31.01.2005
RUSSLANDPikante Ausnahme
Die sonst erzkonservative orthodoxe Kirche hat ein erstaunliches Signal ausgesandt. Sie will dem Gedanken der Vielweiberei näher treten - zumindest wenn es um muslimische Staatsbürger geht. Das Thema verdiene eine "ernsthafte öffentliche Diskussion", gab Vater Wsewolod Tschaplin, Sekretär im Außenamt der Russisch-Orthodoxen Kirche, zu Protokoll - womöglich mit dem Segen staatlicher Stellen, die sich um die Integration der 14 Millionen einheimischen Muslime sorgen. Er selbst sei eingefleischter Gegner der jetzt aufkommenden vielfältigen Ehearten, bekräftigte der heilige Mann, nicht ohne bei dieser Gelegenheit seinen Abscheu gegenüber dem Westen kundzutun. Dort würden inzwischen homosexuelle Verbindungen genehmigt, ja bereits "Pädophile die Legalisierung ihres Tuns und Treibens" einklagen und "wohl bald auch Forderungen nach einer Eheverbindung mit Tieren" ertönen - ein Zustand, der die Gesellschaft letztendlich zerstöre. Was allerdings die Polygamie der Muslime betreffe, sei möglicherweise eine "Ausnahme" angebracht.
Demselben Thema hatte sich zuvor Rawil Gajnutdin, der Vorsitzende des russischen Mufti-Rates, zugewandt: Die Regel der Scharia, wonach ein Muslim bis zu vier Frauen besitzen dürfe, gelte "ewig". Könne der Mann seine Familie mit Wohnraum, Kleidung, Essen und Liebe versorgen, dürfe er durchaus mehr als eine Ehefrau haben, verkündete Moskaus oberster Mufti. In islamischen Ländern sei die Polygamie eine "völlig normale Erscheinung", Eifersucht unter den Ehegattinnen gebe es nicht. Prüfen müsse man nun, wie diese Lebensform mit Russlands weltlichen Gesetzen in Einklang zu bringen sei. Gajnutdin kommt zu einer klaren Schlussfolgerung: Entweder schreibe der Staat seine Gesetze um - oder er erlaube russischen Muslimen, "zu leben, wo es ihnen gefällt".
DER SPIEGEL 5/2005
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