UMWELT Fluss auf dem Trockenen
Ein weißes Motorschlauchboot stört knatternd die Idylle. Zwei Männer sitzen darin und streiten. Ihre Stimmen hallen über die stille Müggelspree. "Ich will Ihnen mal was sagen!", schimpft der Ingenieur Frank Krüger, angetan mit schwarzer Lederweste, das Hemd darunter brustoffen, die Füße in Flechtsandalen. "Hier soll jetzt alles losgehen, ja, Herr Pusch, aber es ist noch nichts, gar nichts abgestimmt!"
"Aber, Herr Krüger, es ist doch beschlossene Sache, dass wir etwas machen müssen!", ruft Martin Pusch, leicht schwäbelnd, ein Ökologe vom Berliner Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei. Fest sieht er seinen Widersacher an - ihn muss er überzeugen, denn Krüger ist wohl der mächtigste Mann Brandenburgs, wenn es um größere Flüsse und Seen des Landes geht: Jede wasserbauliche Maßnahme, jede Spundwand, jedes Wehr müssen er und seine Leute technisch prüfen und genehmigen - oder ablehnen. Puschs Arm umfasst im Bogen den Fluss, die Ufer, die Wiesen dahinter. "Gucken Sie sich das Drama hier doch mal an!"
Zu sehen ist - nichts von Drama. Nur Idylle: Weidenzweige wiegen sich über dem Wasser, ein Reiher zieht darüber hinweg. Am Ufer rascheln Rohrkolben, davor leuchten gelb die Teichrosen, und der Schwan scheint zu schweben auf den weichen Wellen. Vor ihm zucken Dutzende Prachtlibellen über den Fluss, unerhört blau wie Bilder von Yves Klein. Im Ufergehölz ruft ein Kuckuck.
"Der Anblick täuscht", sagt Pusch. "In Wahrheit ist die Spree eine Patientin. Sie hängt am Tropf!" Wenn der Sommer im Ganzen gesehen so heiß und trocken bleibt, wie es der Frühling war, befürchtet der Limnologe, könnten ökologische Horrorszenarien wahr werden: Der Fluss bliebe stellenweise stehen, Fische stürben, Muscheln erstickten im Schlamm, Algengifte reicherten sich an. Manche Experten warnen, dass selbst das Berliner Trinkwasser, das zum Teil aus der Spree gewonnen wird, unter der Trockenheit leiden könnte.
Martin Pusch hat vor drei Jahren den Hauptstadtfluss eingehend untersucht, vom Ufer bis zur Sohle. Dabei haben er und seine Mitarbeiter entdeckt, wie fragil das mit Wehren, Schleusen und Ufermauern künstlich im Gleichgewicht gehaltene Flüsschen ist. Seitdem ist die Spree sein Baby, seitdem will der Limnologe sie retten und redet um ihr Leben bei Leuten wie Krüger, der die geplanten Ökomaßnahmen zum Teil falsch findet und sich auch gern mal über Naturschützer lustig macht.
Erschreckend vor Augen steht den Ökologen der heiße Sommer 2000, in dem die Spree vor lauter Wasserarmut stellenweise gar rückwärts zu fließen drohte. Damals trockneten Nebenarme komplett aus. Die Brandenburger schlossen einen Sondervertrag mit Sachsen, der in Deutschland ohne Beispiel ist: Seitdem laufen pro Jahr zusätzlich bis zu 20 Millionen Kubikmeter Wasser aus den sächsischen Talsperren Bautzen und Quitzdorf (siehe Karte) in die Spree - eine Notration, deren Bereitstellung eine halbe Million Euro kostet.
Die sächsische Reserve musste in diesem Jahr so früh angebrochen werden wie noch nie: Bereits am 12. Juni öffnete sich der Ablauf, um mehr Nass in die Spree zu lassen. Zwar zeigte sich der Juli wenigstens anfangs ein wenig nasser - doch selbst wenn dieser Sommer doch noch völlig verregnet werden sollte, wäre die Spree noch lange nicht gerettet: In einer gerade erst veröffentlichten Studie des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung behaupten Forscher, dass es in Brandenburg - zwar gewässerreich, aber vom verfügbaren Wasservorrat her so trocken wie Südsibirien oder Mexiko - in den nächsten 50 Jahren noch sonniger werden wird und die Temperaturen um 1,4 Grad steigen könnten. Vor allem - ein Drama für die Wasserbilanz des Landes - wird es der Prognose zufolge noch weniger regnen. "Da kann man nur noch um Regen beten", sagt Matthias Freude, Präsident des Brandenburger Landesumweltamtes (Lua). "Nur, dass das gar nichts bringt."
Um die 382 Kilometer lange Spree unabhängig von der Reanimation aus Sachsen zu machen, wollen die Ökologen ihr dauerhaft die Widerstandskraft gegen Dürre zurückgeben. Dazu soll das Flüsschen an drei Abschnitten weitgehend in den Naturzustand zurückversetzt werden - über eine der Stellen, die Müggelspree (siehe Karte), streiten sich Pusch und Krüger.
Eigentlich ist die Spree von Natur aus eher Flüsschen als Fluss: "Probleme mit Niedrigwasser hatten die Berliner schon 1910, 1920", sagt Dietrich Jahn, in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung zuständig für Wasserwirtschaft. Wie konnte es dann aber dazu kommen, dass niedrige Pegelstände sich plötzlich zu einem solchen Ökoproblem auswuchsen?
Die Krankengeschichte der Spree begann spätestens Anfang des vorigen Jahrhunderts, als Ingenieure den sich windenden, von Auen gesäumten Fluss der Schifffahrt und der Landwirtschaft zuliebe im großen Stil begradigten, vertieften und seine Ufer mit Steinen befestigten.
Bald nach dem Krieg begannen dann Tagebauingenieure in der DDR die Spree als Abflussrinne zu missbrauchen: Um die Braunkohle in der Lausitz abbaggern zu können, mussten sie das Grundwasser künstlich niedrig halten. Sie pumpten es in die Spree; die leitete es fort - über die Havel via Elbe bis in die Nordsee.
Um 13 Milliarden Kubikmeter Grundwasser auf einer Fläche von der Größe des Saarlandes war der "Energiedistrikt der DDR" insgesamt erleichtert worden. Diese Menge Wasser würde sechsmal den Chiemsee füllen, den größten See Bayerns. Entsprechend rauschte jahrzehntelang mehr als zehnmal so viel Wasser wie heute durch die Spree. Diese Massen gruben das Flussbett immer tiefer in den brandenburgischen Sand.
Als in den neunziger Jahren der Tagebau größtenteils stillgelegt wurde, lief es dann genau andersherum: Von dem wenigen Wasser, das ihr noch blieb, muss die Spree seither auch noch abgeben. Immer wenn es mal geregnet hat, wenn der Pegel mal ein bisschen höher steht, wird das überschüssige Nass abgezwackt und in die gigantischen "Restlöcher" des Tagebaus transfundiert.
Die Lausitzer Sanierer wollen nämlich die Mondlandschaft aus Canyons, Abraumhalden und leblosen Gewässern in eine "einzigartige Wasserwelt" verzaubern, in der sich ein "in Europa einmaliges Spektrum an Sport-, Erholungs-, Arbeits- und Wohnmöglichkeiten" entwickeln soll - vom "Wasserlandeplatz über Marinas bis hin zu schwimmenden Häusern". 44 Restlöcher sollen geflutet werden, 25 größere Gewässer die Landschaft prägen. Auf insgesamt über 130 Quadratkilometern kann der Wind dann in Wellen wühlen, einer Fläche größer als die Müritz in Mecklenburg. Dramatischer hat nur die letzte Eiszeit die Landschaft umgewälzt; nun modelliert hier Menschenhand.
Im Prinzip wird die Spree-Infusion gar nicht benötigt. Denn das lange verdrängte Grundwasser steigt langsam wieder empor und würde so langfristig von selber die Restlöcher füllen. Doch nach seiner Passage durch den mit Schwefelsäure angereicherten Braunkohleboden wäre das Wasser in den so entstandenen Seen sauer wie Essig - kein Fisch könnte darin überleben. Zum größten Teil dient daher ausgerechnet das kostbare Nass aus der Spree den Planern dazu, der bizarren Lausitzer Steppe wieder Leben einzuflößen. "Aber selbst wenn die Spree und ein kleinerer Nebenfluss vollständig in die Restlöcher laufen würden", rechnet Freude vor, "würde es noch 20 Jahre dauern, bis die voll wären."
Und im Moment läuft gar nichts. Die Spree führt seit Anfang Juni am Pegel Leibsch kurz hinter dem Spreewald, einem Binnendelta, nur noch zwischen zwei und vier Kubikmeter Wasser pro Sekunde. Geht das so weiter, wird aus dem ohnehin im Vergleich zu Seine, Tiber und Themse kläglichen Hauptstadtfluss endgültig ein Rinnsal, über das der Kanzler in Berlin von seinem Amtssitz aus hinüberspucken könnte.
Inzwischen ist sogar die Reserve aus im Winter aufgestautem Wasser in der brandenburgischen Talsperre Spremberg aufgezehrt. Der Stausee läuft langsam leer, der Pegel liegt dort bereits 20 Prozent unterm geplanten Minimum. Hinzu kommt, dass es im Einzugsgebiet der Spree seit Jahresanfang nur halb so viel geregnet hat wie sonst. Das Grundwasser, ohnehin zu niedrig, steht um bis zu 70 Zentimeter tiefer als gewöhnlich.
"In der Krummen Spree müssen acht Kubikmeter pro Sekunde fließen", erklärt Pusch, "um Schäden im Flussökosystem zu vermeiden." Der Limnologe hatte unterhalb des Neuendorfer Sees über eine Strecke von 20 Kilometern 22 Millionen Großmuscheln und 120 Millionen Zebramuscheln gefunden. Die Tiere sitzen am Grund und filtern Schwebealgen heraus, die beim langen Verbleib des Flusswassers im See gewachsen waren - nach dieser Muschelwäsche ist das Wasser wieder klar. "Wenn da jedoch über zwei Monate kaum etwas fließt", erklärt Pusch, "gehen die Muscheln hops." Die Partikel aus verdauten Algen, feinster Schlamm, würde der Fluss nicht mehr abtransportieren, er würde sich am Grund ablagern - und die Muscheln erstickten in ihren eigenen Ausscheidungen. "Dann kippt der Fluss um."
Schon jetzt haben viele Fische ein Problem mit dem manchmal nur ungenügend vorhandenen Sauerstoff. Und mit der fehlenden Strömung: Arten wie der Döbel oder der Steinbeißer etwa schwimmen, vor allem seit das Wasser aus der Lausitz fehlt, nur noch äußerst selten in der Spree.
Die schnurrbärtige Barbe, einst Charakterfisch des Hauptstadtflüsschens, ist bis auf wenige ausgesetzte Exemplare verschwunden. Die Quappe, ein fettreicher Fisch, wimmelte früher einmal in solchen Massen durch den Fluss, dass getrocknete Tiere als Fackeln verwendet wurden - heute muss man lange nach einem Exemplar suchen. So könnte auf lange Sicht auch der Fischotter leiden, der ohnehin nicht gut zurechtkommt mit einer verbauten, begradigten Spree, deren steile Ufer ihm nur wenig Nahrung und Refugien bieten.
Gleichzeitig steigt vermutlich, wenn wenig Wasser fließt, die Konzentration an leberschädigenden Blaualgengiften in Berliner Gewässern, aus denen zu 60 Prozent das Berliner Trinkwasser gewonnen wird. Im Sommer 2000 hatten Wissenschaftler bei Stichproben Spuren der Toxine im Rohwasser einiger Förderbrunnen entdeckt. Im gereinigten und verdünnten Trinkwasser war dann allerdings nicht einmal mehr ein Nanogramm davon zu finden gewesen.
Pusch weiß genau, was auf Dauer gegen Algenblüte, Fisch- und Muscheltod zu tun wäre. Das Konzept ist einfach: Ufersteine abbaggern, Fluss-Sohlen erhöhen, die abgetrennten Mäander wieder öffnen. "Dann wird das Flussbett flacher, das Grundwasser steigt wieder, und die Auen werden ab und zu überflutet", erklärt der Ökologe. So kann sich das Wasser auch besser mit Sauerstoff anreichern - und vielleicht kehren Barbe, Quappe und verdrängte Pflanzen wieder.
Im Süden Brandenburgs, bei Cottbus, ist immerhin das umfangreichste Renaturierungsprojekt überhaupt geplant, "eine richtig große Sache", wie Matthias Freude vom Brandenburger Lua schwärmt. Deiche sollen teilweise zurückverlegt, die Überflutungsfläche dramatisch vergrößert werden. Das Geld dazu, einen zweistelligen Millionenbetrag, gibt der Energiekonzern Vattenfall, der dafür woanders einen neuen Braunkohletagebau baggern darf. Eine entsprechende Vereinbarung zwischen Brandenburg und dem Unternehmen soll noch im Juli unterschrieben werden.
Außerdem soll auch die Krumme Spree zwischen Neuendorfer See und Schwielochsee, die Pusch so genau untersucht hat, wieder ihrem Naturzustand angenähert werden: Elf Mäander, einst abgetrennt, um diesen Flussabschnitt schiffbar zu machen, wollen die Naturschützer nun wieder an den Flusslauf anschließen. Noch ist die Finanzierung nicht gesichert. Freude meint, dass trotzdem in drei Jahren mit dem Baggern begonnen werden könne.
Am weitesten gediehen ist das Projekt Müggelspree: Falls Pusch und Krüger sich einigen, könnte es im nächsten Jahr losgehen mit der Renaturierung des 32 Kilometer langen Teilstücks vor den Toren Berlins. Im Moment aber streiten sie noch.
Ingenieur Krüger findet es zum Beispiel nicht so gut, wenn die Spree in Zukunft breit und ungehemmt landwirtschaftliche Flächen überfluten würde. Im Schlauchboot die Spree hinuntertreibend, gestikulieren die Männer, zeigen auf Auen und Uferholz. "Ich kann mich doch nicht jahrelang in Utopien versteigen!", ruft Krüger. Noch ist nicht entschieden, ob er in der Sache das letzte Wort haben wird. RAFAELA VON BREDOW