jahrhundert als Architekten tätig, alle drei auf völlig unterschiedliche, kaum zu vergleichende Art und Weise. Neigt Ihre Berufsgruppe mehr als andere dazu, sich gesellschaftlichem Wandel total zu unterwerfen?
Speer: Die Familie Speer ist sicherlich - bedauerlicherweise - ein Sonderfall. Dennoch ist die Architektur immer in hohem Maße Ausdruck der Gesellschaft. Mein Großvater war ein typischer Architekt der Jahrhundertwende. Er hat im Südwesten Deutschlands prächtige Bürgerhäuser, aber auch viele erste Industriebauten entworfen, das Benzwerk in Mannheim etwa. Die denkmalgeschützten Hallen stehen noch - mit der fünften Generation Maschinen drin.
SPIEGEL: Ihr Großvater, heißt es, war von den elefantösen Entwürfen, die sein Sohn, Hitlers Lieblingsarchitekt, zeichnete, nicht besonders angetan.
Speer: Mein Vater hat meinem Großvater einmal seine Pläne für Berlin gezeigt. Mein Großvater hat nur mit dem Kopf geschüttelt und gesagt: "Ihr seid ja alle verrückt geworden."
SPIEGEL: Ihr Vater ist der Dämon Ihres Berufsstandes. Hatten Sie gar keine Scheu, im gleichen Bereich tätig zu werden?
Speer: Schwierig zu sagen. Ich hatte einen relativ schweren Start in das Leben. Ich habe nämlich mit fünf oder sechs Jahren das Stottern begonnen, und zwar so heftig, dass ich in der Schule nicht mehr drangenommen wurde. Das hat dazu geführt, dass ich die Schule gerade noch so geschafft habe, wenn auch ziemlich schlecht, bis zur mittleren Reife. Dann wusste ich nicht, was tun. Durch die Vermittlung meines Großvaters, der bis in die dreißiger Jahre eine Schreinerei hatte, bekam ich eine Lehrstelle in Heidelberg. Die Ausbildung kam mir sehr entgegen, denn handwerklich war ich begabt, und ich musste nicht viel reden.
SPIEGEL: Dabei ist es aber offensichtlich nicht geblieben. Hat Sie doch noch der Ehrgeiz gepackt?
Speer: Glauben Sie mir, so eine Schreinerlehre war damals sehr hart. Natürlich wollte ich aus meinem Leben mehr machen. Ich bin in die Abendschule gegangen, habe fürs Abitur gelernt und habe es beim zweiten Anlauf gerade so geschafft. Das war 1955. Danach habe ich mich für ein Architekturstudium in München entschieden.
SPIEGEL: Sie bekamen als junger Architekt schnell Preise. Hat sich das Stottern durch die Erfolgserlebnisse gebessert?
Speer: Wenn ich aufgeregt bin, taucht es wieder auf. Das ist ein Handicap, das sich derjenige, der es nicht kennt, nicht vorstellen kann. Man ist sich seiner Sprache nie sicher. Ich habe mit großer Energie versucht, es zu beherrschen.
SPIEGEL: Wie?
Speer: Sehr geholfen hat mir ein Aufenthalt in Amerika. Da gehen die Leute freier mit einem um, also habe ich erste Hemmungen abbauen können. Ich lernte zum Beispiel den Stadtplaner Edmund Bacon kennen, der hatte gerade einen Film gemacht über neueste Stadtsanierungen. Damit bin ich in Frankfurt ins Amerikahaus gegangen und habe gesagt, sie sollten sich doch mal den Film bestellen. Da haben die gesagt, ja, machen sie, aber nur, wenn ich dazu einen Vortrag halte. Ich habe zugestimmt, aber die ganzen Wochen vorher Angst vorm Versagen gehabt. Aber es ging ganz gut.
Anschließend tourte ich durch sämtliche
* Links: mit den Kindern Margret, Fritz, Hilde, Arnold und Albert am Haus auf dem Obersalzberg (1943); rechts: am Tag ihrer Hochzeit in Berlin am 28. August 1928.
Amerikahäuser Deutschlands, jedes Mal wurde ich freier und besser.
SPIEGEL: Wissen Sie denn, warum Sie plötzlich begonnen haben zu stottern?
Speer: Ein Freund sagte einmal: "Dir haben die letzten Kriegsjahre die Sprache verschlagen." Ich weiß nicht genau, wo der Bruch liegt.
SPIEGEL: Welche Erinnerungen haben Sie an das Kriegsende?
Speer: Wir lebten in ziemlich ärmlichen Verhältnissen. Sehr beengt, in einer kleinen Wohnung, die uns die Stadt Heidelberg zugewiesen hatte.
SPIEGEL: Das Leben nach dem Krieg stand wahrscheinlich in krassem Gegensatz zu jenem im Dritten Reich, als es für Sie doch sicher sehr komfortabel zuging?
Speer: Das stimmt nicht. Mein Vater hat die Familie völlig rausgehalten. Wir lebten auf dem Obersalzberg zwar in einem großen Haus, aber ich musste jeden Tag zu Fuß in die Volksschule nach Berchtesgaden gehen. Eine Stunde den Berg hinab, eineinhalb Stunden hinauf, im Winter noch länger. Nein, wir lebten nicht herausgehoben. Wir sind streng erzogen worden.
SPIEGEL: Aber am Obersalzberg waren Sie und Ihre Familie in unmittelbarer Nähe Hitlers. Das muss doch Ihr Leben geprägt haben.
Speer: Hat es auch, aber ich weiß nie, was Erinnerung ist oder Erzählung. Dass wir zu Hitlers Geburtstag eingeladen waren, das weiß ich schon, und dass wir auf seinem Berghof freier herumlaufen durften als zu Hause, weiß ich auch noch.
SPIEGEL: Da gab es also eine Diskrepanz zwischen strenger Erziehung einerseits und andererseits der Nähe zum mächtigsten Mann Europas?
Speer: Ach, das wusste ich ja nicht, dass der so mächtig ist. Aus meiner Perspektive war er ein Onkel wie jeder andere auch.
SPIEGEL: Der Publizist Joachim Fest vertritt in seiner neuen Biografie über Ihren Vater die These, Hitler habe die einzig wirklich intensive emotionale Beziehung seines Lebens ausgerechnet zu Ihrem Vater gehabt. Was empfinden Sie bei dem Gedanken, dass das größte Monstrum dieses Jahrhunderts ausgerechnet Ihren Vater verehrte?
Speer: Das kann ich nicht wirklich beurteilen. Ich glaube aber, dass da was dran ist. Für Hitler war mein Vater der hoch begabte junge Mann, der er selbst hätte sein wollen. Das ist bestimmt ein wesentliches Motiv, das die gegenseitige Abhängigkeit erklärt. Ich kann aber nur sagen, dass ich meinen Vater nicht als emotionalen Menschen erlebt habe - ich habe ihn überhaupt kaum erlebt. Der war ständig weg, und wenn er zu Hause war, hieß es immer, wir sollten alle still sein, um ihn nicht zu stören. Und dann kam die Zeit, in der er im Spandauer Gefängnis saß, 20 Jahre.
SPIEGEL: Wie oft haben Sie da Ihren Vater gesehen?
Speer: Es gab jährlich einen Besuch von zweimal einer halben Stunde. Es war jedes Mal eine Anstrengung, ihn zu unterhalten. Sie können sich nicht vorstellen, wie lang eine halbe Stunde sein kann.
SPIEGEL: 1966 wurde Ihr Vater aus dem Gefängnis entlassen. Er starb 15 Jahre später. Zeit, sich mit ihm auseinander zu setzen?
Speer: Eigentlich nicht. Ich war mit dem Aufbau meines Büros beschäftigt, habe ihn zwar ab und zu gesehen, habe aber nicht die Diskussion gesucht. Er wurde ja von allen Seiten beansprucht. Ich bin auf Distanz geblieben, so wie das vorher auch der Fall war.
SPIEGEL: Sie haben sich also ein Leben lang zum Kontakt zu Ihrem Vater gezwungen?
Speer: Nein, wir haben schon zu ihm gestanden, das war selbstverständlich, aber nicht ganz leicht. In der Spandauer Zeit durften wir jede Woche einen Brief schreiben, und unsere Mutter hat peinlich darauf geachtet, dass wir das auch taten. Jeder von uns hatte eine Anzahl von Worten, die er erfüllen musste. Wir durften insgesamt 1500 Worte schreiben. Meine Mutter sagte dann immer: "Albert, du bist dran, du machst 500 Worte und Fritz 300", und so weiter.
SPIEGEL: In der Fest-Biografie bleibt eines rätselhaft: Es wird nicht klar, was für ein Verhältnis Ihr Vater und Ihre Mutter zueinander hatten. War es eine Ehe ohne Liebe?
Speer: In meiner Familie sind Emotionen vielleicht ein bisschen zu kurz gekommen. Die drückte man nicht aus. Meine Mutter war eine ungeheuer tapfere Frau, die aus
sechs Kindern etwas gemacht hat. Aber sie war auch herb. Das einzige Mal, dass ich Tränen in ihren Augen gesehen habe, das war, als ich das erste Mal durchs Abitur gefallen bin. Was meine Eltern betrifft: Es
gibt ein Foto nach ihrer Hochzeit, das alles sagt. Da laufen beide über den Ku''damm,
* Mit den Redakteuren Susanne Beyer und Dietmar Pieper in seinem Frankfurter Büro.
nicht Arm in Arm, sondern richtig schön auf Distanz. Genauso war es zwischen den beiden. Selbstverständlich zusammen und doch irgendwie fremd.
SPIEGEL: Haben Sie sich mit der Architektur Ihres Vaters befasst?
Speer: Ein bisschen, nicht intensiv. Wenn Sie die Gesamtplanung von Berlin - ich meine nicht die große Achse und nicht den abstrusen Germania-Dom - mal vergleichen mit dem, was Le Corbusier zur gleichen Zeit für Paris geplant hat, Infrastrukturen mit Ober- und Unterführungen und so, dann ist das sehr ähnlich. Die Arbeit meines Vaters war also in dieser Hinsicht offenbar zeitgemäß. Auch seine Idee, die Bahnhöfe herauszulegen, die Bahn in Berlin nur noch auf dem S-Bahn-Ring verlaufen zu lassen und die Innenstadt frei von Schienen zu halten, finde ich sinnvoll. Nach der Wende 1989 hat man die Schienen über den Lehrter Bahnhof wieder in die Stadt hineingezogen - ob das gut war oder nicht, dazu möchte ich nichts sagen.
SPIEGEL: Sie schätzen also die Pläne Ihres Vaters?
Speer: Nein, die Riesen-Achse war verrückt. Aber als Architekt hat er teilweise schöne Sachen gemacht. Wenn Sie die Rückseite der Neuen Reichskanzlei nehmen: ein gelungener klassizistischer Bau.
SPIEGEL: Was halten Sie denn vom neuen Bundeskanzleramt?
Speer: Das überrascht mich in seinen Dimensionen. Das ist ja riesig. Man muss aber seine Fertigstellung abwarten, um es beurteilen zu können.
SPIEGEL: Hatten Sie eigentlich jemals in Ihrem Leben die Möglichkeit, ganz aus dem Schatten Ihres Vaters herauszutreten?
Speer: Den Schatten gibt es leider bis heute. Mit dem Phantom meines Vaters muss ich leben. Die letzte Geschichte ist keine 14 Tage her. Ich war im Frankfurter Presseclub eingeladen, um das Europaviertel vorzustellen. Der Präsident des Clubs hatte ein Fax bekommen, das er erst nach der Veranstaltung gelesen hat. Da forderte ein Mitglied, man solle den Speer entweder ausladen oder zur Zwangsarbeiterfrage während der Nazi-Zeit befragen. Absurd.
SPIEGEL: Hatten Sie berufliche Nachteile durch Ihren belasteten Namen?
Speer: Ja sicher. In Berlin habe ich Projekte nicht durchgekriegt - dafür gibt es eindeutige Hinweise - wegen meines Namens. Ich verstehe auch, dass es nicht in aller Welt heißen soll, Albert Speer baut in Berlin. Insgesamt muss ich jedoch sagen: Es grenzt oft an Sippenhaft, was mir passiert. Vieles läuft zwar hinter meinem Rücken, aber mir hat auch schon jemand in einer fachlichen Diskussion vorgeworfen: "Ich verzeihe Ihnen Ihren Vater nicht."
SPIEGEL: Es klingt zynisch, aber hat Ihnen Ihr bekannter Name nicht auch Vorteile gebracht? Größere Neugierde auf Ihre Projekte?
Speer: Ich bilde mir ein, ich habe mir meinen Namen aus eigener Kraft gemacht. Der ganze Start in meine Selbständigkeit lief ausschließlich über anonyme Wettbewerbe.
SPIEGEL: Wie haben Sie versucht, sich beruflich von Ihrem Vater abzugrenzen? Speer: Mein Büro hat sich immer bemüht, international tätig zu sein, wir sind geradezu versessen aufs Ausland, planten und planen für Saudi-Arabien, Afrika, Nepal, China. Das ist mir sehr wichtig.
SPIEGEL: Sie haben sich für die Stadtplanung entschieden, Ihre Arbeit ist unsichtbarer als die des Architekten, der Häuser entwirft. Hängt der Wunsch nach Unsichtbarkeit auch mit Ihrem Vater zusammen?
Speer: Das glaube ich nicht. Ich wäre nie ein hervorragender Architekt geworden. Dafür habe ich exzellente Leute. Wie gesagt, meine Fähigkeiten liegen in der Moderation, in der Planung, und ich glaube, wenn Sie sich umhören, welches das wichtigste Planungsbüro in Deutschland ist, dann ist das wahrscheinlich ASP, also Albert Speer und Partner. Darauf darf ich, glaube ich, schon stolz sein.
SPIEGEL: Herr Professor Speer, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.