11.12.2000
RECHTSEXTREMISMUSKämpfen, nicht weinen
Anleitungen zum Bombenbasteln im Internet, Sprengstofffunde in der Szene: Die Neonazis rüsten zum Angriff.
Der Mann gilt in Verfassungsschutzkreisen als "tickende Zeitbombe, die jederzeit explodieren kann". Er ist 24 Jahre alt, verehrt den neonationalsozialistischen Polizistenmörder Kay Diesner, steht immer wieder vor Gericht und heißt Stefan Michael Bar.
Als Kopf der "Nationalen Volksfront - Kameradschaft Neustadt/Weinstraße" verschreibt er sich der Anti-Antifa-Arbeit. Bar sammelt und veröffentlicht mit seinen Gesinnungsgenossen als "Anti-Antifa Saar-Pfalz" Daten über den politischen Gegner, wozu für ihn alle "Dämocraten" gehören. Das Ziel: "Alle, die uns terrorisieren, müssen mit Gegenmaßnahmen rechnen."
Jetzt ist der rheinland-pfälzische Neonazi, der unter anderem wegen Volksverhetzung und der Schändung jüdischer Friedhöfe zu einer mehrjährigen Jugendhaftstrafe verurteilt worden war und vorzeitig aus der Haft entlassen wurde, einen Schritt weiter gegangen. In dem rechtsterroristischen Szeneblättchen "Reichs-ruf", als dessen Macher Bar gilt, fordert er, den gewaltsamen politischen Umsturz "endlich einzuleiten".
Die Verfassungsschützer beobachten solche Entwicklungen mit Sorge. Auf der Herbsttagung des Bundeskriminalamts warnte Heinz Fromm, Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, vor "Ansätzen für einen rechtsextremistischen Terror". In seine Mahnung schloss Fromm auch die Gefahr einer "Herausbildung" entsprechender Strukturen ein und wies auf die zunehmenden Diskussionen in Neonazi-Kreisen hin, ob deren Ziele mit Gewalt durchgesetzt werden können.
Sprengstofffunde in der rechtsextremen Szene liefern weiteren Anlass zur Besorgnis. Unlängst wurde in Bremen die Wohnung eines 21-jährigen Arbeitslosen durchsucht, der zum Umfeld der neonationalsozialistischen "Kameradschaft Bremen-Nord" gehört. Dabei stießen die Fahnder auf 90 Gramm eines selbst gefertigten, hochexplosiven Sprengstoffs, der für einen Anschlag auf ein Asylbewerberheim gedacht war.
Anleitungen zum Bombenbasteln finden Interessierte im Internet. Die Neonazi-Truppe "Kameradschaft Gifhorner Reichssturm", deren erklärtes Ziel "national befreite Zonen in der niedersächsischen Kleinstadt ohne Autonome und Ausländer" sind, bietet unter der Rubrik "Kanackenfeind-Terror" solche Rezepte an. Über Zünder, Giftmischungen und Materialbeschaffung können sich potenzielle Bombenbastler mühelos informieren. Für Norddeutschland, so die Einschätzung von Verfassungsschützern, ist diese Internet-Seite "von ganz neuer Qualität".
Noch fehlt, wie im Fall Bar, eine schlagkräftige Organisation hinter den Propagandisten von Terrorkonzepten. Von einer "braunen RAF" mag deshalb noch niemand sprechen. Die größte Gefahr sieht Rolf Peter Minnier, Präsident des Landesamts für Verfassungsschutz in Niedersachsen, daher in irrationalen Einzeltätern. "Wir können nicht ausschließen, dass einzelne Neonazis glauben, eine terroristische Mission erfüllen zu müssen."
Auch der Neonazi Bar, der Hitlers Waffen-SS verehrt, favorisiert das amerikanische Konzept vom "führerlosen Widerstand" ("Leaderless Resistance"), das Louis Beam 1992 veröffentlichte. Beam, Veteran des amerikanischen Rechtsextremismus, setzt auf die autonomen Aktionen geheimer Widerstandszellen, die untereinander nicht in Verbindung stehen. Hierarchien oder ein Führer fehlen bewusst in diesem Konzept. Das die Kampftruppen einende Band ist die Ideologie, nicht aber die Befehlsstruktur. Die Terrorzellen sollen unabhängig voneinander losschlagen und niemals einem Hauptquartier von ihren Aktionen berichten.
Diesem Vorbild, das in Schweden bei Rechtsextremen schon auf viel Resonanz gestoßen ist, folgt auch die Terrorpostille "Reichsruf # 7", dessen Druckvorlage bei einer Hausdurchsuchung in der Wohnung Bars im Spätsommer dieses Jahres beschlagnahmt wurde. Der anonyme Autor warnt seine Gesinnungsgenossen ausdrücklich vor dem Leben im Untergrund. Die beste Tarnung sei eine bürgerliche Existenz: "Wir müssen aus dem Verborgenen operieren und unerkannt bleiben", empfiehlt der Autor.
Das hochmilitante Papier, gespickt mit vermeintlichen Zitaten der RAF-Mitbegründerin Ulrike Meinhof und von Ché Guevara ("Wir müssen endlich aufhören, zu weinen und anfangen zu kämpfen") kursiert seit einigen Tagen in der Neonazi-Szene, trotz beschlagnahmter Druckvorlage, als Notausgabe. Auch dem gutmütigsten und geduldigsten Kameraden, so die Parole, müsse endlich klar werden, das System lasse sich nur mit einem Mittel beseitigen: "Nackter und kalter Gegengewalt." ANTON MAEGERLE,
CHRISTOPH MESTMACHER
Von Anton Maegerle und Christoph Mestmacher
DER SPIEGEL 50/2000
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