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Der Mann meint es ernst. Auch eine deutliche Rüge seines obersten Dienstherrn brachte den Präsidenten der Technischen Universität München (TUM), Wolfgang Herrmann, nicht von dem Vorhaben ab, seine Studenten an der Finanzierung ihres Studiums zu beteiligen.
Reine "Sandkastenspiele", schimpfte Bayerns Wissenschaftsminister Hans Zehetmair (CSU), nachdem sein forscher Uni-Chef auf der akademischen Jahresfeier der TU im Dezember seinen Plan, neue Wege der Studienfinanzierung zu gehen, vorgestellt hatte. Herr Herrmann solle nicht den Eindruck erwecken, wies Zehetmair seinen verbeamteten Professor zurecht, als ob er am bayerischen Gesetzgeber vorbei durch die Hintertür Studiengebühren einführen könne. Zehetmair: "Ein reiner Trugschluss." Das Erststudium an einer bayerischen Hochschule sei und bleibe gebührenfrei.
Also sprach der zuständige Minister und glaubte, damit das leidige Thema, dessen Diskussion ihm vor den bayerischen Landtagswahlen im Herbst politisch nicht korrekt erscheint, vom Tisch zu haben.
Doch Herrmann ist zäh und denkt nicht daran, den bereits seit Monaten laufenden Entscheidungsprozess an der TUM zu stoppen. Für Ende März hat er alle Rektoren der bayerischen Hochschulen zu einer Klausur zu diesem Thema nach München eingeladen. Danach soll an der TUM sofort mit der Umsetzung begonnen werden - mit ersten Konsequenzen schon für das kommende Wintersemester. "Wir sind es einfach leid", so der Präsident, "uns mit dem Bestehenden abzufinden."
Der Zustand deutscher Universitäten, da sind sich selbst eingefleischte Gegner jeglicher finanziellen Belastung der Studenten für ihr Studium mit Herrmann einig, ist international betrachtet eher beklagenswert. Schon heute fehlten, so der Professor, zwischen drei und vier Milliarden Euro, um auch nur die gravierendsten Schäden an Deutschlands Lehrinstituten zu reparieren.
Während leere öffentliche Kassen zum Personalabbau auch an den Hochschulen zwingen, steigt die Zahl der Studenten bis 2010 nach einer Prognose der Kultusministerkonferenz um knapp 150 000 auf dann 2,01 Millionen. Besteht der Staat weiterhin auf seinem Finanzierungsmonopol, dann geht es mit der Ausbildung an deutschen Universitäten tendenziell weiter bergab.
Nicht nur in München nimmt deshalb der Druck zu, über Selbsthilfe nachzudenken und darüber, ob die Illusion noch zu halten ist, ein nur vom Staat finanziertes, kostenfreies Studium könne Chancengleichheit im Bildungssystem garantieren.
Nein, sagen Reformwillige wie Herrmann. Tatsächlich zieht das wichtigste Argument gegen jegliche Aufweichung des staatlichen Finanzierungs- und Regelungsmonopols, ein Eigenbeitrag der Studenten fördere soziale Selektion, schon lange nicht mehr. Wie die 15. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerkes ergeben hat, nehmen 72 Prozent der Kinder aus vermögenden Familien ein Studium auf, aber nur 8 Prozent des Nachwuchses aus Arbeiterkreisen. Obwohl in Deutschland keine Gebühren erhoben werden, hat sich die Situation der Studenten aus sozial schwachem Elternhaus stetig verschlechtert, während in vielen Ländern mit Studiengebühren mehr Studenten aus einkommensschwachen Schichten kommen. Zwischen 1992 und 1999 ist in Deutschland der Anteil der Studienanfänger, deren Eltern nur Volksschulbildung haben, um über zehn Prozent gesunken, während etwa in Spanien, einem Land mit Gebühren, immerhin 22 Prozent der Arbeiterkinder ein Hochschulstudium beginnen.
Die volle Finanzierung des Studiums - das immer noch der wichtigste Einstieg zum Aufstieg in der Gesellschaft ist - durch die Steuerzahlergemeinschaft bedeutet nichts anderes als eine Umverteilung von unten nach oben.
Kaum durchsetzbar allerdings wäre eine Reform der Finanzierung, die dem bestehenden unsozialen Finanzsystem über Steuern eine weitere unsoziale Komponente hinzufügen würde.
Das ist auch den Planern an der TU München klar. Ihr oberstes Credo heißt deshalb: Eine Beteiligung der Studenten an der Finanzierung ihrer Bildungszukunft darf nicht zu einem weiteren Ausleseprozess führen, bei dem die Qualität der Ausbildung von den finanziellen Möglichkeiten des Auszubildenden abhängt.
Zumindest theoretisch haben die TUM-Planer dieses Problem mit ihrem derzeit diskutierten Gebührenmodell gelöst. Die Idee: Über die staatliche Finanzierung hinaus, die weiterhin uneingeschränkt gefordert wird, bietet die Universität Zusatzleistungen, für die jeder Student, gestaffelt nach Studienrichtungen, einen "Bildungsbeitrag" leisten muss.
Solche Zusatzleistungen sollen allumfassend das ganze studentische Leben einbeziehen, von zusätzlichen Kursen während der Semesterferien bis hin zur Wohnungssuche und zum Jobangebot in Zusammenarbeit mit interessierten Unternehmen.
Um gar nicht erst den Verdacht aufkommen zu lassen, dass finanzielle Leistungsfähigkeit den Entschluss, an der TUM zu studieren, beeinflussen könnte, sollen die Studienkandidaten in einem Auswahlverfahren zuerst für das Studium zugelassen werden. In einem zweiten Schritt soll dann über ein für jeden zumutbares Darlehenssystem je nach Bedarf die Geldfrage geregelt werden.
Für seinen Beitrag, wirbt Herrmann, soll der Student vertraglich garantierte Gegenleistungen der Universität einfordern können. Das, so hofft er, erhöht den Leistungsdruck auf beiden Seiten. Marktwirtschaft und Wettbewerb sollen auch auf dem Campus herrschen - zum Wohle aller Beteiligten.
Das klingt gut. Das klingt nach der heilen Welt amerikanischer Eliteuniversitäten, in denen Lernende, Lehrende und Ehemalige sich ein Leben lang als Yale- oder Harvard- "Buddies" sehen.
Doch die Idee, auf Deutschland übertragen, würde die jahrhundertealte Hochschullandschaft hier zu Lande umpflügen. Studiengänge würden unterschiedlich teuer sein. Eliteuniversitäten mit hohen Preisen und noch höherem Anspruch würden andere Hochschulen hinter sich lassen. Das Ende der deutschen Fiktion, dass jedes Abitur zum Studium an jeder Universität mit gleicher Qualität befähige, wäre gekommen.
Nicht nur die Beharrungskräfte des Bestehenden müssten überwunden werden. Derzeit rechnen im Auftrag der TUM Finanzierungsinstitute durch, ob es sich überhaupt unternehmerisch lohnt, die Beiträge der Studenten gegen moderate Zinszahlung bis zum Ende des Studiums vorzuschießen und dann, wenn der Jungakademiker Geld verdient, in vertretbaren Raten zurückzufordern.
TUM-Chef Herrmann ist sich sicher, dass diese Probleme lösbar sind. Mit den ersten Leistungsverbesserungen aus dem Reformkatalog soll in der TUM-Fachschaft Mathematik schon im Wintersemester 2003/04 begonnen werden. Das ganze Konzept soll dann "bis kurz vor die Einführung des Bildungsbeitrages" (Herrmann) vorangetrieben werden.
Sehe Zehetmair erst den Erfolg, so die Erwartung der TUM-Reformer, dann werde er auch dem letzten Schritt zustimmen. "Wir sind kein typischer Staatsbetrieb", beharrt Herrmann auf seinem Reformkonzept, "wir wollen und müssen eine unternehmerische Universität werden."