FDP Mölli mobbt
Zuletzt hatte sogar der Gegner Mitleid. Es sei "unanständig", barmte SPD-Fraktionschef Peter Struck kurz vor dem Weihnachtsabend, "wie mit Herrn Gerhardt umgegangen wird".
Das Mobbing der FDP gegen ihren Vorsitzenden hat wieder einmal einen Höhepunkt erreicht. Pünktlich zum traditionellen Dreikönigstreffen am kommenden Wochenende in Stuttgart machen vorgebliche Parteifreunde Jagd auf ihn. Gerhardt solle endlich sein Amt räumen und Platz machen für Generalsekretär Guido Westerwelle.
So wünscht es sich jedenfalls Jürgen Möllemann. Kurz vor Weihnachten hatte der nordrhein-westfälische FDP-Chef fleißig das Gerücht gestreut, Westerwelle habe intern seine Kandidatur für den Posten des Parteichefs bekannt gegeben.
"Wir haben Gerhardt satt", ließ Möllemanns Kumpel, der schleswig-holsteinische FDP-Fraktionsführer Wolfgang Kubicki, prompt ausrichten. Westerwelle hingegen sei "der geeignete Kandidat, die Partei nach vorn zu bringen", verkündete Brandenburgs FDP-Chefin Claudia Lehmann. Auch die anderen Parteikollegen seien aufgefordert, sich nun zwischen Gerhardt und Westerwelle zu entscheiden, ermunterte Möllemann. Jeder müsse "wissen, wen er als Verbündeten haben will".
Dabei kommt Westerwelle die Debatte höchst ungelegen. Eigentlich hatte das ewige Talent geplant, eine Kandidatur nicht vor den Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg am 25. März offiziell bekannt zu geben. Jede frühere Personaldiskussion, so seine Befürchtung, könne ihm den Ruf des Königsmörders einbringen und seinem eigenen Ansehen schaden: "Das Volk liebt den Verrat", schwant ihm, "aber nicht den Verräter."
Nun aber ist Westerwelle unter Zugzwang. Altliberale wie Otto Graf Lambsdorff und Günter Rexrodt wollen ihm ein Geständnis abpressen: Sollte er tatsächlich planen, gegen Gerhardt anzutreten, müsse er umgehend seinen Posten als Generalsekretär räumen.
Auch Mölli mobbt fleißig weiter. Zwar darf er bei der liberalen Großkundgebung am kommenden Samstag im Stuttgarter Staatstheater nicht auftreten. Baden-Württembergs FDP-Chef Walter Döring hatte dem Querulanten einfach das Rederecht entzogen.
Aber nun hat sich Möllemann wieder selbst eingeladen - für den Landesparteitag tags zuvor. Noch vor der Mittagspause will er den Zwist "mit einer aufrüttelnden Ansprache" neu anfachen. Gerhardt, so Möllemann, müsse sich die Frage gefallen lassen, "warum er sich und uns das alles überhaupt noch antut".
Ja, warum eigentlich? Seitdem Gerhardt vor fünfeinhalb Jahren das Amt des Parteichefs übernahm, ist kaum ein Monat vergangen, ohne dass ihm eigene Leute den Rücktritt nahe legten. Mal beschimpfte ihn Kubicki als "lahme Ente". Mal war es Möllemann, der ihm bescheinigte, ein "ganz kleines Licht" zu sein.
Gerhardts Biografie liest sich wie die Musterkarriere des treuen Parteisoldaten. Schnurgerade führte sein Weg vom liberalen Hochschulverband über die FDP-nahe Friedrich-Naumann-Stiftung und das hessische Landesparlament bis in den Berliner Reichstag. Seinen Doktortitel verdankt der treue Funktionär einem Besinnungsaufsatz über "Das bildungspolitische Programm der FDP von 1945 bis 1951".
Die junge Risikogeneration, in der Gerhardt viele potenzielle FDP-Wähler ausgemacht haben will, kann mit dem Mann ohne Charisma nichts anfangen. Nahezu unerkannt drückte sich Gerhardt bei einem lockeren Treffen junger Unternehmer in der Berliner Börse herum. Dass er sein Bier aus der Flasche trinken sollte, war ihm sichtlich unangenehm.
Schief ging auch sein Versuch, mit Schülern des Paulus-Praetorius-Gymnasiums im brandenburgischen Bernau ins Gespräch zu kommen. Die Schüler bedrängten ihn wegen marodierender Skinheads und Rechtsradikaler. Gerhardts Antwort lautete: "Es gibt Menschen, die fallen einfachen Erklärungssystemen anheim." Da erfasste selbst den zappeligsten Schüler bleierne Müdigkeit.
Auch die Fraktion im Reichstag ist unter Gerhardts Führung sanft entschlummert. Stellungnahmen eines "agrarpolitischen Sprechers" Ulrich Heinrich ("Hängepartie beim Agrardiesel endlich beenden"), einer "weinbaupolitischen Sprecherin" Marita Sehn ("Roter Wein für rote Flaschen") oder eines "Sprechers für Schifffahrt und Häfen" namens Hans-Michael Goldmann ("Minimalerfolg in Sachen Schiffsicherheit") haben bestenfalls komödiantischen Wert. Von der Öffentlichkeit wahrgenommen werde man derzeit nur noch mit Personaldebatten und Stänkereien, klagt ein Fraktionsmitglied über das harte Brot der Opposition.
Mit Verzweiflung drängt es frustrierte Liberale zurück an die Macht - ohne ihren derzeitigen Chef. Seine "limitierte politische Reputation" beziehe Gerhardt ohnehin nur aus seinem Zusammenspiel mit Westerwelle, höhnt Möllemann. Er könne sich folglich nicht vorstellen, dass dieser künftig "noch Lust auf ein Amt in Berlin hat".
Mehrmals trafen sich Westerwelle und Möllemann in den letzten Wochen in kleinem Kreis, um die Strategie für den kommenden Bundestagswahlkampf abzusprechen. Ihren Vorsitzenden hatten sie dazu nicht eingeladen. ALEXANDER NEUBACHER