Theater Das Urteil von Peking
Es ist eine schwierige Entscheidung, sie führt mitten ins Spannungsfeld von Gehorsam und Gefühl. In Ferdinand von Schirachs Theaterstück Terror steht ein Pilot der Luftwaffe vor Gericht, der gegen den Befehl seiner Vorgesetzten verstoßen und eine Maschine mit 164 Menschen an Bord abgeschossen hat. Das Flugzeug war von einem Terroristen entführt worden und flog auf ein Fußballstadion zu. Ist er deshalb wegen Mordes zu verurteilen? "Terror" ist eines der erfolgreichsten zeitgenössischen Bühnenstücke, 60 Theater in elf Ländern haben es bisher gezeigt. Nun war es auch in China zu sehen. In Peking gastierte das Nürnberger Staatstheater mit fünf Vorstellungen. Es gehört zur Handlung des Stücks, dass am Ende der Aufführung die Zuschauer darüber abstimmen, welches Urteil sie fällen würden. Das chinesische Publikum plädierte in zwei Vorstellungen hauchdünn für einen Freispruch, in drei Aufführungen stimmte die Mehrheit für schuldig. In deutschen Theatern ergibt sich eine ganz andere Quote. 1110-mal wurde "Terror" hierzulande bisher aufgeführt, 1010-mal wurde die Figur des Piloten von den Zuschauern freigesprochen. Den chinesischen Veranstaltern war diese Art interaktiver Teilnahme an einem Theaterabend zunächst nicht ganz geheuer. Sie glaubten, dass die Zuschauer ohnehin kein Interesse daran hätten ihre Meinung in diesem heiklen Fall offen kundzutun. Die überaus rege Teilnahme bewies das Gegenteil. Eine Besucherin meinte: "Ich bin mir sicher, dass vielen von uns diese Vorstellungen Gelegenheit gaben, über Rechtsgrundsätze, die Rolle jedes Einzelnen im Staatswesen und unsere Verantwortung als Bürger nachzudenken."