HANDYS Die große Piep-Show
Tom Lang bringt eigentlich alles mit, was man für eine Musikerkarriere braucht. Er hat in München Jazz und Popularmusik studiert. Er spielt in der Berliner Combo "Elektrosophen" Keyboards. Und ganz nebenbei hat er schon Filme des "Lola rennt"-Regisseurs Tom Tykwer musikalisch untermalt. Nun sitzt Lang in einem Kreuzberger Hinterhof vor seinem Computer und tüftelt an einem musikalischen Genre, das bei seinen Bandkollegen allenfalls Naserümpfen auslösen dürfte: 35-sekündige Musikfetzen, die klingen wie erste Fingerübungen auf einer schwindsüchtigen Heimorgel.
Lang ist Handy-Klingelton-Produzent und mit 36 Jahren einer der Senioren der Berliner Firma Jamba, die sich mit ihren inzwischen rund 300 Mitarbeitern als Europas Marktführer in Sachen Handy-Unterhaltung begreift.
Es sei "eine Herausforderung, Songs für das Handy zu reduzieren und zu komprimieren", sagt Lang. Und wenn in der S-Bahn in irgendeiner Teenie-Schultasche seine Version des Usher-Hits "Yeah" zu quieken beginnt, dann mögen viele Fahrgäste genervt mit den Augen rollen. Lang "packt dann der Entwicklerstolz".
Seine Erfolgserlebnisse im Berliner Nahverkehr häufen sich. Das Geschäft mit den Pieptönen boomt - und entwickelt sich von der Teenie-Spielerei gerade zu einer ernst zu nehmenden Sparte der kompletten Unterhaltungsindustrie.
Im vergangenen Jahr wurden weltweit erstmals mehr so genannte Ringtones verkauft als CD-Singles. Jugendzeitschriften und Werbepausen bei MTV oder Viva sind voll mit marktschreierischen Werbemotiven für das Handy-Zubehör.
Längst gibt es eigene Klingelton-Charts. Und auf den Schulhöfen wummern Handy-Versionen aktueller Hits wie Max Mutzkes "Can't Wait Until Tonight". Mancher trägt mit seinem Handy schon einen ganzen Klingelkatalog mit sich herum.
Das geht ins Taschengeld - zumal man die Töne bislang nicht tauschen kann und die große Piep-Show nur eines der Angebote ist, die Anbieter wie Jamba, Handy.de oder zed.de rund um die Uhr abrufbereit auf ihren Internet-Rechnern liegen haben. Durchschnittlich etwa 1,99 Euro sind für die Melodien derzeit zu bezahlen, häufig kommen noch Übertragungsgebühren dazu. Etwas günstiger sind Abonnements, wo dann aber regelmäßige Kosten anfallen.
So genannte Wallpapers, also Bildchen für die Displays mit Babys, Tieren oder Herzen, die besonders gut laufen, gibt es zum selben Preis. Deutlich teurer sind Handy-Spiele, die immer aufwendiger werden, einzeln meist zwischen 3,98 und 5,99 Euro kosten und mittlerweile fast jedes Film- oder Fernsehereignis flankieren. Noch vor dem Start der Kino-Klamotte "Der Wixxer" zum Beispiel gab es vorige Woche schon das Spiel zum Film.
Auf insgesamt etwa zwei Millionen Downloads kommt allein das Jamba-Portal inzwischen pro Monat. In diesem Jahr wird die Marke von 70 Millionen Euro Umsatz angepeilt, für das kommende Jahr der Börsengang - so jedenfalls der interne Plan.
Insgesamt lagen die Gesamtausgaben für Klingeltöne 2003 in Deutschland bei 164 Millionen Euro, mehr als irgendwo sonst in
Europa. Die prognostizierten Zuwachsraten sind enorm: Bis 2008, so prophezeien Studien seriöser Marktforscher, soll allein der europäische Klingelton-Markt von 800 Millionen im vorigen Jahr auf dann drei Milliarden Euro anschwellen.
Das Geschäftsmodell ist so bescheiden wie lukrativ - und ähnelt dabei bereits der einstigen Erfolgsgeschichte der SMS: Die Handy-Kurznachrichten waren nicht viel mehr als ein Abfallprodukt der Entwickler. Doch innerhalb weniger Jahre explodierten nicht nur die Umsätze.
Während sich der neue Standard UMTS zum Milliardengrab entwickelte, sorgten die kleinen Botschaften still und heimlich für sprudelnde Gewinne.
In der Goldgräberstimmung des Klingelklüngels wollen nun von Anfang an alle mitverdienen: Netzbetreiber wie Vodafone oder T-Mobile zum Beispiel kassieren mindestens 30 Prozent. Musikverlage und Plattenlabels teilen sich zwischen 20 und 40 Prozent. Weitere 12 Prozent müssen an die Verwertungsgesellschaft Gema abgeführt werden.
Dass der Markt jung, die Margen groß und die Perspektiven rosarot sind, haben nicht nur die Jamba-Gründer erkannt. Hinter den Kulissen tobt bereits ein Verteilungs- und Verdrängungskampf zwischen Mobilfunkanbietern, Medienunternehmen und der kriselnden Musikindustrie.
Aufgewacht sind jetzt auch die TV-Sender, vor allem jene mit jungem Publikum wie MTV und RTL II, die gleich doppelt von dem neu entstandenen Markt profitieren: "Mobile Entertainment"-Anbieter gehören heute zu ihren wichtigsten Werbekunden. Und während intern Programmmacher und Werbeeinkäufer noch streiten, ob die nervigen Klingelton-Spots ("Schicke eine SMS an ...") nicht Zuschauer vergraulen, sind die Sender selbst zu Anbietern geworden.
Der Musikkanal MTV versucht rund um sein eigenes Klingelton-Repertoire mit der überdimensionalen Kakerlake "Roque" gerade, eine Figur aufzubauen, die künftig für alle eigenen Mobilangebote stehen soll: Allein der erste Reklamespot verkaufte nach Angaben des zuständigen MTV-Managers Joel Berger rund eine Million Klingelmelodien. Bei der Auswahl der Ton-Komponisten achten die Verantwortlichen darauf, dass die nicht an die Gema angeschlossen sind. Bei einem Abrufpreis von 1,99 Euro kann MTV rund 1,05 bis 1,15 Euro kassieren.
"Die Mobilinhalte sind der am schnellsten wachsende Bereich bei MTV, und das nicht nur in Deutschland", sagt Manager Berger. "Wir machen heute schon 10 Prozent der gesamten Umsätze mit solchen selbst kreierten Inhalten, in drei Jahren wollen wir bei 25 Prozent sein." Bislang sei man immer stolz gewesen, in 30 Millionen TV-Haushalten empfangbar zu sein. "Jetzt wollen wir auch in 40 Millionen Hosentaschen."
Bei RTL II sieht man das ähnlich. "Wir spezialisieren uns auf programmbezogene Themen", sagt RTL-II-Marketingchef Conrad Heberling. "Das heißt auch, dass wir beim Einkauf neuer Serien darauf achten, dass wir die Klingelton-Rechte gleich mitverhandeln."
Die Einzigen, die lange keine großen Töne spuckten, waren die Verantwortlichen in der Musikindustrie, die auch diesen Trend rund um ihr ureigenstes Produkt zunächst verschliefen. Inzwischen ist die Industrie sensibilisiert - und sieht in der Handy-Hörschnipsel-Hysterie gar einen Ausweg aus der eigenen Branchenkrise.
Die Musikkonzerne verdienen nicht mehr nur bei den nachgespielten Melodien, sondern über Verträge mit Portalen wie Jamba & Co. vor allem bei den seit vorigem Sommer erhältlichen Realtones - also Original-Songschnipseln. Mit regelrechten Musikvertrieben via Handy wollen Netzbetreiber wie O2 in Kürze starten.
Roland Oels, Manager bei Warner Music, glaubt denn auch, dass der Musikmarkt schon 2006 10 Prozent seines Umsatzes rund ums Handy machen wird. Bis 2010 sei eine Steigerung auf 25 bis 30 Prozent möglich, so Oels. Ulrich Järkel von der Bertelsmann-Musiktochter BMG schwärmt von einer "unglaublichen Dynamik".
So viel Wachstum weckt Begehrlichkeiten - und auch kriminelle Energie. Neben seriösen Anbietern versucht ein schwer zu fassendes Heer von schwarzen Schafen, den Spieltrieb vieler Jugendlicher auszunutzen, um hemmungslos abzuzocken.
"Wir bekommen viele Beschwerden", sagt Carel Mohn vom Bundesverband der Verbraucherschutzzentralen. "Der Mobilfunkbereich ist bei Jugendlichen eines der größten Konsumprobleme." In manchen Fällen sei das erste Handy der Start in eine veritable Verschuldungskarriere.
Vor allem die nebulöse Preisgestaltung wird von den Verbraucherschützern kritisiert. Regelmäßig schicken sie Abmahnungen durchs Land.
So gingen sie etwa gegen zwei Unternehmen vor, die in ihren in "Bravo" geschalteten Anzeigen für die Bestellung von Klingeltönen und anderen Diensten über eine 0190-Nummer nur den Minutenpreis angaben und nicht die tatsächlichen
Endkosten von bis zu acht Euro - pro Melodie.
Erstinstanzlich gab das Oberlandesgericht Hamburg den Verbraucherschützern in einem Fall bereits Recht. Die Entscheidung ist aber noch nicht rechtskräftig.
Mindestens ebenso tückisch wie 0190-Fallen sind zahllose Internet-Angebote wie sms-stadt.com, bei denen sich - "um den Premiumbereich uneingeschränkt nutzen zu können" - ein Bildschirmfenster öffnet, in dem darum gebeten wird, nur schnell "O. K." einzutippen. Wer das tut, lädt sich ein neues Internet-Zugangsprogramm (Dialer) auf den Rechner und surft danach etwa für 1,86 Euro pro Minute weiter. Online-Tester kamen bei einem ähnlichen Dialer-Angebot unter der Adresse handy-paradies.net bei einem Probelauf auf Kosten von 16,87 Euro für eine einzige Melodie.
Die Handy-Seiten Sendman.de und Sendmen.de verlangten bei einer SPIEGEL-Recherche den Höchstpreis: Auch dort öffnete sich beim Klick auf das Stichwort "Klingeltöne" ein Dialer-Fenster. Kaum erkennbar stand noch Ende vergangener Woche am untersten Seitenrand der Hinweis: "Dieses Angebot wird mit 29,95 Euro/Verbindung aus Deutschland berechnet."
Inzwischen interessiert sich auch die Justiz für die Klingelton-Abzocker: Im April durchsuchten Beamte der Staatsanwaltschaft Düsseldorf die Räume der Net Mobile AG sowie die der Anbieter Logoland und Logoplanet und beschlagnahmten umfangreiches Material. Der Vorwurf lautet auf Urheberrechtsverletzung und Betrug.
Logoland war schon in der Vergangenheit auffällig geworden. So mahnten Verbraucherschützer die Firma ab, weil sie in einem Beihefter zu dem Magazin "Wendy", das sich an jugendliche Pferdeliebhaberinnen richtet, Mailbox-Sprüche beworben hatte wie: "Das Mailbox-Luder hat den Mund voll ..." Auch Musikverlage haben die Firma schon seit Jahren im Visier.
Dennoch will man bei der Net Mobile AG, die sich als reinen Dienstleister für Dritte positionieren möchte, vom Ruf der Firma nichts gewusst und sich schon gar nicht aktiv an einer Täuschung von Kunden und Musikindustrie beteiligt haben. "Wir können auf Grund des in der Branche bestehenden Täuschungs- und Missbrauchspielraums aber nicht alle Kunden überwachen", sagt Technik-Vorstand Dieter Plassmann.
Tatsächlich unterhielt sein Unternehmen auch einen Vermarktungsvertrag mit der Firma Global Netcom, die in der Vergangenheit mit dubiosen Dialern von sich reden machte und bereits von einer Sanktion der Regulierungsbehörde betroffen war.
Unter der Global-Netcom-Anschrift residiert, mit identischem Geschäftsführer, auch die Consiliere New Media GmbH, die laut Impressum für die Dialer-Angebote Sendman.de und Sendmen.de verantwortlich ist. Ende voriger Woche lösten die SPIEGEL-Recherchen hektische Betriebsamkeit aus.
Die Net Mobile AG reagierte mit einer fünfseitigen Stellungnahme, in der sie darauf verweist, den Vertrag mit Global Netcom im April fristgerecht gekündigt zu haben und nun "alle Optionen" zu prüfen, die "eine sofortige verbraucherfreundliche Einstellung des Angebotes ermöglichen würden". Rechtliche Schritte bis hin zu einer Anzeige würden geprüft.
Auch kündigt Vorstand Plassmann in dem Schreiben an, bestehende Verträge mit den Anbietern Logoplanet und Online Ideas GmbH (Betreiber von www.smsstadt.com) "fristlos zu kündigen".
Net Mobile lässt das eigene System gerade von externen Beratern überprüfen - im eigenen Interesse: Die Firma betreibt unter anderem die Plattform giblaut.de für den Musikkonzern Warner Music, bei dem man über die Vorwürfe des Abrechnungsbetrugs nicht gerade erbaut ist.
"Den Abzockern muss schnellstmöglich das Handwerk gelegt werden", sagt Järkel von BMG, "sonst machen die uns den gerade entstehenden Markt schnell wieder kaputt." Denn die Erfahrung zeige: "Wer einmal gelinkt wird, bestellt nie wieder." MARCEL ROSENBACH, THOMAS SCHULZ