SCHNUPFEN / MEDIZIN Pulver gegen Viren
An einem regnerischen Dezembermorgen des Jahres 1949 erschien der 28jährige Dr. Josef Klosa nicht zur gewohnten Stunde in seinem Berliner Labor. Er hatte sich zu Hause hingelegt, um einen starken Schnupfen auszukurieren.
Der Doktor schluckte eine Teelöffelspitze eines weißen, fast geschmacklosen Pulvers, das er selbst im Labor zurechtgemixt und für den Fall einer Erkältung mit nach Haus genommen hatte. Das Präparat, eine Benzil-Verbindung, war das Ergebnis einer jahrelangen intensiven Untersuchung auf dem Gebiet der Schnupfenforschung. Dr. Klosa hat sich ihr verschrieben, weil er selbst noch immer die Folgen einer Erkältung spürt, die in eine Gehirnhautentzündung ausartete und sein Gehör zerstörte.
Nach einer Stunde stellte der Arzt fest, daß sein Schnupfen stärker statt schwächer geworden war. Zwei Stunden später aber trat eine überraschende Wende ein: Die Schnupfensymptome begannen schnell abzuklingen. Es dauerte nur noch Stunden, bis Dr. Klosa seinen Schnupfen wieder los war.
Genau genommen, war jener Selbstversuch im Dezember 1949 die Geburtsstunde eines neuen medizinischen Wirkstoffes, der von Klosa zum erstenmal chemisch aufgebaut und auch in seiner Wirkung richtig erkannt worden war. Trotzdem hatte Dr. Klosa bis dahin erst die Halbzeit gewonnen, denn nun mußte noch nachgewiesen werden, daß der Erfolg nicht auf einem Zufall beruhte Es mußte auch nachgewiesen werden, daß das Mittel keine Nebenwirkungen hervorrief.
Noch am Mittag desselben Tages war Dr. Klosa wieder in seinem Labor, um weitere Mengen des neuen Wirkstoffes herzustellen, dessen zungenbrecherische chemische Bezeichnung Diphenyloxyessigsäuredimethylaminoäthylesterhydrochlorid er kurzerhand in "Diphemin" umwandelte.
Noch am selben Tag verteilte er das Präparat über befreundete Ärzte an verschiedene Krankenhäuser, die weitere Versuche an schnupfkranken Patienten durchführten. Die Erfolgsmeldungen, die ihn schon am nächsten Tag erreichten, bestätigten, daß er auf der richtigen Fährte war.
Vor wenigen Wochen attestierte ihm Dr. Leinert in der angesehenen "Münchener Medizinischen Wochenschrift": "Klosas Versuche ermunterten uns, das Mittel exakten Prüfungen zu unterziehen. Die dabei registrierte Erfolgsquote - rundweg 80 Prozent der Fälle - war so erstaunlich hoch, daß wir dem neuen Präparat unverhohlen eine souveräne Stellung innerhalb der neuen Schnupfenmittel attestieren möchten."
Es scheint, als habe die Medizin, nachdem sie schon längst so ausgefallene Leiden wie etwa die Ägyptische Augenkrankheit kurieren kann, endlich auch ein Mittel gegen den simplen, aber bislang unbesiegbaren Schnupfen gefunden.
Daß das Mittel - unter dem Namen Diphemin-Asaletten - erst in diesem Jahr auf den Markt kam, liegt zum Teil an den Zweifeln, mit denen die Fachwelt Klosas Entdeckung betrachtete. Vor allem die Frage der Toxizität, der Giftigkeit, stimmte die Pharmakologen bedenklich. Man war gewohnt, daß bei Tierversuchen mit Verbindungen ähnlicher Art Mäuse und Ratten scharenweise starben.
Seltsamerweise aber zeigte Diphemin eine außerordentlich geringe Toxizität. Tierversuche und Versuche am eigenen Körper bestätigten das immer wieder. "Fatale Reizungen sahen wir nie", schrieb auch Dr. Leinert später in der "Münchener Medizinischen Wochenschrift" "Wir konnten uns daher eine sehr hohe Dosierung ... unbekümmert erlauben. 20 Stück täglich eingenommen, riefen nicht die geringsten Störungen hervor."
1950 war Dr. Klosa so weit, daß er seine Beobachtungen zum erstenmal in der "Deutschen Medizinischen Wochenschrift" veröffentlichen konnte. Vier Jahre später, nach Überwindung der letzten Hürden vor der behördlichen Zulassung, begannen die Berliner Asal-Werke mit dem Verkauf des neuen Präparates.
Nun kann aber Dr. Klosa keineswegs für sich in Anspruch nehmen, als erster mit einem Schnupfenmittel herausgekommen zu sein. Die Suche nach einer derartigen Droge beschäftigt einen großen Teil der pharmazeutischen Forschung seit Jahrzehnten.
Medizinische Untersuchungen in den Vereinigten Staaten ergaben, daß rund 25 Prozent aller Erkältungen auf eine Allergie zurückzuführen sind. In diesem Fall ist der Körper gegen einen bestimmten Reizstoff überempfindlich. Er wehrt sich, indem er einen chemischen Stoff - das Histamin - bildet. Das Histamin überschwemmt den Körper jedoch oft in solchem Maße, daß er den Überschuß durch äußerliche Erkrankungen, wie Nesselfieber oder Schnupfen, abreagiert.
Der englische Nobelpreisträger Dale und zwei französische Forscher entdeckten vor einigen Jahren in ihren Retorten Antihistaminstoffe, die das Histamin im Gegenangriff neutralisieren und damit den Schnupfen zurückdrängen.
Allerdings haben die - vor wenigen Jahren berühmt gewordenen - Antihistamine den Nachteil, daß sie den Schnupfen nur im frühesten Anfangsstadium kupieren können. Lediglich beim ersten Kribbeln in der Nase haben sie überzeugenden Erfolg.
Aber auch auf anderem Gebiet konnte die Schnupfenforschung weiterkommen. 1953 berichtete Dr. Christopher Andrewes, Leiter der Abteilung für Virusforschung beim Britischen Nationalen Forschungsinstitut, daß es ihm gelungen sei, den Schnupfen-Erreger zu isolieren. Es handelt sich um ein Virus, das kleiner als der 120millionste Teil eines Millimeters ist. Es erhält sich in gefrorenem Zustand auf Jahre hinaus. Mit den Wunderheilmitteln Penicillin oder Streptomycin ist ihm nicht beizukommen.
Andrewes war bei seinen Untersuchungen auf freiwillige Versuchspersonen angewiesen, da alle Experimente, die Erkältungsviren auf Kaninchen, Ratten, Mäuse, Eichhörnchen oder Schweine zu übertragen, fehlgeschlagen waren. Der Schimpanse erwies sich als das einzige Tier, das sich einen Schnupfen zuziehen kann. Die Anschaffung von Versuchs-Schimpansen aber konnte sich Andrewes nicht leisten.
Dr. Klosa mußte mit noch geringeren Mitteln arbeiten. In gewissem Sinne ähnelt seine neue Schnupfen-Heilmethode zugleich der ältesten: der Schnupfen wird ausgetrocknet. Allerdings bewirkt Diphemin den Effekt, den man mit freiwilligem Dursten erzielen kann, wesentlich gründlicher und schneller. Es dämmt die flüssigen Absonderungen der Nasenschleimhaut ein. Dadurch wird aber auch der histaminhaltige Nasenschleim abgestoßen und den Viren, die sich nur in histaminhaltigen Absonderungen festsetzen können, der "Nährboden" entzogen.
Bisher entwickelte sich ein Schnupfen nach einem festen Fahrplan in vier Etappen:
* Reizzustand der Schleimhaut, geht häufig mit Trockenheit und dann mit einer vermehrten Sekretion von Nasenschleim einher.
* Starke Sekretion, Sekret dünnflüssig, bisweilen wäßrig ("Fließschnupfen"). Dauer etwa 1 bis 2 Tage.
* Eitriger, verstopfter Zustand. Dauer mehrere Tage.
* Heilungsstadium 1 bis 3 Tage.
Unabhängig von allen Stadien sollen nun die neuen Tabletten den Schnupfen stoppen. Im Stadium der Kribbelnase wird der Schnupfen kupiert, im Zustand des Stockschnupfens lösen die Tabletten befreiende Trompetenstöße aus.
"Im Initialstadium kupiert das Mittel den Schnupfen schlagartig", notierte Dr. Leinert in der "Münchener Medizinischen Wochenschrift", "länger bestehender und chronischer erfordert bis zu seiner restlosen Ausmerzung durch Diphemin-Asaletten gemeinhin 3 bis 4 Tage. Stets meldeten bereits die ersten Stunden eine lebhaft spürbare Erleichterung, die blockierte Nasenatmung gewann Luft, der 'gedunsene Schädel' wich, die Schleimhaut schwoll ab. das Gesamtbefinden normalisierte sich."
Dr. Klosa möchte mit seinem neuen Schnupfenmittel nicht nur dem einzelnen helfen. Es soll auch volkswirtschaftlichen Nutzen haben. Schätzungsweise gehen nämlich in Deutschland noch jedes Jahr durch Schnupfen 300 Millionen Arbeitsstunden verloren.