FDP Rollende Kanonenkugel
Um 17.04 Uhr gab Wolfgang Gerhardt auf. Stundenlang hatte sich der völlig übermüdete FDP-Vorsitzende am vergangenen Donnerstag im feinen Hamburger Hotel Atlantik mit seinem Generalsekretär zum Showdown verschanzt. Lange hatte der zögerliche Guido Westerwelle den Schritt gescheut, nun drohte er Gerhardt offen mit einer Kampfkandidatur.
Unter zwei Bedingungen gab der bedrängte Parteichef schließlich auf: Sein Erzfeind Jürgen Möllemann dürfe nicht Spitzenkandidat der FDP im Wahlkampf werden. Außerdem brauche er eine "öffentliche Zusage", dass er auch weiterhin eine wichtige Rolle bei den Liberalen spielen werde.
Tatsächlich wird der blasse Gerhardt als Fraktionschef wohl endgültig unsichtbar werden. Um die Rochade glaubhaft als Generationenwechsel zu verkaufen, muss Westerwelle frische Gesichter präsentieren. Mit einer Leibgarde junger Politiker will er die Liberalen wieder an die Macht führen und die Grünen aus der Regierung verdrängen.
Seit längerem arbeitet Westerwelle daran, seine Gefolgsleute aufzubauen. Die
Leitung dreier Programmkommissionen übertrug er drei jungen Vorstandsmitgliedern, um sie für künftige Aufgaben zu testen. Am besten schlug sich Martin Matz, 35, der die Wirtschafts- und Sozialpolitik betreute. Nun kann sich der Betriebswirt und Bankkaufmann Hoffnungen auf den Posten des Generalsekretärs machen.
1996 übernahm Matz vom früheren Bundeswirtschaftsminister Günter Rexrodt die desolate Berliner FDP. Zwei Jahre später suchte er entnervt sein Heil als Mittelstands-Lobbyist in der Wirtschaft, gerade wechselte er in ein Berliner Technologie-Unternehmen. Als Direktkandidat posierte Matz ("Ich will auffallen") bei der Bundestagswahl im Bezirk Mitte/Prenzlauer Berg im Yuppie-Outfit mit Golf und fiel erwartungsgemäß durch. Im Bundesvorstand spielte er aber als Sozial- und Wirtschaftsexperte eine zunehmend wichtige Rolle.
Falls Matz wider Erwarten in der New Economy ausharren will, steht als zweite Anwärterin Silvana Koch-Mehrin, 30, bereit, die als Unternehmensberaterin in Brüssel lebt. Westerwelle lobte sie bereits als "Powerfrau mit Durchsetzungsvermögen".
Verlängerter Arm des künftigen Parteichefs in die Fraktion soll noch stärker als bisher der sozialpolitische Sprecher Dirk Niebel, 37, werden. Westerwelle versuchte bereits, den Hobby-Rugbyspieler auf den Posten eines Parlamentarischen Geschäftsführers zu bugsieren.
Hinter den Kulissen setzt der designierte Parteichef auf bewährte Vertraute. Das System Westerwelle funktioniert im Prinzip wie die "Harald Schmidt Show": Den Brainpool bilden Bundesgeschäftsführer Hans-Jürgen Beerfeltz, Parteistratege Stefan Kapferer und der Bundestags-Büroleiter Dirk Schattschneider. Sie bereiten vor, was der Mann im Vordergrund als One-Man-Show verkauft.
Einen allerdings muss Westerwelle noch in den Griff bekommen: Jürgen Möllemann. Vergangenen Sommer hatten sich die beiden gegen Gerhardt verbündet. Westerwelle sicherte dem NRW-Landeschef zu, ihn zum Kanzlerkandidaten zu machen. Im Lauf der Monate allerdings ist dem Generalsekretär offenkundig klar geworden, dass er dann zum unbezahlten Sprecher Möllemanns geworden wäre.
"Möllemann ist versenkt", hofft man nach der Einigung zwischen Westerwelle und Gerhardt im Lager seiner Gegner. Das wäre das erste Mal. Der Münsteraner will weiter Kanzlerkandidat werden und die Delegierten beim kommenden Bundesparteitag Anfang Mai in Düsseldorf auf seinen Kurs einschwören.
Die Leitfigur möchte Westerwelle aber selbst geben. Schon hat er Rainer Brüderle aus Rheinland-Pfalz und den baden-württembergischen Landesfürsten Walter Döring um Unterstützung gebeten. Es gelte, Möllemann in die Schranken zu weisen. Dieser solle nur eine "wichtige Rolle im Wahlkampf" spielen. Westerwelle, drängen Berater, müsse seinen Einfluss in Nordrhein-Westfalen ausweiten, wenn er nicht Chef von Möllemanns Gnaden bleiben wolle.
Der Machtkampf um die FDP-Spitze, so scheint es, geht weiter. Nur findet er nun in Düsseldorf statt. Es geht um die Stimmen des größten Landesverbands. Denn für seine Wahl zum Parteivorsitzenden braucht Westerwelle die Unterstützung der 166 Delegierten. Und die sind, noch, Möllemann verpflichtet. Schließlich holte der bei der Landtagswahl fast 10 Prozent der Wählerstimmen.
Seit dem Wochenende hat der Brainpool also eine neue Aufgabe: schleunigst zu überlegen, was man Möllemann anbieten kann, damit der nicht weiterhin als lose Kanonenkugel über das liberale Deck rollt. "Wenn Westerwelle nicht nach Möllemanns Pfeife tanzt", droht ein Liberaler aus Nordrhein-Westfalen, "zettelt der den nächsten Aufstand an."
TINA HILDEBRANDT, ALEXANDER NEUBACHER