ATOMTECHNIK Flaggschiff gestoppt
Geht Deutschland auf dem Gebiet der Atomtechnik in Führung?" fragte das US-Nachrichtenmagazin "Newsweck" vor einem Jahrzehnt, als der Atomfrachter "Otto Hahn" gerade die letzte Schicht seines weißglänzenden Anstrichs erhielt.
Am Freitag letzter Woche beschloß der Aufsichtsrat der Gesellschaft für Kernenergie in Schiffbau und Schifffahrt (GKSS), die "Otto Hahn", das einzige derzeit aktive atomgetriebene Handelsschiff der Welt, wieder stillzulegen -- gerade rechtzeitig bevor der 17 000-Tonner, von Ex-Forschungsminister Hans Matthöfer einmal als das "technologische Flaggschiff der deutschen Handelsflotte" bezeichnet, zu einem weißen Elefanten der Schiffahrtstechnik, zu einer Concorde der Meere wurde.
Mehr als 600 000 Seemeilen hat der Atomfrachter seit 1968 zurückgelegt, eine Gesamtstrecke, die rund 25mal um die Erde reicht. Fast eine Million Tonnen Ladung, vor allem Erz, Kohle, Getreide und Düngemittel, hat er befördert. Sein Reaktorantrieb bewährte sich bei schwerstem Seegang und Windgeschwindigkeiten bis zu Stärke elf, aber auch in tropischem Klima mit 90 Prozent Luftfeuchtigkeit und Seewassertemperaturen von 31 Grad Celsius.
Auf ihren Fahrten zwischen Spitzbergen und Kapstadt, Argentinien und Persien stellte die "Otto Hahn" alles unter Beweis, was sie als staatlich gefördertes Demonstrationsobjekt hatte beweisen sollen. Mit nur zwei "Kernladungen", von denen jede etwa 120 Kilogramm Uran-235 enthielt, legte sie eine Strecke zurück, für die ein konventionelles Schiff gleicher Größe etwa 85 000 Tonnen 01 gebraucht hätte.
In ihren Jahresberichten konnte die GKSS mit Recht die "Betriebssicherheit" des Schiffes rühmen: Hatte es im ersten Jahr der Versuchsfahrten noch 59 Reaktorabschaltungen -- meist aufgrund von Bedienungsfehlern -- gegehen, so passierte das in den letzten Jahren weniger als einmal im Monatsdurchschnitt. Zu ernsteren Pannen, etwa dem erhöhten Austreten von Radioaktivität, war es nie gekommen.
Aber die "Otto Hahn" lieferte auch den Beleg für all die Schattenseiten atomarer Handelsschiffahrt. Noch immer weigern sich viele Staaten, die, wie sie meinen, "schwimmende Atombombe" in ihre Häfen einlaufen zu lassen. In langwierigen Verhandlungen haben die Deutschen ihrem Versuchsschiff in zehn Jahren nur 30 Häfen in 19 Ländern öffnen können.
Aber der Haupteinwand gegen die Atomschiffahrt ist ihre mangelnde Wirtschaftlichkeit. Rund zwei Millionen Mark jährlich kann die "Otto Hahn" an Frachtraten einfahren, aber die Kosten für den Betrieb des Schiffes liegen bei zehn Millionen Mark. Selbst angerechnet, daß sie als Versuchsschiff in der Größe nicht optimal ausgelegt war und manche ihrer Fahrten nur der Forschung dienten, so ist doch die Differenz noch zu hoch.
Allenfalls in 15 bis 20 Jahren, so rechnen auch Wissenschaftler des GKSS, könnten Atomfrachter wirtschaftlich sein -- weil dann der Ölpreis mutmaßlich drei- bis viermal so hoch sein dürfte als derzeit.
Mit ihrem letzten Kohletransport von Südafrika nach Hamburg hat die "Otto Hahn" nun auch die zweite Kernladung verbraucht. Sie nochmals mit einem neuen Kern, der wieder fünf Jahre halten würde, zu versorgen, würde Investitions- und Betriebskosten von rund 60 Millionen Mark erfordert haben. Dazu war der Hauptgesellschafter der GKSS, der Bund, nicht mehr bereit.
Bundesforschungsminister Volker Hauff, in der Vergangenheit selbst häufig Passagier auf der "Otto Hahn", hält die Erfahrungen mit dem Atomfrachter für ausreichend, um "im Bedarfsfall in der Lage zu sein, Schiffe mit Kernantrieb zu bauen und zu liefern".